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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 24.04.2003
Aktenzeichen: VII R 47/02
Rechtsgebiete: FGO


Vorschriften:

FGO § 56 Abs. 1
Die Faxnummer des Gerichts gehört weder zur Adressierung der "vorab per Telefax" zu übermittelnden Rechtsmittelschrift noch sonst zu den notwendigen Angaben, die ein Rechtsanwalt oder ein sonstiger kundiger Prozessbevollmächtigter persönlich aus dem Faxverzeichnis oder anderen Unterlagen herauszusuchen oder zu überprüfen hätte, ehe er den Schriftsatz unterschreibt. Beim Heraussuchen und Eingeben der Faxnummer in das Faxgerät handelt es sich vielmehr um Hilfstätigkeiten, die in jedem Fall dem geschulten Kanzleipersonal eigenverantwortlich überlassen werden können.
Gründe:

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) begehrt von dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Hauptzollamt --HZA--) die Vergütung von Mineralölsteuer wegen eines erlittenen Zahlungsausfalls. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren ging die Klageschrift der Klägerin um einen Tag zu spät beim Finanzgericht (FG) ein. Das FG gewährte nicht die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Klagefrist und wies die Klage deshalb als unzulässig ab. Nach den Feststellungen des FG ist die Klage zwar noch rechtzeitig in den Abendstunden des 16. November 1998 vom Faxgerät des Büros des Prozessbevollmächtigten der Klägerin aus abgesandt worden; dabei ist jedoch die Faxnummer des Landgerichts D angewählt worden. Von dort ist die Klageschrift am nächsten Morgen an das FG (Sitz ebenfalls in D) weitergeleitet worden. Die Klageschrift enthielt im Adressfeld (vor der Adresse des FG) den Vermerk "Vorab per Telefax"; eine Empfänger-Faxnummer war nicht angegeben.

Zur Ablehnung des Wiedereinsetzungsantrags führte das FG unter Berufung auf den Beschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 7. Juni 1991 IV R 32/91 (BFH/NV 1991, 761) aus, ein Prozessbevollmächtigter müsse prüfen, ob eine Rechtsmittelschrift alle notwendigen Angaben richtig enthalte und insbesondere auch richtig adressiert sei. Dies habe der Prozessbevollmächtigte der Klägerin schuldhaft unterlassen. Er habe die Klageschrift, die vorab per Fax übermittelt werden sollte, unterschrieben, ohne dass darauf die Empfänger-Faxnummer angegeben gewesen sei. Damit habe er nicht für die vollständige Adressierung gesorgt bzw. die vollständige Adressierung nicht überwacht. Er habe die --hinsichtlich der Empfänger-Faxnummer-- unvollständige Klageschrift vielmehr seinen Mitarbeitern zur weiteren Bearbeitung überlassen. Unter diesen Umständen könne die Verwendung einer falschen Empfänger-Faxnummer durch einen der Mitarbeiter des Prozessbevollmächtigten nicht als (nicht schuldhaftes) Büroversehen angesehen werden.

Gegen dieses Urteil des FG wendet sich die Klägerin mit ihrer Revision. Die Klägerin rügt die fehlerhafte Rechtsanwendung des FG hinsichtlich der Behandlung ihres Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Begründung bringt sie im Wesentlichen vor, das FG habe die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht des Prozessbevollmächtigten überspannt und sich auch in Widerspruch zur höchstrichterlichen Rechtsprechung gesetzt. Die Wahl der richtigen Telefaxnummer sei eine rein büromäßige Aufgabe und dürfe geschultem Büropersonal überlassen werden. Die Empfänger-Faxnummer gehöre entgegen der Annahme des FG nicht einmal zur vollständigen Adressierung der Klageschrift, da sie nur der Person diene, die auf der Absenderseite das Telefaxgerät zu bedienen habe. Dies gelte auch in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem im Adressfeld zunächst der Hinweis "Vorab per Telefax" angegeben gewesen sei, weil es sich dabei lediglich um einen Hinweis an das empfangende Gericht handele, beim späteren Eingang des Originals des Schriftsatzes nicht noch ein weiteres Geschäftszeichen zu vergeben. Ein Rechtsanwalt habe seiner Sorgfaltspflicht genügt, wenn er seine zuverlässige Bürokraft anweise, die Telefaxnummer herauszusuchen und die Klage "per Telefax" zu übermitteln, denn die Ermittlung und Kontrolle der richtigen Telefaxnummer des zutreffend bezeichneten Empfängers dürfe der Anwalt dem geschulten und zuverlässigen Personal überlassen. Im Übrigen habe in der Kanzlei die allgemeine Anweisung bestanden, die Telefaxnummer aus dem amtlichen Verzeichnis zu entnehmen.

Die Revision der Klägerin ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Das FG hat die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht, die ein Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigter bei der Übermittlung einer Klageschrift an das FG "vorab per Telefax" zu erfüllen hat, überspannt. Die vom FG gegebene Begründung für das Vorliegen eines Verschuldens des Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Zusammenhang mit der Übermittlung der Klageschrift per Fax, welches der Klägerin gemäß § 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozessordnung zuzurechnen wäre, trägt die Ablehnung des gestellten Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht (§ 56 Abs. 1 FGO).

a) Zwar ist das FG zutreffend davon ausgegangen, dass nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ein Prozessbevollmächtigter die Anfertigung einer Rechtsmittelschrift auch geschultem Büropersonal nicht eigenverantwortlich überlassen darf. Er muss jedenfalls prüfen, ob die Rechtsmittelschrift vollständig ist, alle notwendigen Angaben richtig enthält und an das richtige Gericht adressiert ist (BFH in BFH/NV 1991, 761, m.w.N.). In diesem vom BFH entschiedenen Fall, auf den sich das FG stützt, hatte der Prozessbevollmächtigte nicht bemerkt, dass die Revisionsschrift --statt an das FG, wie nach altem Recht erforderlich-- irrtümlich an den BFH adressiert war. U.a. deshalb wurde die Wiedereinsetzung versagt. Bis auf die Bezeichnung des richtigen Gerichts enthält der BFH-Beschluss jedoch keine weiteren Anforderungen an die Adressierung. Insbesondere verhält er sich nicht dazu, ob die Angabe der Telefaxnummer des Empfängers zur richtigen Adressierung gehört, wie das FG meint.

b) Zu dieser Frage hat der BFH noch nicht abschließend entschieden; er hat jedoch in mehreren Entscheidungen deutlich gemacht, dass er diese Frage in einem anderen Sinne als das FG beantwortet haben möchte. So heißt es im Senatsbeschluss vom 12. Juli 1999 VII B 81/99 (BFH/NV 1999, 1655), dass sich ein Rechtsanwalt bei der Übermittlung eines fristgebundenen Schriftsatzes durch Telefax grundsätzlich darauf verlassen darf, dass sein zuverlässiges Büropersonal bei einem richtig adressierten Schreiben die richtige Telefaxnummer ermittelt und in das Gerät eingibt. Dem kann entnommen werden, dass nach Auffassung des Senats die Telefaxnummer offenbar nicht zur richtigen Adressierung einer Rechtsmittelschrift gehört, ihr Heraussuchen vielmehr den Tätigkeiten zuzuordnen ist, die geschultem Büropersonal eigenverantwortlich überlassen werden können. Da das dort eingelegte Rechtsmittel aber aus einem anderen Grund als unzulässig verworfen worden ist, handelte es sich bei dieser Aussage des Senats lediglich um eine nicht tragende Aussage. In dem erst kürzlich ergangenen Beschluss des Senats vom 2. Juli 2002 VII B 292/01 (BFH/NV 2002, 1338) hat er diese Aussage --ebenfalls nicht tragend-- unter Hinweis auf den Vorbeschluss wiederholt.

c) Der Senat entscheidet die Frage nunmehr endgültig dahin gehend, dass die Faxnummer des Gerichts, an das der bestimmende Schriftsatz gerichtet ist, weder zur Adressierung der Rechtsmittelschrift noch zu den notwendigen Angaben gehört, die ein Rechtsanwalt oder sonstiger kundiger Prozessbevollmächtigter persönlich aus dem Faxverzeichnis oder sonstigen Unterlagen herauszusuchen oder zu überprüfen hätte, ehe er den Schriftsatz unterschreibt. Beim Heraussuchen und Eingeben der Faxnummer in das Faxgerät handelt es sich vielmehr um Hilfstätigkeiten, die in jedem Fall dem geschulten Kanzleipersonal eigenverantwortlich überlassen werden können.

Die Telefaxnummer gehört jedenfalls nicht zur postalischen Adressierung im herkömmlichen Sinne. Wird ein fristgebundener Schriftsatz per Telefax übermittelt, bestimmt die Telefaxnummer zwar den Empfänger; ob diese Nummer aber auf dem Schriftstück vermerkt wird oder nicht, ist für die Übermittlung belanglos. Entscheidend ist, dass die richtige Telefaxnummer in das Sendegerät eingegeben wird. Daher ist der Senat der Auffassung, dass die Angabe der Faxnummer auf dem Schriftsatz weder zu dessen Adressierung noch zu den sonst notwendigen Angaben einer Rechtsmittelschrift gehört.

Dabei macht es keinen Unterschied, ob auf dem Schriftstück zusätzlich --wie im Streitfall-- der Vermerk "Vorab per Telefax" angebracht ist. Es spricht viel dafür, dass es sich bei diesem Vermerk, wie die Klägerin vorträgt, lediglich um einen Hinweis an das empfangende Gericht handelt, dass das Original des Schriftsatzes zu einem späteren Zeitpunkt auf dem normalen Postweg eingeht, beide Schriftstücke also inhaltlich identisch sind und von der Geschäftsstelle des Gerichts zu ein- und demselben Aktenzeichen genommen werden können. Doch selbst wenn der Vermerk eine Weisung des Prozessbevollmächtigten an sein Personal darstellen sollte, den Schriftsatz per Telefax an das angegebene Gericht zu übermitteln, so hätte dies für die Adressierung des Schriftsatzes keine Bedeutung, sondern wäre nötigenfalls bei der Beurteilung des organisatorischen Ablaufs in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten zu würdigen. Im Übrigen kann das Maß der Verantwortlichkeit eines Prozessbevollmächtigten nicht unterschiedlich danach bemessen werden, ob die Telefaxnummer des empfangenden Gerichts bereits auf dem Schriftsatz angegeben ist oder sonst die Weisung gegeben wird, das fristgebundene Schriftstück, das noch keine Faxnummer enthält, mittels Telefax zu übermitteln. In jedem Fall sind Heraussuchen und Eingabe der Telefaxnummer einfache büromäßige Aufgaben ohne rechtlichen Bezug, die der Prozessbevollmächtigte seinem zuverlässigen Personal überlassen darf.

d) Der Senat sieht sich in dieser Beurteilung in Übereinstimmung mit den anderen obersten Gerichtshöfen des Bundes. Sowohl der Bundesgerichtshof --BGH--(Beschlüsse vom 23. März 1995 VII ZB 19.94, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1995, 2105, und vom 20. Dezember 1999 II ZB 7/99, NJW 2000, 1043) als auch das Bundesverwaltungsgericht (Beschluss vom 6. August 1997 4 B 124.97, NJW 1998, 398) und die anderen obersten Bundesgerichte (vgl. dazu die Hinweise im Senatsbeschluss in BFH/NV 1999, 1655, 1656) vertreten die Auffassung, dass sich der Anwalt bei der Übermittlung eines fristgebundenen Schriftsatzes durch Telefax grundsätzlich darauf verlassen darf, dass sein zuverlässiges Büropersonal bei einem richtig adressierten Schreiben die zutreffende Telefaxnummer ermittelt und in das Gerät eingibt. Er darf sich insoweit darauf beschränken, seinem Personal entsprechende Weisungen, auch über die notwendige Kontrolle dieser Vorgänge, zu erteilen und deren Beachtung stichprobenweise zu überwachen (vgl. dazu auch den BGH-Beschluss vom 10. Januar 2000 II ZB 14/99, NJW 2000, 1043, 1044).

2. Da das angefochtene Urteil des FG den dargestellten Grundsätzen widerspricht, war es aufzuheben. Die Sache war zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen, da der Senat nicht einmal abschließend über den Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin, geschweige denn in der Sache selbst, entscheiden kann. Das FG hat, von seinem Standpunkt aus zutreffend, keinerlei Feststellungen zur Frage, ob das vorliegende Büroversehen nach den Umständen entschuldbar ist, getroffen. Hierzu wird es zu prüfen haben, ob die Ausführungen der Klägerin zur Zuverlässigkeit des Büropersonals ihres Prozessbevollmächtigten und dazu, ob in der Kanzlei klare Organisationsanweisungen für das Heraussuchen von Faxnummern und das Verschicken von Faxen bestehen, deren Einhaltung gelegentlich auch kontrolliert wird, ausreichend sind, ein Organisationsverschulden auszuschließen. Nur vorsorglich bemerkt der Senat, dass die Übertragung des Heraussuchens der Faxnummer durch eine zuverlässige Bürokraft auf einen Lehrling (Auszubildende/r) im dritten Lehrjahr als solche einer Wiedereinsetzung nicht entgegensteht. Auch insoweit kommt es ausschließlich darauf an, ob in der Kanzlei ausreichende organisatorische Anweisungen zur Überwachung der Tätigkeit des Lehrlings getroffen waren (vgl. BGH-Beschluss vom 14. Juli 1994 VII ZB 7/94, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1995, 279).

Ende der Entscheidung

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