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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 21.11.2002
Aktenzeichen: VII R 67/98 (1)
Rechtsgebiete: FGO


Vorschriften:

FGO § 118 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) hat 1996 Schmelzkäse mit Ausfuhranmeldung unter der Marktordnungs-Warenlistennummer 0406 3039 9500 ausgeführt und dafür auf ihren Antrag vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Hauptzollamt --HZA--) Ausfuhrerstattung in Höhe von ... DM als Vorschuss erhalten. Die Untersuchung einer der Warensendung bei der Ausfuhr entnommenen Probe hat ergeben, dass der Ware von der Herstellerfirma Pflanzenfett zugesetzt worden ist und dass die Ware deshalb als Lebensmittelzubereitung der Marktordnungs-Warenlistennummer 2106 9098 0000 zuzuweisen ist. Da es sich dabei um eine Nicht-Anhang II-Ware handelt (heute: Nicht-Anhang I-Ware) und die Klägerin die deshalb für die Gewährung von Ausfuhrerstattung erforderliche Herstellererklärung über die Zusammensetzung der Ware nach Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1222/94 (VO Nr. 1222/94) der Kommission vom 30. Mai 1994 zur Festlegung der gemeinsamen Durchführungsvorschriften für die Gewährung von Ausfuhrerstattungen und der Kriterien zur Festsetzung des Erstattungsbetrages für bestimmte landswirtschaftliche Erzeugnisse, die in Form von nicht unter Anhang II des Vertrages fallenden Waren ausgeführt werden (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- Nr. L 136/5), nicht abgegeben hat, forderte das HZA mit bestandskräftig gewordenem Bescheid die der Klägerin gewährte Ausfuhrerstattung zuzüglich 15 % zurück.

Mit weiterem Bescheid verlangte das HZA von der Klägerin die Zahlung einer Sanktion in Höhe von ... DM gemäß Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a der Verordnung (EWG) Nr. 3665/87 (VO Nr. 3665/87) der Kommission vom 27. November 1987 über gemeinsame Durchführungsvorschriften für Ausfuhrerstattungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen (ABlEG Nr. L 351/1) i.d.F. der Verordnung (EG) Nr. 2945/94 der Kommission vom 2. Dezember 1994 (ABlEG Nr. L 310/57) --heute Art. 51 der Verordnung (EG) Nr. 800/99 (ABlEG Nr. L 102/11)--. Nach dieser Vorschrift vermindert sich die Ausfuhrerstattung um einen Betrag in Höhe des halben Unterschieds zwischen der beantragten Erstattung und der für die tatsächliche Ausfuhr geltenden Erstattung, wenn festgestellt wird, dass ein Ausführer eine höhere als die ihm zustehende Ausfuhrerstattung beantragt hat. Diese Sanktion entfällt jedoch in einer Reihe von in Unterabs. 2 aufgeführten Fällen, unter anderem im Falle höherer Gewalt.

Die von der Klägerin wegen des --später vom HZA auf ... DM ermäßigten-- Sanktionsbetrages erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) --unter Aufhebung des Sanktionsbescheides, soweit in diesem ein 15 %iger Zuschlag zu dem Verminderungsbetrag festgesetzt worden war-- durch das in Entscheidungen der Finanzgerichte 1999, 302 (Leitsatz) und der Zeitschrift für Zölle + Verbrauchsteuern (ZfZ) 1999, 25 veröffentlichte Urteil abgewiesen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom FG zugelassene Revision der Klägerin. Die Klägerin beantragt, den Gerichtsbescheid des FG, soweit in ihm die Klage abgewiesen worden ist, sowie den Sanktionsbescheid des HZA in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben.

Das HZA beantragt, die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Der erkennende Senat hat eine Vorabentscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) eingeholt (Senatsbeschluss vom 4. April 2000 VII R 67/98, BFHE 192, 377), der mit dem in ZfZ 2002, 341 veröffentlichten Urteil vom 11. Juli 2002 Rs. C-210/00 entschieden hat, die Prüfung habe nichts ergeben, was die Gültigkeit von Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a VO Nr. 3665/87 in Frage stellen könnte, soweit er eine Sanktion für den Ausführer vorsieht, der ohne eigenes Verschulden eine höhere als die ihm zustehende Ausfuhrerstattung beantragt hat. Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 3 erster Gedankenstrich dieser Verordnung sei im Übrigen dahin auszulegen, dass kein Fall höherer Gewalt vorliegt, wenn ein Ausführer gutgläubig einen Antrag auf Ausfuhrerstattung auf der Grundlage falscher Informationen des Herstellers der ausgeführten Waren ausfüllt und er die Unrichtigkeit der Informationen nicht erkennen konnte oder nur mit Hilfe von Kontrollen im Herstellungsbetrieb hätte erkennen können.

II. Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Das Urteil des FG entspricht dem Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Der angefochtene Bescheid hat eine Rechtsgrundlage in Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a VO Nr. 3665/87, der höherrangigen Rechtsgrundsätzen entspricht. Die Klägerin hat eine höhere als die ihr zustehende Erstattung beantragt. Denn sie hat die Ausfuhrware einem Code der Erstattungsnomenklatur zugeordnet, dem sie aufgrund ihrer (inzwischen unstreitigen) Beschaffenheit nicht zuzuordnen ist, was nicht strittig und vom FG (Bl. 8 des Urteils) rechtlich überzeugend begründet worden ist. Wäre die von der Klägerin in dem Erstattungsantrag vorgenommene Zuordnung der Ware zutreffend gewesen, hätte der Klägerin (die ihr als Vorschuss tatsächlich gewährte) Ausfuhrerstattung zugestanden, während es an einem Erstattungsanspruch bei der gebotenen Einreihung der Ausfuhrware als einer Lebensmittenzubereitung fehlt.

Die Revision meint zwar, der Klägerin stehe trotz ihrer falschen Angaben in dem Erstattungsantrag sogar eine höhere als die von ihr beantragte Ausfuhrerstattung zu, da sie für die von ihr tatsächlich ausgeführte Lebensmittelzubereitung ungeachtet der fehlenden Herstellererklärung Erstattung nach Maßgabe des Art. 7 Abs. 2 Unterabs. 2 VO Nr. 1222/94 beanspruchen könne und der dafür geltende Erstattungssatz höher sei als der von ihr beantragte. Mit diesem Vorbringen kann die Revision indes nicht durchdringen. Nach der vorgenannten Vorschrift kann zwar auch bei Fehlen der Herstellererklärung nach Art. 7 Abs. 1 VO Nr. 1222/94 unter Umständen eine Erstattung gewährt werden. Dies setzt zum einen jedoch einen ausdrücklichen Antrag voraus. Die Klägerin meint unter Berufung auf das Urteil des erkennenden Senats vom 3. Dezember 1985 VII R 124-125/82 (BFHE 145, 465) offenbar, diesen Antrag noch stellen zu können, obwohl das HZA die Gewährung von Ausfuhrerstattung für die betreffende Ware --nach seinem Vortrag auch unter Berücksichtigung der vorgenannten Vorschrift-- bereits bestandskräftig abgelehnt hat. Zumindest ist die Klägerin der Ansicht, in dem hier fraglichen Zusammenhang der Anwendung des Art. 11 VO Nr. 3665/87 sei dem fehlenden Antrag keinerlei Bedeutung beizumessen; es komme nur darauf an, ob ihr gleichsam rein materiell-rechtlich gesehen die beantragte Erstattung (ungeachtet der Erfüllung verfahrensrechtlicher Voraussetzungen) zugestanden hätte. Diese Rechtsansichten der Klägerin bedürfen indes schon deshalb keiner Widerlegung, weil die Gewährung von Ausfuhrerstattung nach der vorgenannten Vorschrift neben einem Antrag ferner voraussetzt, dass der Antragsteller den zuständigen Behörden zufriedenstellend nachweist, dass er die erforderlichen Informationen über die Herstellungsbedingungen der auszuführenden Ware nicht besitzt oder nicht liefern kann (Art. 7 Abs. 2 Unterabs. 2 Halbsatz 1 VO Nr. 1222/94). Dass dieser Nachweis im Streitfall erbracht ist, hat das FG nicht festgestellt; wenn die Klägerin, die dazu nichts Substantiiertes vorträgt, es sollte behaupten wollen, wäre dies im Revisionsverfahren unzulässiges neues tatsächliches Vorbringen.

Die Klägerin hat nach alledem eine höhere als die ihr tatsächlich zustehende Erstattung beantragt. Der Tatbestand des Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 VO Nr. 3665/87 ist demnach erfüllt. Ob die Klägerin, was die Revision in Abrede stellt, zu der von ihr gemachten Angabe über die Tarifierung der Ausfuhrware erstattungsrechtlich verpflichtet war, kann letztlich dahinstehen, weil die Klägerin eine Zuordnung der Ausfuhrware zur Erstattungsnomenklatur jedenfalls tatsächlich vorgenommen hat. Die Verpflichtung dazu ergibt sich im Übrigen eindeutig aus Art. 3 Abs. 5 Satz 1 Buchst. a VO Nr. 3665/87; sie beschränkt sich auch nicht etwa darauf, diesbezügliche Angaben nach bestem eigenen Wissen zu machen, und sie besteht ungeachtet möglicherweise weniger strenger Pflichten bei einer Zollanmeldung.

2. Das HZA hatte demnach die in Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a VO Nr. 3665/87 vorgesehene Sanktion gegen die Klägerin zu verhängen. Wie das FG richtig ausgeführt hat, sind die Voraussetzungen nicht erfüllt, unter denen die in dieser Bestimmung geregelte Sanktion entfällt; es liegt kein Fall höherer Gewalt i.S. des Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 3 VO Nr. 3665/87 vor, der hier von den dort geregelten Ausnahmefällen allenfalls in Betracht kommen könnte.

Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH ist der Begriff der höheren Gewalt im Sinne von ungewöhnlichen und unvorhersehbaren Umständen zu verstehen, die vom Willen des betreffenden Wirtschaftsteilnehmers unabhängig sind und deren Folgen trotz aller aufgewandten Sorgfalt nur um den Preis unverhältnismäßiger Opfer vermeidbar gewesen wären (vgl. zuletzt EuGH-Urteile vom 15. Dezember 1994 Rs. C-136/93, EuGHE 1994, I-5757, und vom 13. Oktober 1993 Rs. C-124/92, EuGHE 1993, I-5061). Der Begriff der höheren Gewalt umfasst danach nicht jedes schuldlose Verhalten. Der EuGH hat insbesondere die Nichterfüllung vertraglicher Pflichten eines Geschäftspartners des Ausführers nicht als ein unvorhersehbares und ungewöhnliches Ereignis gewertet, sondern von dem Marktteilnehmer verlangt, geeignete Vorkehrungen gegen ein solches Verhalten zu treffen, indem er entsprechende Klauseln in den Vertrag mit seinem Geschäftspartner aufnimmt oder eine besondere Versicherung abschließt (EuGH-Urteile vom 27. Oktober 1987 Rs. 109/86, EuGHE 1987, 4319, und vom 9. August 1994 Rs. C-347/93, EuGHE 1994, I-3933).

Der EuGH hat diese Rechtsprechung in der in diesem Verfahren eingeholten Vorabentscheidung fortgeführt und dazu den eingangs als zweites angeführten Rechtssatz aufgestellt. Höhere Gewalt liegt demnach im Streitfall nicht vor. Nach den Feststellungen des FG kann zwar davon ausgegangen werden, dass die Klägerin über die (nicht vertragsgemäße) Beschaffenheit der (von einem Dritten hergestellten) Ware auf der Grundlage von diesem erhaltener Informationen in ihrem Antrag auf Ausfuhrerstattung gutgläubig falsche Angaben gemacht hat und die Unrichtigkeit dieser Informationen nicht erkennen konnte oder nur mit Hilfe von Kontrollen im Herstellungsbetrieb hätte erkennen können. Dies stellt jedoch, wie der EuGH im Anschluss an den Beschluss des erkennenden Senats in BFHE 192, 377 erkannt hat, ein normales und vorhersehbares Geschäftsrisiko dar, gegen dessen Folgen sich die Klägerin hätte schützen müssen und können.

Es kann offen bleiben, ob etwas anderes gelten würde, ein Fall höherer Gewalt also anzunehmen wäre, wenn der Hersteller der Ausfuhrware seinerseits von höherer Gewalt betroffen war, z.B. weil er den für die fehlende Erstattungsfähigkeit der Ware ursächlichen Mangel nicht oder nur durch Vorkehrungen bei der Steuerung und Überwachung des Produktionsprozesses hätte verhindern können, die ihm ein "unverhältnismäßiges Opfer" abverlangen (vgl. hierzu Jäger, Kautionen im Agrarrecht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, 1994, S. 231 f.). Denn das FG hat nicht festgestellt, dass ein solcher Sachverhalt hier vorliegt. Es hat insbesondere nicht festgestellt, dass das Herstellerwerk in einem unvermeidbaren Rechtsirrtum darüber war, dass der Zusatz von Pflanzenfett eine andere Tarifierung des Schmelzkäses zur Folge hat; im Gegenteil hat die Klägerin selbst vorgetragen, es sei völlig unverständlich, warum dies bei der Herstellung nicht beachtet worden sei. Ebenso wenig hat das FG Tatschen festgestellt, die in Betracht kommen lassen könnten, die nicht vertragsgemäße Beschaffenheit der Ware beruhe auf Unregelmäßigkeiten bei der Herstellung der Ware, die für den Vertragspartner der Klägerin nicht vorhersehbar waren und nicht zu seinen normalen Geschäftsrisiken gehörten, so dass sie deshalb für den Hersteller der Ware höhere Gewalt darstellten.

Ende der Entscheidung

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