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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 06.05.2008
Aktenzeichen: VII R 18/07
Rechtsgebiete: EG, ZK


Vorschriften:

EG Art. 234 Abs. 3
EG Art. 249
ZK Art. 24
Dem EuGH wird folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Sind den nichtpräferenziellen Ursprung begründende wesentliche Be- oder Verarbeitungen von Waren der Pos. 7312 KN nur solche, die zur Folge haben, dass das aus der Be- oder Verarbeitung hervorgegangene Erzeugnis in eine andere Position der KN einzureihen ist?


Gründe:

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) beantragte im Mai 2005 die Erteilung verbindlicher Ursprungsauskünfte (vUA) für verschiedene Arten von Stahlseilen, die in der Demokratischen Volksrepublik Korea (Nordkorea) aus Litzen mit Ursprung in der Volksrepublik China (China) hergestellt werden. Die Beklagte und Revisionsklägerin (die Bundesfinanzdirektion --BFD--, seinerzeit Oberfinanzdirektion) erteilte unter dem 11. Januar 2006 fünf vUA, mit denen China als Ursprungsland der Stahlseile erklärt wurde. In Nordkorea finde eine wesentliche Be- oder Verarbeitung der Litzen nicht statt, denn diese seien nicht in eine andere Position der Kombinierten Nomenklatur (KN) in Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- Nr. L 256, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1719/2005 der Kommission vom 27. Oktober 2005 (Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 286, S. 1) geänderten Fassung einzureihen als die aus ihnen hergestellten Stahlseile.

Auf die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hob das Finanzgericht (FG) aus den in der Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern (ZfZ) 2008, Beilage 1, S. 3 veröffentlichten Gründen die angefochtenen vUA auf und verpflichtete die BFD, vUA des Inhalts zu erteilen, dass die Stahlseile ihren nichtpräferenziellen Ursprung in Nordkorea haben. Das FG urteilte, dass die gemäß Art. 24 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABlEG Nr. L 302, S. 1) für die Begründung des Ursprungs maßgebliche wesentliche Be- oder Verarbeitung der Litzen in Nordkorea stattfinde. Die Stahlseile würden in Nordkorea in einem dazu eingerichteten Unternehmen hergestellt, was einen nicht unerheblichen maschinellen Aufwand erfordere, der über eine bloße Minimalbehandlung hinausgehe. Durch das Zusammendrehen der Litzen auf den Maschinen entstünden neue Waren mit im Vergleich zu den Vorprodukten anderen Eigenschaften. Die fertigen Stahlseile wiesen eine höhere Tragfähigkeit als die Litzen auf und seien daher geeignet, unmittelbar ihrem spezifischen Verwendungszweck entsprechend eingesetzt zu werden. Die von der BFD herangezogenen sog. Listenregeln der Kommission, denen zufolge für eine ursprungsbegründende Be- oder Verarbeitung von Waren der Pos. 7312 KN allein der Wechsel der Tarifposition maßgeblich sei, seien mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) nicht zu vereinbaren und seien auch kein verbindlicher Rechtsakt der Gemeinschaft. Anhaltspunkte für die Annahme, dass die Herstellung der Stahlseile in Nordkorea i.S. des Art. 25 der Verordnung Nr. 2913/92 nur die Umgehung gemeinschaftsrechtlicher Bestimmungen betreffend bestimmte Länder bezwecke, seien weder seitens der BFD vorgetragen noch ersichtlich.

Mit ihrer Revision macht die BFD geltend, dass die Listenregeln zwar keine unmittelbare Rechtswirkung hätten, dass sie aber eine bestimmte Auslegung des Art. 24 der Verordnung Nr. 2913/92 für verschiedene Waren vorgäben, so wie es im Bereich des Zolltarifs durch die Erläuterungen zur KN geschehe.

II.

Der Senat setzt das Verfahren aus (§ 121 Satz 1 i.V.m. § 74 der Finanzgerichtsordnung) und legt dem EuGH gemäß Art. 234 Abs. 3 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG) die im Tenor bezeichnete Frage zur Vorabentscheidung vor, weil die Auslegung der für die Entscheidung des Streitfalls maßgeblichen Vorschrift des Gemeinschaftsrechts Zweifelsfragen aufwirft.

1. Da nach den Feststellungen des FG an der Herstellung der Stahlseile zwei Länder, nämlich China und Nordkorea, beteiligt sind, beurteilt sich ihr Ursprung nach Art. 24 der Verordnung Nr. 2913/92. Nach dieser Vorschrift ist eine derartige Ware Ursprungsware des Landes, in dem sie der letzten wesentlichen und wirtschaftlich gerechtfertigten Be- oder Verarbeitung unterzogen worden ist, die in einem dazu eingerichteten Unternehmen vorgenommen worden ist und zur Herstellung eines neuen Erzeugnisses geführt hat oder eine bedeutende Herstellungsstufe darstellt.

Art. 24 der Verordnung Nr. 2913/92 greift den Wortlaut von Art. 5 der Verordnung (EWG) Nr. 802/68 des Rates vom 27. Juni 1968 über die gemeinsame Begriffsbestimmung für den Warenursprung (ABlEG Nr. L 148, S. 1) auf, die vor Inkrafttreten der Verordnung Nr. 2913/92 galt. In Auslegung dieser Verordnung hat der EuGH entschieden, dass die Bestimmung des Warenursprungs auf einer objektiven und tatsächlich feststellbaren Unterscheidung zwischen dem Ausgangserzeugnis und dem aus der Verarbeitung hervorgegangenen Erzeugnis beruhen muss, wobei wesentlich auf die spezifischen Beschaffenheitsmerkmale eines jeden dieser Erzeugnisse abzustellen ist; die Be- oder Verarbeitung muss eine erhebliche qualitative Veränderung des Ausgangserzeugnisses dergestalt bewirkt haben, dass das aus ihm hervorgegangene Erzeugnis besondere Eigenschaften besitzt und von einer Beschaffenheit ist, die es vor der Be- oder Verarbeitung nicht hatte (EuGH-Urteile vom 26. Januar 1977 49/76, Slg. 1977, 41; vom 23. Februar 1984 93/83, Slg. 1984, 1095).

2. Unter Zugrundelegung dieser vom EuGH für maßgeblich gehaltenen Gesichtspunkte hat das FG erkannt, dass die streitigen Stahlseile ihren Ursprung in Nordkorea haben, obgleich sowohl die Litzen als Ausgangserzeugnisse als auch die Stahlseile als die aus der Verarbeitung hervorgegangenen Erzeugnisse von derselben Tarifposition, nämlich Pos. 7312 KN, erfasst werden.

Nach den Feststellungen des FG ist das Verseilen der aus China stammenden Stahllitzen wirtschaftlich gerechtfertigt, weil es für die industrielle Verwendung der aus der Verarbeitung hervorgehenden Erzeugnisse erforderlich ist, und es findet in Nordkorea in einem dazu eingerichteten Unternehmen statt. Das Verseilen der Litzen erfordert einen nicht unerheblichen maschinellen Aufwand, weshalb keine bloße Minimalbehandlung vorliegt, und führt zum Entstehen neuer Waren mit im Vergleich zum Ausgangserzeugnis anderen Eigenschaften, weil die Stahlseile eine höhere Tragfähigkeit als die Litzen aufweisen und daher geeignet sind, entsprechend ihrem spezifischen Verwendungszweck unmittelbar eingesetzt zu werden. All dies ist zwischen den Beteiligten nicht im Streit.

Die aufgrund der festgestellten Tatsachen vorgenommene Würdigung des FG, dass die Stahlseile in Nordkorea ihrer letzten wesentlichen Verarbeitung unterzogen worden sind, steht im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH, derzufolge die Frage, welcher Teil des Herstellungsvorgangs als ursprungsbegründend anzusehen ist, in erster Linie anhand technischer Kriterien zu beantworten ist (vgl. EuGH-Urteil vom 8. März 2007 C-447, 448/05, Slg. 2007, I-2049, ZfZ 2007, 100). Selbst wenn es als zweifelhaft anzusehen sein sollte, ob die Verarbeitung der Litzen zu einem neuen Erzeugnis geführt hat, wird doch von einer in Nordkorea erreichten bedeutenden Herstellungsstufe für die Stahlseile gesprochen werden können.

3. Auch die Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABlEG Nr. L 253, S. 1) enthält keine Vorschriften, welche für Waren der vorliegenden Art die ursprungsbegründende Be- oder Verarbeitung von weiteren Voraussetzungen wie zum Beispiel dem durch sie bewirkten Wechsel in eine andere Tarifposition abhängig machen. Für andere Waren als Spinnstoffe und Waren daraus des Abschn. XI KN gelten gemäß Art. 39 der Verordnung Nr. 2454/93 als ursprungsbegründend die in Spalte 3 des Anhangs 11 der Verordnung Nr. 2454/93 aufgeführten Be- oder Verarbeitungen. Zur Pos. 7312 KN gehörende Waren werden von Anhang 11 der Verordnung Nr. 2454/93 jedoch nicht erfasst.

Art. 37 der Verordnung Nr. 2454/93, der (mit zahlreichen Ausnahmen) für als ursprungsbegründend geltende (Art. 36 der Verordnung Nr. 2454/93) "vollständige Be- oder Verarbeitungen" vorschreibt, dass diese den Wechsel in eine andere Position der KN zur Folge haben müssen, gilt nur für Spinnstoffe und Waren daraus des Abschn. XI KN. Seine entsprechende Anwendung auf Waren anderer Art kommt nicht in Betracht, weil nicht angenommen werden kann, dass für Waren anderer Art insoweit eine vom Gemeinschaftsgesetzgeber nicht gewollte Regelungslücke besteht.

4. Der Rechtsprechung des EuGH lassen sich ebenfalls keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass eine Be- oder Verarbeitung einen Wechsel der Tarifposition zur Folge haben muss, um ursprungsbegründend zu sein. Der EuGH hat vielmehr in dem Urteil in Slg. 1977, 41 ausgeführt, dass es nicht genüge, die Kriterien für die Bestimmung des Warenursprungs der tariflichen Einordnung der verarbeiteten Erzeugnisse zu entnehmen, weil der Zolltarif für eigene Zwecke und nicht für die Bestimmung des Warenursprungs geschaffen worden sei. Soweit der EuGH in den Urteilen vom 17. Oktober 2000 C-114/99 (Slg. 2000, I-8823) und vom 15. Mai 2003 C-282/00 (Slg. 2003, I-4741) hinsichtlich der Verarbeitung von Erzeugnissen den Wechsel in eine andere Tarifposition mitberücksichtigt hat, geschah dies in einem anderen Zusammenhang als dem nichtpräferenziellen Ursprung bzw. war ersichtlich nur ein Hilfsargument, um die bereits aufgrund anderer Kriterien bejahte ursprungsbegründende Be- oder Verarbeitung zusätzlich zu rechtfertigen.

5. Bei den nur über das Internet und allein in englischer Sprache zu findenden sog. Listenregeln der Kommission, denen zufolge bei Waren der Pos. 7312 KN die ursprungsbegründende Be- oder Verarbeitung einen Wechsel der Tarifposition zur Folge haben muss, handelt es sich nicht um eine gemäß Art. 249 Abs. 2 EG verbindliche und in den Mitgliedstaaten unmittelbar geltende Verordnung oder um eine gemäß Art. 249 Abs. 3 EG für die Mitgliedstaaten verbindliche Richtlinie, was keiner weiteren Erörterung bedarf und zwischen den Beteiligten auch nicht im Streit ist. Wie dem im finanzgerichtlichen Verfahren vorgelegten Dokument vom 5. April 2006 TAXUD/1406/2006-DE "Art und Rechtswirkung von Leitlinien" zu entnehmen ist, beansprucht auch die Kommission keine Rechtswirkung für die von ihr erarbeiteten Erläuterungen und Leitlinien, sondern sieht sie als Hilfsmittel für eine einheitliche Auslegung des Gemeinschaftsrechts an und als Ersatz für nationale Anweisungen in dem jeweiligen Bereich. Offenbleiben kann dabei die in der Literatur diskutierte Frage, ob derartige Leitlinien der Kommission als Empfehlungen oder als an die nationalen Zollverwaltungen gerichtete Verwaltungsvorschriften anzusehen sind, weil Empfehlungen nach Art. 249 Abs. 5 EG nicht verbindlich sind und Verwaltungsvorschriften jedenfalls die Gerichte nicht binden.

6. Allerdings sind die Listenregeln der Kommission, auch wenn sie die Gerichte bei der Anwendung des Art. 24 der Verordnung Nr. 2913/92 auf den Einzelfall nicht binden, bei der Entscheidungsfindung gleichwohl zu berücksichtigen (vgl. EuGH-Urteile vom 13. Dezember 1989 C-322/88, Slg. 1989, 4407, und vom 21. Januar 1993 C-188/91, Slg. 1993, I-363). Es handelt sich bei den Listenregeln um die Auslegung abstrakter Rechtsbegriffe durch ein Gemeinschaftsorgan, welches am Gesetzgebungsverfahren beteiligt und vom Rat beauftragt ist, die zur Durchführung des Zollkodex erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Deshalb können die Listenregeln in ähnlicher Weise, wie es der EuGH in ständiger Rechtsprechung in Bezug auf die Erläuterungen zur KN formuliert, als ein wichtiges Erkenntnismittel für die Auslegung des Art. 24 der Verordnung Nr. 2913/92 angesehen werden. Wenn also --wie im Streitfall-- die Kommission für Waren einer bestimmten Tarifposition --in Abweichung von den nach der Rechtsprechung des EuGH maßgebenden Kriterien-- die Ansicht vertritt, dass die Be- oder Verarbeitung solcher Waren nur dann ursprungsbegründend ist, wenn die aus der Be- oder Verarbeitung hervorgegangenen Erzeugnisse in eine andere Position als die Vormaterialien einzuordnen sind, so rechtfertigt dies die Anrufung des EuGH.

Ende der Entscheidung

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