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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 07.05.2002
Aktenzeichen: VII B 189/01
Rechtsgebiete: FGO


Vorschriften:

FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2 erste Alternative
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) hatte bei der Beklagten und Beschwerdegegnerin (Oberfinanzdirektion --OFD--) die Erteilung verbindlicher Zolltarifauskünfte (vZTA) über "Titan-Interferenz-Schrauben zur Verblockung von Transplantaten im Bereich der Orthopädie/Unfallchirurgie" unter Einreihung in die Unterpos. 9018 90 85 (andere - chirurgische - Instrumente, Apparate und Geräte) der Kombinierten Nomenklatur (KN) beantragt. Bei den Waren handelt es sich um vier verschiedene Schrauben mit Gewinde aus einer Titan-Aluminium-Vanadium-Legierung mit gewichtsmäßig vorherrschendem Titangehalt. Die Schrauben werden in der Orthopädie und Unfallchirurgie verwendet und sind deshalb steril verpackt. Zwei dieser Schrauben befinden sich im unteren Teil in einer Schutzkanüle aus Kunststoff. Sie soll verhindern, dass das Implantat beim Eindrehen durch die Gewindegänge beschädigt wird. Der Wert der Schraube beträgt 108 DM, der Wert der Kanüle 19 DM.

Mit den vZTA vom 28. und 29. September 1999 wurden die Waren als "andere Waren aus Titan" in die Unterpos. 8108 90 90 KN eingereiht.

Nach erfolglosem Einspruch erhob die Klägerin Klage vor dem Finanzgericht (FG), mit der sie begehrte, die getroffenen Verwaltungsentscheidungen aufzuheben sowie die OFD zu verpflichten, die streitgegenständlichen Waren in die Unterpos. 9021 90 90 KN, hilfsweise in die Unterpos. 9018 90 85 KN einzureihen.

Das FG wies die Klage ab und bestätigte die Einreihung durch die OFD. Zur Begründung führte das FG im Wesentlichen aus, die Titan-Interferenz-Schrauben stellten sich nach ihren objektiven Merkmalen und Eigenschaften unter Berücksichtigung der Anmerkung 1 Buchst. f zu Kap. 90 KN i.V.m. der Anm. 2 Buchst. a zu Abschn. XV KN als Teile mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit dar und seien deshalb wegen des charakterbestimmenden Titanbestandteils (Allgemeine Vorschrift --AV-- 3 Buchst. b) in das Stoffkapitel als "andere Waren aus Titan" in die Unterpos. 8108 90 90 KN einzureihen. Auf ihren konkreten Verwendungszweck komme es sowohl nach der deutschen Sprachfassung der Anm. 2 Buchst. a zu Abschn. XV KN ("gelten" als Teile mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit) als auch nach der englischen ("means") und französischen ("on entend") nicht an.

Hiergegen richtet sich die auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) und Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 erste Alternative FGO) gestützte Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin. Von grundsätzlicher Bedeutung seien die Fragen:

Fingieren die Anm. 1 Buchst. f zu Kap. 90 KN und 2 Buchst. a zu Abschn. XV KN das Vorliegen einer allgemeinen Verwendungsmöglichkeit für Einreihungszwecke unabhängig von den tatsächlichen Verhältnissen, so dass eine Ware, die nicht allgemein verwendet werden kann, dennoch als Teil mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit anzusehen ist?

Vermutet Anm. 2 Buchst. a zu Abschn. XV KN aufgrund der Verwendung des Wortes "gelten" unwiderleglich und damit unabhängig vom konkreten Verwendungszweck der Ware das Vorliegen einer allgemeinen Verwendungsmöglichkeit, so dass es sich bei den in dieser Anmerkung durch Bezugnahme auf bestimmte Positionen der KN bezeichneten Waren stets um Teile mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit handelt?

Die OFD ist der Beschwerde entgegengetreten. Sie hält die aufgeworfenen Fragen für nicht klärungsbedürftig. Zweifel hinsichtlich der Auslegung des betreffenden Gemeinschaftsrechts beständen nicht. Hinsichtlich des deutschen Begriffs "gelten" enthielten alle von der Klägerin genannten Sprachfassungen dieselbe unmissverständliche Aussage, dass nämlich bestimmte in der betreffenden Vorschrift genannte Erzeugnisse nach ihrer stofflichen Beschaffenheit, und nicht nach ihrem tatsächlichen Verwendungszweck einzureihen seien.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor, weil der Rechtssache die von der Klägerin behauptete grundsätzliche Bedeutung nicht zukommt und eine Zulassung der Revision auch nicht zur Fortbildung des Rechts angezeigt ist.

1. Die von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfragen, die zusammen zu behandeln sind, sind nicht klärungsbedürftig und daher nicht von grundsätzlicher Bedeutung, weil sie eindeutig so zu entscheiden sind, wie es das FG getan hat.

a) Nach Anm. 1 Buchst. f zu Kap. 90 KN gehören "Teile mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit im Sinne der Anmerkung 2 zu Abschnitt XV", aus unedlen Metallen, nicht zu Kap. 90 KN, sondern in den Abschn. XV KN. Bei Anm. 1 Buchst. f zu Kap. 90 KN handelt es sich um eine sog. Ausweisungsvorschrift, d.h. wenn die Voraussetzungen der Vorschrift erfüllt sind, kommt eine Zuordnung zu Kap. 90 KN nicht in Betracht.

Der Begriff "Teile mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit" ist nicht aus sich heraus, sondern "im Sinne der Anmerkung 2 zu Abschnitt XV" zu verstehen. Dort heißt es: "In der Nomenklatur gelten als 'Teile mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit': a) Waren der Position ... 7318 und ähnliche Waren aus anderen unedlen Metallen". Pos. 7318 KN ist eine Spezialposition u.a. für Schrauben jeglicher Art aus Eisen oder Stahl. Sie gelten als Teile mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit, ohne dass es auf ihre konkrete Verwendung im Einzelfall ankäme. Mithin sind Schrauben aus Eisen oder Stahl in Pos. 7318 KN einzureihen, auch wenn es sich um Spezialschrauben handelt, die, weil sie etwa besonders konstruiert und daher teuer sind, konkret nur für einen ganz bestimmten Verwendungszweck eingesetzt werden. Entsprechend verhält es sich mit Schrauben aus anderen unedlen Metallen. Als der Pos. 7318 KN "ähnliche Waren aus anderen unedlen Metallen" i.S. der Anm. 2 Buchst. a zu Abschn. XV KN gelten sie ebenfalls als Teile mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit und sind daher unabhängig von ihrer konkreten Verwendung in das entsprechende Stoffkapitel --im Streitfall Pos. 8108 KN, weil Titan das gewichtsmäßig vorherrschende unedle Metall unter den unedlen Metallen der Titan-Aluminium-Vanadium-Legierung (vgl. Anm. 3 zu Abschn. XV KN) ist-- einzureihen. Die Schutzkanüle aus Kunststoff bleibt nach der AV 3 b außer Betracht. Da alle Voraussetzungen der Ausweisungsvorschrift erfüllt sind, ist eine Einreihung der Titan-Interferenz-Schrauben nach Kap. 90 KN, wie von der Klägerin begehrt, nicht möglich.

b) Die ausweislich der Formulierung ihrer ersten Frage von der Klägerin aufgestellte Prämisse, dass mit der tariflichen Regelung der Anm. 1 Buchst. f zu Kap. 90 KN i.V.m. der Anm. 2 Buchst. a zu Abschn. XV KN das Vorliegen einer allgemeinen Verwendungsmöglichkeit unabhängig von den tatsächlichen Verhältnissen fingiert werden soll mit der Folge, dass eine Ware, die nicht allgemein verwendet werden kann, dennoch als Teil mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit anzusehen ist, teilt der Senat im Übrigen so nicht.

Das deutsche Wort "gelten" ist im Gemeinschaftsrecht nicht stets im Sinne der Bedeutung einer Fiktion zu verstehen. Dies zeigt beispielsweise deutlich die Anm. 3 zu Abschn. XV KN, wo es heißt: "In der Nomenklatur gelten als "unedle Metalle": Eisen und Stahl, Kupfer" usw. (es folgt eine Aufzählung aller unedlen Metalle). Ersichtlich geht es dabei nicht um die Aufstellung einer Fiktion, sondern um eine Erläuterung des Begriffs. Es wäre angemessener, hier zu übersetzen: In der KN "sind" unedle Metalle ...oder: "versteht man" unter unedlen Metallen ... oder "bedeutet der Begriff" unedle Metalle ... . Ganz entsprechend verhält es sich mit dem Ausdruck "gelten" im Obersatz der Anm. 2 zu Abschn. XV KN. Hier wird nichts fingiert oder unwiderleglich vermutet, wie die Klägerin meint, sondern lediglich erläutert, was Teile mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit sind, was man darunter versteht, welche Teile der Begriff erfasst, was er bedeutet. Dies bestätigen klar die von der Klägerin ins Feld geführten entsprechenden Ausdrücke in englischer ("'parts of general use' means:...") und französischer Sprache ("on entend par 'parties et fournitures d'emploi général':..."). Unerheblich ist, was der Begriff "gelten" in anderen Zusammenhängen (z.B. in der Zusätzlichen Vorschrift Nr. 2 zum Kap. 20 KN, welche die Klägerin unter Berufung auf ein Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften --EuGH-- zitiert) bedeutet.

Die Fragestellung der Klägerin ist auch noch aus einem anderen Grund nicht ganz korrekt. Sie geht davon aus, dass die streitgegenständlichen Titan-Interferenz-Schrauben nicht allgemein verwendet werden könnten. Dies ist nur bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise korrekt, denn niemand käme auf die Idee, über 100 DM teure, steril und besonders geschützt verpackte Schrauben für normale Verschraubungen zu verwenden. Es ist nach den objektiven Eigenschaften der Titanschrauben aber wohl nicht unmöglich --und das FG hat dies auch so nicht festgestellt-- dass sie auch für normale Verschraubungen eingesetzt werden könnten, wenn man es nur darauf anlegte. Gerade darin, mögliche Streitereien um die konkreten Einsatz- und Verwendungsmöglichkeiten bei Spezialschrauben zu vermeiden, ist der tiefere Sinn der zolltariflichen Regelung zu sehen, alle Schrauben aus unedlen Metallen einheitlich als Schrauben zu behandeln und sie unabhängig von ihrer konkreten Verwendung dem jeweiligen Stoffkapitel zuzuweisen.

c) Der Klägerin ist es auch im Übrigen nicht gelungen, an der von der OFD vorgenommenen Tarifierung Zweifel zu erwecken, die den Senat zur Zulassung der Revision und zur Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH in einem künftigen Revisionsverfahren zwängen. Insbesondere sind die von der Klägerin zu Rate gezogenen Erläuterungen zum Harmonisierten System zu Pos. 9021 Rz. 28.1 angesichts ihres unverbindlichen und zudem unter dem Vorbehalt der Bestimmungen der Anm. 1 Buchst. f zu Kap. 90 KN stehenden Charakters nicht geeignet, eine klare gesetzliche Regelung in Zweifel zu ziehen. Auch bedarf es keiner Heranziehung und vertieften Betrachtung anderer Sprachfassungen hinsichtlich des Begriffs "gelten", denn die aufgrund des Harmonisierten Systems maßgeblichen Sprachfassungen (englisch, französisch) haben insoweit keine Auslegungszweifel hervorgerufen.

2. Da der Senat die Rechtslage als klar und eindeutig ansieht, ist auch eine Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts nicht angezeigt.



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