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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 28.08.2003
Aktenzeichen: VII B 98/03
Rechtsgebiete: InsO, GewO, FGO, ZPO, StBerG


Vorschriften:

InsO § 80 Abs. 1
InsO § 1
InsO § 304 ff.
GewO § 12
FGO § 155
FGO § 56 Abs. 1
ZPO § 85 Abs. 2
StBerG § 46 Abs. 2 Nr. 4
StBerG § 40 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1
StBerG § 46
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Bestellung des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) als Steuerbevollmächtigter ist von der Beklagten und Beschwerdegegnerin (Steuerberaterkammer) widerrufen worden, weil der Kläger in Vermögensverfall geraten sei, nachdem über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet worden war. Dagegen ist Klage erhoben worden, die das Finanzgericht (FG) abgewiesen hat; die gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil von dem in jenem Verfahren bestellten Insolvenzverwalter erhobene Beschwerde hat der Senat als unzulässig verworfen (Beschluss vom 5. Februar 2003 VII B 143/02) und dazu ausgeführt, die Bestellung als Steuerbevollmächtigter sei höchstpersönlicher Natur und unterliege deshalb nicht dem Verwaltungs- und Verfügungsrecht eines Insolvenzverwalters nach § 80 Abs. 1 der Insolvenzordnung (InsO). Die Beschwerde des Insolvenzverwalters sei folglich unzulässig, zumal die Beschwerde erst mehr als zwei Monate nach wirksamer Zustellung des Urteils des FG begründet worden sei.

Nachdem diese Entscheidung des Senats dem Kläger, wie er behauptet, am 11. März 2003 bekannt geworden ist, hat er am 21. März 2003 Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des FG erhoben, die er im Wesentlichen folgendermaßen begründet:

Ihm sei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da ihm zunächst das Klagerecht vom Insolvenzverwalter, einem Rechtsanwalt, streitig gemacht worden sei. Einen anderen Rechtsanwalt habe er mangels entsprechender Mittel damals mit der Überprüfung der Rechtslage nicht beauftragen können, und es habe zu der für sein Klagerecht maßgeblichen Frage auch noch keine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) gegeben; die von diesem zitierte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) habe sich lediglich auf das Konkursverfahren bezogen.

Die Revision sei wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Es sei zu klären, ob nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Widerruf wegen Vermögensverfalls noch möglich sei. Die grundsätzlich neue Ausrichtung, die das Verfahren durch § 1 InsO erhalten habe, habe sich in § 12 der Gewerbeordnung (GewO) niedergeschlagen, diese Regelung müsse, obwohl nicht direkt anwendbar, auch im Widerrufsverfahren Anwendung finden. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens werde deutlich, dass "alles in geordneten Bahnen verläuft und auf Dauer Zwangsvollstreckungsmaßnahmen einzelner Gläubiger ausgeschlossen sind". Die Einstellung von Zwangsmaßnahmen von Gesetzes wegen beseitige also die Voraussetzungen der Vermutung, zumal dem BFH in der Entscheidung in Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2000, 741 sogar die Vorlage von Vereinbarungen, die eine derartige Sachlage erwarten lassen, genügt habe.

Überdies habe das FG die "Tatsachenlage, die zu der Vermutung (des Vermögensverfalls) führt" nicht ausreichend aufgeklärt. Ferner sei es seiner Sachaufklärungspflicht im Hinblick auf das Bestehen von Versicherungsschutz nicht nachgekommen; die Steuerberaterkammer habe insoweit ein Schreiben der Versicherung im Termin der mündlichen Verhandlung nicht vorgelegt und damit ihre Mitwirkungspflichten verletzt.

II. Die Beschwerde ist zulässig. Dem Kläger wird wegen der versäumten Beschwerdefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt (§ 56 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Er war ohne Verschulden verhindert, die Beschwerde rechtzeitig einzulegen, nachdem ihn der über sein Vermögen eingesetzte Insolvenzverwalter, dessen Verschulden sich der Kläger nicht nach § 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) zurechnen lassen muss, dahin belehrt hat, nicht ihm, dem Kläger, sondern dem Insolvenzverwalter obliege die Anfechtung der Widerrufsverfügung. Die Rechtsprechung des BFH, dass wegen eines materiell-rechtlichen Irrtums Wiedereinsetzung nicht gewährt werden kann (BFH-Urteil vom 3. Juli 1986 IV R 133/84, BFH/NV 1986, 717), steht dem nicht entgegen. Der für die Versäumnis der Rechtsmittelfrist verantwortliche Rechtsirrtum des Insolvenzverwalters, dessen Rechtsmeinung der Kläger übernommen hat, beruhte zwar auf einer unzutreffenden Auffassung über die Reichweite des Verwaltungs- und Verfügungsrechts eines Insolvenzverwalters nach § 80 Abs. 1 InsO (vgl. Senatsbeschluss vom 5. Februar 2003 VII B 143/02, BFH/NV 2003, 663). Auch wenn man diese Bestimmung dem materiellen Recht zuordnet, bezog sich dieser Irrtum nicht auf deren materiell-rechtlichen Gehalt, sondern auf ihre verfahrensrechtliche Folge, dass nach Ansicht des Klägers die Widerrufsverfügung von ihm verfahrensrechtlich nicht angegriffen werden könne. Es kann dem Kläger nicht i.S. des § 56 Abs. 1 FGO als Verschulden angerechnet werden, dass er unter diesen Umständen zunächst von der Einlegung einer Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision abgesehen und die Unrichtigkeit der Auskunft des Insolvenzverwalters, des Rechtsanwaltes, die allerdings anhand des Urteils des BVerwG vom 4. Juli 1969 7 C 52/68 (BVerwGE 32, 316) erkennbar gewesen wäre, nicht erkannt und die Rechtsansicht des Insolvenzverwalters nicht selbständig überprüft hat.

Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Es bedarf nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren, dass die, wie die Beschwerde meint, "grundsätzlich neue Ausrichtung des Insolvenzverfahrens" nichts daran ändert, dass die Bestellung als Steuerberater oder Steuerbevollmächtigter nach § 46 Abs. 2 Nr. 4 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) bei (vermutetem oder tatsächlich festgestelltem) Vermögensverfall des Berufsträgers zu widerrufen ist, es sei denn, dieser weist nach, dass --ausnahmsweise-- trotz des Vermögensverfalls das Auftraggeberinteresse nicht gefährdet ist. An den Voraussetzungen für die Widerlegung dieser Vermutung (dazu Urteil des Senats vom 22. September 1992 VII R 43/92, BFHE 169, 286, BStBl II 1993, 203) hat sich durch die InsO nichts Grundsätzliches geändert. Wesentliche Voraussetzung für eine Bestellung zum Steuerberater (Steuerbevollmächtigten) ist nach § 40 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StBerG nach wie vor, dass der Betreffende in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen lebt. Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens oder gar die bloße Möglichkeit, die wirtschaftliche Situation des in Vermögensverfall geratenen Steuerberaters durch Einleitung eines Insolvenzverfahrens zu bereinigen, haben noch nicht zur Folge, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse des Steuerberaters als geordnet zu betrachten wären. Ob das Ziel eines Insolvenzverfahrens, die Gläubiger unter Erhaltung des Unternehmens des Schuldners zu befriedigen und dem Schuldner Gelegenheit zu geben, sich von seinen Verbindlichkeiten zu befreien (vgl. § 1 InsO), im Einzelfall erreicht wird, ist bis zur Annahme und Bestätigung eines Insolvenzplanes (§§ 235 ff. InsO) bzw. --im Verbraucherinsolvenzverfahren nach § 304 ff. InsO-- bis zur Annahme eines vom Schuldner vorgelegten Schuldenbereinigungsplanes oder der Ersetzung der Zustimmung zu diesem Plan (§§ 308, 309 InsO) völlig ungewiss (vgl. für den Bereich der Bundesrechtsanwaltsordnung --BRAO-- Beschluss des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 13. März 2000 AnwZ (B) 28/99, Neue Juristische Woche - Rechtsprechungs-Report Zivilrecht --NJW-RR-- 2000, 1228; vgl. BGH-Beschluss vom 12. März 2001 AnwZ (B) 27/00, BGH-Report 2001, 668 --Leitsatz--).

Dass § 12 GewO, der durch das Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung (EGInsO) vom 5. Oktober 1994 (BGBl I 1994, 29) neu gefasst worden ist und vorsieht, dass während eines laufenden Verfahrens und ggf. während einer Überwachung der Erfüllung eines in diesem Verfahren aufgestellten Insolvenzplanes solche Vorschriften keine Anwendung finden, die den Widerruf einer Zulassung wegen Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden ermöglichen, welche auf ungeordnete Vermögensverhältnisse zurückzuführen ist, auf den Widerruf einer berufsrechtlichen Bestellung nach dem StBerG nicht, auch nicht entsprechend angewendet werden kann, bedarf ebenfalls nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren. Das EGInsO hat für Steuerberater, die kein Gewerbe, sondern einen freien Beruf ausüben, eine vergleichbare Bestimmung nicht getroffen. Daran war der Gesetzgeber auch nicht durch den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes) von Verfassungs wegen gehindert, weil die Gefährdung der Auftraggeber bei einem in Vermögensverfall geratenen Steuerberater oder Steuerbevollmächtigten offensichtlich von anderer Qualität ist als bei einem Gewerbetreibenden, von dem eine persönliche Leistung für den Auftraggeber nicht verlangt wird.

Die Rüge von Verfahrensmängeln (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) ist schon nicht schlüssig erhoben (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO). Es ist weder angegeben, welche weiteren Aufklärungsmaßnahmen das FG im Hinblick auf das Insolvenzverfahren hätte treffen sollen --insoweit wendet sich die Beschwerde in Wahrheit nicht gegen die Sachaufklärung des FG, sondern gegen dessen rechtliche Würdigung der Bedeutung der Einleitung eines Insolvenzverfahrens für einen auf § 46 StBerG gestützten Widerrufsbescheid--, noch inwiefern das FG Anlass hatte, der Frage weiter nachzugehen, ob Versicherungsschutz für den Kläger bestand, nachdem das betreffende Schreiben der Versicherung zwar, wie die Beschwerde behauptet, der Steuerberaterkammer, nicht aber dem FG bekannt war.



Ende der Entscheidung

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