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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 22.07.2002
Aktenzeichen: VII B 296/01
Rechtsgebiete: FGO, AO 1977, EWG Nr. 2144/87, EWG Nr. 1031/88


Vorschriften:

FGO § 102
FGO § 105 Abs. 2 Nr. 5
FGO § 105 Abs. 2 Nr. 5
AO 1977 § 44 i.V.m.
AO 1977 § 5
EWG Nr. 2144/87 Art. 2 Abs. 1 Buchst. c
EWG Nr. 2144/87 Art. 3 Buchst. c
EWG Nr. 1031/88 Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Das Transportunternehmen (R), bei dem der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) als Fahrer angestellt war, führte von April bis September 1992 im Auftrag eines anderen Handels- und Transportunternehmens für den Händler B Getreidetransporte im gemeinschaftlichen Versandverfahren (gVV) durch. Der Kläger war bei 16 dieser Transporte als Fahrer tätig, wobei er jedenfalls in einem Fall eine sog. Verpflichtungserklärung unterzeichnete, die Anweisungen für den Beförderer im gVV und (u.a.) den Hinweis enthielt, dass die übernommene Sendung innerhalb vorgeschriebener Frist der Bestimmungsstelle zu gestellen sei. Die von der Firma R übernommenen Getreidetransporte wurden jedoch nicht den in Österreich liegenden Bestimmungsstellen wiedergestellt, sondern auf Weisung des B oder seiner Mitarbeiter unmittelbar an Abnehmer in der Bundesrepublik geliefert und dort abgeladen. Auf diese Weise wurden bei den Getreideeinfuhren Abschöpfung und Einfuhrumsatzsteuer hinterzogen.

Mit dem angefochtenen Steuerbescheid vom 24. November 1998 setzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Hauptzollamt --HZA--) für die 16 vom Kläger durchgeführten Getreidetransporte gegen diesen Abschöpfung und Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von insgesamt ... DM fest. In dem Steuerbescheid teilte es mit, dass B und die übrigen ebenfalls in Anspruch genommenen Gesamtschuldner die Abgaben bisher nicht gezahlt hätten und eine Zahlung auch in Zukunft nicht zu erwarten sei.

Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führte im Einzelnen aus, dass die Zollschuld gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. c und Art. 3 Buchst. c der Verordnung (EWG) Nr. 2144/87 des Rates vom 13. Juli 1987 über die Zollschuld (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- Nr. L 201/15) durch Entziehen der Waren aus der zollamtlichen Überwachung entstanden und der Kläger nach Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1031/88 des Rates vom 18. April 1988 über die zur Erfüllung einer Zollschuld verpflichteten Personen (ABlEG Nr. L 102/5) Zollschuldner geworden sei. Nach den entsprechenden Verweisungsvorschriften seien diese Bestimmungen sinngemäß auf die hier in Rede stehende Einfuhrumsatzsteuer und die Abschöpfung anzuwenden. Die Abgabenforderung sei auch nicht verjährt; gegen die Höhe der Abgaben habe der Kläger keine Einwendungen erhoben.

II. 1. Die auf das Vorliegen eines Verfahrensfehlers (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des FG ist nicht begründet. Der Kläger beanstandet es zu Unrecht als Verstoß gegen § 102 FGO, dass das Urteil keine Ausführungen zu der Frage enthält, ob eine fehlerfreie Ermessensausübung durch das HZA vorgenommen worden sei.

a) Anders als der Kläger meint, ist in dem angeblichen Verstoß des FG gegen die Vorschrift des § 102 FGO kein Verfahrensfehler zu sehen. Denn § 102 FGO enthält keine verfahrensrechtliche Verpflichtung, eine angefochtene Entscheidung auch auf etwaige Ermessensfehler hin zu überprüfen. Vielmehr beschränkt diese Vorschrift die allgemein bestehende Prüfungskompetenz des Gerichts hinsichtlich des angefochtenen Verwaltungsakts bei Ermessensentscheidungen auf die Frage, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens beachtet oder bestehendes Ermessen nicht oder fehlerhaft ausgeübt worden ist (vgl. Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 102 Rz. 2, m.w.N.). Beachtet das FG nicht, dass es sich bei der angefochtenen Entscheidung um eine Ermessensentscheidung handelt und prüft es nicht, ob das Ermessen ausgeübt und gegebenenfalls ob von ihm innerhalb der bestehenden Grenzen Gebrauch gemacht wurde, so handelt es sich dabei daher nicht um einen Verfahrensfehler, sondern um einen materiellen Fehler, der nicht mit der Verfahrensrüge geltend gemacht werden kann.

b) Die Rüge kann aber dahin verstanden werden, dass mit ihr das Fehlen der durch § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO vorgeschriebenen Begründung des Urteils als Verfahrensfehler beanstandet wird (§ 119 Nr. 6 FGO), weil das FG in seinem Urteil nicht auf die Ermessensproblematik eingegangen ist.

Gemäß § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO sind Urteile zu begründen. Die Wiedergabe der Entscheidungsgründe dient der Mitteilung der wesentlichen rechtlichen Erwägungen, die aus der Sicht des Gerichts für die getroffene Entscheidung maßgebend waren. Ein Fehlen von Entscheidungsgründen ist deshalb dann anzunehmen, wenn dem Beteiligten die Möglichkeit entzogen ist, die getroffene Entscheidung auf ihre Richtigkeit und Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen (vgl. Bundesfinanzhof --BFH--, Urteil vom 23. Januar 1985 I R 292/81, BFHE 143, 325, BStBl II 1985, 417). Das ist insbesondere der Fall, wenn nicht erkennbar ist, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde liegt oder wenn nicht ersichtlich ist, auf welche rechtlichen Erwägungen sich die Entscheidung stützt. Nach der Rechtsprechung des BFH fehlen die Entscheidungsgründe nicht nur dann, wenn die Entscheidung überhaupt nicht mit Gründen versehen ist, sondern bereits dann, wenn das FG einen selbständigen prozessualen Anspruch oder ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen hat (vgl. BFH-Urteile vom 20. Februar 1997 VII R 102/96, BFH/NV 1997, 677, und vom 26. Juli 1994 VII R 81/93, BFH/NV 1995, 479, m.w.N.). Unter selbständigen Ansprüchen und Verteidigungsmitteln sind nur die eigenständigen Klagegründe und solche Angriffs- und Verteidigungsmittel zu verstehen, die den vollständigen Tatbestand einer mit selbständiger Wirkung ausgestalteten Rechtsnorm bilden (BFH-Beschluss vom 9. Februar 1977 I R 136/76, BFHE 121, 298, BStBl II 1977, 351).

Solche hat der Senat auch in einem Fall als gegeben angesehen, in dem das angefochtene Urteil nicht darauf eingegangen ist, ob das HZA von dem ihm zustehenden Ermessen bei der Inanspruchnahme mehrerer Gesamtschuldner (Hauptverpflichteter und Warenführer im gVV) in zutreffender Weise Gebrauch gemacht hat, obwohl dies im Vorverfahren streitig war (Urteil vom 12. Juni 2001 VII R 67/00, BFH/NV 2002, 80).

Im Streitfall bestand allerdings für das FG kein Anlass, sich in seinem Urteil dazu zu äußern, ob das HZA von seinem Ermessen zutreffend Gebrauch gemacht hat. Denn schon im Steuerbescheid hat das HZA darauf hingewiesen, dass von den anderen Gesamtschuldnern bisher keine Zahlung geleistet worden und eine solche von ihnen auch in Zukunft nicht zu erwarten sei. Ohne dass dies ausdrücklich hätte ausgeführt werden müssen, ergab sich daraus, dass es i.S. von § 44 i.V.m. § 5 der Abgabenordnung (AO 1977) ermessensgerecht war, nunmehr auch den Kläger in Anspruch zu nehmen. Denn, da es Aufgabe des HZA ist, die entstandenen Abgaben zu erheben, blieb ihm nur die Inanspruchnahme auch des Klägers, nachdem von den übrigen Gesamtschuldnern keine Zahlung erlangt werden konnte.

Aus der vom Kläger in seiner Beschwerde in Bezug genommenen Klagebegründung vom ... war für das FG nicht zu entnehmen, dass er diese Art der Ermessensausübung beanstanden wollte. Denn die Klagebegründung setzt sich nur mit der Frage auseinander, ob seiner Inanspruchnahme die Verjährung des Anspruchs entgegensteht. Darauf, ob das HZA sein Ermessen überhaupt und wenn ja zutreffend ausgeübt hat, geht die Klagebegründung aber nicht ein. Das FG musste daher nicht davon ausgehen, dass diese Frage vom Kläger streitig gestellt war. Unter diesen Umständen ist es kein als Verfahrensfehler zu wertender Begründungsmangel, dass das FG diese Frage in der Urteilsbegründung nicht behandelt hat.



Ende der Entscheidung

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