Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 05.06.2002
Aktenzeichen: VII B 181/01
Rechtsgebiete: FGO


Vorschriften:

FGO § 116 Abs. 3 Satz 1
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) ließ am 17. September 1993 als Hauptverpflichtete beim österreichischen Zollamt A. X Stück Zigaretten zum gemeinsamen Versandverfahren mit Versandschein T1 abfertigen. Als Bestimmungszollstelle war B/Spanien angegeben. Als Gestellungsfrist wurde der 24. September 1993 vorgegeben. Am 18. September 1993 wurde die Sendung durch den Warenführer der Klägerin unter Abgabe eines Grenzübergangsscheins über das Zollamt C des Beklagten und Beschwerdeführers (Hauptzollamt --HZA--) in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht. Da der Rückschein nicht innerhalb der vorgegebenen Frist beim Zollamt A einging, forderte das Zollamt die Klägerin auf, bis spätestens 4. Februar 1994 Nachweise über die Erledigung des Versandverfahrens bei der Bestimmungsstelle vorzulegen. Außerdem wurde das vorgeschriebene Suchverfahren eingeleitet. Daraufhin ging beim Zollamt A eine am 21. September 1993 vom Zollamt C/Spanien abgestempelte Erledigungsbestätigung ein. Deren Überprüfung ergab, dass die darauf angebrachten Stempel falsch bzw. gefälscht waren und die Unterschrift keinem der Zollbeamten beim Zollamt C zuzuordnen war. Der Fahrer des Lastzuges, mit dem die Zigaretten befördert wurden, hatte in einer Vernehmung durch die Zollfahndung am ... angegeben, dass er die streitgegenständliche Zigarettensendung an der Shell-Tankstelle in D/Frankreich an unbekannte Dritte gegen Vorzeigen eines Geldscheins mit einer bestimmten Nummer übergeben habe. Der Fahrer wurde durch Urteil des Landgerichts u.a. deswegen zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.

Mit Steuerbescheid vom ... in Gestalt der Einspruchsentscheidung und des Steueränderungsbescheids vom ... forderte das HZA Einfuhrabgaben in Höhe von insgesamt ... DM an. Die dagegen gerichtete Klage hatte Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) führte im Einzelnen aus, das HZA sei für die Erhebung der Eingangsabgaben nicht zuständig gewesen. Es könne dahingestellt bleiben, ob die Zuständigkeit bereits nach Art. 215 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 (Zollkodex --ZK--) des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- Nr. L 302/1) in Verbindung mit Art. 378, 379 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 (Zollkodexdurchführungsverordnung --ZKDVO--) der Kommission mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABlEG Nr. L 253/1) zu bestimmen sei oder sie sich nach Art. 34 der Verordnung (EWG) Nr. 2726/90 (VO Nr. 2726/90) des Rates vom 17. September 1990 über das gemeinsame Versandverfahren (ABlEG Nr. L 262/1) und Art. 49 der Verordnung (EWG) Nr. 1214/92 der Kommission vom 21. April 1992 mit Durchführungsvorschriften sowie Maßnahmen zur Vereinfachung des gemeinschaftlichen Versandverfahrens (ABlEG Nr. L 132/1) richte, weil die Regelungen inhaltlich übereinstimmen. Die Zollschuld sei durch Entziehen der Zigaretten aus der zollamtlichen Überwachung entstanden. Die Entziehungshandlung habe an der Tankstelle in D/Frankreich stattgefunden, indem der Fahrer die Sendung dort an einen unbekannten Dritten übergeben habe. Nach Überzeugung des Gerichts habe dies bereits zum Zeitpunkt des Erlasses des Steuerbescheides am ... festgestanden. Deshalb richte sich die Zuständigkeit für die Erhebung der Eingangsabgaben nach Art. 34 Abs. 1 VO Nr. 2726/90 und nicht nach Art. 34 Abs. 2 und 3 VO Nr. 2726/90. Das habe zur Folge, dass nicht die deutschen, sondern die französischen Zollbehörden für die Erhebung der Eingangsabgaben zuständig seien.

Das HZA wendet sich mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des FG. Es meint, die Frage, ob der Ort der Zuwiderhandlung nachgewiesen und damit die Zuständigkeit für die Abgabenerhebung festgestellt werden kann, wenn die betroffenen Mitgliedstaaten vorhandene Beweise unterschiedlich würdigen und zu anderen Ergebnissen kommen, habe grundsätzliche Bedeutung.

Die Klägerin führt aus, das HZA habe die grundsätzliche Bedeutung der Sache nicht hinreichend dargelegt.

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist jedenfalls unbegründet.

1. Berücksicht werden können nur die Zulassungsgründe, die das HZA innerhalb der Begründungsfrist vorgetragen hat, die im Streitfall gemäß § 116 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) am ... abgelaufen ist. Der Senat kann daher nicht auf den zur "Erweiterung der Revisionsbegründung" mit Schriftsatz vom ... vorgetragenen weiteren Zulassungsgrund nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO eingehen.

2. Es kann dahinstehen, ob das HZA die grundsätzliche Bedeutung der Sache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) in der erforderlichen Weise ausreichend dargelegt hat (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO). Bedenken gegen die Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde bestehen, weil das HZA sich im Wesentlichen darauf beschränkt hat, mitzuteilen, dass es die Auffassung des FG nicht teile, ohne sich näher mit den entscheidenden Rechtsfragen zu befassen. Erforderlich ist aber ein konkreter und substantiierter Vortrag, aus welchen Gründen im Einzelnen die grundsätzliche Klärung der Rechtsfrage durch die angestrebte Revisionsentscheidung erforderlich ist. Das erfordert vor allem auch eine Auseinandersetzung mit der die Frage berührenden vorhandenen Rechtsprechung (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 116 Rz. 32). Hinsichtlich der zur Feststellung des Orts der Zuwiderhandlung zugelassenen Beweismittel hätte es insbesondere nahegelegen, sich mit dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 23. März 2000 Rs. C-310/98 und C-406/98 (EuGHE 2000, I-1797) auseinander zu setzen, weil der EuGH in diesem Urteil in Bezug auf das ähnlich geregelte TIR-Verfahren eingehend zu einer der vom HZA aufgeworfenen entsprechenden Fragen Stellung genommen hat. Der Umstand, auf den das HZA hingewiesen hat, dass noch mehrere gleichartige Fälle zur Entscheidung anstehen, und die erhebliche Höhe der in Rede stehenden Abgabenforderungen rechtfertigen für sich allein nicht die grundsätzliche Bedeutung der Sache (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz. 34; Senatsbeschluss vom 3. Mai 1994 VII B 22/94, BFH/NV 1995, 79).

3. Die vom HZA gestellte Frage ist aber auch nicht klärungsbedürftig, weil sich ihre Beantwortung unter Berücksichtigung der genannten Entscheidung des EuGH unmittelbar aus den maßgebenden Rechtsvorschriften ergibt, wie auch das FG ausgeführt hat. Deshalb ist die Nichtzulassungsbeschwerde jedenfalls unbegründet (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 28).

Einschlägig ist im Streitfall noch das erst zum 1. Januar 1994 durch den ZK abgelöste Gemeinschaftsrecht, nämlich im Wesentlichen Art. 34 VO Nr. 2726/90 (vgl. Bundesfinanzhof, Urteil vom 1. Februar 2000 VII R 16/99, BFHE 191, 168).

Das FG hat zutreffend ausgeführt, dass Art. 34 Abs. 2 und 3 VO Nr. 2726/90 keine Anwendung finden, wenn bei Erlass des Steuerbescheids feststeht, wo die Zuwiderhandlung begangen worden ist. In diesem Fall kommt nach der eindeutigen Regelung des Art. 34 VO Nr. 2726/90 der Absatz 1 dieser Vorschrift zum Zuge, nach dem für die Abgabenerhebung in aller Regel der Mitgliedstaat zuständig sein soll, in dem die Zuwiderhandlung tatsächlich begangen wurde (vgl. Schlussanträge des Generalanwalts vom 1. Juli 1999 Rs. C-233/98, EuGHE 1999, I-7349, Rz. 15 ff. zu Art. 36 der Verordnung (EWG) Nr. 222/77 des Rates vom 13. Dezember 1976, ABlEG Nr. L 38/1, der inhaltlich mit Art. 34 VO Nr. 2726/90 übereinstimmt).

Wie die Klägerin richtig bemerkt hat, ist es eine Frage der Tatsachenwürdigung, ob festgestellt werden kann, wo die Zuwiderhandlung begangen worden ist. Diese unterliegt nur in beschränktem Umfang revisionsrechtlicher Nachprüfung. Materiell-rechtliche Qualität hat in diesem Zusammenhang nur die Frage, welche Beweismittel insoweit herangezogen werden dürfen. Dazu hat aber bereits der EuGH in der zuvor genannten Entscheidung ausführlich Stellung genommen (EuGHE 2000, I-1797). Diese Entscheidung ist zwar im Zusammenhang mit einem TIR-Versandverfahren ergangen, sie ist aber auch für das gemeinsame/gemeinschaftliche Versandverfahren beachtlich, weil die entscheidenden Regelungen für das TIR-Verfahren (Art. 454 Abs. 3 ZKDVO) und das gemeinsame/gemeinschaftliche Versandverfahren hinsichtlich des Nachweises des Orts der Zuwiderhandlung inhaltlich weitgehend übereinstimmen.

Nach den Ausführungen des EuGH ist der Nachweis des Orts der Zuwiderhandlung nach Art. 454 Abs. 3 ZKDVO nicht auf bestimmte Beweismittel beschränkt. Folglich sind, weil der Begriff des Nachweises gemeinschaftsrechtlich nicht geregelt ist, grundsätzlich alle Beweismittel zulässig, die die Verfahrensrechte der Mitgliedstaaten in vergleichbaren Verfahren zulassen. Daher haben die nationalen Behörden nach ihrem nationalen Beweisrecht zu bestimmen, ob im konkret zu beurteilenden Fall der Nachweis des Orts der Zuwiderhandlung in Anbetracht aller Umstände glaubhaft erbracht worden ist, ob also z.B. eine Zeugenaussage zuzulassen und ihr Beweiskraft beizumessen ist. Insbesondere haben sie die Glaubwürdigkeit eines Zeugen zu beurteilen, der an dem betreffenden Transport beteiligt war. Der EuGH hat dies zwar nur in Bezug auf den nach Art. 454 Abs. 3 ZKDVO, der dem Art. 34 Abs. 3 VO Nr. 2726/90 entspricht, von dem Carnet-Inhaber (entspricht dem Hauptverpflichteten) zu erbringenden Nachweis über den tatsächlichen Ort der Zuwiderhandlung ausgeführt. Es spricht aber nichts dagegen, diese Gesichtspunkte auf die nach Art. 34 Abs. 1 VO Nr. 2726/90 durchzuführenden Ermittlungen zur Feststellung des Orts der Zuwiderhandlung zu übertragen, weil es auch insoweit um die Feststellung von Tatsachen geht.

Falls sich --wie im Streitfall-- aus der Beachtung dieser Grundsätze Schwierigkeiten ergeben, weil die zuständigen Behörden der beteiligten Mitgliedstaaten die Tatsachen unterschiedlich würdigen, kann dies im Streitfall nicht dazu führen, dass der Ort der Zuwiderhandlung ungeklärt bleibt. Vielmehr muss insoweit jeder Mitgliedstaat für sich entscheiden, an welchem Ort die Zuwiderhandlung nach den von seinen Behörden getroffenen Feststellungen begangen worden ist. Die sich aus möglicherweise nicht mit einander zu vereinbarenden Auffassungen beteiligter Mitgliedstaaten ergebende Folge, dass entstandene Eingangsabgaben nicht erhoben werden können, kann angesichts des eindeutigen Wortlauts des Art. 34 VO Nr. 2726/90 nicht durch Auslegung dieser Bestimmung im Sinne des HZA vermieden werden. Hier ist der Gemeinschaftsgesetzgeber gefragt, der für eine entsprechende Kollisionsnorm sorgen müsste (vgl. EuGHE 2000, I-1797 Rz. 32, 47). Ob dem schon mit der Einfügung des im Streitfall allerdings noch nicht anwendbaren Art. 450b ZKDVO durch die Verordnung (EG) Nr. 2787/2000 der Kommission vom 15. Dezember 2000 (ABlEG Nr. L 330/1) genügt ist, mag hier dahin stehen.

Da der Senat insoweit keine Zweifel an der richtigen Auslegung des Gemeinschaftsrechts hat, ist die Zulassung der Revision auch nicht erforderlich, um in einem Revisionsverfahren die Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH nach Art. 234 Abs. 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft i.d.F. des Vertrages von Amsterdam vom 2. Oktober 1997 (ABlEG Nr. C 340/1; 1999 Nr. L 114/56) zu ermöglichen (EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81, EuGHE 1982, 3415-3442, und Senatsurteil vom 23. Oktober 1985 VII R 107/81, BFHE 145, 266).

Ende der Entscheidung

Zurück