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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 23.11.1999
Aktenzeichen: VII R 106/98
Rechtsgebiete: VwGO, AO 1977, FGO


Vorschriften:

VwGO § 68 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1
VwGO § 46
AO 1977 § 127
AO 1977 § 349 Abs. 3 Nr. 1
FGO § 74
FGO § 135 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) hat gegen die Entscheidung der Beklagten und Revisionsbeklagten (Senatsverwaltung), dass sie die Steuerberaterprüfung aufgrund ihrer mangelhaften schriftlichen Leistungen nicht bestanden habe, Klage erhoben und u.a. die Bewertung ihrer schriftlichen Leistungen gerügt. Die Senatsverwaltung hat daraufhin die Bewertung durch die Prüfer überprüfen lassen; dies hat jedoch nicht zu einer Änderung der Bewertung geführt.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage, mit der im Wesentlichen das Fehlen rechtsförmlicher Regelungen über das verwaltungsinterne Überprüfungsverfahren gerügt wird, abgewiesen. Es ist der Auffassung, dem Anspruch des Prüflings auf effektiven Schutz seines Grundrechtes der Berufsfreiheit sei zumindest für eine Übergangszeit dadurch hinreichend entsprochen, dass ein verwaltungsinternes Kontrollverfahren zum Überdenken der Prüfungsentscheidung während des finanzgerichtlichen Rechtsstreits durchgeführt werde. Diese Übergangszeit sei im Jahre 1996, als die Klage der Klägerin anhängig wurde, noch nicht abgelaufen gewesen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom FG zugelassene Revision der Klägerin, die sinngemäß im Wesentlichen folgendermaßen begründet wird:

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) habe ein Prüfling, der Einwände gegen die Bewertung seiner Prüfungsleistung vorbringe, einen Anspruch auf Überdenken der Prüfungsentscheidung. Die im Laufe des beim FG anhängigen Verfahrens von den Prüfern eingeholte Begründung der Bewertung für Leistungen der Klägerin stelle kein solches verwaltungsinternes Kontrollverfahren dar. Es sei dem Gesetzgeber vorbehalten, das Kontrollverfahren so zu gestalten, dass es den Anspruch erfüllen könne, das Grundrecht der Berufsfreiheit effektiv zu schützen. Die Übergangsfrist sei 1996 abgelaufen gewesen. Der Senatsverwaltung sei es zumutbar gewesen, den verfassungsrechtlichen Anforderungen bis 1996 zu entsprechen, nachdem die einschlägigen Entscheidungen des BVerfG vom April 1991 datierten. Für ein beschleunigtes Vorgehen des Gesetzgebers lägen keine Anhaltspunkte vor. Die Senatsverwaltung habe keine Anstrengung unternommen, durch Verwaltungsvorschrift oder Rechtsverordnung bis zum Erlass eines Gesetzes eine übergangsweise Regelung zu schaffen. In der Rechtsmittelbelehrung sei weder auf ein verwaltungsinternes Vorverfahren noch auf die Möglichkeit einer Aussetzung des Klageverfahrens hingewiesen worden. Überdies sei es unmöglich, ein ordnungsgemäßes Vorverfahren im Klageverfahren selbst nachzuholen, da Unabhängigkeit beim Überdenken nicht mehr gegeben sei.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und die Senatsverwaltung unter Aufhebung ihres Bescheides vom 21. Dezember 1995 zu verpflichten, die Klägerin hinsichtlich der Steuerberaterprüfung 1995 neu zu bescheiden.

Die Senatsverwaltung beantragt sinngemäß, die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Die Revision will offenbar erreichen, dass die Senatsverwaltung der Klägerin die Möglichkeit gibt, die für nicht bestanden erklärte Steuerberaterprüfung 1995 erneut abzulegen; denn eine Neubescheidung der Klägerin könnte das (angebliche) Defizit rechtsstaatlicher Regelungen über die Kontrolle der Bewertung von Prüfungsleistungen nicht beheben, ganz abgesehen davon, dass nicht nachvollziehbar ist, wie eine weitere Bewertung der von der Klägerin erbrachten Prüfungsleistungen, welche Grundlage einer solchen erneuten Entscheidung sein könnte, nach Ansicht der Revision herbeigeführt werden soll.

Die Revision ist unbegründet. Das Urteil des FG entspricht dem Bundesrecht.

Der Senat hat im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 24. Februar 1993 6 C 35.92, BVerwGE 92, 132) bereits entschieden, dass dem Anspruch des Prüflings auf effektiven Schutz seines Grundrechtes der Berufsfreiheit durch eine entsprechende Gestaltung des Prüfungsverfahrens mit der Möglichkeit, Einwände gegen die Bewertung seiner Prüfungsleistungen vorzubringen, um derart ein Überdenken dieser Bewertungen unter Berücksichtigung jener Einwände zu erreichen, dadurch entsprochen werden kann, dass während eines bereits anhängigen finanzgerichtlichen Streitverfahrens die Rechtmäßigkeit der Prüfungsentscheidung in einem verwaltungsinternen Kontrollverfahren von den Prüfern überdacht wird. Der Senat hat dazu in dem Beschluss vom 10. August 1993 VII B 68/93 (BFHE 172, 273, BStBl II 1994, 50) ausgeführt, den Zweck eines möglichst rechtzeitigen und wirkungsvollen Schutzes des Prüflings in seinem Grundrecht der Berufsfreiheit könne das Verfahren des "Überdenkens" der Prüfungsentscheidung zwar am ehesten dann erfüllen, wenn es möglichst zeitnah zur Prüfung vor einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren stattfinde; aber auch ein anderweitiges verwaltungsinternes Kontrollverfahren sei denkbar und zulässig, wenn es gleichermaßen die verfassungsrechtlichen Anforderungen erfülle. Sei ein Widerspruchs- bzw. Beschwerdeverfahren nicht gegeben, weil der Prüfungsbescheid von der obersten Landesbehörde erlassen wird (§ 68 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung --VwGO--, § 349 Abs. 3 Nr. 1 der Abgabenordnung --AO 1977--), so schließe diese Rechtslage das Recht des Prüflings nicht aus, das Prüfungsamt auf vermeintliche Irrtümer und Rechtsfehler bei der Bewertung seiner Prüfungsleistungen rechtzeitig und wirkungsvoll hinzuweisen, um damit ein Überdenken der bereits getroffenen Prüfungsentscheidung zu erreichen. Es schließt nicht nur ein diesbezügliches Recht des Prüflings nicht aus, sondern es beeinträchtigt auch nicht die Möglichkeit der Prüfungsbehörde, diesem Recht in dem gebotenen Umfang zu entsprechen, wovon der Senat bereits in der vorgenannten Entscheidung ausgehen konnte, ohne dies eigens hervorheben zu müssen.

Das Fehlen rechtsförmiger Regelungen über die Durchführung des verwaltungsinternen Kontrollverfahrens zum Überdenken der Prüfungsentscheidung ist nicht, jedenfalls nicht im Hinblick auf den Streitfall, von Verfassungs wegen zu beanstanden. Das Gegenteil folgt nicht, wie die Revision offenbar annimmt, logisch daraus, dass die Durchführung einer verwaltungsinternen Überprüfung einer Bewertungsentscheidung aufgrund substantiierter Einwendungen des Prüflings nach der Rechtsprechung des BVerfG und des erkennenden Senats von Verfassungs wegen geboten ist. Die Revision ist --offenbar im Anschluss an das Urteil in BVerwGE 92, 132-- der Ansicht, die Durchführung eines verwaltungsinternen Kontrollverfahrens allein nach Maßgabe der diesbezüglichen verfassungsrechtlichen Anforderungen, jedoch ohne eine Regelung dieses Verfahrens durch Gesetz, aufgrund eines Gesetzes oder durch Verwaltungsvorschrift sei nur für eine inzwischen abgelaufene Übergangszeit hinnehmbar. Die Revision vermag indes keinen Rechtssatz anzugeben, aus dem die Rechtsfolge abgeleitet werden könnte, dass eine von einem Prüfling substantiiert angegriffene Prüfungsentscheidung (nach Ablauf jener Übergangsfrist) allein deshalb aufgehoben werden muss, weil ein verwaltungsinternes Kontrollverfahren nicht durch Rechtsvorschrift normiert (oder, was der Revision möglicherweise gleichfalls genügen würde, zumindest durch Verwaltungsvorschrift vorläufig geordnet) ist. Das Fehlen einer solchen gesetzlichen Regelung könnte diese Folge allenfalls haben, wenn wesentliche Regelungen zur Durchführung des verwaltungsinternen Kontrollverfahrens getroffen werden müssten, welche ihrem Inhalte nach aufgrund des rechtsstaatlichen Gesetzesvorbehaltes nur der Gesetzgeber oder eine auf gesetzlicher Grundlage erlassene Rechtsverordnung treffen kann. Das ist indes nicht der Fall; die Revision selbst gibt auch nicht an, was ihrer Meinung nach vom Gesetzgeber geregelt werden müsste, erst recht nicht, wie die beklagte Senatsverwaltung den von der Revision geltend gemachten verfassungsrechtlichen Anforderungen hätte im Rahmen des Bundesrechts entsprechen können. Selbst wenn das Rechtsstaatsprinzip verlangen sollte, dass der Gesetzgeber entscheidet, ob das "Überdenken" der Prüfungsentscheidung im Rahmen des Rechtsmittelverfahrens oder vor dessen Einleitung stattfinden soll, wäre die diesem dafür einzuräumende Frist überdies nicht bereits während der auf die einschlägige Entscheidung des BVerfG folgenden Legislaturperiode abgelaufen gewesen.

Die Auffassung der Revision, das verwaltungsinterne Kontrollverfahren könne seine Funktion nur dann erfüllen, wenn es vor Einleitung eines Rechtsmittelverfahrens durchgeführt werde, vermag der Senat ebenfalls nicht zu teilen. Die Unvoreingenommenheit des Urteils der Prüfer über die Berechtigung der von dem Prüfling gegen ihre Entscheidung vorgebrachten Einwendungen ist unbeschadet der hohen Anforderungen, die das verwaltungsinterne Überdenkungsverfahren allerdings an deren Fähigkeit und Bereitschaft zu kritischer Selbstprüfung stellt, nicht entscheidend stärker gefährdet, wenn ein Rechtsstreit gegen die Prüfungsbehörde bereits rechtshängig ist als wenn er erst droht.

Nicht zum Erfolg führen können schließlich die Einwände der Revision, auf die Möglichkeit eines verwaltungsinternen Kontrollverfahrens sei von der Senatsverwaltung nicht hingewiesen und das Klageverfahren sei vom FG nicht während der Dauer des verwaltungsinternen Kontrollverfahrens ausgesetzt worden. Soweit es eines solchen Hinweises bedarf und dieser zu Unrecht unterblieben ist, ist der diesbezügliche Mangel jedenfalls dadurch (entsprechend § 127 AO 1977 bzw. § 46 des Verwaltungsverfahrensgesetzes) geheilt, dass das verwaltungsinterne Kontrollverfahren im Streitfall tatsächlich durchgeführt worden ist. Auf dem Verfahrensmangel einer unterbliebenen Aussetzung des Verfahrens nach § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann die Entscheidung des FG jedenfalls nicht beruhen, weil aus der Sicht des FG die Entscheidung nicht anders hätte ausfallen können, wenn dieses das Klageverfahren bis zum Abschluss des verwaltungsinternen Kontrollverfahrens förmlich ausgesetzt hätte, statt es, wie tatsächlich geschehen, formlos bis dahin ruhen zu lassen.

Die Revision ist daher mit der Kostenfolge des § 135 Abs. 2 FGO zurückzuweisen.

Ende der Entscheidung

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