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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 23.07.2003
Aktenzeichen: VII B 14/03
Rechtsgebiete: FGO


Vorschriften:

FGO § 76 Abs. 1
FGO § 76 Abs. 2
FGO § 96 Abs. 1
FGO § 100 Abs. 2 Satz 2
FGO § 100 Abs. 1
FGO § 102
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3
FGO § 116 Abs. 6
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Der Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) ließ beim Ausfuhrzollamt mit fünf Ausfuhranmeldungen und Kontrollexemplaren verschiedene Schokoladenartikel zur Ausfuhr nach Ungarn abfertigen. Da er für einige Waren ("X"-Produkte) keine Herstellererklärungen vorlegen konnte, vermerkte die Zollstelle, dass die Ausfuhrabfertigung für diese Waren nach dem "Erlass (des Bundesministeriums der Finanzen --BMF-- vom 19. Februar 1991) III B 3 - M 3500 - 40/91 Art. 8 Abs. 1 - 3" erfolge. Der Beklagte und Beschwerdeführer (das Hauptzollamt --HZA--) gewährte dem Kläger antragsgemäß Ausfuhrerstattungen.

Im Anschluss an eine Außenprüfung kam das HZA zu dem Ergebnis, dass der Kläger für die Berechnung der in den "X"-Produkten enthaltenen Grunderzeugnisse das Verfahren nach Anhang D der Verordnung (EG) Nr. 1222/94 (VO Nr. 1222/94) der Kommission vom 30. Mai 1994 zur Festlegung der gemeinsamen Durchführungsvorschriften für die Gewährung von Ausfuhrerstattungen und der Kriterien zur Festsetzung des Erstattungsbetrags für bestimmte landwirtschaftliche Erzeugnisse, die in Form von nicht unter Anhang II des Vertrages fallenden Waren ausgeführt werden (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- Nr. L 136/5) in Anspruch genommen habe, obwohl weder das für ihn zuständige HZA noch das Ausfuhrzollamt hierzu eine Genehmigung erteilt hätten. Das beklagte HZA forderte deshalb ... DM Ausfuhrerstattungen vom Kläger zurück.

Das Finanzgericht (FG) hat diesen Bescheid aufgehoben und dazu im Wesentlichen folgendes ausgeführt:

Dem Kläger sei von dem Ausfuhrzollamt auf stillschweigend gestellten Antrag hin bewilligt worden, dass ihm Ausfuhrerstattung wegen der regelmäßig erfolgten Ausfuhren von Waren gleichbleibender Beschaffenheit und Qualität auf der Grundlage der Herstellungsformel bzw. der durchschnittlichen Mengen der verwendeten Erzeugnisse sowie aufgrund einer Analyse der auszuführenden Ware gemäß Art. 7 Abs. 1 und 2 VO Nr. 1222/94 ("Kombinationsverfahren") gewährt wird. Ob diese Bewilligung vom Ausfuhrzollamt habe vorgenommen werden dürfen oder ob das vereinfachte Analyseverfahren vielmehr von dem zuständigen HZA hätte bewilligt werden müssen, könne offen bleiben, da sich der Kläger jedenfalls auf Vertrauensschutz berufen könne. Die vom beklagten HZA erstmals in der mündlichen Verhandlung aufgestellte Behauptung, dass der Kläger laut Prüfungsbericht mit den Ausfuhranmeldungen nicht die zutreffenden Werte aus früheren Analysen angegeben habe, sei unsubstantiiert; es sei nicht vorgetragen worden, inwieweit die Nicht-Anhang II-Waren weniger erstattungsfähige Erzeugnisse enthielten als vom Kläger angegeben. Es sei nicht Aufgabe des Gerichts, den Prüfungsbericht auszuwerten und die sich hieraus ergebenden Rückforderungsansprüche zu berechnen.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil richtet sich die Beschwerde des HZA. Das HZA trägt u.a. vor, das FG habe dadurch gegen § 96 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) verstoßen, dass es den aus dem ihm vorliegenden Prüfungsbericht ersichtlichen Umstand nicht berücksichtigt habe, dass nach den Feststellungen der Prüfung laut Lieferantenrechnung unterschiedliche Waren der Handelsbezeichnung "X" in den Ausfuhrpapieren in einer Position zusammengefasst worden seien und dadurch die Erzeugnismengen aufgrund unterschiedlicher Analysewerte zu hoch angemeldet wurden. Diese aus Textziffer 3.5 des Prüfungsberichts ersichtliche Feststellung habe zur Folge, dass für einen Teilbetrag in Höhe von ... DM Ausfuhrerstattung zu Unrecht gewährt worden sei, was sich aus Textziffer 5.1 des Prüfungsberichts und dessen Anlage 10 ergebe. Dies habe das FG zu Unrecht mit der Begründung unberücksichtigt gelassen, es sei nicht seine Aufgabe, den Prüfungsbericht auszuwerten. Jedenfalls habe es nach § 76 Abs. 2 FGO darauf hinwirken müssen, dass von dem HZA alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden, nachdem das beklagte HZA auf den für den vorgenannten Teilbetrag maßgeblichen Rückforderungsgrund einzugehen deshalb als entbehrlich angesehen habe, weil es die Voraussetzungen für die Anwendung des Analyseverfahrens nicht für gegeben gehalten habe.

II. Die Beschwerde (§ 116 Abs. 1 FGO) ist zulässig und begründet. Der vom HZA geltend gemachte und schlüssig vorgetragene Verfahrensmangel der Nichtberücksichtigung des Inhalts der Akten, auf dem die Entscheidung des FG beruhen kann, liegt vor (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).

Das FG ist in seinem Urteil davon ausgegangen, der Kläger könne sich darauf berufen, dass ihm bewilligt sei, gemäß Art. 7 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 VO Nr. 1222/94 sowie Art. 7 Abs. 2 Unterabs. 2 VO Nr. 1222/94 die Mengen der für die Herstellung der Erstattungswaren tatsächlich verwendeten Erzeugnisse anhand der Herstellungsformel dieser Ware oder aufgrund der durchschnittlichen Menge der für die Herstellung dieser Ware verwendeten Erzeugnisse, welche aufgrund einer Analyse der auszuführenden Ware festgestellt worden sind, zu ermitteln und in der Ausfuhrerklärung anzugeben. Dieses Verfahren kann nur auf Waren angewendet werden, die nach genau festgelegten technischen Gegebenheiten hergestellt werden und gleichbleibende Beschaffenheit und Qualität aufweisen (vgl. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Satz 1 VO Nr. 1222/94), und bedingt selbstredend, dass in der Ausfuhranmeldung die analytisch ermittelten Durchschnittswerte bzw. die der Herstellerformel entsprechenden Sollwerte genau derjenigen Ware angegeben werden, die tatsächlich ausgeführt wird. Das FG hätte daher der Frage nachgehen müssen, ob der Kläger in seinen Ausfuhranmeldungen in vollem Umfang zutreffende Angaben gemacht hat, was ausweislich des dem FG vorliegenden Prüfungsberichtes nicht der Fall gewesen ist.

Diese Prüfungsfeststellungen zu beachten, verlangte, wie das HZA zu Recht geltend macht, § 96 Abs. 1 FGO, wobei das FG, sollte es den Prüfungsfeststellungen keinen Glauben schenken wollen, den Sachverhalt nach § 76 Abs. 1 FGO weiter hätte aufklären müssen. Aus dem Zusammenhang der Entscheidungsgründe ergibt sich klar und deutlich, dass das FG die Rechtserheblichkeit jener Feststellungen für den angefochtenen Rückforderungsbescheid nicht etwa deshalb verkannt hat, weil es sich im Irrtum über das materielle Recht befunden hat --was seine Entscheidung lediglich materiell-rechtlich fehlerhaft machen und grundsätzlich eine Zulassung der Revision nicht rechtfertigen würde--, sondern dass es aufgrund der in Ziffer 3 der Entscheidungsgründe ausdrücklich angeführten verfahrensrechtlichen Erwägung meinte, den Prüfungsbericht bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigen zu müssen.

Diese verfahrensrechtliche Beurteilung vermag der beschließende Senat indes nicht zu teilen. Dass das beklagte HZA die betreffenden Prüfungsfeststellungen --von seinem damaligen Rechtsstandpunkt aus folgerichtig-- in dem angefochtenen Bescheid nicht ausgewertet und aufgrund einer solchen differenzierten Auswertung des Prüfungsberichts den Ausfuhrerstattungsbescheid nicht nur teilweise, sondern wegen der angeblich fehlenden rechtswirksamen Bewilligung des vereinfachten Analyseverfahrens in vollem Umfang aufgehoben hat, konnte entgegen der Ansicht des FG nichts daran ändern, dass das FG die dort festgestellten Tatsachen zu berücksichtigen und ggf. aufzuklären hatte. Im gerichtlichen Verfahren ist ein angefochtener Verwaltungsakt nicht nur anhand der ihm beigegebenen Begründung, sondern unter jedem einschlägigen rechtlichen Gesichtspunkt daraufhin zu überprüfen, ob er ganz oder jedenfalls --was bei auf eine Geldleistung gerichteten Verwaltungsakten stets in Betracht zu ziehen ist-- teilweise aufrecht erhalten werden kann. Daher ist der Sachverhalt auch dann aufzuklären, wenn ihn die Behörde nicht oder nur unzureichend aufgeklärt hat, und es sind alle aktenkundigen Tatsachen zu berücksichtigen, auch wenn ihnen die Behörde bei Erlass des angefochtenen Verwaltungsaktes keine Bedeutung beigelegt hat. Allenfalls kann das FG nach § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO unter den dort geregelten Voraussetzungen der Behörde überlassen, den Betrag zu ermitteln, dessentwegen der angefochtene Verwaltungsakt bestehen bleiben kann. Hingegen kommt die Aufhebung eines angefochtenen und mit der ihm von der Behörde beigegebenen Begründung nicht haltbaren, aus anderen, von der Behörde nicht erwogenen Gründen aber im Ergebnis rechtmäßigen Verwaltungsakts nach § 100 Abs. 1 FGO nur dann in Betracht, wenn die Ersetzung der Gründe zu einer Wesensänderung des betreffenden Verwaltungsaktes führen würde, wovon im Streitfall keine Rede sein kann. Es liegt auch kein Fall des § 102 FGO vor, in dem eine unzutreffende Begründung der Behörde zur Aufhebung ihrer Entscheidung führen kann, sofern diese ihre Ermessenserwägungen betrifft oder sich auf sie ausgewirkt haben kann, welche das Gericht nicht durch andere, rechtmäßige Erwägungen ersetzen darf.

Gegen diese Grundsätze hat das FG in dem angefochtenen Urteil verstoßen. Hätte es sie berücksichtigt, hätte es zu einer anderen Entscheidung kommen können. Sein Urteil ist mithin i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO verfahrensfehlerhaft zustande gekommen und kann auf dem dem FG unterlaufenen Verfahrensfehler beruhen.

Der Senat sieht von einer Zulassung der Revision gemäß § 116 Abs. 6 FGO ab und entscheidet im Beschwerdeverfahren dahin, dass der Rechtsstreit unter Aufhebung des Urteils des FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen ist.

Ende der Entscheidung

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