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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 12.05.2009
Aktenzeichen: VII B 266/08
Rechtsgebiete: AO, EStG, GmbHG, FGO


Vorschriften:

AO § 69
AO § 34 Abs. 1
EStG § 41a Abs. 1
GmbHG § 35 Abs. 1
FGO § 76 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war Geschäftsführer einer GmbH. Weiterer Geschäftsführer war bis zum 5. Januar 2003 ein Herr M. Mit Wirkung zum 31. Januar 2003 wurde Herr W neben dem Kläger zum weiteren Geschäftsführer bestellt. Die GmbH war persönlich haftende und geschäftsführende Gesellschafterin einer GmbH & Co. KG (KG), in der der Kläger geschäftsführend für den Bereich Produktion und Technik zuständig war. Die KG war in eine Unternehmensgruppe eingebunden. Ende 2002 geriet sie in erhebliche finanzielle Schwierigkeiten. Im März 2003 stellte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) den Antrag, über das Vermögen der KG das Insolvenzverfahren zu eröffnen. Mit Beschluss vom 19. März 2003 bestellte das Insolvenzgericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt. Die ebenfalls beantragte Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH wurde mangels Masse abgelehnt. Aufgrund erheblicher Steuerschulden der KG nahm das FA den Kläger nach § 69 der Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 34 Abs. 1 AO für rückständige Lohnsteuern und steuerliche Nebenleistungen als Haftungsschuldner in Anspruch. Für dieselben Steuerschulden wurde auch W in Anspruch genommen. Von einer haftungsrechtlichen Inanspruchnahme des M sah das FA mit der Begründung ab, dass dieser bereits Mitte Dezember als Geschäftsführer ausgeschieden und die Durchsetzung des Haftungsanspruchs wegen des ausländischen Wohnsitzes erschwert sei.

Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hatte nur hinsichtlich eines Teils der Säumniszuschläge Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte, dass das FA den Kläger zu Recht als Haftungsschuldner in Anspruch genommen habe. Als gesetzlicher Vertreter der persönlich haftenden Gesellschafterin der KG habe er die Geschäfte der KG geführt. Maßgeblich sei die nominelle Bestellung zum Geschäftsführer, so dass es nicht darauf ankomme, ob noch weitere Geschäftsführer bestellt worden seien. Die ihm obliegende Pflicht zur Abführung der Lohnsteuern für die Monate Oktober bis Dezember 2002 habe er schuldhaft unbeachtet gelassen. Auf die interne Geschäftsverteilung könne er sich in Anbetracht der Krisensituation der KG nicht berufen. Bereits der Umstand, dass ein Sanierungsbeauftragter und ein dem Kläger übergeordneter Generalbevollmächtigter bestellt worden seien, hätten Anlass zur verstärkten Wahrnehmung von Informationspflichten und zu einer Intensivierung der Überwachungs- und Kontrollpflichten gegeben. Der Kläger hätte sich nicht auf die ungeprüften Aussagen der geschäftsleitend tätigen Personen verlassen dürfen. Daher könne er sich nicht haftungsbefreiend darauf berufen, dass er lediglich die Funktion eines "Titular-Geschäftsführers" innegehabt habe. Bei dieser Würdigung komme es auf die einzelnen Befugnisse des Sanierungsbeauftragten und des Generalbevollmächtigten nicht an. Auf den Grundsatz der anteiligen Tilgung könne er sich bei Lohnsteuerschulden nicht berufen.

Die vorwerfbare Pflichtverletzung liege in der ungekürzten Auszahlung der Nettolöhne und in der mangelnden finanziellen Vorsorge zur Begleichung der Lohnsteuerschulden. Schuldhaft habe er es unterlassen, sich über den Umfang seiner Verantwortlichkeit in Kenntnis zu setzen, so dass er sich auf einen schuldausschließenden Irrtum über seine Pflichtenstellung nicht berufen könne. Der durch die Pflichtverletzung verursachte Steuerschaden werde nicht durch die behauptete Möglichkeit einer Berichtigung der von der KG geschuldeten Umsatzsteuer nach § 17 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes beseitigt. Die Voraussetzungen für eine Aufrechnungslage könnten auch nicht annähernd eingeschätzt werden. Eine Aufrechnung sei im Streitfall auch nicht erfolgt. Schließlich begegne die Ermessensausübung des FA keinen rechtlichen Bedenken.

Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung und Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) sowie wegen unzureichender Sachaufklärung (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Entgegen der Rechtsauffassung des FG stehe das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 19. September 2007 VII R 39/05 (BFH/NV 2008, 18) nicht in Widerspruch zu den bisher von der Rechtsprechung zur Haftungsbegrenzung bei Lohnsteuerschulden entwickelten Grundsätzen. Folglich ergebe sich eine fehlerhafte Rechtsanwendung durch das FG, die das Vertrauen in die Rechtsprechung beschädigen könnte.

Von grundsätzlicher Bedeutung sei die Frage, ob einen Geschäftsführer, der keine tatsächlichen Leitungsbefugnisse habe, ein Haftungsverschulden auch dann treffe, wenn die erforderlichen Geschäftsführertätigkeiten durch sachverständige Sanierungsexperten wahrgenommen würden. Er, der Kläger, sei lediglich "Titular-Geschäftsführer" ohne Leitungsmacht und ohne Kontrolle über die Zahlungsströme gewesen. Eine Verletzung der Überwachungspflicht könne ihm nicht vorgeworfen werden, denn er habe davon ausgehen können, dass die ihm faktisch übergeordneten Experten die Geschäfte ordnungsgemäß führten. Des Weiteren stelle sich im Streitfall die grundsätzlich bedeutsame Frage, ob bei der Ermessensausübung für die Haftungsinanspruchnahme sich aufdrängende Kenntnisse über ein erhebliches Guthaben des sich in der Insolvenz befindlichen Steuerpflichtigen außer Acht gelassen werden könnten. Unstreitig bestehe ein hohes Umsatzsteuerguthaben der KG, so dass von einer Aufrechnungslage auszugehen sei. Hierzu seien vom FG keine Sachverhaltsermittlungen angestellt worden. Schließlich habe das FG unter Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) und der Sachaufklärungspflicht zur Frage der "fehlenden Leitungsmacht" angebotene Beweise nicht erhoben.

Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

1.

Mit seinem Vorbringen, das FG habe die Senatsentscheidung in BFH/NV 2008, 18 unzutreffend dahin gedeutet, dass die bisherige Rechtsprechung teilweise aufgegeben worden sei, rügt der Kläger ausdrücklich eine fehlerhafte Rechtsanwendung. Fehler bei der Auslegung und Anwendung des materiellen Rechts im konkreten Einzelfall rechtfertigen für sich gesehen jedoch nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (vgl. Senatsbeschluss vom 6. Oktober 2003 VII B 130/03, BFH/NV 2004, 215; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 24 und § 116 Rz 34, jeweils m.w.N.). Im Übrigen hat das FG die Senatsrechtsprechung zutreffend auf den Streitfall angewandt.

2.

Die vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfragen sind nicht von grundsätzlicher Bedeutung. Einer Rechtsfrage kommt nur dann grundsätzliche Bedeutung zu, wenn sie klärungsfähig und klärungsbedürftig ist (vgl. BFH-Entscheidungen vom 16. Juli 1999 IX B 81/99, BFHE 189, 401, BStBl II 1999, 760, und vom 21. April 1999 I B 99/98, BFHE 188, 372, BStBl II 2000, 254, m.w.N.). An der zu fordernden Klärungsbedürftigkeit fehlt es jedoch, wenn sich die Beantwortung der Rechtsfrage ohne Weiteres aus dem klaren Wortlaut und Sinngehalt des Gesetzes ergibt oder die Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das FG in seiner Entscheidung getan hat, wenn die Rechtslage also eindeutig ist (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschlüsse vom 18. Dezember 1998 VI B 215/98, BFHE 187, 559, BStBl II 1999, 231, und vom 31. Mai 2000 X B 111/99, BFH/NV 2000, 1461). Darüber hinaus ist eine Rechtsfrage auch dann nicht klärungsbedürftig, wenn sie durch die Rechtsprechung des BFH hinreichend geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar oder vorgetragen sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den BFH geboten erscheinen lassen (BFH-Beschluss vom 4. Mai 1999 IX B 38/99, BFHE 188, 395, BStBl II 1999, 587).

a)

Der Frage, ob ein GmbH-Geschäftsführer ohne tatsächliche Leitungsbefugnisse auch dann nach § 69 AO in Anspruch genommen werden kann, wenn die Geschäftsführungstätigkeiten durch sachverständige Sanierungsexperten wahrgenommen werden, kommt deshalb keine grundsätzliche Bedeutung zu, weil sie vom FG zutreffend beantwortet worden ist.

Wie das FG zutreffend ausgeführt hat, oblag dem Kläger als Mitgeschäftsführer der GmbH nach § 41a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes i.V.m. § 35 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung und § 34 Abs. 1 AO die Pflicht zur fristgerechten Anmeldung und Abführung der Lohnsteuer. Entgegen dieser Verpflichtung wurde die im Haftungszeitraum entstandene und fällige Lohnsteuer nicht an das FA abgeführt. Die Verantwortlichkeit des Klägers ist nicht dadurch entfallen, dass die finanziellen Entscheidungen von einem Sanierungsbeauftragten und einem Generalbevollmächtigten getroffen worden sind und dass er selbst ohne deren Zustimmung keine Zahlungen hätte vornehmen können.

Nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen hat die Rechtsprechung eine Begrenzung der Haftung durch eine interne Verteilung von Aufgabenbereichen und eine dadurch bewirkte Einschränkung des Grundsatzes der Gesamtverantwortung zugelassen. Danach kommt einer internen Aufgabenverteilung eine haftungsbegrenzende Wirkung nur dann zu, wenn die nähere Ausgestaltung der Aufgabenzuweisungen vor Aufnahme der Geschäftsführertätigkeit klar und eindeutig schriftlich festgelegt worden ist (BFH-Entscheidung vom 4. März 1986 VII S 33/85, BFHE 146, 23, BStBl II 1986, 384), wofür im Streitfall keine Anhaltspunkte bestehen. Allerdings können die zur Haftungsbegrenzung entwickelten Grundsätze auf andere Personen als Geschäftsführer, auch wenn diese Personen im Unternehmen oder im Konzern Leitungsfunktionen wahrnehmen, nicht übertragen werden (BFH-Urteil vom 10. Mai 1988 VII R 24/85, BFH/NV 1989, 72). Schließlich lebt die uneingeschränkte Gesamtverantwortung wieder auf, wenn erkennbar wird, dass das Unternehmen in eine finanzielle Krise gerät (Senatsentscheidungen vom 13. März 2003 VII R 46/02, BFHE 202, 22, BStBl II 2003, 556, und vom 21. August 2000 VII B 260/99, BFH/NV 2001, 413).

Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn die vom Geschäftsführer vertretene Gesellschaft in einen Konzern eingebunden ist. Ein Haftungsprivileg für einen im Konzern tätigen Geschäftsführer ist daher nicht anzuerkennen. Mit der Pflichtenstellung des gesetzlichen Vertreters einer GmbH wäre eine uneingeschränkte Freistellung von der Erfüllung steuerlicher Pflichten --einschließlich etwaiger Überwachungspflichten-- aufgrund der zwischen mehreren Unternehmen bestehenden Organisationsstruktur nicht zu vereinbaren (Senatsbeschluss vom 31. Oktober 2005 VII B 57/05, BFH/NV 2006, 246).

Daraus folgt, dass ein GmbH-Geschäftsführer ohne Leitungsbefugnisse selbst dann nach § 69 AO als Haftungsschuldner in Anspruch genommen werden kann, wenn die Geschäftsführung tatsächlich von anderen Personen, wie. z.B. von Sanierungsexperten, wahrgenommen wird. Auf die ordnungsgemäße Aufgabenerledigung durch solche Personen darf ein Geschäftsführer --insbesondere in der finanziellen Krise des Unternehmens-- nicht blind vertrauen. Auch darf er nicht jegliche Überwachung und Kontrolle der ordnungsgemäßen Erfüllung der Steuerentrichtungspflichten unterlassen. Ein Geschäftsführer, der sich in der von ihm vertretenen Gesellschaft oder im Unternehmensverbund nicht durchsetzen kann und sich an jeglicher Einflussnahme und an einer Kontrolle des Zahlungsverkehrs gehindert sieht, darf nicht untätig bleiben, sondern muss zur Vermeidung haftungsrechtlicher Konsequenzen von der Übernahme der Geschäftsführertätigkeit Abstand nehmen oder sein Amt niederlegen (Senatsbeschluss vom 5. März 1985 VII B 69/84, BFH/NV 1987, 422). Etwas anderes gilt nur dann, wenn ihm etwa durch Bestellung eines Insolvenzverwalters die Verfügungsmacht entzogen worden ist.

b)

Der weiteren vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfrage, ob bei der Ermessensausübung im Rahmen einer haftungsrechtlichen Inanspruchnahme eines gesetzlichen Vertreters sich aufdrängende Kenntnisse über ein erhebliches Guthaben des Steuerpflichtigen außer Acht gelassen werden können, kommt bereits deshalb keine grundsätzliche Bedeutung zu, weil die Frage in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht klärungsfähig wäre. Denn die Beantwortung der Frage hängt von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab und lässt sich infolgedessen nicht allgemein für eine Vielzahl von Fällen beantworten. Im Übrigen hat das FG nicht festgestellt, dass sich dem FA die Existenz eines beträchtlichen Steuerguthabens hätte aufdrängen müssen.

3.

Die vom Kläger gerügten Verfahrensmängel liegen nicht vor.

a)

Nach § 76 Abs. 1 FGO hat das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen und dabei die erforderlichen Beweise zu erheben (§ 81 Abs. 1 Satz 1 FGO). Ein ordnungsgemäß gestellter Beweisantrag darf nur unberücksichtigt bleiben, wenn es auf das Beweismittel für die Entscheidung nicht ankommt oder das Gericht die Richtigkeit der durch das Beweismittel zu beweisenden Tatsachen zugunsten des betreffenden Beteiligten unterstellt oder das Beweismittel nicht erreichbar oder völlig ungeeignet ist, den Beweis zu erbringen (BFH-Beschlüsse vom 5. Februar 2004 V B 205/02, BFH/NV 2004, 964, und vom 27. Oktober 2004 XI B 182/02, BFH/NV 2005, 564). Im Streitfall durfte das Gericht von einer Vernehmung der vom Kläger benannten Zeugen absehen, weil es eine Beweiserhebung über den Umfang der dem Sanierungsbeauftragten und dem Generalbevollmächtigten eingeräumten Befugnisse aus seiner Sicht nicht für erforderlich gehalten und dies auch nachvollziehbar begründet hat. Die Rechtmäßigkeit der haftungsrechtlichen Inanspruchnahme des Klägers hat das FG mit dessen formaler Stellung als Geschäftsführer und mit der Verletzung der ihm in dieser Eigenschaft obliegenden Überwachungs- und Mittelbereithaltungspflichten begründet. Auf die Befugnisse anderer für die KG tätigen Personen kam es somit nicht an. Dies begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

b)

Die Rüge mangelnder Sachaufklärung in Bezug auf das Bestehen eines vermeintlichen Umsatzsteuerguthabens der KG genügt nicht den Darlegungserfordernissen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO. Das Vorbringen erschöpft sich in der bloßen Behauptung, dass sich dem FG die Notwendigkeit entsprechender Ermittlungen von Amts wegen hätte aufdrängen müssen. Ein unmittelbarer Zusammenhang mit der Haftungsschuld des Klägers wird auch nicht ansatzweise belegt. Auch lässt die Beschwerde die Ausführungen des FG zur Berücksichtigung eines vermeintlichen Umsatzsteuerguthabens unberücksichtigt.

Ende der Entscheidung

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