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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 16.02.2009
Aktenzeichen: VII B 80/08
Rechtsgebiete: InsO, FGO


Vorschriften:

InsO § 35 Abs. 1
InsO § 96 Abs. 1 Nr. 1
FGO § 118 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I.

Über das Vermögen des Klägers und Beschwerdegegners (Kläger) ist seit 2004 ein Insolvenzverfahren anhängig; der Insolvenzverwalter hat dem Kläger jedoch gestattet, das unter anderem von dem Verfahren betroffene ...geschäft selbständig weiterzuführen. Hierdurch sind in den Voranmeldungszeiträumen Dezember 2004 und Januar und Februar 2005 Umsatzsteuer-Vergütungsansprüche entstanden, die der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt --FA--) mit offener Einkommensteuer 2000 verrechnet hat. Dem hat der Insolvenzverwalter widersprochen, weshalb das FA dem Kläger den angefochtenen Abrechnungsbescheid erteilt hat, in dem es an der betreffenden Verrechnung festhielt.

Das Finanzgericht (FG) hat jedoch auf die hiergegen erhobene Klage den Abrechnungsbescheid aufgehoben. Es urteilte, die Aufrechnung sei nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 der Insolvenzordnung (InsO) unzulässig, weil die Umsatzsteuer-Erstattungsansprüche Neuerwerb darstellten, der nach § 35 InsO zur Insolvenzmasse zähle. Die gebotene Auslegung der vom Insolvenzverwalter gegenüber dem Kläger erklärten Freigabe seines Geschäftsbetriebes stelle nach dem Willen des Insolvenzverwalters keine Freigabeerklärung dar, mit der er endgültig auf den Geschäftsbetrieb des Klägers verzichtet habe. Der Wille des Insolvenzverwalters sei vielmehr darauf gerichtet gewesen, dass der Neuerwerb des Insolvenzschuldners aus dem Betrieb des ...geschäfts zur Insolvenzmasse gelangen solle. Es handele sich also nach den Gesamtumständen des Streitfalls um eine sog. "modifizierte Freigabe".

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil richtet sich die Beschwerde des FA, das der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beimisst. Es bestehe ein allgemeines Interesse an der Klärung der Rechtsfrage, ob eine selbständige Tätigkeit "modifiziert" freigegeben werden könne. Wenn der Insolvenzverwalter eine selbständige Tätigkeit aus der Insolvenzmasse freigebe, erhalte der Insolvenzschuldner seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis zurück und müsse seine steuerlichen Pflichten --unter einer ihm regelmäßig erteilten neuen Steuernummer-- selbst erfüllen. Erstattungsansprüche aus der freigegebenen Tätigkeit fielen an ihn, die Aufrechnung mit Insolvenzforderungen sei insoweit zulässig. Es sei unklar und umstritten, inwieweit eine selbständige Tätigkeit des Insolvenzschuldners freigegeben werden könne und welche Folgen dies habe, insbesondere ob bei einer modifizierten Freigabe Steuererstattungsansprüche in die Insolvenzmasse oder in das insolvenzfreie Vermögen fielen.

II.

Die Beschwerde (§ 116 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) ist unbegründet und daher zurückzuweisen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).

Nach den in dem Urteil des FG eingehend und nachvollziehbar begründeten tatsächlichen Feststellungen, an die der Bundesfinanzhof in dem angestrebten Revisionsverfahren gemäß § 118 Abs. 1 FGO gebunden wäre, und der für das Revisionsverfahren ebenfalls verbindlichen Auslegung der "Freigabeerklärung" des Insolvenzverwalters ist diese dahin zu verstehen, dass der Kläger zwar zum selbständigen Betrieb eines ...geschäfts befugt sein sollte --was ihm der Insolvenzverwalter übrigens ohnehin nicht hätte verbieten können, sodass dessen Erklärung über ihren deklaratorischen Gehalt hinaus sich im Wesentlichen auf das Recht zur Nutzung etwaiger vom Insolvenzbeschlag betroffener, zum Betrieb des ...geschäfts benötigter Gegenstände (wie Ladeneinrichtung, etwaige Vorräte und dergleichen) bezieht--, nicht jedoch abweichend von § 35 InsO in der hier noch anzuwendenden ursprünglichen Fassung (entsprechend § 35 Abs. 1 InsO n.F.) die betreffenden Vermögensgegenstände und insbesondere auch künftige Forderungen nicht mehr vom Insolvenzbeschlag erfasst sein sollten.

Von diesem tatsächlichen Ausgangspunkt aus begreift sich von selbst und bedarf nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren, dass die Umsatzsteuervergütungsansprüche des Klägers mit denen das FA gegen rückständige Einkommensteuer aus vorinsolvenzlicher Zeit aufgerechnet hat, aufgrund des § 35 Abs. 1 InsO (entsprechend § 35 InsO a.F.) --wie jedweder Neuerwerb eines Insolvenzschuldners-- in die Insolvenzmasse fallen und daher von dem Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO betroffen sein können. Das gilt unabhängig davon, ob die durch das vom Kläger betriebene Unternehmen gleichsam virtuell entstandenen Umsatzsteuerverbindlichkeiten Masseverbindlichkeiten gewesen wären, was zweifelhaft und möglicherweise von bisher nicht aufgeklärten Tatsachen abhängig ist. Denn auch wenn diese Frage zu bejahen sein sollte, wäre der durch Anrechnung von Vorsteuern zugunsten des Klägers entstandene Saldo Neuerwerb im Sinne der InsO ebenso wie jedwede andere durch das Unternehmen erworbene Forderung.

Soweit das Vorbringen des FA, wie es den Anschein hat, darauf zielt, eine rechtsgrundsätzliche Klärung darüber herbeizuführen, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen möglicherweise unterschiedlichen Modalitäten ein Insolvenzverwalter einem Insolvenzschuldner "gestatten" darf, eine selbständige Tätigkeit während des Insolvenzverfahrens aufzunehmen, inwiefern und unter welchen möglicherweise unterschiedlichen Modalitäten er ihm dafür die Nutzung oder Verwertung von dem Insolvenzbeschlag unterliegenden Gegenständen überlassen darf und welche insolvenzrechtlichen Folgen dies jeweils für die Zugehörigkeit von durch eine solche Tätigkeit entstehenden Forderungen zur Insolvenzmasse bzw. für die Bewertung von Verbindlichkeiten des Unternehmens als Masseverbindlichkeit hat, kann dies nicht zur Zulassung der Revision führen, weil es sich insoweit zwar möglicherweise um klärungsbedürftige Fragen von allgemeiner Bedeutung handeln mag, die jedoch abstrakte Fragen sind, die sich in dem angestrebten Revisionsverfahren nach den getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht stellen würden. Insbesondere stellt sich nicht die Frage, ob eine sog. "modifizierte Freigabe einer selbständigen Tätigkeit" insolvenzrechtlich zulässig ist; denn für die Entscheidung, ob im Streitfall § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO anwendbar ist, kommt es allein darauf an, ob die strittigen Umsatzsteuervergütungsansprüche Neuerwerb im Sinne dieser Vorschrift sind, wie es den Grundsätzen des Insolvenzrechts entspricht, oder ob der Insolvenzverwalter diese Ansprüche aus dem Insolvenzbeschlag entlassen hat.

Ende der Entscheidung

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