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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 18.10.1999
Aktenzeichen: VII B 179/99
Rechtsgebiete: A 1977, FGO, ZPO


Vorschriften:

AO 1977 § 284 Abs. 1
AO 1977 § 284 Abs. 2
AO 1977 § 284 Abs. 3 Satz 2
FGO § 51 Abs. 1 Satz 1
ZPO § 42 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

In einem anhängig gemachten Klageverfahren des Klägers, Antragstellers und Beschwerdeführers (Kläger) gegen die vom Beklagten, Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) verfügte Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung machte der Kläger u.a. geltend, er sei wegen der Beschlagnahme von Akten durch die Staatsanwaltschaft nicht in der Lage, das Vermögensverzeichnis zu erstellen und die verlangte eidesstattliche Versicherung abzugeben. Eine Anfrage des Finanzgerichts (FG) bei der Staatsanwaltschaft ergab, daß nach erhobener Anklage eine Einsichtnahme des Klägers in die Akten nunmehr nur mit Einwilligung des Vorsitzenden der mit der Sache befaßten Strafkammer des Landgerichts stattfinden könne. Daraufhin bat der Vorsitzende Richter des FG-Senats als Berichterstatter den Kläger, sich dort um Akteneinsicht zur Erstellung des Vermögensverzeichnisses zu bemühen und dieses dann dem Gericht einzureichen. Nachdem der Kläger daraufhin zunächst ein altes Vermögensverzeichnis eingereicht hatte, welches das FA beanstandete, legte er später dem FG ein mit Datum vom 1. August 1998 ausgefülltes Vermögensverzeichnis mit Anlagen vor. In einer Stellungnahme hierzu äußerte das FA, die Vorlage des Vermögensverzeichnisses mache die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nicht entbehrlich, sondern sei lediglich Grundlage hierfür. Daraufhin teilte der Vorsitzende Richter mit Verfügung vom 2. Dezember 1998 dem Kläger mit, das Gericht gehe davon aus, daß es sich bei dem eingereichten Verzeichnis um ein Vermögensverzeichnis i.S. von § 284 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) handele und das FA gegen dieses Verzeichnis keine Einwendungen erhoben habe. Wörtlich heißt es dann weiter:

"Zur Erledigung des Rechtsstreits bedarf es nunmehr noch der eidesstattlichen Versicherung nach § 284 Abs. 2 AO. Der Kläger wird daher gebeten mitzuteilen, ob er hierzu bereit ist, damit vom Beklagten eine entsprechende Aufforderung ergehen kann. Sollte der Kläger die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung verweigern, wozu derzeit kein Grund ersichtlich ist, wird das Gericht nach Fristablauf in der Streitsache entscheiden."

Aufgrund dieser Verfügung hat der Kläger den Vorsitzenden Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Zur Begründung brachte er vor, der Vorsitzende Richter habe sich in dieser Verfügung in seiner rechtlichen Beurteilung in einer Weise festgelegt, die es nicht mehr möglich erscheinen lasse, daß er sich den Argumenten des Klägers gegenüber offen zeige. Indem er ihn unter Fristsetzung von einem Monat aufgefordert habe mitzuteilen, "wann" er sich beim FA einfinden wolle, um die eidesstattliche Versicherung abzugeben, habe der Richter vollständig die Position der Gegenseite eingenommen.

In seiner dienstlichen Äußerung zum Ablehnungsgesuch hat der abgelehnte Richter erklärt, er halte sich aufgrund der gegebenen Sachlage nicht für befangen. Er habe den Kläger unter dem Gesichtspunkt einer möglichen außergerichtlichen Erledigung des Rechtsstreits lediglich um Mitteilung gebeten, "ob" dieser zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung bereit sei, damit das FA eine entsprechende Aufforderung erlassen könne. Die Ausführungen der Prozeßbevollmächtigten des Klägers gingen dazu von einem falschen Sachverhalt aus, so daß sie deswegen zu der unzutreffenden Feststellung gelangt seien, er nehme vollständig die Position der Gegenseite ein. In einer Stellungnahme zu dieser dienstlichen Äußerung erklärte der Kläger sodann, er führe einen Prozeß, weil er die eidesstattliche Versicherung nicht abgeben wolle. Vor diesem Hintergrund sei es nicht nachvollziehbar, aus welchem Grunde er sie nunmehr doch zur Erledigung der Hauptsache abgeben solle. Zu verstehen sei diese Äußerung nur insoweit, als der Richter offenbar von der Erfolglosigkeit der Klage überzeugt sei.

Das FG hielt, ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters, das Ablehnungsgesuch für nicht begründet. Die Anfrage des Vorsitzenden Richters habe erkennbar lediglich den Zweck der Prozeßförderung und gütlichen Beilegung des Verfahrens verfolgt. Nachdem der Kläger schließlich doch ein Vermögensverzeichnis abgegeben habe, mit dem sich das FA zufriedengegeben habe, sei die Anfrage des Vorsitzenden Richters unter dem Gesichtspunkt der Prozeßförderung die logische Konsequenz daraus, nämlich auszuloten, ob nunmehr eine außergerichtliche Einigung möglich sei, indem der Kläger jetzt auch die vom FA geforderte eidesstattliche Versicherung abgeben wolle.

Auch die Formulierungen im letzten Satz der Verfügung seien nicht geeignet, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Vorsitzenden Richters zu rechtfertigen. Der Hinweis, daß das Gericht nach Fristablauf in der Streitsache entscheiden werde, wenn der Kläger die eidesstattliche Versicherung verweigern sollte, stehe im Zusammenhang mit der vorhergehenden Frage nach der Bereitschaft des Klägers zur Abgabe derselben ("ob") und verdeutliche den Willen des Gerichts, nach der nun mehr als zweijährigen Rechtshängigkeit in der Vollstreckungssache so bald wie möglich eine Entscheidung herbeizuführen. Auch der Einschub "wozu derzeit kein Grund ersichtlich ist" lasse nicht den Schluß zu, der Vorsitzende Richter werde nicht unvoreingenommen entscheiden. Der Kläger habe gegen die Stellungnahmen des FA zu seinen Ausführungen in der Sache keine Einwendungen mehr erhoben, sondern sich nur noch auf die Hindernisse durch die Beschlagnahme der Akten berufen. Daher habe der Eindruck entstehen können, er wolle die anderen Gründe nicht weiter verfolgen. Nach der Abgabe des Vermögensverzeichnisses durch den Kläger schließlich sei nach Lage der Prozeßakten kein Grund mehr ersichtlich, der einer Abgabe der eidesstattlichen Versicherung noch hätte entgegenstehen können. Wenn der Kläger anderer Ansicht gewesen sei, hätte er diesen Einschub als Hinweis des Gerichts dafür nehmen können, weitere Argumente vorzubringen oder sich noch einmal näher mit den bisher vorgetragenen Gründen oder den Stellungnahmen des FA auseinanderzusetzen.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers. Er bringt vor, beim Befangenheitsantrag komme es nicht darauf an, wie das FG meine, daß es erforderlich sei, bei objektiver Betrachtung einen Grund für die Parteilichkeit ableiten zu können. Dies sei aus der Sicht des Beschwerdeführers nicht richtig. Beim Befangenheitsantrag komme es allein darauf an, daß (aus der Sicht des Beschwerdeführers) eine Besorgnis der Befangenheit bestehe. Die Formulierung, "wann" oder "ob" der Kläger bereit sei, die eidesstattliche Versicherung abzugeben, sei aus der Sicht des Beschwerdeführers unerheblich, weil er seine Klage mit dem Ziel eingelegt habe, die eidesstattliche Versicherung überhaupt nicht abzugeben.

Das FA hat auf die Abgabe einer Gegenäußerung zu der Beschwerde verzichtet.

Die Beschwerde ist nicht begründet.

Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 42 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) findet die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Dabei kommt es nach ständiger Rechtsprechung darauf an, ob der betroffene Beteiligte von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger objektiver Betrachtung Anlaß hat, die Voreingenommenheit des oder der abgelehnten Richter zu befürchten (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, 155, BStBl II 1985, 555, und vom 27. September 1994 VIII B 64-76/94, BFH/NV 1995, 526).

Entgegen dem Vorbringen in der Beschwerde hat das FG diesen Beurteilungsmaßstab nicht verkannt. Maßgeblich ist der Standpunkt des Beteiligten, wie das FG ausdrücklich voraussetzt; jedoch muß sich dieser Standpunkt insoweit eine Einschränkung gefallen lassen, als er sich auf eine vernünftige und objektive Betrachtung stützen muß. Das bedeutet, daß nicht allein die subjektive Sicht und die Befindlichkeiten des Betroffenen für die Annahme maßgeblich sind, daß ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Entscheidend ist vielmehr, ob der Beteiligte von seinem Standpunkt aus unter Anlegung eines objektiven Maßstabs Anlaß hat, Voreingenommenheit des Richters zu befürchten (BFH-Beschluß vom 27. Juni 1996 X B 84/96, BFH/NV 1997, 122). Nur wenn sich bei Anlegung eines solchen objektiven Maßstabs Anhaltspunkte für eine unsachliche Einstellung oder gar Willkür des Richters ergeben, hat der Betroffene Anlaß, die Voreingenommenheit des Richters zu befürchten (BFH-Beschluß vom 30. Oktober 1997 X B 12/97, BFH/NV 1998, 599).

Solche Anhaltspunkte hat das FG im Verhalten des abgelehnten Vorsitzenden Richters, insbesondere in dem zitierten Absatz der Verfügung vom 2. Dezember 1998 und in der späteren dienstlichen Äußerung zum Ablehnungsgesuch, --nach Auffassung des Senats zu Recht-- nicht feststellen können.

Völlig unbedenklich sind die beiden ersten Sätze des betreffenden Absatzes. Sie sind, wie bereits das FG zutreffend ausgeführt hat, Ausfluß der Prozeßförderungspflicht des Gerichts und logische Folge des damaligen Verfahrensstandes. Nachdem der Kläger im Klageverfahren das Vermögensverzeichnis vorgelegt und damit den ersten Schritt vollzogen hatte, der Aufforderung des FA gemäß § 284 Abs. 1 AO 1977 nachzukommen, bot es sich bei vernünftiger und prozeßökonomischer Durchführung des Klageverfahrens geradezu an, beim Kläger nachzufragen, ob er nun auch den zweiten Schritt des Offenbarungsverfahrens, nämlich die Angaben in diesem Verzeichnis beim FA an Amtsstelle eidesstattlich zu versichern, durchführen wolle, wodurch dann das Klageverfahren in der Hauptsache erledigt gewesen wäre. Dabei kann dahinstehen, ob ein entsprechender Hinweis nicht sogar rechtlich geboten gewesen wäre (vgl. § 76 Abs. 2 FGO); jedenfalls war er zulässig und prozeßdienlich (vgl. § 79 Abs. 1 FGO, § 155 FGO i.V.m. § 279 Abs. 1 ZPO). Der Hinweis konnte auch nicht im Sinne des Klägers mißverstanden werden, denn in der deutschen Sprache kommt es sehr wohl darauf an, ob mitgeteilt werden soll, ob der Kläger bereit ist, die eidesstattliche Versicherung abzugeben bzw. wann der Kläger diese beim FA abzugeben gedenke.

Ebensowenig zu beanstanden ist die Fristsetzung und der Hinweis im folgenden Satz, daß im Falle der Verweigerung der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung das Gericht nach Fristablauf in der Streitsache entscheiden werde. Hierzu hat das FG zutreffend darauf hingewiesen, daß es nach mehr als zweijähriger Rechtshängigkeit dringlich war, das Verfahren durch Entscheidung in der Sache einem Ende zuzuführen, falls sich nicht der Kläger --insofern steht der Satz in Verbindung zu dem vorhergehenden-- innerhalb der ihm gesetzten Frist von einem Monat dahingehend erklärt, die vom FA geforderte eidesstattliche Versicherung doch noch abgeben zu wollen.

In dem im letzten Satz enthaltenen Einschub "wozu derzeit kein Grund ersichtlich ist" (nämlich die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung zu verweigern), sieht der Senat eine Meinungsäußerung des Richters zum damals aktuellen Verfahrensstand. Vorläufige Meinungsäußerungen eines Richters über die Sach- und Rechtslage vor Abschluß des Verfahrens sprechen nicht per se gegen dessen Unvoreingenommenheit und Objektivität, wie der Senat zuletzt in seinem ebenfalls den Kläger betreffenden Beschluß vom 8. Dezember 1998 VII B 227/98 (BFH/NV 1999, 661) ausführlich dargelegt hat. Besorgnis der Befangenheit kann sich allenfalls aus der Art und Weise ergeben, wie ein Richter seine (vorläufige) Meinung, die er sich abschließend erst aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens bilden darf, vorträgt, oder wenn der Richter sonst in ungewöhnlicher, nach der Prozeßlage nicht verständlicher Weise subjektive Gewißheit erkennen läßt, so daß die Beteiligten Anlaß zur Befürchtung haben könnten, er ziehe nicht mehr in Betracht, die Sach- oder Rechtslage könne anders sein als er annimmt, und er sei dementsprechend diesbezüglichen Argumenten der Beteiligten gegenüber nicht mehr aufgeschlossen und unvoreingenommen (vgl. BFH-Beschluß in BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555).

Im Streitfall ist die Meinungsäußerung des abgelehnten Richters weder in ihrer Form noch aus ihrem Zusammenhang heraus zu beanstanden. Gerade im Hinblick auf den mit dem Hinweis verfolgten Zweck, auf eine außergerichtliche Erledigung des Rechtsstreits hinzuwirken, durfte der Vorsitzende Richter dem Kläger zu verstehen geben, nach seiner Einschätzung der derzeitigen prozessualen Lage sei ein Grund, die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung zu verweigern, nicht gegeben. Die Meinungsäußerung konnte bei Anlegung eines objektiven Maßstabes vom Kläger auch nicht dahingehend verstanden werden, der Richter habe sich bereits eine feste endgültige Meinung gebildet und sei gegenteiligem Vorbringen und neuen oder vertieften Argumenten gegenüber nicht mehr aufgeschlossen. Einem solchen Verständnis steht bereits die in dem Wort "derzeit" zum Ausdruck kommende Relativität der geäußerten Meinung entgegen. Wie das FG zutreffend ausgeführt hat, mußte dies für den durch einen Prozeßbevollmächtigten vertretenen Kläger geradezu Ansporn sein, seinen bisherigen Vortrag unter Berücksichtigung auch der Argumentation des FA zu vertiefen und dem FG ggf. neue, bisher nicht vorgetragene Gesichtspunkte zu liefern, die für ein Absehen von der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung gemäß § 284 Abs. 3 Satz 2 AO 1977 und damit doch noch für einen Erfolg der Klage sprechen könnten, wollte der Kläger nicht überhaupt der Anregung des Richters, den Rechtsstreit außergerichtlich durch Befolgung der Aufforderung des FA zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung zu erledigen, nachkommen.

Schließlich sieht der Senat auch in der vom abgelehnten Richter abgegebenen dienstlichen Äußerung zum Ablehnungsgesuch keinen Grund für eine Besorgnis der Befangenheit. Die Äußerung ist sehr sachlich, präzise und ohne Schärfen. Der Hinweis, daß der Kläger von einem falschen Sachverhalt ausgegangen ist, trifft zu und berührt einen der beiden Kernpunkte des Ablehnungsgesuchs.



Ende der Entscheidung

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