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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 23.05.2000
Aktenzeichen: VII R 3/00
Rechtsgebiete: EStG, AO 1977


Vorschriften:

EStG § 36 Abs. 2 Nr. 2
AO 1977 § 218 Abs. 2
BUNDESFINANZHOF

Wird nach Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht von den im Ausland bezogenen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (zu Unrecht) Lohnsteuer einbehalten und an ein inländisches Finanzamt abgeführt, so ist auch diese Lohnsteuer auf die für den Veranlagungszeitraum festgesetzte Einkommensteuerschuld des Arbeitnehmers anzurechnen.

EStG § 36 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 § 218 Abs. 2

Urteil vom 23. Mai 2000 - VII R 3/00 -

Vorinstanz: Hessisches FG (EFG 2000, 127)


Gründe

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erklärte in seiner Einkommensteuererklärung für 1995 Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit als Schifffahrtskaufmann in Höhe von 59 500 DM. Von diesen Einnahmen entfielen auf den Zeitraum vom 1. Januar 1995 bis zum 8. Juli 1995 30 000 DM. Nach diesem Zeitpunkt war der Kläger bis zum Jahresende für seinen Arbeitgeber in Asien tätig. Der Arbeitgeber behielt von dem gesamten Jahresarbeitslohn Lohnsteuer in Höhe von 12 000 DM ein.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte bei der Einkommensteuerveranlagung 1995 lediglich den bis zum 8. Juli 1995 bezogenen Arbeitslohn. Er rechnete auf die festgesetzte Einkommensteuer nur einen Betrag von 6 000 DM einbehaltener Lohnsteuer an, den er der eingereichten Lohnbescheinigung für Juni 1995 entnahm. Der Einkommensteuerbescheid enthält keinen Hinweis darauf, dass das FA die Einkommensteuer nur für den Zeitraum der unbeschränkten Steuerpflicht festsetzen wollte. Lediglich in den als Anlage zum Bescheid beigefügten Erläuterungen ist ausgeführt, wegen der beschränkten Steuerpflicht könnten die einbehaltenen Lohnsteuerabzugsbeträge (aus Vereinfachungsgründen) nur bis Ende Juni 1995 berücksichtigt werden.

Nachdem sich der Kläger gegen die seiner Ansicht nach zu niedrige Anrechnung der insgesamt gezahlten Lohnsteuer gewandt hatte, erließ das FA einen Abrechnungsbescheid, in dem es die anzurechnende einbehaltene Lohnsteuer wiederum mit 6 000 DM angab. Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage führte zur Änderung des Abrechnungsbescheids dahingehend, dass die gesamte einbehaltene Lohnsteuer in Höhe von 12 000 DM auf die Einkommensteuerschuld 1995 des Klägers angerechnet wurde, wodurch sich ein weiterer Erstattungsbetrag ergab.

Das Finanzgericht (FG), dessen Urteil in Entscheidungen der Finanzgerichte 2000, 127 veröffentlicht ist, führte im Wesentlichen aus, die nach dem 8. Juli 1995 bezogenen Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit unterlägen nicht der deutschen Einkommensteuer. Da für die nicht steuerpflichtigen Einkünfte gleichwohl --aufgrund eines Fehlers des Arbeitgebers-- Lohnsteuer einbehalten worden sei, gebiete es die Steuergerechtigkeit, die entsprechenden Abzugsbeträge bei der Veranlagung gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) anzurechnen und damit die zu Unrecht erhobene Einkommensteuer zu erstatten. Für diese Gesetzesinterpretation spreche im Streitfall auch der Umstand, dass das FA erkennbar keinen auf die Dauer der unbeschränkten Steuerpflicht beschränkten Veranlagungszeitraum der Besteuerung unterworfen habe, sondern, wie die Überschrift des Bescheides zeige, das gesamte Jahr 1995 als Veranlagungszeitraum der Besteuerung zugrunde gelegt habe.

Mit der Revision macht das FA geltend, die Vorentscheidung verstoße gegen § 36 Abs. 2 Nr. 2 und § 25 Abs. 2 EStG. Wegen der von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) angenommenen Korrespondenzwirkung zwischen den bei der Veranlagung erfassten Einkünften und den gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG anzurechnenden Steuerabzugsbeträgen (Hinweis auf das Urteil des erkennenden Senats vom 10. Januar 1995 VII R 41/94, BFH/NV 1995, 779) sei die Anrechnung der nach Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht einbehaltenen Lohnsteuer unzulässig, weil auch die entsprechenden Einkünfte nicht bei der Veranlagung erfasst worden seien. Die Vorentscheidung verkenne auch die Unterschiede hinsichtlich Veranlagungszeitraum und Bemessungsgrundlage bei Beendigung der Steuerpflicht im Laufe des Kalenderjahres. Bei Wegfall der persönlichen Steuerpflicht --wie hier durch Aufgabe des Wohnsitzes und des gewöhnlichen Aufenthalts im Inland, ohne inländische Einkünfte zu beziehen-- bleibe das Kalenderjahr gleichwohl der Veranlagungszeitraum. Der Einkommensteuerbescheid sei daher zu Recht für das Kalenderjahr 1995 ergangen und die Einkommensteuer als Jahressteuer festgesetzt worden (§ 25 Abs. 1 EStG). Als Bemessungsgrundlage für die Festsetzung der Einkommensteuer sei nur das bis zum Ende der Steuerpflicht bezogene Einkommen anzusetzen (§ 25 Abs. 2 EStG in der bis 1996 geltenden Fassung). Auch wenn man entgegen der vorliegenden BFH-Rechtsprechung eine sachliche Korrespondenz von einbehaltener Lohnsteuer und bei der Veranlagung erfasster Einkünfte für die Anrechnung als ausreichend ansehe, komme man zu keinem anderen Ergebnis, da der ab Juli 1995 bezogene Arbeitslohn auch nicht dem Grunde nach in dem Steuerbescheid zu erfassen sei. Der Hinweis auf die Steuergerechtigkeit sei kein Grund, die Anrechnung der Lohnsteuer in vollem Umfang zuzulassen. Der Kläger habe es unterlassen, den Arbeitgeber vom Wohnsitzwechsel zu informieren. Seine Ansprüche auf Erstattung der zu Unrecht abgeführten Lohnsteuer müssten zivilrechtlich oder gegenüber dem Finanzamt Bremen-Ost (Betriebsstättenfinanzamt) geltend gemacht werden.

Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.

Die Revision des FA ist unbegründet.

Das FG hat den angefochtenen Abrechnungsbescheid zu Recht dahin abgeändert, dass die gesamte vom Jahresarbeitslohn des Klägers einbehaltene Lohnsteuer auf die festgesetzte Einkommensteuerschuld 1995 anzurechnen ist.

1. Nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG wird auf die Einkommensteuer angerechnet die durch Steuerabzug erhobene Einkommensteuer, soweit sie auf die bei der Veranlagung erfassten Einkünfte entfällt und nicht die Erstattung beantragt oder durchgeführt worden ist. Die Anrechnung der Steuerabzugsbeträge (Lohnsteuer und Kapitalertragsteuer) gehört, auch wenn sie technisch mit der Steuerfestsetzung in einem Bescheid verbunden ist, nicht mehr zum Steuerfestsetzungs-, sondern zum Steuererhebungsverfahren. Sie erfolgt durch gesonderte Verwaltungsakte --Anrechnungsverfügung oder (bei Streit über den Umfang der Anrechnung wie im Streitfall) Abrechnungsbescheid--, die in ihrer rechtlichen Beurteilung vom Steuerbescheid zu trennen sind und die auch hinsichtlich der Bestandskraft, Rücknahme und Änderbarkeit anderen Vorschriften als die Steuerbescheide unterliegen. § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG stellt aber --wie der Senat in dem Urteil in BFH/NV 1995, 779 näher ausgeführt hat-- eine inhaltliche Verknüpfung zwischen Steuerfestsetzungs- und Steuererhebungsverfahren her, indem die im Wege des Steuerabzugs erhobene Einkommensteuer nur angerechnet wird, "soweit sie auf die bei der Veranlagung erfassten Einkünfte entfällt". Daraus folgt, dass der Grundsatz der Anrechenbarkeit der tatsächlich einbehaltenen Lohnsteuer (vgl. Conradi in Littmann/Bitz/Hellwig, Das Einkommensteuerrecht, § 36 EStG Rdnr. 13), die sich gemäß § 41b Abs. 1 Nr. 3 EStG aus der Lohnsteuerkarte (Lohnsteuerbescheinigung) ergibt, nicht uneingeschränkt gilt.

Der Vorschrift liegt der allgemeine Rechtsgedanke zugrunde, dass eine Steueranrechnung, mit der eine doppelte Besteuerung bestimmter Einkünfte/Einnahmen vermieden werden soll, aus Gründen der Steuergerechtigkeit insoweit nicht geboten ist, wenn und soweit die mit Steuern belasteten Einnahmen bei der Einkommensteuerveranlagung nicht erfasst worden sind (Senatsurteil in BFH/NV 1995, 779, 780). Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte der Steuergerechtigkeit und der zutreffenden Gesamtbelastung der Steuerpflichtigen hat das FG aber für den Streitfall zu Recht entschieden, dass auf die Jahressteuerschuld des Klägers auch die Lohnsteuer anzurechnen ist, die nach dem Wegfall seiner unbeschränkten Steuerpflicht (ab Juli 1995) von seinem Arbeitslohn einbehalten worden ist.

Mit der Aufgabe des Wohnsitzes und des gewöhnlichen Aufenthalts im Inland endete die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht des Klägers (§ 1 Abs. 1 EStG; die Sonderregelungen gemäß § 1 Abs. 2 und 3, § 1a EStG finden keine Anwendung). Unerheblich für die Steuerpflicht ist es, dass der Kläger weiterhin im Ausland für seinen (privaten) Arbeitgeber nichtselbständig tätig war. Da diese nichtselbständige Arbeit im Inland weder ausgeübt noch verwertet worden ist (§ 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG), unterlag der Kläger im Veranlagungszeitraum 1995 seit seinem Wegzug ins Ausland mangels inländischer Einkünfte --die auch bei den übrigen Einkunftsarten offensichtlich nicht vorlagen-- auch nicht der beschränkten Steuerpflicht (§ 1 Abs. 4 i.V.m. § 49 EStG).

Der Arbeitgeber hat folglich ab Juli 1995 zu Unrecht Lohnsteuer von dem Arbeitslohn des Klägers einbehalten, denn der Arbeitnehmer ist gemäß § 38 Abs. 2 EStG nur dann Schuldner der Lohnsteuer, wenn er unbeschränkt oder beschränkt steuerpflichtig ist (Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 18. Aufl., § 38 Rz. 2). Es entspricht deshalb --wie das FG zutreffend ausgeführt hat-- der steuerlichen Gerechtigkeit, die zu Unrecht einbehaltenen Steuerabzugsbeträge bei der Einkommensteuerveranlagung 1995 auf die Einkommensteuerschuld des Klägers anzurechnen, damit die im Ergebnis nicht geschuldete Lohnsteuer bzw. Einkommensteuer erstattet werden kann. Denn ebenso wie mit der Anrechnungsvorschrift des § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG eine doppelte Besteuerung bestimmter Einkünfte vermieden werden soll, ist ihre Anwendung auch geboten, um den unrechtmäßigen Steuerabzug von im Inland nicht der Einkommensteuer unterliegenden Einkünften rückgängig zu machen. Das gilt jedenfalls dann, wenn --wie im Streitfall-- die für das Kalenderjahr geschuldete Einkommensteuer durch Steuerbescheid festgesetzt wird und besondere Vorschriften über die Erstattung der einbehaltenen und abgeführten Steuern (vgl. z.B. jetzt § 50 Abs. 5 Satz 4 Nr. 3 und § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG) nicht bestehen. So ist auch eine Rechtsgrundlage für den vom FA angeführten Erstattungsanspruch des Klägers gegenüber dem Betriebsstättenfinanzamt seines Arbeitgebers nicht ersichtlich.

2. Entgegen der Auffassung der Revision hat das FG bei seiner Entscheidung die Begriffe des Veranlagungszeitraums, der Bemessungsgrundlage und die Rechtsfolgen bei Beendigung der Steuerpflicht im Laufe des Kalenderjahres nicht verkannt. Das FG hat zu Recht darauf abgestellt, dass die Veranlagung des Klägers trotz des Wegfalls der Steuerpflicht im Laufe des Jahres das gesamte Kalenderjahr 1995 als Veranlagungszeitraum umfasst und für dieses Kalenderjahr eine Jahressteuer festgesetzt worden ist (§ 2 Abs. 7, § 25 Abs. 1 EStG). Es hat folgerichtig auf die festgesetzte Jahressteuerschuld 1995 die gesamte in diesem Kalenderjahr einbehaltene Lohnsteuer angerechnet, weil sich anderenfalls --wie oben ausgeführt-- eine zu hohe Einkommensteuerbelastung des Klägers für 1995 ergeben hätte. Dem steht nicht entgegen, dass im Falle der Beendigung der Steuerpflicht im Laufe des Kalenderjahres (Veranlagungszeitraum) --wie im Streitfall-- als Bemessungsgrundlage für die Festsetzung der Einkommensteuer nur das während der Dauer der Steuerpflicht bezogene Einkommen (hier der bis zum 8. Juli 1995 bezogene Arbeitslohn) zugrunde zu legen ist (§ 25 Abs. 2 Satz 1 und § 2 Abs. 7 Satz 3 EStG in der bis 1996 geltenden Fassung). Die Regelung über den abgekürzten Ermittlungszeitraum für die Besteuerungsgrundlagen für den Fall, dass die Steuerpflicht nicht während des ganzen Kalenderjahres bestanden hat, bezieht sich auf das Steuerfestsetzungsverfahren und bezweckt die Festsetzung der materiell richtigen Jahressteuerschuld. Sie kann für die Frage der Anrechnung von im Wege des Steuerabzugs bereits entrichteter Einkommensteuer, die --wie ausgeführt-- dem Steuererhebungsverfahren zuzuordnen ist, keine unmittelbare Geltung beanspruchen. Vielmehr muss, wenn der Steuerabzug zu Unrecht erfolgt ist, ein entsprechender Ausgleich (Anrechnung) bei der endgültigen Abrechnung (Erhebung) der festgesetzten Jahressteuer vorgenommen werden.

3. Der erkennende Senat hat indes in seinem Urteil in BFH/NV 1995, 779 aus dem Wortlaut des § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG ("soweit sie ... entfällt") gefolgert, dass die im Wege des Lohnsteuerabzugs erhobene Einkommensteuer nur in der Höhe angerechnet werden kann, soweit die zugehörigen, mit dem Steuerabzug belasteten Einkünfte ihrem Umfang nach bei der Veranlagung tatsächlich erfasst worden sind. Steuerabzüge, die auf Einkunftsteile entfallen, die bei der Veranlagung nicht erfasst worden sind, wären somit von der Anrechnung ausgeschlossen (ebenso Beschluss des Senats vom 6. August 1996 VII B 110/96, BFH/NV 1997, 106).

Das vorstehend zitierte Senatsurteil, auf das sich das FA mit seiner Revision beruft, ist im Schrifttum auf Kritik gestoßen. Es wird die Auffassung vertreten, dass die gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG anzurechnende einbehaltene Lohnsteuer nicht mit den bei der Veranlagung angesetzten Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit der Höhe nach korrespondieren müsse, sondern dass für die Anrechnung eine sachliche Korrespondenz von Lohnsteuer und bei der Veranlagung erfasster Einkünfte genüge. Danach soll unter Berücksichtigung des Steuererstattungsanspruchs, der sich sonst aus § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) ergäbe, die Anrechnung der tatsächlich einbehaltenen Lohnsteuer --abgesehen von den gesetzlich geregelten Sonderfällen (z.B. Lohnsteuerpauschalierung, §§ 40, 40a, 40b, insbesondere § 40 Abs. 3 Sätze 3 und 4 EStG; vgl. auch die Abgeltungswirkung des Steuerabzugs gemäß § 50 Abs. 5 Satz 1 EStG)-- unabhängig davon vorgenommen werden, ob das FA bei der Veranlagung die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit im Einzelfall zutreffend berücksichtigt hat (so Heuermann, Der Betrieb --DB-- 1996, 1052, 1055, 1056).

Der Streitfall bietet keinen Anlass zu einer umfassenden Auseinandersetzung mit den gegen das Senatsurteil in BFH/NV 1995, 779 erhobenen Einwendungen, da der entscheidungserhebliche Sachverhalt von dem des zuvor ergangenen Senatsurteils und des Senatsbeschlusses in BFH/NV 1997, 106 wesentlich abweicht.

Die vorausgegangenen Entscheidungen des Senats betrafen Fälle, in denen die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit aufgrund von Schätzungen, die aus formalen Gründen (Festsetzungsverjährung, Verböserungsverbot) nicht mehr berichtigt werden konnten, bei der Veranlagung zu niedrig angesetzt worden waren. Wenn der Senat für diese Sachverhaltsgestaltungen die Anrechnung desjenigen Anteils der einbehaltenen Lohnsteuer, der auf die Einkunftsteile entfiel, die bei der Veranlagung --zu Unrecht-- nicht erfasst worden waren, abgelehnt hat, so geschah dies --wie im Urteil in BFH/NV 1995, 779 am Ende ausgeführt-- jedenfalls auch, um ein der materiellen Rechtslage und der steuerlichen Gerechtigkeit entsprechendes Ergebnis zu erzielen. Denn die volle Anrechnung der insgesamt einbehaltenen Lohnsteuer hätte mangels vollständiger Erfassung der tatsächlich erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit im Steuerbescheid zu einem steuerlich nicht gerechtfertigten Vorteil für den veranlagten Arbeitnehmer geführt.

Im Streitfall gebietet aber --wie oben (1.) ausgeführt-- gerade der Gesichtspunkt der materiellen Gerechtigkeit die Anrechnung auch der nach Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht einbehaltenen Lohnsteuer auf die Einkommensteuerschuld, da der entsprechende Arbeitslohn (gezahlt ab Juli 1995) mangels inländischer Steuerpflicht des Klägers nicht der deutschen Einkommensteuer unterlag und die Lohnsteuer somit zu Unrecht einbehalten worden ist. Das FA hat im Streitfall --im Gegensatz zu der ursprünglichen Steuerfestsetzung in den Schätzungsfällen-- bei der Veranlagung die volle Höhe des im Kalenderjahr 1995 erzielten Arbeitslohnes des Klägers gekannt. Wenn es sodann nach Prüfung der Rechtslage den nach Beendigung der Steuerpflicht erzielten Teil der Einkünfte bei der Steuerfestsetzung für den Veranlagungszeitraum 1995 bewusst außer Ansatz ließ, so kann doch davon ausgegangen werden, dass es diesen Lohnanteil bei der Veranlagung berücksichtigt ("erfasst") hat, auch wenn sich dies mangels Steuerpflicht insoweit nicht ausgewirkt hat. Die Anrechnung der entsprechenden Steuerabzugsbeträge, die auch nach Auffassung des FA zu Unrecht einbehalten worden sind, ist somit hier auch mit dem Wortlaut des § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG vereinbar.

4. Der Anrechnung der Steuerabzugsbeträge, die nach Beendigung der Steuerpflicht vom Arbeitslohn des Klägers einbehalten worden sind, auf die im Einkommensteuerbescheid 1995 festgesetzte Jahreseinkommensteuer und der Festsetzung eines sich daraus ergebenden Erstattungsbetrages durch den angefochtenen und vom FG abgeänderten Abrechnungsbescheid steht auch die formelle Bescheidlage nicht entgegen.

Die Anmeldung der Lohnsteuer durch den Arbeitgeber bildet zunächst den (formellen) Rechtsgrund für deren Zahlung. Ergeht aber nach der Anmeldung der Lohnsteuer gegenüber dem Arbeitnehmer ein Einkommensteuerbescheid, so bildet dieser einen neuen Rechtsgrund für die Steuerzahlung, der die durch die Lohnsteueranmeldung gesetzte Rechtsgrundlage ablöst; die Lohnsteueranmeldung hat sich insoweit hinsichtlich dieses Arbeitnehmers --wie ein Einkommensteuervorauszahlungsbescheid-- nach § 124 Abs. 2 AO 1977 "auf andere Weise" erledigt (BFH-Urteil vom 12. Oktober 1995 I R 39/95, BFHE 179, 91, BStBl II 1996, 87; ebenso: Heuermann, DB 1996, 1052 ff., m.w.N.). Mit dem Ergehen des Einkommensteuerbescheides für den Veranlagungszeitraum 1995 gegenüber dem Kläger ist somit die Grundlage für das Behaltendürfen der von seinem Arbeitslohn einbehaltenen Steuerabzugsbeträge für das FA, die sich aus den Lohnsteueranmeldungen ergab, entfallen. Der Einkommensteuerbescheid 1995 bildet nunmehr die alleinige Grundlage für die Verwirklichung der Einkommensteuerschuld 1995, d.h. für die Frage einer Abschlusszahlung oder einer Erstattung. Das gilt auch hinsichtlich des dem Kläger nach Beendigung der Steuerpflicht zugeflossenen Arbeitslohnes und der davon einbehaltenen Lohnsteuer. Da der Steuerbescheid nur die auf den Zeitraum der unbeschränkten Steuerpflicht entfallenden Einkünfte der Besteuerung unterwirft, ist der nach diesem Zeitraum zugeflossene Arbeitslohn bei der Veranlagung nicht angesetzt worden. Die davon einbehaltene Lohnsteuer ist aber auf die Einkommensteuerschuld 1995 des Klägers anzurechnen, weil sie vom Arbeitgeber in der irrigen Annahme, der Kläger unterliege auch insoweit der unbeschränkten Steuerpflicht, einbehalten und abgeführt worden ist. Da sich die Finanzverwaltung seit dem Ergehen des Einkommensteuerbescheides für den Veranlagungszeitraum 1995 nicht mehr auf die entsprechenden Lohnsteueranmeldungen als Behaltensgrund berufen kann, steht der Anrechnung der Lohnsteuer auf die Einkommensteuerschuld nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG kein formeller Bescheid mehr im Wege.

Das gilt auch hinsichtlich einer etwaigen Einbehaltung der Lohnsteuer unter Annahme einer beschränkten Steuerpflicht des Klägers. Denn der Kläger ist --wie oben (1.) ausgeführt-- mit den ab Juli 1995 bezogenen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit mangels deren Ausübung oder Verwertung im Inland nicht beschränkt einkommensteuerpflichtig (§§ 1 Abs. 4, 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG). Eine Veranlagung als beschränkt Steuerpflichtiger kommt somit nicht in Betracht. Folglich findet die in § 50 Abs. 5 Satz 1 EStG vorgeschriebene Abgeltungswirkung des Steuerabzugs vom Arbeitslohn, die bei beschränkt Steuerpflichtigen die Anrechnung der Lohnsteuer ausschließt, im Streitfall keine Anwendung.

5. Schließlich steht auch der im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde ergangene Beschluss des Senats vom 15. November 1999 VII B 155/99 (BFH/NV 2000, 547) der Anrechnung der hier streitigen anteiligen Lohnsteuer nicht entgegen. In der dortigen Entscheidung ist die Anrechnung von Lohnsteuer, die vom Arbeitgeber deshalb zu Unrecht angemeldet worden war, weil der entsprechende Arbeitslohn (Abfindung) dem Arbeitnehmer gar nicht zugeflossen ist, dem Arbeitnehmer versagt und ein Rückforderungsanspruch des Arbeitgebers bejaht worden. Es fehlte somit mangels Zuflusses des entsprechenden Arbeitslohnes an einer gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG anrechenbaren "durch Steuerabzug erhobenen Einkommensteuer". Im Streitfall ist dagegen dem Kläger nach Beendigung seiner inländischen Steuerpflicht der Arbeitslohn weiterhin ausgezahlt und von diesem zu Unrecht Lohnsteuer einbehalten und abgeführt worden.

Ende der Entscheidung

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