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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 21.08.2008
Aktenzeichen: VII B 254/07
Rechtsgebiete: AO, FGO


Vorschriften:

AO § 34 Abs. 1
AO § 69
FGO § 76 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war alleiniger Geschäftsführer einer GmbH, die ihrerseits Komplementärin einer GmbH & Co. KG (KG) war. Die KG befand sich in erheblichen Liquiditätsschwierigkeiten. Für die Monate April bis Juni 2002 zahlte die KG die Löhne an die von ihr beschäftigten Arbeitnehmer noch in voller Höhe aus, unterließ jedoch die Abführung der darauf entfallenden Lohnsteuern und steuerlichen Nebenleistungen. Im August 2002 wurde der Kläger durch den alleinigen Gesellschafter der GmbH und zugleich alleinigen Kommanditisten der KG (G) mit sofortiger Wirkung als Geschäftsführer abberufen. Im August 2002 stellte G den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der beiden Gesellschaften. Da eingeleitete Vollstreckungsmaßnahmen gegenüber der KG und der GmbH erfolglos blieben, nahm der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) den Kläger für die rückständigen Abgaben gemäß § 69 i.V.m. § 34 Abs. 1 der Abgabenordnung als Haftungsschuldner in Anspruch. Im Einspruchsverfahren erhöhte das FA zunächst die Haftungssumme. Im Verlauf des Klageverfahrens nahm es den angefochtenen Haftungsbescheid hinsichtlich der Lohnsteuern für den Monat Juni 2002 zurück.

Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte, dass der Kläger seine Pflichten als Geschäftsführer der GmbH zumindest grob fahrlässig verletzt habe. Auf eine Besserung der Liquiditätslage der KG habe er nicht vertrauen dürfen. Der Haftungsbescheid sei nicht deshalb ermessensfehlerhaft, weil das FA den Alleingesellschafter G nicht vorrangig oder zumindest gleichrangig im Wege der Durchgriffshaftung in Anspruch genommen habe. Eine Durchgriffshaftung komme nur ausnahmsweise bei einem gläubigerschädigenden und existenzvernichtenden Zugriff des Gesellschafters auf das Gesellschaftsvermögen in Betracht. Diese Voraussetzungen habe der Kläger bis zum Erlass der Einspruchsentscheidung weder im Einzelnen dargelegt noch nachgewiesen. Die bloße Behauptung, G habe durch eine überhöhte Pacht der KG Vermögen und Liquidität entzogen, genügte insoweit nicht. Da der Kläger Belege für Privatentnahmen des G erst im Klageverfahren vorgelegt habe, könnten diese keine Berücksichtigung finden. Deshalb könne es dahinstehen, ob diese Entnahmen als gläubigerschädigend gewertet werden könnten. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass im Streitfall nicht der GmbH, sondern der KG Vermögenswerte entzogen worden seien, denn die vorgelegten Unterlagen wiesen Zahlungen an G vom Firmenkonto der KG aus.

Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) und des Vorliegens von Verfahrensmängeln (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Von grundsätzlicher Bedeutung seien die Rechtsfragen, ob das FA den Sachverhalt vor einer haftungsrechtlichen Inanspruchnahme des GmbH-Geschäftsführers dahingehend weiter aufklären müsse, ob der Alleineigentümer der GmbH sowie der KG als Haftender aus Durchgriffshaftung in Betracht komme, wenn das FA eindeutige Hinweise dafür habe, dass der Alleineigentümer der KG laufend Liquidität entziehe, so dass der KG bei Fälligkeit die zur Steuerzahlung notwendigen Mittel fehlten, und ob das FG die Aufklärung des Sachverhalts nachholen müsse, wenn nach Erlass der Einspruchsentscheidung Beweise für das mögliche Vorliegen einer Durchgriffshaftung erbracht worden seien. Im Streitfall komme eine Durchgriffshaftung sowohl unter dem Gesichtspunkt der Vermögensvermischung als auch unter dem des existenzvernichtenden Eingriffs in Betracht. Da eine Haftung des G bei Erlass der angefochtenen Verwaltungsakte nicht berücksichtigt worden sei, habe das FA das ihm zustehende Auswahlermessen fehlerhaft ausgeübt.

Darüber hinaus habe das FG das Vorbringen hinsichtlich der Vermischung der privaten Verhältnisse des G mit den Verhältnissen der KG ungewürdigt gelassen und den Sachverhalt nicht weiter aufgeklärt. Auch das FA habe sich in der Einspruchsentscheidung nicht mit der Vermischung von privaten Konten und Konten der Gesellschaft befasst, obwohl ihm dieser Umstand aus den geführten Gesprächen hätte bekannt sein müssen.

Schließlich hätte das FG in der mündlichen Verhandlung auf den Gesichtspunkt hinweisen müssen, dass nach seiner Auffassung dem FA die zur Annahme einer Vermischung führenden Tatsachen nicht bekannt gewesen seien. Für ihn, den Kläger, habe nach der fristlosen Entlassung als Geschäftsführer ein absoluter Beweisnotstand bestanden.

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Entgegen der Auffassung des Klägers wirft der Rechtsstreit keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf. Die gerügten Verfahrensmängel liegen nicht vor.

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sind Streitigkeiten, deren Entscheidung maßgeblich von der Beurteilung der tatsächlichen Besonderheiten des konkreten Sachverhalts abhängt, nicht grundsätzlich bedeutsam (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 23, m.w.N.).

a) Danach kommt der vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfrage, ob das FA beim Erlass eines Haftungsbescheids gegen einen GmbH-Geschäftsführer den Sachverhalt im Hinblick auf eine mögliche Durchgriffshaftung des Alleingesellschafters der GmbH näher aufklären muss, keine grundsätzliche Bedeutung zu. Denn es hängt von den Erkenntnissen des FA im jeweiligen Einzelfall ab, ob sich Anhaltspunkte für die Annahme einer Durchgriffshaftung ergeben, die weitere Sachverhaltsermittlungen geboten erscheinen lassen. Soweit der Kläger seiner Frage zugrunde legt, dass dem FA eindeutige Hinweise auf einen laufenden Entzug von Kapital durch den Alleingesellschafter vorlagen, wäre die Frage in einem künftigen Revisionsverfahren nicht klärungsfähig. Ausweislich der Urteilsbegründung hat das FG darauf hingewiesen, dass die pauschale Behauptung, der Alleingesellschafter habe der Gesellschaft laufend Liquidität entzogen, nicht als ausreichend erachtet werden könne, und dass das FA aufgrund der unzureichenden Angaben des Klägers keine Veranlassung gehabt habe, neben dem Kläger auch G als Haftungsschuldner in Anspruch zu nehmen. Da der Kläger insoweit keine zulässige und begründete Verfahrensrüge erhoben hat und somit nicht davon ausgegangen werden kann, dass das FA tatsächlich über eindeutige Hinweise auf einen existenzvernichtenden Liquiditätsentzug verfügte, würde sich die vom Kläger aufgeworfene Frage in dieser Form nicht stellen.

b) Auch der zweiten Frage nach dem Umfang der dem Gericht nach § 76 Abs. 1 FGO obliegenden Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung beim Vorliegen von Beweisen für eine mögliche Durchgriffshaftung kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Denn auch die Beantwortung dieser Frage hängt von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab, so dass sich eine allgemeingültige Klärung nicht herbeiführen lässt. Zudem hat das FG in der Urteilsbegründung zutreffend darauf abgestellt, dass für die gerichtliche Prüfung der Ermessensausübung des FA die Verhältnisse maßgebend sind, die der Behörde im Zeitpunkt der letzten Ermessensausübung bekannt waren oder bekannt sein mussten. Umstände, die erst nach dem Erlass der letzten Verwaltungsentscheidung eingetreten sind, musste das FA nicht zum Anlass für eine weitere Sachaufklärung nehmen.

2. Soweit der Kläger sinngemäß die Verletzung des rechtlichen Gehörs durch eine vom FG getroffene Überraschungsentscheidung rügt, liegt der behauptete Verfahrensmangel nicht vor. Das Gericht ist nämlich nicht dazu verpflichtet, vor seiner Entscheidungsfindung seine Rechtsansicht mündlich oder schriftlich mitzuteilen bzw. die für die Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte und Rechtsfragen im Voraus anzudeuten oder sogar umfassend zu erörtern (BFH-Beschlüsse vom 5. April 2006 I B 84/05, BFH/NV 2006, 1497, und vom 10. August 2005 VIII B 344/04, BFH/NV 2006, 78, m.w.N., sowie Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Juli 1997 1 BvR 1934/93, Neue Juristische Wochenschrift 1997, 2305). Einen fachkundig vertretenen Prozessbeteiligten braucht es auf naheliegende rechtliche und tatsächliche Gesichtspunkte nicht hinzuweisen (BFH-Beschluss vom 20. August 1998 XI B 110/95, BFH/NV 1999, 329). Um einen solchen naheliegenden Gesichtspunkt handelt es sich im Streitfall, denn dem Kläger war die Bedeutung der Kenntnis des FA im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung von Umständen, die auf die Möglichkeit einer Durchgriffshaftung hingedeutet hätten, durchaus bewusst. Im Übrigen räumt der Kläger selbst ein, dass dem FG aus den ihm vorliegenden Akten eine Vermischung von Vermögen des G und der KG nicht erkennbar gewesen sei. Demzufolge hätte das FG einen Hinweis auf diesen Gesichtspunkt auch nicht geben können. Schließlich lässt sich der Urteilsbegründung die vom Kläger behauptete Aussage des FG nicht entnehmen, dass gerade die zur Vermischung führenden Tatsachen dem FA nicht bekannt gewesen seien. Vielmehr hat sich das FG lediglich mit einer möglichen Durchgriffshaftung aufgrund eines existenzvernichtenden Zugriffs auf das Gesellschaftsvermögen befasst.

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