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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 28.08.2008
Aktenzeichen: VII B 233/07
Rechtsgebiete: UStG, AO, FGO, BGB


Vorschriften:

UStG § 4 Nr. 8 Buchst. f
AO § 258
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
FGO § 116 Abs. 3 Satz 3
BGB § 387
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) betreibt seit 2003 ein gewerbliches Unternehmen. In ihren Umsatzsteuervoranmeldungen August 2003 bis August 2004 wies sie einen Vorsteuerüberhang von insgesamt ... € aus. Aufgrund des Ergebnisses einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung erkannte das damals zuständige Finanzamt die geltend gemachten Vorsteuerguthaben jedoch nicht an und erließ am 1. Oktober 2004 für diesen Zeitraum Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide über jeweils 0 €. Dabei vertrat es die Auffassung, dass die Klägerin eine gemäß § 4 Nr. 8 Buchst. f des Umsatzsteuergesetzes (UStG) umsatzsteuerfreie Vermittlung von gewerblichen Lottospielgemeinschaften betrieben habe, so dass insoweit ein Vorsteuerabzug nicht in Betracht komme. Gegen die Vorauszahlungsbescheide legte die Klägerin Einsprüche ein, über die noch nicht entschieden worden ist. Nach einer Umstellung des Dienstleistungsangebots behandelte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) die Klägerin ab September 2004 als umsatzsteuerpflichtig.

Weil Umsatzsteuern und Nebenleistungen für die Voranmeldungszeiträume Oktober und November 2004, Februar und März 2005 sowie das III. Quartal 2005 in Höhe von über ... € nicht entrichtet wurden, übersandte das FA der Klägerin am 25. Oktober 2005 eine Vollstreckungsankündigung. Daraufhin beantragte die Klägerin wegen dieser Verbindlichkeiten die Gewährung einer Verrechnungsstundung sowie die einstweilige Einstellung der Vollstreckung nach § 258 der Abgabenordnung (AO). Den wegen der Ablehnung des Vollstreckungsaufschubs eingelegten Einspruch wies das FA als unbegründet zurück. Die dagegen gerichtete Klage hatte keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) urteilte, dass die Einleitung der Zwangsvollstreckung nicht unbillig sei, so dass die Voraussetzungen des § 258 AO im Streitfall nicht erfüllt seien. Ein unangemessener Nachteil der Vollstreckung ergebe sich nicht daraus, dass das FA über die Einsprüche gegen die Vorauszahlungsbescheide noch nicht entschieden habe. Denn die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung der Ausgangsumsätze vor August 2004 sei von der umsatzsteuerrechtlichen Behandlung der ab September 2004 getätigten Umsätze unabhängig. Selbst wenn davon ausgegangen werden könne, dass das Verhalten des FA aufgrund einer unzutreffenden Anwendung des UStG widersprüchlich sei, könne ein unangemessener Nachteil nicht durch ein nur kurzfristiges Zuwarten vermieden werden. Denn in dem seit ca. 16 Monaten anhängigen Finanzrechtsstreit habe das FA deutlich gemacht, dass es von seiner Rechtsauffassung nicht abrücken werde. Darüber hinaus habe die Klägerin weder substantiiert dargelegt noch nachgewiesen, dass ihre Existenz infolge der drohenden Vollstreckung gefährdet sei.

Mit ihrer Beschwerde begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Im Streitfall stelle sich die für eine Vielzahl von Fällen relevante Frage, ob die Vollstreckung auch dann i.S. von § 258 AO unbillig sei, wenn der Vollstreckungsgläubiger seine Entscheidung über vom Vollstreckungsschuldner geltend gemachte Gegenansprüche, wie z.B. Vorsteueransprüche, und damit auch eine gerichtliche Entscheidung über diese Ansprüche hinauszögere, gleichwohl aber wegen unstreitig bestehender Forderungen die Vollstreckung betreibe. Inzwischen sei wegen der immer noch ausstehenden Einspruchsentscheidungen Untätigkeitsklage erhoben worden. Das FG verkenne die Problematik im Hinblick auf die Unbilligkeit der Zwangsvollstreckung, die im Streitfall darin liege, dass das FA einerseits eine möglicherweise positive Entscheidung über das Bestehen der geltend gemachten Vorsteueransprüche hinauszögere, andererseits jedoch unvermindert die Vollstreckung betreibe. Die Rechtsauffassung des FG greife in durch Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) geschützte Rechtspositionen ein, indem die Verzögerung der Einspruchsbearbeitung zur Begründung herangezogen werde, dass ein unangemessener Nachteil nicht durch ein nur kurzfristiges Zuwarten verhindert werden könne.

Das FA ist der Beschwerde unter Hinweis auf die fehlende Klärungsfähigkeit der von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfrage entgegengetreten. Eine Verzögerung liege deshalb nicht vor, weil über die geltend gemachten Gegenansprüche eine Entscheidung durch das FA bereits getroffen worden sei und die endgültige Klärung im Rahmen der anhängigen Untätigkeitsklage herbeigeführt werden müsse.

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig.

1. Nach ständiger Rechtsprechung kommt einer Rechtssache grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zu, wenn im konkreten Fall eine Rechtsfrage entscheidungserheblich ist, die im allgemeinen Interesse an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts der höchstrichterlichen Klärung bedarf. Zudem muss die Rechtsfrage in einem künftigen Revisionsverfahren klärungsfähig sein. Eine Rechtsfrage ist nicht mehr klärungsbedürftig, wenn sie bereits höchstrichterlich geklärt ist und sie sich demzufolge nur so beantworten lässt, wie es das FG getan hat.

a) Unter Beachtung dieser Grundsätze lässt es der Senat dahinstehen, ob die Beschwerde den Darlegungserfordernissen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO entspricht, jedenfalls ist die Frage, ob die Vollstreckung auch dann i.S. von § 258 AO unbillig ist, wenn der Vollstreckungsgläubiger seine Entscheidung über vom Vollstreckungsschuldner geltend gemachte Gegenansprüche hinauszögert und gleichwohl die Vollstreckung wegen einer unstreitigen Forderung betreibt, nicht klärungsbedürftig. Hinsichtlich eines Antrags auf Stundung einer unstreitigen Forderung aufgrund einer vermeintlich bestehenden Gegenforderung hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden, dass eine erhebliche Härte, die eine Ablehnung des Stundungsbegehrens rechtswidrig erscheinen lasse, nur dann gegeben sei, wenn der Gegenanspruch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bestehe und in absehbarer Zeit fällig werde. Denn nur in einem solchen Fall wäre, wenn nicht sogleich, so doch wenigstens alsbald mit einer Rückgewähr des Stundungsbetrags zu rechnen (BFH-Urteil vom 6. Oktober 1982 I R 98/81, BFHE 138, 1, BStBl II 1983, 397). In einer späteren Entscheidung hat der BFH diesen Rechtsgedanken auf die Regelung in § 258 AO übertragen (vgl. BFH-Beschluss vom 29. November 1984 V B 44/84, BFHE 142, 418, BStBl II 1985, 194) und ausgeführt, dass die einstweilige Einstellung oder Beschränkung der Vollstreckung gemäß § 258 AO wie die Stundung eine Billigkeitsmaßnahme darstelle, die in das pflichtgemäße Ermessen der Vollstreckungsbehörde gestellt sei. Soweit nicht die Unbilligkeit einzelner Vollstreckungsmaßnahmen, sondern die Einstellung oder die Beschränkung der Vollstreckung insgesamt in Rede stehe, habe eine solche Maßnahme stundungsähnlichen Charakter. Werde der Vollstreckung entgegengehalten, der Vollstreckungsschuldner habe Gegenansprüche gegen den Vollstreckungsgläubiger, würden sich parallele Wertungen wie bei der Stundung ergeben.

Im Hinblick auf die der Vollstreckung zugrunde liegenden Verwaltungsakte hat der BFH schließlich in Erwägung gezogen, dass die behauptete Rechtswidrigkeit dieser Verwaltungsakte dann die Voraussetzungen des § 258 AO erfüllen könnte, wenn der Steuerpflichtige rechtzeitig einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt habe, und dieser zwar noch nicht beschieden worden sei, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen sei, dass er Erfolg haben werde (Senatsbeschluss vom 12. Juni 1991 VII B 66/91, BFH/NV 1992, 156).

b) Nach dieser Rechtsprechung liegt eine Unbilligkeit der Vollstreckung i.S. von § 258 AO nicht bereits deshalb vor, weil der Vollstreckungsschuldner Gegenansprüche geltend gemacht hat, die vom FA jedoch nicht anerkannt worden sind, so dass das Bestehen oder Nichtbestehen der behaupteten Ansprüche der Klärung in einem finanzgerichtlichen Verfahren bedarf. Vielmehr könnte sich eine Vollstreckung allenfalls dann als unbillig erweisen, wenn die behaupteten Ansprüche unstreitig sind oder zumindest mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bestehen und wenn sie fällig sind. Denn eine Aufrechnung ist nach § 387 des Bürgerlichen Gesetzbuchs nur mit einer wirksamen und fälligen Gegenforderung zulässig. Insoweit ist die von der Klägerin aufgeworfene Frage so zu beantworten, wie es das FG zumindest im Ergebnis getan hat. Die vorstehend skizzierten Voraussetzungen, unter denen die Rechtsprechung eine Unbilligkeit der Vollstreckung in Betracht gezogen hat, sind im Streitfall offensichtlich nicht erfüllt. Der Beschwerde sind nicht einmal nähere Ausführungen zu entnehmen, nach denen darauf geschlossen werden kann, dass die behaupteten Umsatzsteueransprüche mit dem erforderlichen Maß an Wahrscheinlichkeit bestehen. Unter einem solchen Vorbehalt ist die Frage, der die Beschwerde grundsätzliche Bedeutung beimisst, auch nicht gestellt.

c) Selbst wenn die von der Klägerin aufgeworfene Frage dahingehend verstanden werden könnte, ob eine Unbilligkeit der Vollstreckung insbesondere durch eine --etwa absichtlich herbeigeführte-- Verzögerung in der Bearbeitung eines Einspruchs gegen einen die Anerkennung des geltend gemachten Gegenanspruchs ablehnenden Verwaltungsakt ausgelöst werden könnte, käme eine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO nicht in Betracht. Denn es kann nicht davon ausgegangen werden, dass jede Verzögerung bei der Entscheidung über einen solchen Rechtsbehelf im Hinblick auf eine gleichzeitig eingeleitete Vollstreckung gegen den auch im Steuerrecht zu beachtenden Grundsatz von Treu und Glauben verstößt. Vielmehr käme es auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalls, insbesondere auf den Grund für die lange Bearbeitungszeit, auf das konkrete Ausmaß der Verzögerung und auf eine etwaige Verletzung der Mitwirkungspflicht des Vollstreckungsschuldners an. Da eine Allgemeingültigkeit beanspruchende Klärung der so verstandenen Rechtsfrage in einem künftigen Revisionsverfahren nicht herbeigeführt werden könnte, kommt der Rechtsfrage auch keine Klärungsfähigkeit zu.

2. Soweit sich die Klägerin gegen die Rechtsauffassung des FG wendet, dass aufgrund des seit 16 Monaten anhängigen Finanzrechtsstreits ein unangemessener Nachteil durch ein nur kurzfristiges Zuwarten nicht vermieden werden könne, genügt die bloße Behauptung eines Verstoßes gegen Art. 19 Abs. 4 GG nicht den Anforderungen, die an die Darlegung eines Verfassungsverstoßes zu stellen sind. Denn die bloße Behauptung, die Vorgehensweise des Gerichts oder eine von diesem angewandte Norm sei verfassungswidrig, kann nicht zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung führen, sofern diese nicht offenkundig ist (BFH-Beschluss vom 21. Februar 2002 XI B 39/01, BFH/NV 2002, 1035, m.w.N.). Vielmehr muss der Beschwerdeführer in der Beschwerdeschrift den behaupteten Verfassungsverstoß im Einzelnen darlegen. Erforderlich ist hierzu eine substantiierte, an den Vorgaben des GG sowie der dazu ergangenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts orientierte rechtliche Auseinandersetzung mit dem erstinstanzlichen Urteil (BFH-Beschlüsse vom 26. September 2002 VII B 270/01, BFH/NV 2003, 480, und vom 3. April 2001 VI B 224/99, BFH/NV 2001, 1138).

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