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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 16.09.2004
Aktenzeichen: VII B 332/03
Rechtsgebiete: AO 1977, ZPO, FGO


Vorschriften:

AO 1977 § 88 ff.
AO 1977 § 93
AO 1977 § 249
AO 1977 § 249 Abs. 2
AO 1977 § 284 Abs. 2 Nr. 1
AO 1977 § 284 Abs. 2 Nr. 2
ZPO § 44 Abs. 4
ZPO § 900
ZPO § 903
FGO § 116 Abs. 3 Satz 1
FGO § 116 Abs. 3 Satz 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) war u.a. bei der Firma S als selbständige Handelsvertreterin tätig. Aus dieser Tätigkeit resultierten erhebliche Steuerrückstände. Nachdem mehrere Vollstreckungsversuche erfolglos geblieben waren und der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) von der Auszahlung einer Abfindung durch die Firma S und der Aufnahme einer weiteren Beschäftigung durch die Klägerin erfahren hatte, wurde die Klägerin vom FA zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung und zur Vorlage eines Vermögensverzeichnisses aufgefordert. Die Klägerin kam dieser Aufforderung nach und erklärte ferner, eine von der Firma S erhaltene Abfindung in Höhe von ... DM "zur Begleichung von Schulden u.a. bei der X-Bank verwendet" zu haben - Genaueres könne sie nicht sagen. Zwei Tage später richtete das FA eine Aufforderung an die Klägerin, Kontoauszüge der X-Bank sowie unter genauer Angabe des Namens und der Anschrift des jeweiligen Gläubigers und der Höhe des Betrages eine Aufstellung der Zahlungen einzureichen, die von dem Abfindungsbetrag geleistet wurden. Da die Klägerin dieser Aufforderung nicht nachkam, drohte das FA ein Zwangsgeld für den Fall an, dass die Klägerin nicht innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung über den Verbleib eines Betrages in Höhe von ... DM Auskunft geben werde.

Einspruch und Klage gegen die Androhung des Zwangsgeldes blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte, dass das FA an der Erteilung der verlangten Auskünfte ein berechtigtes Interesse habe. Es sei angesichts der hartnäckigen Verweigerung der Erklärungsabgabe auch nicht ersichtlich, dass das Zwangsgeld in der konkret verfügten Höhe unangemessen wäre. Hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Aufforderung zur Vorlage von Unterlagen und Erteilung von Auskünften verwies das FG auf das Urteil vom gleichen Tage, in dem es ausführte, dass das FA auch nach der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nicht daran gehindert sei, weitere Ermittlungen nach §§ 88 ff., 249 der Abgabenordnung (AO 1977) anzustellen, sofern die eidesstattliche Versicherung unvollständig und ungenau sei. In diesem Fall müsse dem FA die Möglichkeit verbleiben, sich Klarheit darüber zu verschaffen, ob die Voraussetzungen des § 284 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 AO 1977 möglicherweise gegeben seien. Im Streitfall erscheine es nicht ausgeschlossen, dass die Klägerin z.B. einen Großteil des Geldes ihrem Sohn geschenkt oder in Gläubigerbenachteiligungsabsicht ihrem früheren Lebensgefährten übereignet habe. Anhaltspunkte für lediglich vermutete, abseits des Besteuerungsverfahrens liegende Erwägungen des FA seien weder ersichtlich noch substantiiert vorgetragen.

Gegen die Nichtzulassung der Revision durch das FG richtet sich die Beschwerde der Klägerin, mit der hinsichtlich der Grundverfügung die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) sowie Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) geltend gemacht werden. Von grundsätzlicher Bedeutung sei die Rechtsfrage, ob die Finanzbehörde nach der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung daran gehindert sei, weitere Ermittlungen nach den §§ 88 ff. und 249 AO 1977 anzustellen, obwohl insoweit die Vermutung der Richtigkeit der strafbewehrten Versicherung entgegenstehe (§ 156 des Strafgesetzbuchs --StGB--). Weder §§ 88 ff. AO 1977 noch § 249 Abs. 2 AO 1977 bildeten eine tragfähige Anspruchsgrundlage für ein entsprechendes Auskunftsbegehren nach Abgabe der eidesstattlichen Versicherung. Von grundsätzlicher Bedeutung sei ferner die Frage, ob nach vollständiger Erstellung des Vermögensverzeichnisses eine allgemein ausforschende Frage (Befragung auf Verdacht) über die entgeltliche oder unentgeltliche Verfügung über frühere Vermögensgegenstände zulässig sei. Darüber hinaus liege ein Verfahrensmangel darin, dass das FG seine Entscheidung auf die Anwendung der §§ 88 ff. und 249 AO 1977 gestützt habe, obwohl das FA allenfalls im Rahmen der §§ 900, 903 der Zivilprozessordnung (ZPO) eine Ergänzung der eidesstattlichen Versicherung habe verlangen können. Dabei habe das FG übersehen, dass die Klägerin --ausweislich der Anlage zum Protokoll über die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung-- die Frage verneint habe, ob sie innerhalb des letzten Jahres vor dem zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung anberaumten Termin Gegenstände veräußert oder unentgeltlich abgegeben habe.

Schließlich liege ein schwerwiegender Verfahrensmangel in der nicht ordnungsgemäßen Besetzung des Gerichts. Die Klägerin habe Anlass, an der Unvoreingenommenheit der an der Verhandlung beteiligten Richter zu zweifeln. Der vorsitzende Richter habe die Klägerin und ihren Prozessbevollmächtigen --den Sohn der Klägerin-- mit einer Schimpfrede belegt und die ausführliche Darstellung des Sachverhalts damit begründet, dass verdeutlicht werden solle, mit welcher Hartnäckigkeit die Klägerin in der Vergangenheit versucht habe, Vollstreckungsversuchen seitens des FA zu begegnen. Sodann habe er den Vorhalt gemacht, dass das FA auf die begehrte Auskunft schon deswegen angewiesen sei, weil er es für möglich halte, dass die Klägerin einen Großteil des Geldes ihrem Sohn zur Einrichtung einer Anwaltskanzlei gegeben habe. In dieser Äußerung, die auch in der schriftlichen Urteilsbegründung wiederholt worden sei, liege die Behauptung, der Prozessbevollmächtigte beflecke mit einer derartigen Vorgehensweise den Berufsstand des Rechtsanwalts als unabhängiges Rechtspflegeorgan. Demgegenüber ergebe sich aus den Erklärungen der Klägerin, dass diese zugunsten ihres Sohnes nicht unentgeltlich über Vermögensgegenstände verfügt habe. Da die die Besorgnis der Befangenheit begründenden Tatsachen erst anlässlich der Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe bekannt wurden, habe die Klägerin ihr Ablehnungsrecht auch nicht i.S. von § 44 Abs. 4 ZPO verloren.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Denn den aufgeworfenen Rechtsfragen kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu; auch die von der Klägerin behaupteten Verfahrensmängel können nicht zur Zulassung der Revision führen.

1. Für die nach § 116 Abs. 3 Satz 1 und 3 FGO zu fordernde Darlegung der Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) und der Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) muss der Beschwerdeführer konkret auf eine Rechtsfrage und ihre Bedeutung für die Allgemeinheit eingehen. Er muss zunächst eine bestimmte für die Entscheidung des Streitfalles erhebliche abstrakte Rechtsfrage herausstellen, der grundsätzliche Bedeutung zukommen soll. Erforderlich ist darüber hinaus ein konkreter und substantiierter Vortrag, aus dem ersichtlich wird, warum im Einzelnen die Klärung der aufgeworfenen Rechtsfrage durch die angestrebte Revisionsentscheidung aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt. Dabei muss es sich um eine für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Frage handeln, die klärungsbedürftig und im konkreten Streitfall auch klärungsfähig ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom 27. Oktober 2003 VII B 196/03, BFH/NV 2004, 232, und vom 2. Dezember 2002 VII B 203/02, BFH/NV 2003, 527, m.w.N.)

a) Die Rechtsfrage, ob auch nach der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung Auskunftsersuchen an den Vollstreckungsschuldner gerichtet werden können, ist deshalb nicht klärungsfähig, weil sie nicht allgemeingültig, sondern nur auf den Einzelfall bezogen entschieden werden kann. Grundsätzlich bleibt der Vollstreckungsschuldner auch nach Abgabe der eidesstattlichen Versicherung zur Auskunftserteilung nach § 249 Abs. 2 i.V.m. § 93 AO 1977 verpflichtet (vgl. Neumann in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 249 AO 1977 Rdnr. 34; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 249 AO 1977 Rdnr. 27, sowie Beermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 249 AO 1977 Rdnr. 61). Die Ermittlungsbefugnis des FA wird durch die Erklärungen des Vollstreckungsschuldners nicht beseitigt. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Angaben wie im Streitfall unvollständig oder ungenau sind. Denn die Vermutung der Richtigkeit der strafbewehrten eidesstattlichen Versicherung kann nur dann greifen, wenn die Angaben vollständig und frei von Widersprüchen sind. Ob eine Auskunftspflicht des Vollstreckungsschuldners nach § 93 AO 1977 besteht, die gegebenenfalls mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden kann, richtet sich allerdings nach den besonderen Umständen des jeweiligen Einzelfalls, insbesondere nach den vom Drittschuldner im Rahmen der Erstellung des Vermögensverzeichnisses bzw. der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung gemachten Angaben, die einer entsprechenden Würdigung durch die Finanzbehörden unterliegen.

b) Auch hinsichtlich der von der Klägerin aufgeworfenen Frage nach der Zulässigkeit von allgemein ausforschenden Fragen nach vollständiger Erstellung eines Vermögensverzeichnisses ist eine Klärungsfähigkeit nicht gegeben. Im Streitfall stellt sich die Frage nicht, ob ein Gläubiger dem Vollstreckungsschuldner allgemein vorformulierte und vom Einzelfall losgelöste Fragen unterbreiten kann, die zu einer vollständigen Offenlegung der gesamten Lebensumstände führen sollen. Denn nach den Feststellungen des FG entbehren die Angaben der Klägerin über den Verbleib der von der Firma S gezahlten Abfindung --insbesondere hinsichtlich evtl. anfechtbarer Vermögensverschiebungen (§ 284 Abs. 2 AO 1977)-- der Vollständigkeit. Hierzu hat die Klägerin selbst erklärt, neben der Benennung eines Gläubigers nichts Genaueres sagen zu können. Bei dieser Ausgangslage kann das Verlangen des FA nach Vorlage entsprechender Kontoauszüge nicht als eine Ausforschung "ins Blaue hinein" in Bezug auf dem FA noch nicht bekannte Vermögensgegenstände angesehen werden. Vielmehr beruht das Auskunftsbegehren auf dem Zugeständnis der Klägerin, eine Abfindungszahlung erhalten zu haben, deren Verbleib das FA zu klären sucht. Im Übrigen lässt sich die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage nach der Zulässigkeit von --evtl. ausforschenden und deshalb unzulässigen-- Fragen nach einer Veräußerung oder unentgeltlichen Abgabe von Vermögensgegenständen nicht allgemeingültig beantworten. Ob eine solche Frage als ausforschend angesehen werden kann, hängt von ihrer Formulierung im Einzelfall und von den konkreten Umständen des jeweiligen Falles, wie z.B. von den Angaben des Vollstreckungsschuldners im Vermögensverzeichnis, ab.

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass ein Schutz vor nochmaliger eidesstattlicher Versicherung wegen unvollständigen oder ungenauen Angaben nicht anzuerkennen ist (vgl. Geist in Beermann, a.a.O., § 284 AO 1977 Rdnr. 14, und Müller-Eiselt in Hübschman/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 284 AO 1977 Rdnr. 53). Dies muss auch für ein auf § 93 AO 1977 gestütztes Auskunftsersuchen gelten, das gegenüber der nochmaligen Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung als weniger belastende Maßnahme anzusehen ist (zur Anwendung der §§ 88 ff. AO 1977 im Vollstreckungsverfahren vgl. Beermann, a.a.O., § 249 AO 1977 Rdnr. 59).

2. Die von der Klägerin gerügten Verfahrensmängel liegen entweder nicht vor oder sind nicht schlüssig bezeichnet worden (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).

a) Soweit die Klägerin beanstandet, das FG habe das Auskunftsbegehren des FA auf eine unzutreffende Rechtsgrundlage gestützt, rügt sie damit nicht die Verletzung einer für das finanzgerichtliche Verfahren bedeutsamen Rechtsvorschrift, sondern greift damit die materiell-rechtliche Würdigung des Streitfalls durch das FG an. Fehler bei der Auslegung und Anwendung des materiellen Rechts im konkreten Einzelfall rechtfertigen für sich gesehen jedoch nicht die Zulassung der Revision (vgl. Senatsbeschluss vom 6. Oktober 2003 VII B 130/03, BFH/NV 2004, 215; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 115 Rdnr. 24 und § 116 Rdnr. 34, jeweils m.w.N.).

b) Soweit die Klägerin mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend macht, die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz sei durch einen als befangen abzulehnenden Richter getroffen worden, kann sie damit in diesem Verfahren nicht mehr gehört werden. Denn die Besorgnis der Befangenheit kann nur bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung innerhalb des dafür vorgesehenen Zwischenverfahrens (vgl. § 51 FGO i.V.m. § 42 ZPO) geltend gemacht werden (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 1. Oktober 1990 X B 119/90, BFH/NV 1991, 331, und vom 10. Juni 1998 IV B 114/97, BFH/NV 1999, 57, m.w.N.). Ausweislich der Akten des FG und des Sitzungsprotokolls hat die Klägerin ein entsprechendes Ablehnungsgesuch erst nach Verkündung und Zustellung des erstinstanzlichen Urteils gestellt. In seinem Schreiben vom ... an die Klägerin hat das FG bereits zutreffend auf die Unzulässigkeit des Ablehnungsgesuchs hingewiesen. Auch der BFH ist an einer Prüfung, ob ein Richter befangen ist, gehindert, wenn der Beteiligte das Ablehnungsgesuch nicht in zulässiger Weise in der Vorinstanz gestellt hat.

Ende der Entscheidung

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