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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 14.04.2008
Aktenzeichen: VII B 226/07
Rechtsgebiete: AO, FGO


Vorschriften:

AO § 30 Abs. 1
AO § 30 Abs. 4 Nr. 5 Buchst. c
FGO § 114
FGO § 114 Abs. 1
FGO § 128 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) sieht seine steuerlichen Geheimnisse durch eine Pressemitteilung des Antragsgegners und Beschwerdegegners (Antragsgegner) verletzt.

Der Antragsteller hatte 2004 Steuerrückstände von ... €. Ihm war bereits im Dezember 2003 eine Mahnung erteilt worden; im April 2004 erging eine Zahlungsaufforderung mit Vollstreckungsankündigung. Hierauf hat der Antragsteller seinem FA telefonisch mitgeteilt, die rückständigen Beträge in drei Raten zahlen zu wollen. Die ersten beiden Teilzahlungen wurden tatsächlich geleistet. Die dritte Zahlung ist bei dem FA nicht fristgerecht eingegangen. Es hat deshalb im Juli 2004 eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung betreffend das Bankkonto des Antragstellers erlassen, welcher daraufhin die Zahlung der dritten Rate veranlasste.

In dieser Zeit erschienen Presseberichte, die sich auf ein Vorgehen der Finanzverwaltung gegen ..., u.a. den Antragsteller, bezogen und sinngemäß einen Zusammenhang zwischen der Befassung des Antragstellers mit ... und bestimmten steuerverfahrensrechtlichen Maßnahmen der Finanzverwaltung gegen den Antragsteller herstellten. Der Antragsteller selbst äußerte sich in einer regionalen Fernsehsendung dahin, es handle sich um eine Retourkutsche der Verwaltung, um die ... einzuschüchtern, damit sie die Dinge nicht so weiterverfolgten, wie sie das bisher sehr intensiv getan hätten.

Der Antragsgegner wies diese Vorwürfe in einer Presseerklärung vom ... zurück, ohne auf Einzelheiten einzugehen. Wegen der dennoch in der Öffentlichkeit weiter erhobenen Vorwürfe, die Finanzverwaltung habe unlauteren Druck auf die ... ausgeübt, wofür die Presse u.a. entsprechende Äußerungen des Antragstellers selbst zitierte, sah sich der Antragsgegner veranlasst, sich an den Antragsteller zu wenden und ihn zu bitten, der Offenbarung von Tatsachen aus dem ihn betreffenden Besteuerungsverfahren zuzustimmen, damit die Finanzverwaltung zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen in der Öffentlichkeit Stellung nehmen könne. Der Antragsteller hat diese Einwilligung nicht erteilt. Der Antragsgegner kündigte deshalb dem Antragsteller an, nach § 30 Abs. 4 Nr. 5 Buchst. c der Abgabenordnung (AO) verfahren zu wollen, wenn der Antragsteller die zuvor erbetene Befreiungserklärung nicht doch noch vorlege, und gab am ... eine Presseerklärung heraus, in der er u.a. ausführte, der Antragsteller habe 2004 Steuerrückstände gehabt, die (vollautomatisch) maschinell angemahnt worden seien und deretwegen eine schriftliche Zahlungsaufforderung (Vollstreckungsankündigung) durch die Vollstreckungsstelle des FA erlassen worden sei. Die im FA geführten Akten wiesen keine Abweichungen zu der üblichen Bearbeitungsweise auf.

Diese Presseerklärung wurde vom Antragsgegner auch ins Internet gestellt.

Der Antragsteller hat den Antragsgegner zur Abgabe einer Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung aufgefordert und, als dieser dem nicht nachkam, bei dem Finanzgericht (FG) einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen den Antragsgegner gestellt.

Das FG hat über diesen Antrag durch die in Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 182 veröffentlichte Entscheidung befunden; es hielt ihn für zulässig, aber unbegründet, weil es an einem Anordnungsanspruch fehle. Der Antragsgegner sei nach § 30 Abs. 4 Nr. 5 Buchst. c AO berechtigt gewesen, die strittigen Angaben zu veröffentlichen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die vom FG zugelassene Beschwerde des Antragstellers, der im Wesentlichen Folgendes vorträgt:

§ 30 Abs. 4 Nr. 5 Buchst. c AO habe Ausnahmecharakter und stelle hohe Anforderungen bei der Prüfung seiner Tatbestandsmerkmale. Bereits Art und Weise der Ermessensausübung durch den Antragsgegner lasse jedoch im Streitfall erkennen, dass ein Abwägungsprozess nicht stattgefunden habe. Der Antragsgegner habe keinerlei Anhaltspunkte dafür angeführt, warum die inkriminierten Veröffentlichungen dazu geeignet sein sollten, das Vertrauen in die Finanzverwaltung "erheblich zu erschüttern". Es sei nicht erkennbar, dass Überlegungen angestellt worden seien, ob eine über die Veröffentlichungen der Finanzverwaltung vom ... hinausgehende Veröffentlichung erforderlich sei und ob es noch einer weiteren Richtigstellung mit Offenbarung von Einzelheiten aus dem Steuerverhältnis bedürfe. Die streitige Pressemitteilung mache den Eindruck, dass es darum gegangen sei, massiv dem Wirken des Antragstellers im politischen Raum entgegenzutreten und eine politische Beschädigung des Finanzsenators zu unterbinden. Das widerspreche dem Zweck des § 30 Abs. 4 Nr. 5 Buchst. c AO.

Weiter meint der Antragsteller, es fehle an den Tatbestandsmerkmalen dieser Vorschrift. Der Begriff Offenbaren lege nahe, dass damit nur die Erlaubnis zur Preisgabe in einem eingegrenzten Verfahren gemeint sei, nicht eine "unkontrollierte Veröffentlichung" von Daten in der Presse. Es fehle auch an einer Feststellung unwahrer Tatsachenbehauptungen. Die in der Presse bezüglich des Antragstellers behaupteten Tatsachen seien nicht erweislich unwahr, sodass zwingend der Schluss zu ziehen gewesen wäre, dass der Antragsgegner nicht berechtigt war, das Steuergeheimnis zu brechen.

Ferner sei auch keine erhebliche Erschütterung des Vertrauens der Bevölkerung in die Finanzverwaltung gegeben; sie sei auch nicht zu erwarten gewesen. Der Antragsgegner sei mit seiner gegenteiligen Auffassung in den Presseveröffentlichungen stets zitiert worden.

Schließlich sei auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzt. Insbesondere hätten durch zivilrechtliche Unterlassungsverfügungen weitere Veröffentlichungen verhindert werden können; das hätte vor allem dazu geführt, dass die bis heute im Internet abrufbaren Artikel der betreffenden Zeitungen entfernt worden wären.

Der Antragsteller beantragt, unter Aufhebung des FG-Beschlusses

1. dem Antragsgegner bei Meidung von Ordnungsgeld in Höhe bis zu 250 000 €, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten zu untersagen, die in seiner Presseerklärung Nr. ... enthaltenen Aussagen zu den steuerlichen Verhältnissen des Antragstellers und insbesondere zum Vollstreckungsverfahren des Jahres 2004 gegenüber Dritten zu verlautbaren und/oder sonst wie öffentlich zu verbreiten,

2. dem Antragsgegner aufzugeben, unverzüglich die Presseerklärung Nr. ... aus den Internetseiten des Antragsgegners unter http://www. ... zu entfernen.

Der Antragsgegner beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Er hält den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung für unzulässig. Die angeblich unter Verletzung des Steuergeheimnisses offenbarten Daten seien nämlich seit Veröffentlichung der Presseerklärung offenkundig und daher nicht mehr schutzfähig. Die Kenntnis der breiten Öffentlichkeit von diesen Daten könne nicht mehr rückgängig gemacht werden. Die Informationen seien u.a. in den Archiven der Presseorgane einsehbar.

Vorsorglich tritt der Antragsgegner jedoch auch den Ausführungen des Antragstellers zur Begründung seines Anordnungsanspruchs entgegen und zieht in diesem Zusammenhang zur Unterstützung seiner Überlegungen die Erwägungen der Staatsanwaltschaft heran, welche die durch Anzeige des Antragstellers ausgelösten Strafverfahren gegen Mitarbeiter der Finanzverwaltung, u.a. den Bundesfinanzminister und den Finanzsenator, inzwischen eingestellt habe.

II. 1. Der Senat entscheidet über die nach § 128 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zulässige Beschwerde ohne mündliche Verhandlung (§§ 132, 90 Abs. 1 Satz 2 FGO), weil eine solche weder zur weiteren Aufhellung des Sachverhalts noch zur Klärung der unterschiedlichen Rechtsstandpunkte der Beteiligten erforderlich erscheint. Allein wegen der grundsätzlichen Bedeutung, die das FG und die Beteiligten der Sache beimessen, kommt die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung nicht in Betracht.

2. Die Beschwerde ist unbegründet und daher zurückzuweisen. Das FG hat den Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Ergebnis zu Recht abgelehnt.

a) Eine einstweilige Anordnung kann nach § 114 Abs. 1 FGO nur ergehen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte oder wenn eine solche Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis nötig erscheint, insbesondere um wesentliche Nachteile von dem Antragsteller abzuwenden (Anordnungsgrund).

Diese Voraussetzungen, die das FG im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes des Antragstellers bejaht hat, fehlen im Streitfall.

Eine Veränderung des bestehenden Zustands droht, wovon offensichtlich auch das FG ausgegangen ist, nicht: Die strittige Pressemitteilung des Antragsgegners ist bereits verbreitet worden und eine anderweitige Offenbarung der darin mitgeteilten, angeblich als steuerliche Geheimnisse des Antragstellers geschützten Tatsachen ist nicht zu erwarten. Der Antragsteller hat jedenfalls nichts dafür vorgetragen, dass eine solche erneute Offenbarung ernstlich zu erwarten ist.

Eine Anordnung zur vorläufigen Regelung eines Zustands in Bezug auf das zwischen den Beteiligten streitige Rechtsverhältnis --d.h. die angebliche Befugnis des Antragsgegners, die Öffentlichkeit darüber zu unterrichten, dass der Antragsteller Steuerrückstände hatte und aus welchen Gründen und in welcher Weise das FA gegen den Antragsteller vorgegangen ist, um diese beizutreiben-- erscheint ebenso wenig nötig. Sie könnte sich nach Lage der Dinge nur im Sinne des zweiten vom Antragsteller formulierten Antrags darauf richten, die strittige Pressemitteilung von der Homepage des Antragsgegners zu entfernen. Diese Maßnahme wäre indes, wie dieser mit Recht geltend macht, gänzlich ungeeignet, die durch die Pressemitteilung offenbarten steuerlichen Tatsachen geheim zu halten; denn abgesehen davon, dass schwerlich angenommen werden kann, dass Dritte von diesen nach einem Zeitraum von inzwischen fast vier Jahren durch Zugriff auf diese Homepage noch Kenntnis erlangen wollen, sind diese Tatsachen, wie im Einzelnen keiner Ausführung bedarf, in vielfältiger Weise in das Gedächtnis der Öffentlichkeit eingegangen und können außer auf der Homepage des Antragsgegners in anderen elektronischen Quellen, aber auch in Archiven und dergleichen nachgeschlagen werden. Sie können, wie auf der Hand liegt, aus dem Gedächtnis der Öffentlichkeit nicht mehr getilgt werden, und durch die beantragte einstweilige Anordnung kann auch nicht eine etwaige weitere Verbreitung derselben verhindert werden. Anders als das FG meint, wird die bereits eingetretene vermeintliche Rechtsgutverletzung des Antragstellers durch den Verbleib der Pressemitteilung im Internet nicht in einer Weise intensiviert, die den Erlass einer einstweiligen (Regelungs-)Anordnung rechtfertigen könnte.

b) Ob die begehrte einstweilige Anordnung ergehen könnte, wenn es einen Anordnungsgrund gäbe, ob also bei der nach § 114 FGO gebotenen vorläufigen rechtlichen Prüfung davon auszugehen ist, dass der Antragsteller aufgrund des Steuergeheimnisses (§ 30 AO) Anspruch darauf hat, dass der Antragsgegner die in der Pressemitteilung enthaltenen Informationen über seine steuerlichen Verhältnisse geheim hält (Anordnungsanspruch), braucht der beschließende Senat nicht abschließend zu entscheiden.

Ergänzend zu den allerdings überzeugend erscheinenden Ausführungen des angefochtenen Beschlusses zu § 30 Abs. 4 Nr. 5 Buchst. c AO ist indes zu bemerken, dass auch der beschließende Senat zu der --freilich strittigen-- Rechtsauffassung neigt, dass eine Tatsache, von der sich jedermann hat Kenntnis verschaffen können, etwa weil sie Gegenstand einer öffentlichen Erörterung z.B. in einer Gerichtsverhandlung gewesen ist (dazu Alber in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 30 AO Rz 124; Klein/Rüsken, AO, 9. Aufl., § 30 Rz 59a), deshalb grundsätzlich noch nicht den Schutz einbüßt, den ihr § 30 Abs. 1 AO ggf. gewährt. Sind dem Steuergeheimnis unterliegende Tatsachen jedoch einem unbeschränkten größeren Kreis Dritter tatsächlich bekannt geworden, dürfte § 30 Abs. 1 AO nicht zu einer weiteren "Geheimhaltung" in dem Sinne verpflichten, dass die von der Vorschrift angesprochenen Amtsträger nicht zu einer weiteren Verbreitung der Kenntnis von diesen Tatsachen beitragen dürften, indem sie erneute Zugriffe auf die betreffenden, bereits bestehenden Informationsquellen gestatten; das gilt jedenfalls dann, wenn sich Dritte, denen die Tatsachen trotz ihrer Offenbarung noch nicht bekannt sind, jederzeit und ohne erhebliche Schwierigkeiten von ihnen aus anderen Quellen Kenntnis verschaffen können.

Der Rechtsschutz des Antragstellers wird dadurch nicht vereitelt und, anders als das FG offenbar meint, auch nicht unzumutbar verkürzt. Denn sofern dem Antragsteller nicht der Rechtsbehelf einer Fortsetzungsfeststellungsklage offenstehen sollte, weil er ein rechtsschutzwürdiges konkretes Interesse an der Klärung der Rechtmäßigkeit der strittigen Pressemitteilung nicht geltend machen kann, müsste in Betracht gezogen werden, ihm auf diesem Wege gleichwohl Rechtsschutz zu gewähren, weil sich Maßnahmen wie die hier streitige naturgemäß zu erledigen pflegen, bevor abwehrender Rechtsschutz erlangt werden kann (vgl. dazu näher Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 28. Juni 1972 1 BvR 105/63 und 1 BvR 275/68, BVerfGE 33, 247, 257, sowie Urteil des Senats vom 11. August 1998 VII R 72/97, BFHE 187, 159, BStBl II 1998, 750). Hinter diese Rechtsschutzmöglichkeit muss der Rechtsschutz in dem Verfahren nach § 114 FGO zurücktreten, das nur ausnahmsweise bei Vorliegen der dort geregelten Voraussetzungen eröffnet ist.

Ende der Entscheidung

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