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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 01.08.2005
Aktenzeichen: VII B 97/04
Rechtsgebiete: FGO


Vorschriften:

FGO § 102 Satz 2
FGO § 138 Abs. 1
FGO § 138 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) bzw. ihre Rechtsvorgängerin führte in den Jahren 1998 bis 2001 Fleisch unter Inanspruchnahme von Ausfuhrerstattung in Drittländer aus. Aufgrund von Marktordnungsprüfungen ergab sich für den Beklagten und Beschwerdeführer (Hauptzollamt --HZA--) der Verdacht auf Unregelmäßigkeiten seitens der Klägerin bei der Abwicklung der Ausfuhrgeschäfte. Das HZA erließ daraufhin mit Bescheid vom 7. Januar 2003 gegenüber der Klägerin eine Maßnahme gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 1469/95 (VO Nr. 1469/95) des Rates vom 22. Juni 1995 über Vorkehrungen gegenüber bestimmten Begünstigten der vom EAGFL, Abteilung Garantie, finanzierten Maßnahmen (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- Nr. L 145/1) und setzte mit sofortiger Wirkung sämtliche Zahlungen von Erstattungen für die Ausfuhr von Rind- und Schweinefleisch aus. Der hiergegen erhobene Einspruch blieb ohne Erfolg. Nachdem das Finanzgericht (FG) mit Beschluss vom 26. November 2003 IV 227/03 (Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern --ZfZ-- 2004, 239) betreffend die Aussetzung der Vollziehung (AdV) die Ansicht vertreten hatte, dass der Maßnahmenbescheid nach Art. 3 Abs. 4 der Verordnung (EG) Nr. 745/96 (VO Nr. 745/96) der Kommission vom 24. April 1996 zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 1469/95 des Rates über Vorkehrungen gegenüber bestimmten Begünstigten der vom EAGFL, Abteilung Garantie, finanzierten Maßnahmen (ABlEG Nr. L 102/15) nicht ohne eine Befristung hätte ergehen dürfen, befristete das HZA mit Änderungsbescheid vom 23. Dezember 2003 die gegen die Klägerin verhängte Maßnahme bis zum 30. November 2004.

Das FG gab der Klage statt und hob den Bescheid vom 7. Januar 2003 in Gestalt der Einspruchsentscheidung und des Änderungsbescheids vom 23. Dezember 2003 auf, wobei es zur Begründung auf den Beschluss in ZfZ 2004, 239 und seinen kurz zuvor erlassenen Beschluss vom 16. März 2004 IV 23/04 (ZfZ 2004, 387) verwies, mit dem es die AdV auch des nunmehr befristeten Maßnahmenbescheids gewährt hatte. Das FG urteilte, dass das HZA grundsätzlich berechtigt sei, gegen die Klägerin eine Maßnahme nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. b VO Nr. 1469/95 zu treffen, da der begründete Verdacht bestehe, dass die Klägerin bzw. ihre Rechtsvorgängerin dem ausgeführten Fleisch nur als Tierfutter verwendbare Schlachtabfälle beigegeben habe und dass sie außerdem ihre Verpflichtung verletzt habe, den Gemeinschaftsursprung der ausgeführten Erzeugnisse nachzuweisen. Das HZA habe insoweit zu Recht zu Lasten der Klägerin berücksichtigt, dass diese in der Vergangenheit bewusst pflichtwidrig sämtliche aufzubewahrenden Geschäftsunterlagen vernichtet habe. Die Einlassung der Klägerin, von einer entsprechenden Aufbewahrungspflicht nichts gewusst zu haben, sei nicht glaubhaft. Allerdings habe das HZA das ihm hinsichtlich der Dauer der verhängten Maßnahme nach Art. 3 Abs. 4 VO Nr. 745/96 eingeräumte Ermessen fehlerhaft ausgeübt. Zum einen schreibe Art. 3 Abs. 4 Unterabs. 2 VO Nr. 745/96 für eine Maßnahme gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. c VO Nr. 1469/95, d.h. für die einschneidenste Maßnahme des Ausschlusses des Marktbeteiligten von bestimmten Geschäften, eine Anwendungsdauer von mindestens sechs Monaten, aber höchstens fünf Jahren vor, weshalb die Anwendungsdauer der weniger einschneidenden Maßnahme gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. b VO Nr. 1469/95 deutlich kürzer zu bemessen sei. Hinsichtlich des bei der Bestimmung der Anwendungsdauer nach Art. 3 Abs. 3 VO Nr. 745/96 zu berücksichtigenden Standes der Ermittlungen sei nach der Begründung des Änderungsbescheids vom 23. Dezember 2003 nicht deutlich geworden, warum die Ermittlungen erst Ende November 2004 abgeschlossen werden könnten. Jedenfalls werde aus dieser Begründung deutlich, dass das HZA entgegen seiner nach Art. 3 Abs. 3 VO Nr. 745/96 bestehenden Pflicht im Zeitpunkt des Erlasses der Maßnahme nicht das Risiko möglicher weiterer Unregelmäßigkeiten geprüft habe. Diese Unterlassung führe zur Rechtswidrigkeit der Befristung. Die Begründung des Änderungsbescheids vom 23. Dezember 2003 lasse ferner nicht erkennen, dass das HZA als mildere Maßnahme eine verstärkte Kontrolle der Geschäfte der Klägerin in die Ermessenserwägungen einbezogen habe.

Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des HZA, welche es auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und des Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) stützt.

Nachdem die streitige, gegen die Klägerin verhängte Maßnahme, deren Dauer im Verlauf des Verfahrens über die Nichtzulassungsbeschwerde vom HZA bis zum 30. März 2005 verlängert worden ist, durch Zeitablauf ihr Ende gefunden hat, haben die Beteiligten übereinstimmend die Erledigung der Hauptsache erklärt.

II. Mit der Abgabe der übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten, die auch im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde zulässig ist (Senatsbeschluss vom 24. März 1992 VII B 62/91, BFH/NV 1993, 605, m.w.N.), ist die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache eingetreten (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 138 Rz. 11, m.w.N.). Aufgrund der Erledigung der Hauptsache ist das angefochtene Urteil des FG einschließlich der darin enthaltenen Kostenentscheidung gegenstandslos geworden; der Senat hat nunmehr über die Kosten des gesamten Verfahrens zu entscheiden (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 17. Dezember 2002 I R 87/00, BFH/NV 2003, 785, m.w.N.).

Da die Voraussetzungen des § 138 Abs. 2 FGO im Streitfall nicht vorliegen, ist die Kostenentscheidung nach § 138 Abs. 1 FGO nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu treffen. Bei der Ausübung dieses Ermessens bedarf es weder einer Sachaufklärung noch einer abschließenden Klärung ungeklärter Rechtsfragen; vielmehr genügt eine bloße summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage (Senatsbeschlüsse vom 14. Februar 1989 VII K 32-39/87, BFH/NV 1989, 679, und vom 27. April 1993 VII K 13/92, BFH/NV 1993, 761). Danach entspricht es nach Ansicht des Senats im Streitfall billigem Ermessen, den Beteiligten die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte aufzuerlegen, weil es infolge tatsächlicher Unklarheiten ungewiss ist, welchen Ausgang das Verfahren genommen hätte.

Nach den vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen ist davon auszugehen, dass das HZA gegen die Klägerin eine Maßnahme nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. b VO Nr. 1469/95 (Aussetzung der Zahlungen von Ausfuhrerstattungen) verhängen durfte, weil die Klägerin aufgrund konkreter Tatsachen i.S. des Art. 1 Abs. 2 Buchst. b VO Nr. 1469/95 als ein Marktbeteiligter anzusehen war, bei dem das Risiko der Unzuverlässigkeit bestand. Die im Einzelnen festgestellten Tatsachen hat das FG in seinen Beschlüssen in ZfZ 2004, 239 und in ZfZ 2004, 387 aufgeführt und hat ohne Rechtsfehler erkannt, dass eine erste amtliche Feststellung der zuständigen Verwaltungsbehörde --hier des HZA-- i.S. des Art. 1 Abs. 2 Buchst. b VO Nr. 1469/95 und des Art. 1 Abs. 2 VO Nr. 745/96 bestehe, in der das HZA in nicht zu beanstandender Weise anhand konkreter Tatsachen auf das Vorliegen einer von der Klägerin vorsätzlich oder grob fahrlässig begangenen Unregelmäßigkeit (Art. 1 Abs. 1 VO Nr. 745/96) geschlossen habe.

Anders als das FG meint, lässt sich nach den bisher getroffenen Feststellungen jedoch nicht die Auffassung rechtfertigen, dass die streitige, gegen die Klägerin getroffene Maßnahme des HZA hinsichtlich ihrer Anwendungsdauer gegen Art. 3 Abs. 4 Unterabs. 1 i.V.m. Abs. 3 VO Nr. 745/96 verstoße.

Die Ansicht des FG, dass die Anwendungsdauer einer Maßnahme gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. b VO Nr. 1469/95 deutlich kürzer sein müsse als die nach Art. 3 Abs. 4 Unterabs. 2 VO Nr. 745/96 für eine Maßnahme gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. c VO Nr. 1469/95 vorgeschriebenen fünf Jahre, teilt der Senat nicht. Eine sowohl mindestens als auch höchstens zulässige Anwendungsdauer sieht Art. 3 Abs. 4 Unterabs. 2 VO Nr. 745/96 nur für die einschneidenste Maßnahme gegen einen Marktbeteiligten, nämlich den Ausschluss von bestimmten Geschäften gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. c VO Nr. 1469/95 vor. Hieraus den Schluss zu ziehen, dass die Anwendungsdauer anderer, weniger belastender Maßnahmen kürzer zu bemessen sei, ist nicht zulässig. Insoweit ist das Ermessen der zuständigen Behörde nicht an einen zeitlichen Rahmen gebunden. Die Aussetzung von Zahlungen, die im Streitfall verhängt worden ist, kann nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. b VO Nr. 1469/95 grundsätzlich so lange andauern, bis amtlich festgestellt ist, ob eine Unregelmäßigkeit vorliegt oder nicht.

Ebenso wenig vermag der Senat der Ansicht des FG zu folgen, dass die vom HZA verhängte Maßnahme ermessensfehlerhaft sei, weil die Begründung des Änderungsbescheids vom 23. Dezember 2003 nicht erkennen lasse, dass das HZA als mildere Maßnahme eine verstärkte Kontrolle der Geschäfte der Klägerin in die Ermessenserwägungen einbezogen habe. Die Frage, ob der mit einer Maßnahme nach Art. 3 VO Nr. 1469/95 verfolgte Zweck auch durch ein milderes Mittel erreicht werden kann, betrifft den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der zu den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts gehört und der gebietet, dass die von einer gemeinschaftsrechtlichen Bestimmung eingesetzten Mittel zur Erreichung des Zwecks geeignet sein müssen und nicht über das dazu Erforderliche hinausgehen dürfen (Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom 11. Juli 2002 Rs. C-210/00, EuGHE 2002, I-6453 Rz. 59). Anders als das FG meint, kann allerdings die zuständige Behörde über die Frage, ob eine von ihr getroffene Maßnahme verhältnismäßig ist, nicht im Rahmen des ihr durch die jeweilige gesetzliche Vorschrift eingeräumten Ermessens entscheiden. Die vom HZA gegen die Klägerin verhängte Maßnahme kann daher nicht allein deshalb als ermessensfehlerhaft angesehen werden, weil in der Begründung des Änderungsbescheids Ausführungen zu einer ggf. möglichen milderen Maßnahme fehlen. Vielmehr hätte das FG insoweit selbst Feststellungen treffen und begründen müssen, weshalb die mit der gegen die Klägerin verhängten Maßnahme verfolgten Zwecke in gleicher Weise durch eine verstärkte Kontrolle der Geschäfte gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. a VO Nr. 1469/95 hätten erreicht werden können. Diesbezügliche Ausführungen enthält das angefochtene Urteil des FG jedoch nicht und es ist in Anbetracht der vom FG getroffenen Feststellungen auch nicht etwa offensichtlich, dass das HZA mit der getroffenen Maßnahme über das Erforderliche hinausgegangen ist.

Zweifelhaft erscheint schließlich, ob die vom FG vermissten Erwägungen des HZA zur Höhe des Risikos weiterer Unregelmäßigkeiten (Art. 3 Abs. 3 VO Nr. 745/96) zur Rechtswidrigkeit der vom HZA bestimmten Dauer der Maßnahme führen. Hat die zuständige Behörde nach ersten amtlichen Feststellungen den begründeten Verdacht einer vorsätzlich oder grob fahrlässig begangenen Unregelmäßigkeit, werden die hierfür maßgeblichen Umstände in der Regel auch das Risiko möglicher weiterer Unregelmäßigkeiten zum Nachteil des EAGFL begründen. Zwar mag es Fälle geben, in denen die zuständige Behörde erkennen kann, dass der Marktbeteiligte die Missstände, welche zu der betreffenden Unregelmäßigkeit geführt haben, inzwischen abgestellt hat oder in naher Zukunft abgestellt haben wird, so dass nach Art. 3 Abs. 3 VO Nr. 745/96 die Anwendungsdauer der gegen den Marktbeteiligten verhängten Maßnahme entsprechend zu begrenzen ist. Im Streitfall jedoch hat das FG keine entsprechenden Feststellungen getroffen, sondern hat sich --was in einem AdV-Beschluss angängig sein mag-- auf die Aussage beschränkt, dass das HZA "hätte (...) überprüfen müssen", ob die Klägerin zwischenzeitlich durch die Einschaltung von Fremdfirmen ein geeignetes Dokumentations- und Nachweissystem geschaffen habe. Für ein der Klage stattgebendes Urteil reicht diese Begründung indes nicht. Das FG hätte nach seinem AdV-Beschluss in ZfZ 2004, 387, mit dem es fehlende Erwägungen zur Risikoprüfung bemängelt hatte, dem HZA jedenfalls Gelegenheit geben müssen, diese Erwägungen gemäß § 102 Satz 2 FGO zu ergänzen. Auf der Grundlage entsprechender Ausführungen des HZA zu den Umständen, die aus seiner Sicht das Risiko möglicher weiterer Unregelmäßigkeiten begründeten, und einer Stellungnahme der Klägerin hierzu hätte beurteilt werden können, ob die Anwendungsdauer der Maßnahme bis zum 30. November 2004 ggf. zu lang bemessen war. Selbst wenn dies aber der Fall gewesen wäre, hätte das FG nicht --wie geschehen-- den Maßnahmebescheid mit Wirkung ex tunc, sondern lediglich mit Wirkung ab dem Zeitpunkt aufheben dürfen, zu dem sich das Andauern der Maßnahme als ermessensfehlerhaft erwies, weil das Risiko weiterer Unregelmäßigkeiten nicht mehr bestand.

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