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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 26.07.2001
Aktenzeichen: VII B 349/00
Rechtsgebiete: FGO


Vorschriften:

FGO § 56
FGO § 56 Abs. 2
FGO § 96 Abs. 1 Satz 1
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3
FGO § 56 Abs. 2 Satz 1
FGO § 115 Abs. 3 Satz 3 a.F.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hat die Steuerberaterprüfung nicht bestanden. Gegen den Prüfungsbescheid des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzministerium) hat er nach Ablauf der Klagefrist Klage erhoben und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Er hat dazu vorgetragen, er sei in der Zeit nach der mündlichen Prüfung psychisch sehr angegriffen und depressiv gewesen. Erst am Tage nach Ablauf der Klagefrist sei es ihm unter Aufbringung aller Kräfte gelungen, Klage zu erheben; eine Begründung des Wiedereinsetzungsantrages sei ihm aufgrund seiner gesundheitlichen Blockaden jedoch nicht möglich gewesen. Hierzu hat der Kläger Atteste des psychologischen Psychotherapeuten B und der Fachärztin für Innere Medizin, Psychotherapie Dr. X vorgelegt. B erklärt darin, der Kläger sei "in den Wochen" nach der Prüfung nicht in der Lage gewesen, sich mit den Ereignissen der mündlichen Prüfung auseinander zu setzen und die für eine Überprüfung der Entscheidung der Prüfungskommission erforderlichen Maßnahmen einzuleiten. In dem Attest der Ärztin heißt es, durch die Prüfungssituation sei es zu einer akuten psychischen Dekompensation gekommen; hierdurch bedingt habe der Kläger erst verspätet seine Klage am 11. April 2000 einreichen können. Es sei zu einer gesundheitlich bedingten Verzögerung von einem Tag gekommen. Ferner hat der Kläger eine Bescheinigung vorgelegt, in der dieses Attest "amtsärztlich bestätigt" wird.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage als unzulässig abgewiesen und zu dem Wiedereinsetzungsantrag im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger sei nicht ohne Verschulden an der rechtzeitigen Klageerhebung gehindert gewesen. Bis zu seinem Urlaubsantritt am ... habe ihm hinreichend Zeit zur Verfügung gestanden. Dass der Klageerhebung in dieser Zeit eine psychische Erkrankung entgegenstand, sei nicht glaubhaft gemacht. Es werde eindeutig dadurch widerlegt, dass der Kläger in diesem Zeitraum im ... berufstätig und am ... zu einer umfangreichen, detaillierten und sinnvollen Darstellung seines Anliegens in der Lage gewesen sei.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil richtet sich die Beschwerde des Klägers, mit der Verfahrensmängel gerügt werden. Das FG habe Sachentscheidungsvoraussetzungen fehlerhaft beurteilt. Der Kläger habe durch die Vorlage von Attesten die Gründe hinreichend dargelegt, die ihn an der rechtzeitigen Klageerhebung gehindert haben. Das FG habe die dabei aufgezeigten Gesichtspunkte nicht einfach beseite wischen dürfen. Die Atteste entsprächen üblicherweise anerkannten ärztlichen Bescheinigungen und könnten unter dem Gesichtspunkt des Persönlichkeitsschutzes nicht alle Details enthalten. Das FG habe den Sachverhalt mangelhaft aufgeklärt; es habe um eine Ergänzung der Atteste ersuchen oder eine weitere medizinische Untersuchung verlangen müssen. Es sei nicht nachvollziehbar, warum es dem amtsärztlichen Attest keinen Beweiswert beigemessen und die übrigen Atteste mangels Objektivität nicht anerkannt habe. Es habe sich damit fachmedizinische Kenntnisse beigemessen, die es nicht haben könne. Das FG habe ferner den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt, weil es ihn auf angebliche Widersprüche zwischen seinen Angaben nicht hingewiesen habe, und es habe gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) verstoßen, weil es sich in seinem Urteil nicht mit der Einlassung des Klägers auseinander gesetzt habe, es sei kein Indiz für das Nichtvorliegen einer psychischen Erkrankung, dass der Kläger bereits am Tag nach der mündlichen Prüfung seiner Berufstätigkeit nachgegangen sei. Ferner habe das FG eine Überraschungsentscheidung getroffen, indem es die Richtigkeit der vorgelegten Atteste in Zweifel gezogen habe.

Schließlich rügt die Beschwerde "den gedanklichen Ansatz" des FG. Da der Kläger die laufende Klagefrist bis zum letzten Tage habe ausschöpfen dürfen, komme es alleine auf die Umstände an, die ihn veranlassten, einen Tag zu spät Klage zu erheben.

II. Die gemäß Art. 4 des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze vom 19. Dezember 2000 (BGBl I 2000, 1757) noch nach den Vorschriften der FGO in der bis zum In-Kraft-Treten jenes Gesetzes geltenden Fassung (FGO a.F.) zu beurteilende Beschwerde ist, selbst wenn zugunsten des Klägers von ihrer Zulässigkeit, nämlich einer ausreichenden Begründung i.S. des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO a.F. ausgegangen wird, jedenfalls deshalb in der Sache erfolglos, weil das Urteil des FG nicht verfahrensfehlerhaft zustande gekommen ist.

1. Sofern die Beschwerde rügen will, die angeblich zu Unrecht erfolgte Versagung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der versäumten Klagefrist stelle einen Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO dar, auf dem das Urteil des FG beruhen könne, kann der beschließende Senat offen lassen, ob die Versagung von Wiedereinsetzung in die Klagefrist einen Verfahrensmangel darstellen würde (wie es der Senat etwa in seinem Beschluss vom 29. Juli 1997 VII B 127/97, BFH/NV 1998, 64 für möglich gehalten hat) oder ob das FG nicht allenfalls gegen materielles Recht verstoßen hätte, wenn es in fehlerhafter Anwendung prozessualer Vorschriften --hier des § 56 FGO--, jedoch aufgrund einer verfahrensmäßig ordnungsgemäß ermittelten Grundlage seiner Urteilsfällung eine unrichtige Entscheidung getroffen hätte (sog. error in iudicando, vgl. u.a. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 27. Februar 1986 IV B 6/85, BFHE 146, 204, BStBl II 1986, 492). Selbst wenn nämlich zugunsten des Klägers angenommen wird, dass die fehlerhafte Versagung von Wiedereinsetzung gegen eine versäumte Klagefrist mit der Beschwerde nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO gerügt werden kann, könnte die Rüge im Streitfall nicht zum Erfolg der Beschwerde führen. Denn das FG hat Wiedereinsetzung zu Recht versagt.

Dem Kläger musste Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist schon deshalb versagt werden, weil er seine jetzt vorgebrachten Wiedereinsetzungsgründe nicht, wie es § 56 Abs. 2 FGO verlangt, binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses, d.h. der angeblichen Wiederherstellung seiner Handlungsfähigkeit am ... geltend gemacht hat. In seiner an diesem Tage beim FG eingegangenen Klageschrift hat er zwar Wiedereinsetzung beantragt, aber nicht wegen seiner angeblichen Krankheit, sondern sinngemäß deshalb, weil er im Irrtum über den Lauf der Klagefrist und durch Urlaub gehindert gewesen sei, aufgrund des diesbezüglichen Hinweises des Ministeriums rechtzeitig Klage zu erheben. Dieses Vorbringen rechtfertigt indes, wie der Kläger inzwischen offenbar selbst erkannt hat, sein Wiedereinsetzungsgesuch nicht. Die Beschwerde stützt dieses jetzt auf einen völlig anderen tatsächlichen Vorgang --die angebliche psychische Erkrankung--, den der Kläger erstmals mit Schreiben vom ... geltend gemacht hat. Wiedereinsetzungsgründe, die erst nach Ablauf der Frist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO vorgetragen werden, können indes nicht berücksichtigt werden (vgl. schon das Urteil des BFH vom 15. Dezember 1977 VI R 179/75, BFHE 124, 141, BStBl II 1978, 240). Dass der Kläger am ... psychisch imstande war, Klage zu erheben, aber durch fortdauernde Erkrankung gehindert, seine durch das Prüfungsergebnis ausgelöste Krankheit als Wiedereinsetzungsgrund anzuführen, dass also auch die Versäumung der Frist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO entschuldigt werden kann, ergibt sich weder aus den vorgelegten Attesten noch wäre es glaubhaft. Es ist zudem nicht einmal substantiiert vorgetragen worden, so dass schon hieran die Klage scheitern musste und folglich von vornherein kein Anlass besteht, dem Vorbringen des Klägers zu der angeblichen krankheitsbedingten Verzögerung der Klageerhebung überhaupt nachzugehen.

Überdies vermöchte auch der beschließende Senat aufgrund des Vorbringens des Klägers und der vorgelegten Atteste nicht die für die Gewährung von Wiedereinsetzung (§ 56 FGO) erforderliche Gewissheit zu gewinnen, dass der Kläger ohne Verschulden gehindert war, die bis zum ... laufende Klagefrist zu wahren. Der Kläger hat dies nicht glaubhaft gemacht.

Ob der Kläger durch eine psychische Krankheit gehindert war, rechtzeitig Klage zu erheben, ist nicht von den von ihm hinzugezogenen Ärzten oder dem Amtsarzt, sondern von dem Gericht zu beurteilen, das sich dabei freilich der Hilfe von Ärzten oder anderen Sachverständigen bedienen kann und bedienen muss, soweit ihm die erforderliche Sachkunde fehlt. Im Streitfall haben sich zu der psychischen Erkrankung, die den Kläger angeblich an einer rechtzeitigen Klageerhebung gehindert hat, bereits drei Sachverständige geäußert. Die "Atteste" sind indes völlig ungeeignet, das Hindernis glaubhaft zu machen.

Eine Krankheit greift als Entschuldigungsgrund für die Versäumung einer Rechtsmittelfrist nur dann durch, wenn sie so schwer war, dass der von ihr betroffene Verfahrensbeteiligte nicht bloß unfähig war, sich selbst mit dem Streitgegenstand auseinander zu setzen, sondern wenn er auch außerstande war, einen Bevollmächtigten zu informieren und mit der Wahrnehmung seiner Interessen zu beauftragen (vgl. Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. September 1993 4 NB 35.93, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 310, § 60 VwGO Nr. 185). Das soll offenbar das Attest des B bescheinigen, wenn es dem Kläger die Fähigkeit abspricht, die zur Überprüfung der Entscheidung der Prüfungskommission erforderlichen Maßnahmen einzuleiten. Nachvollziehbare und substantiierte medizinische Erwägungen, aus denen sich dieses zusammenfassende Urteil ergibt, enthält das Gutachten freilich nicht. Der beschließende Senat vermag aus eigener Sachkunde zu beurteilen, dass eine, wie B es ausgedrückt hat, "Anpassungsstörung mit Angst und depressiver Reaktion gemischt" zumindest nur ausnahmsweise zur Folge hat, dass der Betroffene zu jeglichen, den Gegenstand der depressiven Verstimmung betreffenden Handlungen außerstande ist. Um glaubhaft zu machen, dass sich der Kläger in einem solchen Ausnahmezustand befunden hat, hätte es zumindest genauer Angaben in dem psychotherapeutischen Attest dazu bedurft, aufgrund welcher Untersuchungsergebnisse der Psychotherapeut zu dieser Schlussfolgerung gelangt ist. Ernstlich in Erwägung zu ziehende Ausführungen dazu fehlen indes in dem Gutachten des B. Auch der Kläger hat dazu nichts Brauchbares vorgetragen. Seine Behauptung, durch Krankheit an der Klageerhebung gehindert gewesen zu sein, wird vielmehr, was der beschließende Senat ebenfalls aus eigener Sachkunde zu beurteilen vermag und bereits das FG mit Recht berücksichtigt hat, dadurch noch unglaubhafter, dass der Kläger immerhin nicht krank genug war, um sich nicht noch während des Laufs der Klagefrist nicht nur an seinen Arbeitsplatz im ... begeben und eine Urlaubsreise antreten, sondern auch das Verlangen formulieren zu können, die Prüfungsentscheidung möge im Einzelnen begründet werden.

Dass das fachärztliche Attest in noch stärkerem Maße die Merkmale einer Gefälligkeitsbescheinigung trägt, wird nicht nur an der vagen, jeglicher Angaben zu den Beurteilungsgrundlagen entbehrenden Diagnose einer "akuten psychischen Dekompensation" deutlich, sondern vor allem auch daran, dass die Ärztin zu dem bemerkenswerten und deshalb begründungsbedürftigen Urteil gelangt, die angebliche psychische Erkrankung habe den Kläger gerade bis einen Tag nach Ablauf der Klagefrist an der Klageerhebung gehindert, er sei also gerade an diesem Tage jedenfalls so weit wiederhergestellt gewesen, dass er nunmehr zur Klageerhebung psychisch imstande gewesen sei.

Dass schließlich das Attest des Amtsarztes nicht geeignet ist, die für die Feststellung eines Verfahrensmangels durch Versagung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erforderliche Gewissheit zu vermitteln, dass die Voraussetzungen des § 56 FGO als glaubhaft anzusehen sind und dass der Kläger bis zum ... an einer gleichsam zur Handlungsunfähigkeit führenden psychischen Erkrankung gelitten hat, liegt angesichts des Fehlens jeglicher Angaben zu der von dem Amtsarzt durchgeführten Untersuchung und der von ihm gestellten medizinischen Diagnose auf der Hand.

2. Das Urteil des FG beruht, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ohne weiteres ergibt, auch nicht auf dem Verfahrensfehler mangelnder Sachaufklärung. Überdies wäre es nach ständiger Rechtsprechung des BFH Sache des Klägers gewesen, substantiierte Beweisanträge zu stellen, wenn er eine weitere Sachaufklärung für notwendig und Erfolg versprechend gehalten hätte.

3. Die Rüge einer Verletzung des Anspruches auf rechtliches Gehör scheitert schon daran, dass nicht angegeben ist, was der Kläger dem FG noch hätte vortragen wollen. Überdies sind die Mängel der von dem Kläger vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen und seines Vorbringens zu den angeblichen Hindernissen einer rechtzeitigen Klageerhebung so offenkundig, dass das FG keinen Anlass hatte, hierauf eigens hinzuweisen.

4. Auch ein Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO ist nicht einmal ausreichend bezeichnet. Aus dem Vorbringen der Beschwerde ergibt sich nur, dass der Kläger die Beweiswürdigung des FG für unrichtig hält. Das gilt auch für die in der Beschwerdeschrift zuletzt erhobene Rüge, mit der, soweit sie der beschließende Senat überhaupt inhaltlich nachvollziehen kann, allenfalls die Unrichtigkeit der angegriffenen Entscheidung behauptet wird.



Ende der Entscheidung

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