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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 16.11.2005
Aktenzeichen: VII B 299/04
Rechtsgebiete: FGO


Vorschriften:

FGO § 116 Abs. 3 Satz 3
FGO § 118 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Rechtsvorgängerin der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) meldete am ... November 1994 beim Beklagten und Beschwerdegegner (Hauptzollamt --HZA--) zwei Sendungen mit Milchpulver zum Versandverfahren mit Carnet TIR an. Bestimmungszollstelle war eine Zollstelle in den Niederlanden. Die Versandverfahren wurden nicht ordnungsgemäß erledigt. Ermittlungen des HZA ergaben, dass dem bürgenden Verband als Nachweis für die Erledigung der TIR-Verfahren Stammabschnitte der Carnets vorgelegt worden waren, die mit (vermeintlichen) Stempelabdrucken eines niederländischen Zollamts versehen waren. Diese Stempelabdrucke erwiesen sich später als gefälscht.

Ohne die Rechtsvorgängerin der Klägerin zuvor über die Nichterledigung der Carnets TIR informiert zu haben, setzte das HZA mit Steuerbescheiden vom ... Januar 1997 Einfuhrabgaben gegen sie fest. Dagegen erhob die Klägerin bzw. ihre Rechtsvorgängerin Einspruch, mit dem sie einerseits eine falsche Gesamtschuldnerauswahl rügte, vorwiegend aber geltend machte, dass dem HZA die Erhebungskompetenz für die Einfuhrabgaben fehle, weil die Zuwiderhandlungen in den Niederlanden begangen worden seien. Nachdem die niederländische Zollverwaltung mitgeteilt hatte, dass dort eine Beitreibung der Abgaben nicht erfolge, wies das HZA die Einsprüche als unbegründet zurück.

Die nachfolgend erhobene Klage blieb ohne Erfolg. Zur Begründung führte das Finanzgericht (FG) unter anderem aus, dass das HZA nach Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 1 a.F. der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 (Zollkodex-Durchführungsverordnung --ZKDVO--) der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- Nr. L 253/1) für die Erhebung der entstandenen Einfuhrabgaben zuständig gewesen sei. Die Zuwiderhandlungen seien in Deutschland festgestellt worden, ohne dass --jedenfalls zunächst-- der Ort der Zuwiderhandlungen mit Sicherheit habe ermittelt werden können. Selbst wenn die Klägerin den Nachweis des Ortes der Zuwiderhandlungen innerhalb der in Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 1 letzter Halbsatz ZKDVO genannten Frist erbracht und das HZA dies zu Unrecht nicht erkannt hätte, führe dies nicht zur Aufhebung der angefochtenen Steuerbescheide, sondern lediglich dazu, dass der in Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 3 und 4 ZKDVO geregelte Ausgleichsmechanismus anzuwenden sei. Da die Klägerin nicht geltend gemacht und nicht belegt habe, dass sie durch die Anwendung des Ausgleichsmechanismus einen Vorteil erwarte, brauche nicht geprüft zu werden, ob sich im Vergleich der in Deutschland und in den Niederlanden zu erhebenden nationalen Abgaben ein Mehrbetrag ergebe, um den der angeforderte Betrag zu ermäßigen wäre bzw. der der Klägerin zu erstatten wäre, wenn die Abgaben bereits gezahlt worden sein sollten. Ein Ermessensfehler bei der Auswahl unter den in Betracht kommenden Zollschuldnern liege nicht vor, weil dem HZA zur Zeit des Erlasses der Steuerbescheide bzw. der Einspruchsentscheidung keine weiteren Gesamtschuldner bekannt gewesen seien.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde, die sie auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--), der Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative FGO) sowie der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO) stützt. Sie hält es u.a. für klärungsbedürftig, ob der Inhaber eines Carnet TIR auch dann verpflichtet sei, innerhalb der Frist des Art. 455 Abs. 1 ZKDVO den Nachweis des Zuwiderhandlungsortes gegenüber der Zollbehörde des Mitgliedstaates zu führen, der das Carnet angenommen hat, wenn Behörden eines anderen Mitgliedstaates bereits festgestellt haben, dass der Ort der Zuwiderhandlung in ihrem Mitgliedstaat liegt. Zweifelhaft sei ferner, ob der Mitgliedstaat, der das Carnet angenommen hat, in diesem Fall die Einfuhrabgaben erheben dürfe.

Das HZA ist der Beschwerde entgegengetreten.

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg, weil die von der Beschwerde geltend gemachten Zulassungsgründe --ungeachtet der Mängel bei der gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO geforderten Darlegung der Zulassungsvoraussetzungen-- jedenfalls nicht vorliegen.

Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH). Die für die Entscheidung des Rechtsstreits maßgeblichen Rechtsfragen sind durch die Rechtsprechung des Gerichtshofes des Europäischen Gemeinschaften (EuGH) und des erkennenden Senats bereits geklärt; das finanzgerichtliche Urteil erweist sich danach als zutreffend. Die übrigen von der Nichtzulassungsbeschwerde aufgeworfenen Rechtsfragen sind in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht klärungsfähig, weil sie auf die Entscheidung des Rechtsstreits keinen Einfluss haben. Dass das finanzgerichtliche Urteil von Entscheidungen anderer Gerichte in entscheidungserheblichen Punkten abweicht, hat die Klägerin nicht einmal ansatzweise dargelegt.

1. Es kann, anders als die Klägerin meint, dahinstehen, ob Deutschland und damit das HZA unter den Umständen des Streitfalls nach Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 2 ZKDVO für die Erhebung der Einfuhrabgaben zuständig war, oder ob die Erhebungskompetenz bei den Niederlanden als dem Mitgliedstaat lag, in dem --jedenfalls nach dem Vortrag der Klägerin-- die Zuwiderhandlungen tatsächlich begangen worden sein sollen. Ob das Schreiben des Zollkriminalamts vom ... Februar 1996, aus dem hervorgeht, dass die Waren aus den hier betroffenen Versandverfahren in den Niederlanden abgeladen worden sein sollen, einen glaubhaften Nachweis für den Ort der Zuwiderhandlungen darstellt, musste das FG daher nicht entscheiden. Die Aufhebung der Steuerbescheide, die wegen einer Zuwiderhandlung in einem Versandverfahren mit Carnet TIR von dem Mitgliedstaat erlassen wurden, in dem die Zuwiderhandlung festgestellt wurde, kann nämlich nicht allein mit der Begründung gefordert werden, dass tatsächlich ein anderer Mitgliedstaat für die Abgabenerhebung zuständig sei. Zwar mögen in diesem Fall die erlassenen Abgabenbescheide rechtswidrig sein, doch statt einer Aufhebung der Abgabenbescheide des einen Mitgliedstaates und der Neufestsetzung der Abgaben in dem anderen Mitgliedstaat greift hier der in Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 3 und 4 ZKDVO geregelte Ausgleichsmechanismus ein (vgl. Senatsurteile vom 18. Juli 2000 VII R 108/97, BFH/NV 2000, 1514; vom 5. Oktober 2000 VII R 107/97, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2001, 322).

Dieser Ausgleichsmechanismus enthält ausdrückliche Regelungen über die Erstattung zuviel erhobener oder die Nacherhebung zu niedrig erhobener Abgaben. Dadurch ist sichergestellt, dass es im Ergebnis zu einer zutreffenden materiellen Belastung des jeweiligen Abgabenschuldners kommt. Gerade das Bestehen dieses Ausgleichsmechanismus ist Beleg dafür, dass es nach dem Willen des Gemeinschaftsgesetzgebers in Fällen wie dem vorliegenden grundsätzlich nicht zu einer Aufhebung der von einem unzuständigen Mitgliedstaat erlassenen Steuerfestsetzung und zur Neufestsetzung der Abgaben in dem in Wahrheit zuständigen Mitgliedstaat kommen soll. Entsprechendes folgt aus dem Urteil des EuGH vom 23. März 2000 Rs. C-310/98 und C-406/98 --Met-Trans und Sagpol-- (EuGHE 2000, I-1797). Darin hat der EuGH entschieden, dass der in Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 3 und 4 ZKDVO vorgesehene Ausgleichsmechanismus auch in einem Fall anzuwenden ist, in dem die Abgaben von dem Mitgliedstaat erhoben wurden, in dem die Zuwiderhandlung festgestellt wurde, obwohl glaubhaft nachgewiesen wurde, dass der tatsächliche Ort der Zuwiderhandlung in einem anderen Mitgliedstaat lag. Der Entscheidung des EuGH lag ein Sachverhalt zugrunde, in dem der die Abgaben erhebende Mitgliedstaat die ihm vorgelegten Nachweise über den Ort der Zuwiderhandlung zunächst zu Unrecht nicht als ausreichend angesehen hatte.

Ganz ähnlich liegt der Fall hier. Anders als die Klägerin meint, entspricht die Reihenfolge der Ereignisse im Streitfall durchaus der von der Vorabentscheidung des EuGH erfassten Fallkonstellation: Nach den Feststellungen des FG, an die der Senat nach § 118 Abs. 2 FGO in einem künftigen Revisionsverfahren gebunden wäre, hat das HZA bereits im Jahr 1995, und zwar bevor die von der Klägerin behauptete Besprechung mit den niederländischen Zollbehörden stattfand, die Nichterledigung der Carnets TIR festgestellt und Nachforschungen eingeleitet. Dabei --und auch später beim Erlass der Abgabenbescheide und der Einspruchsentscheidung-- sah das HZA den Ort der Zuwiderhandlungen als nicht festgestellt an, ohne dass ihm dabei sachfremde Erwägungen vorgehalten werden könnten. Darauf, dass die Klägerin aufgrund ihrer Teilnahme an der Besprechung mit den niederländischen Behörden möglicherweise davon ausging, dass der Ort der Zuwiderhandlungen in den Niederlanden liege und dass deshalb die Besteuerungsverfahren dort durchgeführt werden würden, kommt es nicht an. Maßgeblich ist nämlich nicht --das folgt aus dem EuGH-Urteil in EuGHE 2000, I-1797 Rn. 39--, dass der Ort der Zuwiderhandlung objektiv feststeht oder zumindest objektiv feststellbar gewesen wäre, sondern es kommt auf die subjektive (und damit möglicherweise fehlerbehaftete) Sichtweise derjenigen Behörde an, die die angefochtenen Abgabenbescheide erlässt und dabei in gutem Glauben von ihrer Erhebungszuständigkeit ausgeht. Welche Kenntnisse und Informationen der Inhaber des Carnet TIR oder andere Behörden hatten, ist --wie bereits ausgeführt-- ohne Belang.

2. Für die Entscheidung des Rechtsstreits kommt es ferner nicht darauf an, ob das HZA die Klägerin innerhalb der nach Art. 455 Abs. 1 ZKDVO vorgesehenen Frist über die Zuwiderhandlungen in ihrem Versandverfahren informiert und ihr nach Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 1 ZKDVO die Möglichkeit zum Nachweis des Ortes der Zuwiderhandlung gegeben hat. Selbst wenn das HZA gegen die genannten Bestimmungen verstoßen hat, führt dies nicht dazu, dass die Klägerin als Abgabenschuldnerin nicht mehr in Anspruch genommen werden kann, weil es sich bei diesen Vorschriften um bloße Ordnungsvorschriften handelt, deren Verletzung die Inanspruchnahme des Inhabers eines Carnet TIR nicht hindert (Senatsbeschluss vom 25. November 1997 VII B 176/97, BFH/NV 1998, 755, betreffend Art. 455 Abs. 1 ZKDVO; Senatsurteile in BFH/NV 2000, 1514, und in HFR 2001, 322, betreffend Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 1 ZKDVO).

Folglich ist es auch unerheblich, ob es nach Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 1 ZKDVO Obliegenheit der Klägerin war, innerhalb der Frist des Art. 455 Abs. 1 ZKDVO gegenüber dem HZA den Nachweis des Zuwiderhandlungsortes zu führen. Schließlich kommt es auch nicht darauf an, wann die in Art. 455 Abs. 1 ZKDVO genannte Frist begann und wie lange sie lief. Hätte die Klägerin den in diesen Bestimmungen geforderten Nachweis fristgerecht zur Überzeugung des HZA geführt, hätte dies zwar möglicherweise zu einer Verlagerung des Besteuerungsverfahrens in die Niederlande geführt. Abgesehen davon, dass dies nun einmal nicht geschehen ist, stände die Klägerin dadurch materiell nicht besser. Jedenfalls hat sie dies nicht dargelegt.

3. Die von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfragen stellen sich auch nicht mittelbar im Rahmen einer Prüfung, ob ihr nach der Anwendung des Ausgleichsmechanismus ein ggf. erhobener Mehrbetrag zu erstatten bzw. zu erlassen ist, denn diese Prüfung ist aus den vom FG angegebenen Gründen nicht veranlasst (vgl. hierzu auch Senatsurteile in BFH/NV 2000, 1514, und in HFR 2001, 322).

Ende der Entscheidung

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