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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 21.08.2000
Aktenzeichen: VII B 260/99
Rechtsgebiete: AO 1977


Vorschriften:

AO 1977 § 34
AO 1977 § 69
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) war seit 1990 bis zum 14. Juli 1993 der 1. Vorsitzende, seit dem 14. Juli 1993 bis zum 26. Oktober 1994 2. Vorsitzender eines Vereins. Nach der Satzung des Vereins konnte der 1. Vorsitzende den Verein allein, der 2. und 3. Vorsitzende konnten jeweils zu zweit den Verein vertreten; im Innenverhältnis war bestimmt, dass der 2. und 3. Vorsitzende nur im Falle der Verhinderung des 1. Vorsitzenden zur Vertretung berechtigt war. Diese Regelung wurde durch Vorstandsbeschluss vom 16. Juli 1993 noch dahin gehend konkretisiert, dass die Erfüllung der steuerlichen Angelegenheiten allein dem 1. Vorsitzenden obliegen sollte. Der Verein befand sich in den Jahren 1993 und 1994 permanent in finanziellen Schwierigkeiten; so waren schon in den Vorjahren erhebliche Verluste des Vereins von insgesamt ca. ... DM aufgelaufen und der Beklagte (das Finanzamt --FA--) hatte bereits im Jahre 1992 einen Vollstreckungsaufschub betreffend die Lohnsteuerabführung gewährt. Seit Ende des Jahres 1993 hatte auch die örtliche Presse vermehrt über die finanziellen Schwierigkeiten des Vereins berichtet. Anfang des Jahres 1994 hatte der Vorstand einen Beschluss gefasst, dass an die Angestellten nur mehr gekürzte Gehälter auszuzahlen seien. Tatsächlich wurden jedoch die vollen Nettogehälter ausbezahlt. Die vom FA im Dezember 1994 beantragte Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen des Vereins wurde nach Erstellung eines Konkursgutachtens mangels Masse abgelehnt. Für die vom Verein nicht beglichenen Lohnsteuer-/ Kirchenlohnsteuerrückstände vom Februar 1994 bis Juni 1994 nahm das FA den Antragsteller neben dem 1. und dem 3. Vorsitzenden des Vereins durch Haftungsbescheid in Höhe von --letztlich nach verbösernder Einspruchsentscheidung-- ... DM in Haftung.

Im Klageverfahren, für das der Antragsteller die hier streitige Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt hat, begehrt er die Aufhebung des Haftungsbescheides. Das Finanzgericht (FG) lehnte die Gewährung von PKH wegen fehlender hinreichender Erfolgsaussicht ab. Es führte aus, der Antragsteller habe als 2. Vorsitzender zu dem Personenkreis der gesetzlichen Vertreter i.S. des § 34 der Abgabenordung (AO 1977) gehört und hätte als solcher die steuerlichen Verpflichtungen des Vereins zu erfüllen gehabt. Die in der Satzung vereinbarte Aufgabenbeschränkung wirke im Streitfall nicht. Da für den Antragsteller wegen der auch ihm bekannten finanziellen Schwierigkeiten des Vereins Anlass bestanden habe, an der ordnungsgemäßen Erfüllung der steuerlichen Pflichten durch den 1. Vorsitzenden zu zweifeln, gelte der Grundsatz der Gesamtverantwortung, die es dem Antragsteller auferlege, in einer solchen Situation durch Überwachung und eigenes Eingreifen für die Erfüllung der steuerlichen Verpflichtungen zu sorgen. Das gelte für den Antragsteller auch deshalb, weil er die bereits in den Vorjahren bestehenden erheblichen Verluste des Vereins und den vom FA bereits gewährten Vollstreckungsaufschub für die Lohnsteuerabführung gekannt habe. Zusammen mit dem 3. Vorstand hätte der Antragsteller auch noch über bestimmte Konten des Vereins so z.B. bei der R-Bank, über die die wesentlichen Zahlungen des Vereins abgewickelt worden seien, und bei der F-Bank verfügen und so die Lohnsteuerzahlungen aufgrund seines Einflusses sicherstellen können. Für den Fall, dass er wirtschaftlich oder gesundheitlich nicht in der Lage gewesen sein sollte, die Zahlungsverpflichtungen des Vereins gemeinsam mit dem 3. oder dem 1. Vorsitzenden zu erfüllen, hätte er sein Amt niederlegen müssen. Die Höhe der Haftungssumme entspreche weitgehend den vom Verein später abgegebenen, berichtigten Lohnsteueranmeldungen. Eine Kürzung der Haftungssumme bezüglich des letzten Lohnsteueranmeldungszeitraumes im Juni 1994 komme nicht in Betracht, weil auch danach noch Gehälter --wenn auch über eine inzwischen neu gegründete, aber nicht im Handelsregister eingetragene GmbH, deren alleiniger Gesellschafter der Verein gewesen sei-- ausbezahlt worden seien.

Hiergegen wendet der Antragsteller mit seiner Beschwerdeschrift ein, der Verein sei gerichtlich und außergerichtlich nur vom 1. Vorsitzenden vertreten worden; der 2. und der 3. Vorsitzende seien nur bei dessen Verhinderung zur Vertretung berechtigt gewesen. Damit habe er auch keine Verfügungsberechtigung über die Konten des Vereins gehabt. Es habe für ihn kein Anlass bestanden, an der Erfüllung der steuerlichen Pflichten durch den ihm als vertrauenswürdig bekannten 1. Vorsitzenden zu zweifeln und diesen besonders zu überwachen. Dem Verein seien im Übrigen erheblich Fremdmittel zugeführt worden, so dass er darauf habe vertrauen können, dass der Verein seine Verbindlichkeiten begleiche. Zudem habe der Vorstand Anfang des Jahres 1994 beschlossen, an die Angestellten nur mehr gekürzte Gehälter auszuzahlen. Daran habe sich der 1. Vorsitzende offensichtlich nicht gehalten und absprachewidrig die vollen Nettogehälter ausbezahlt, die Lohnsteueranmeldungen aber nach den gekürzten Gehältern erstellt. Der Antragsteller sei ebenso wie die Steuerberatungskanzlei von der Gehaltskürzung und der Ordnungsmäßigkeit der abgegebenen Lohnsteueranmeldungen, die später durch eine Lohnsteueraußenprüfung des FA und Selbstanzeige des 1. Vorsitzenden berichtigt worden seien, ausgegangen. Dem Antragsteller sei erstmals durch die Ladung des 1. Vorsitzenden zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung im Oktober 1994 das Ausmaß der Vereinsschulden bewusst geworden. Zu diesem Zeitpunkt habe der Verein über keine Geldmittel mehr verfügt, so dass die Bezahlung der Steuerschulden unmöglich geworden sei. Das FG habe in seinem Beschluss verkannt, dass in einem solchen Fall die in der Vereinssatzung und durch Vorstandsbeschluss eindeutig und schriftlich festgelegte Haftungsbegrenzung zugunsten des 2. Vorsitzenden eingreife und dass ein Anlass für eine besondere Überprüfung und Kontrolle des 1. Vorsitzenden hinsichtlich der Einhaltung der steuerlichen Verpflichtungen für den Antragsteller nicht bestanden habe.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Dem Antragsteller kann, wie von der Vorinstanz zutreffend entschieden worden ist, PKH nicht gewährt werden, weil es an dem Bewilligungserfordernis der hinreichenden Erfolgsaussicht für das Klageverfahren fehlt (§ 142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--, § 114 der Zivilprozeßordnung). Der Senat hält die Ausführungen des FG für zutreffend und nimmt auf sie Bezug (§ 113 Abs. 2 Satz 3 FGO). Nach der im PKH-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung sind aus den Entscheidungsgründen des FG und aus der Aktenlage keine Rechtsfehler oder Gesichtspunkte tatsächlicher Art ersichtlich, die in einem Klageverfahren gegen den Steuerbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung Anlass zu einer anderen Beurteilung geben könnten. Dabei hat der Senat berücksichtigt, dass der Antragsteller seine Beschwerde weitgehend auf früheres Vorbringen gestützt hat.

Da der Antragsteller zunächst der 1. Vorsitzende des Vereins war und als solcher über die hohe Verschuldung sowie die Gewährung von Vollstreckungsaufschub betreffend die Abführung angemeldeter Lohnsteuer informiert war und ihm aus den sich häufenden Presseberichten um die Jahreswende 1993/1994 sowie dem Vorstandsbeschluss Anfang 1994, wonach nurmehr gekürzte Gehälter ausgezahlt werden sollten, bewusst war, dass sich die finanzielle Lage des Vereins nicht gebessert hatte, konnte das FG davon ausgehen, dass dem Antragsteller zumindest die Liquiditätsschwierigkeiten des Vereins bekannt gewesen sind. Zutreffend hat das FG daher ausgeführt, dass in einem solchen Fall der Grundsatz der Gesamtverantwortlichkeit der gesetzlichen Vertreter des Vereins die --selbst schriftlich vereinbarte-- Haftungsbeschränkung verdränge und ein Anlass für den Antragsteller bestanden hätte, die Einhaltung der steuerlichen Pflichten durch den 1. Vorsitzenden zu überwachen und zu kontrollieren (vgl. Senatsurteile vom 23. Juni 1998 VII R 4/98, BFHE 186, 132, BStBl II 1998, 761, 764, und vom 17. Mai 1988 VII R 90/85, BFH/NV 1989, 4). Der Antragsteller verkennt, dass die Begrenzung der Haftung durch eine von vornherein schriftlich festgelegte Aufgabenverteilung nur insoweit und solange gilt, wie kein Anlass besteht, an der exakten Erfüllung der steuerlichen Pflichten durch den hierfür zuständigen Geschäftsführer bzw. hier den 1. Vorsitzenden zu zweifeln, oder solange allgemein die wirtschaftliche Lage des Vertretenen für eine Überprüfung der ordnungsgemäßen Erfüllung der steuerlichen Pflichten keinen Anlass gibt (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs 26. April 1984 V R 128/79, BFHE 141, 443, BStBl II 1984, 776). Entgegen der Auffassung des Antragstellers hält auch das Schrifttum den nach der internen Geschäftsverteilung nicht für den laufenden Geschäftsverkehr (z.B. Einbehalten und Abführung der Lohnsteuer) bestimmten Geschäftsführer dann zu einer Nachprüfung für verpflichtet, wenn die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft oder die Person des handelnden Geschäftsführers zu einer Überprüfung Veranlassung geben (Klein/Rüsken, Abgabenordnung, 7. Aufl. § 69 Rz. 67; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 69 AO 1977 Rz. 32; Ehlers in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 69 AO 1977 Rz. 25; Kühn/Hofmann, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, 17. Aufl., § 69 AO 1977 Anm. 3 c, und Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 34 AO 1977 Rz. 53). Sind mehrere gesetzliche Vertreter vorhanden, so können diese zwar im Innenverhältnis untereinander bestimmen, wer die steuerlichen Pflichten zu erfüllen hat, was aber die Haftung bzw. die Gesamtverantwortlichkeit des nach der internen Vereinbarung für die Erfüllung der steuerlichen Angelegenheiten nicht zuständigen gesetzlichen Vertreters gemäß §§ 34, 69 AO 1977 grundsätzlich nicht auszuschließen vermag (vgl. Senatsurteil in BFHE 186, 132, BStBl II 1998, 761, 763). Zeichnet sich die nahende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung des Vertretenen ab, so ist jeder einzelne gesetzliche Vertreter gehalten, sich um die Gesamtbelange des Vertretenen zu kümmern. Es spricht daher im hier zu beurteilenden summarischen Verfahren nichts für die Ansicht des Antragstellers, dass er, obwohl er die hohe Verschuldung des Vereins kannte und den Vorstandsbeschluss, wonach die Gehälter zu kürzen waren mitgetragen hat, nicht auch zur Kontrolle der Einhaltung dieses Beschlusses und damit zur Überwachung der Einbehaltung der der Gehaltsauszahlung entsprechenden Lohnsteuer und deren Abführung an das FA verpflichtet gewesen sei. Es fehlt an jedem substantiierten Vortrag des Antragstellers, welche Maßnahmen er während des immerhin 5 Jahre umfassenden hier maßgeblichen Haftungszeitraums ergriffen hat, um seiner Verantwortlichkeit als Vertreter des Vereins gerecht zu werden und sich insbesondere der ordnungsgemäßen Ausführung des Beschlusses über die Kürzung der Gehälter zu vergewissern. Der beschließende Senat muss daher in diesem Verfahren davon ausgehen, dass der Antragsteller sich in diesem Zeitraum völlig auf die angebliche Zuverlässigkeit des 1. Vorsitzenden verlassen hat. Dies genügte indes --wie ausgeführt-- nicht.

Da auch die rechtliche Würdigung des FG hinsichtlich des von der Finanzbehörde vorgenommenen Auswahlermessens sowie zur Höhe der Haftungsschuld, der sich der Senat anschließt, der Gesetzeslage entspricht, ist nicht erkennbar, dass ein Klageverfahren gegen den Steuerbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung für den Antragsteller Aussicht auf Erfolg bietet. Die Beschwerde war daher als unbegründet zurückzuweisen.



Ende der Entscheidung

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