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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 05.02.2002
Aktenzeichen: VII B 149/01
Rechtsgebiete: FGO


Vorschriften:

FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) stellt Wohntextilien her und vertreibt sie. Im Rahmen eines ihr mit Bescheid vom 23. April 1992 bewilligten und später erweiterten passiven Veredelungsverkehrs ließ sie verschiedene Textilwaren in Polen herstellen. Der Umfang der im passiven Veredelungsverkehr in Polen hergestellten Waren nahm im Laufe der Zeit erheblich zu. Im Rahmen einer Außenprüfung bei der Klägerin wurde festgestellt, dass die nach passiver Veredelung eingeführten Waren über einen längeren Zeitraum hinweg nicht der Differenzverzollung unterworfen wurden, sondern nur eine Verzollung des Veredelungsentgelts (Lohnkosten) stattfand. Für die hier in Rede stehende Sendung, die am 23. April 1993 zum freien Verkehr abgefertigt wurde, holte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Hauptzollamt --HZA--) die Differenzverzollung nach und erhob mit dem angefochtenen Steueränderungsbescheid vom 17. April 1996 Zoll-Euro in Höhe von 570,69 DM nach. Einspruch und Klage blieben erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) hielt die Nacherhebung für gerechtfertigt, insbesondere sei das HZA daran nicht durch Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1697/79 (NacherhebungsVO) des Rates vom 24. Juli 1979 betreffend die Nacherhebung ... (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- Nr. L 197/1) gehindert gewesen. Die zuständige Zollstelle habe sich zwar über die Anwendung der maßgebenden Vorschriften geirrt. Hinsichtlich der Art des Irrtums lasse sich aber nicht feststellen, dass die Rechtslage nach der Verordnung (EWG) Nr. 2473/86 des Rates vom 24. Juli 1986 über den passiven Veredelungsverkehr ... (ABlEG Nr. L 212/1, Berichtigung in ABlEG 1987 Nr. L 196/87) so verwickelt und unverständlich gewesen sei, wie es die Klägerin vorgetragen habe. Der Irrtum sei für die Klägerin auch erkennbar gewesen. Die Klägerin habe es an der notwendigen Sorgfalt fehlen lassen, weil sie trotz ersichtlicher Zweifel an der Richtigkeit der Auskünfte der Zollstelle, sich auf eine Nachfrage bei diesem Zollamt beschränkt habe. Je umfangreicher die von der Auskunft abhängenden betrieblichen Dispositionen seien, umso umfassender müsse sich der Wirtschaftsteilnehmer informieren. In Anbetracht der erheblichen Ausweitung des passiven Veredelungsverkehrs durch die Klägerin hätte sie es daher nicht mit der ihr erteilten Auskunft der Zollstelle bewenden lassen dürfen.

Mit ihrer Beschwerde begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision gegen die Vorentscheidung und stützt diese auf die grundsätzliche Bedeutung der Frage, inwieweit das durch das Erstellen fortlaufender Bescheide durch die Zollstelle entstehende Vertrauen des Abgabenschuldners in die Richtigkeit des Handelns der Behörde die Kontrollpflicht des Abgabenschuldners vermindert. Es sei über viele Jahre hinweg ein System aufgebaut worden, das von den Beamten des zuständigen Zollamts aktiv vermittelt worden sei. Es stelle sich die Frage, ob das Entstehen von Zweifeln bei der Abgabenschuldnerin nicht gerade auf Grund des Verhaltens der Behörde aktiv unterbunden wurde.

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet. Die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage, die die Erkennbarkeit des Irrtums der Zollbehörden für die Klägerin betrifft, hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--), weil sie, da schon von der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) und des Bundesfinanzhofs (BFH) geklärt, nicht mehr klärungsbedürftig ist.

Denn die Frage, nach welchen Gesichtspunkten zu beurteilen ist, ob ein zollamtlicher Irrtum für den Abgabenschuldner erkennbar war oder nicht (vgl. Art. 5 Abs. 2 NacherhebungsVO), ist rechtsgrundsätzlich dahin geklärt, dass es insoweit auf eine konkrete Beurteilung aller Umstände des Einzelfalls ankommt, wobei namentlich (nicht nur) die Art des Irrtums, die Erfahrung und die Sorgfalt des Wirtschaftsteilnehmers zu berücksichtigen sind (vgl. z.B. EuGH-Urteile vom 26. Juni 1990 Rs. C-64/89, EuGHE 1990, I-2535, und vom 1. April 1993 Rs. C-250/91, EuGHE 1993, I-1819, sowie BFH-Urteil vom 20. Juli 1999 VII R 85/98, Zeitschrift für Zölle + Verbrauchsteuern 1999, 381). Der zollamtliche Irrtum schließt noch nicht dessen Nichterkennbarkeit durch den Beteiligten ein (vgl. EuGHE 1990, I-2535). Der Beteiligte muss sich über die in Betracht kommenden Rechtsvorschriften an Hand ihrer Veröffentlichung im ABlEG informieren (vgl. u.a. EuGH, Urteil vom 26. November 1998 Rs. C-370/96, EuGHE 1998, I-7711) und sich bei Zweifeln an ihrer Auslegung weitestmöglich Aufschluss darüber verschaffen, wie sie zu verstehen sind (vgl. EuGH, Urteil in EuGHE 1993, I-1819 Rdnr. 24). Die Berücksichtigung dieser u.a. in Betracht kommenden Gesichtspunkte im Einzelfall liegt im Bereich der Rechtsanwendung (vgl. u.a. EuGH, Urteile in EuGHE 1990, I-2535 Rdnr. 23, und in EuGHE 1993, I-1819 Rdnr. 22) auf den konkreten Sachverhalt, der regelmäßig grundsätzliche Bedeutung nicht zukommen kann (vgl. BFH, Beschlüsse vom 15. Dezember 1992 VII B 123/92, BFH/NV 1994, 65, und vom 8. Juni 1993 VII B 58/93, BFH/NV 1994, 433).

Das FG hat sich ausführlich damit auseinander gesetzt, welches Gewicht im Streitfall der Tatsache zukommt, dass die am Entscheidungsprozess beteiligten Behörden zu der einschlägigen Rechtsfrage, wie die im Rahmen der passiven Veredelung eingeführten Textilien zu verzollen sind, zunächst eine andere Auffassung vertreten haben als die, die sich später als richtig herausgestellt hat. Es hat sich ferner damit befasst, ob die sich aus den maßgebenden Vorschriften ergebende Rechtslage schwierig und verwickelt oder verhältnismäßig klar und eindeutig war und ob die Klägerin die ihr zuzumutende Sorgfalt bei der Klärung der Rechtslage aufgewandt hat.

Die Abwägung all dieser Gesichtspunkte gegeneinander ist, weil auf den konkreten Einzelfall bezogen, einer darüber hinausgehenden grundsätzlichen Klärung nicht fähig. Selbst wenn das FG die einzelnen Gesichtspunkte fehlerhaft gewertet haben sollte, wäre daraus die grundsätzliche Bedeutung der Sache nicht herzuleiten, weil sich die gerichtliche Würdigung dieser Gesichtspunkte nur auf den konkreten Einzelfall bezogen hat und ihr somit keine über den Einzelfall hinausgehende grundsätzliche Bedeutung zukommen kann (vgl. auch BFH, Beschluss vom 23. März 2000 VII B 299/99, BFH/NV 2000, 1261).

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