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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 06.06.2000
Aktenzeichen: VII R 68/99
Rechtsgebiete: StBerG, FGO


Vorschriften:

StBerG § 46 Abs. 2 Nr. 5
StBerG § 46 Abs. 2 Nr. 4
FGO § 118 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist im Februar 1991 als Steuerberater bestellt worden. Nachdem die Krankenkasse der beigeladenen Steuerberaterkammer im August 1998 mitgeteilt hatte, dass der Kläger ihr für mehrere Monate Sozialversicherungsbeiträge schulde und Zwangsvollstreckungsmaßnahmen erfolglos verlaufen seien, und eine Nachfrage des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzministerium --FinMin--) beim Amtsgericht F ergeben hatte, dass gegen den Kläger neun Haftbefehle zur Erzwingung der eidesstattlichen Versicherung vorlagen, der letzte vom 11. Dezember 1998, widerrief das FinMin mit dem angefochtenen Bescheid vom 29. Januar 1999 die Bestellung des Klägers als Steuerberater wegen eines vermuteten Vermögensverfalls. Die dagegen gerichtete Klage blieb erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) hielt die Klage für unbegründet. Es sei unstreitig, dass gegen den Kläger im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung immer noch ein Haftbefehl wegen Abgabe der eidesstattlichen Versicherung vorgelegen habe. Dementsprechend sei zu vermuten, dass der Kläger in Vermögensverfall geraten sei. Das werde durch die ebenfalls unstreitigen Steuerschulden von über ... DM unterstrichen. Hierfür spreche auch, dass der Kläger mit der Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge für seine Bediensteten mit über ... DM in Rückstand geraten sei. Der dem Kläger obliegende Entlastungsbeweis, dass durch den Vermögensverfall die Interessen seiner Auftraggeber nicht gefährdet seien, sei ihm nicht gelungen. Der Umstand, dass der Kläger einbehaltene Lohnsteuer in Höhe von über ... DM nicht an das Finanzamt (FA) abgeführt und die einbehaltenen Sozialversicherungsbeiträge für seine Mitarbeiter nicht weitergeleitet habe, lasse erkennen, dass der Kläger bereit sei, sich infolge seiner finanziellen Schwierigkeiten über die ihm gezogenen gesetzlichen Grenzen hinwegzusetzen. Im Einsatz wirtschaftlich fremder Mittel in nicht unbeträchtlicher Höhe über eine nicht unbeträchtliche Zeitdauer für eigene Zwecke liege eine konkrete Gefahr auch für die Interessen der Mandanten des Klägers, die er nicht damit ausräumen könne, dass er nach seinem Vortrag keinen Zugriff auf Mandantengelder habe.

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine nicht zutreffende Anwendung des § 46 Abs. 2 Nr. 5 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG). Das FG habe seinen Vortrag im Schriftsatz vom 15. April 1999 zur Widerlegung der Vermutung des Vermögensverfalls unberücksichtigt gelassen und auf sein Angebot, aktuelle betriebswirtschaftliche Auswertungen vorzulegen, nicht reagiert. Das Gericht habe damit die ihm obliegende Aufklärungs- und Hinweispflicht verletzt und damit dem Kläger den Weg zur Widerlegung der Vermutung des Vermögensverfalls versperrt. Außerdem habe das FG am Gesetzestext vorbei nicht die konkrete Gefährdung von Mandanteninteressen festgestellt. Aus der Nichtabführung von Umsatz- und Lohnsteuer lasse sich nicht immer eine Gefährdung von Mandanteninteressen herleiten. Der Eingriff in Art. 12 des Grundgesetzes (GG) sei derart schwerwiegend, dass ein Widerruf nur gerechtfertigt sei, wenn de facto eine Gefährdung für die öffentliche Ordnung, d.h. die Interessen der Rechtssuchenden vorliege. Es sei logisch nicht möglich, eine negative Tatsache zu beweisen. § 46 Abs. 2 Nr. 5 StBerG sei deshalb teleologisch dahingehend auszulegen, dass der Kläger Umstände vortragen müsse, aus denen entnommen werden könne, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit bei objektiver Betrachtung Mandanteninteressen durch den Vermögensverfall nicht gefährdet würden. Solche unbestrittenen Umstände habe er vorgetragen. Eine potenzielle Gefährdung von Mandanteninteressen könne nie ausgeräumt werden. Es bedeute eine Überspannung der Substantiierungspflicht des Klägers, wenn seine Darlegung nicht ausreichen sollte, wonach er in der gewöhnlichen Ausübung seiner Tätigkeit keine Mandanteninteressen gefährden könne.

Der Kläger beantragt,

die Vorentscheidung und den Widerruf seiner Bestellung als Steuerberater aufzuheben.

Das FinMin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Es führt im Einzelnen aus, dass die Vorentscheidung zutreffend sei.

II. Die Revision des Klägers ist unbegründet. Die vom Kläger gegen die --im Ergebnis zutreffende-- Vorentscheidung geltend gemachten Bedenken greifen nicht durch.

1. Rechtsgrundlage für den Widerruf der Bestellung des Klägers als Steuerberater ist im Streitfall § 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG in der ab 1. Januar 1999 geltenden Fassung des Art. 62 des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung (EGInsO) vom 5. Oktober 1994 (BGBl I, 2911, 2940) i.d.F. des Art. 1 Nr. 14 des Gesetzes zur Änderung des EGInsO und anderer Gesetze vom 19. Dezember 1998 (BGBl I, 3836, 3838). Danach ist die Bestellung als Steuerberater zu widerrufen, wenn der Steuerberater in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, dass dadurch die Interessen der Auftraggeber nicht gefährdet sind; ein Vermögensverfall wird vermutet, wenn ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Steuerberaters eröffnet oder der Steuerberater in das vom Insolvenzgericht oder Vollstreckungsgericht zu führende Verzeichnis eingetragen ist.

Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 22. August 1995 VII R 63/94 (BFHE 178, 504, BStBl II 1995, 909) ausgeführt hat, ist die durch die genannten Tatbestände begründete gesetzliche Vermutung, dass der Steuerberater in Vermögensverfall geraten ist, widerlegbar. Es obliegt dem Steuerberater, im Einzelnen substantiiert die Umstände vorzutragen, die zur Widerlegung der Vermutung führen (vgl. Senatsbeschluss vom 11. November 1994 VII B 129/94, BFH/NV 1995, 441). Gleichfalls trifft den Steuerberater auch die Darlegungs- und Feststellungslast dafür, dass die Bestellung (ausnahmsweise) nicht zu widerrufen ist, wenn die Interessen der Auftraggeber durch den Vermögensverfall nicht gefährdet sind (vgl. Senatsurteile vom 22. September 1992 VII R 43/92, BFHE 169, 286, BStBl II 1993, 203; vom 15. November 1994 VII R 48/94, BFH/NV 1995, 736, und vom 4. April 1995 VII R 74/94, BFH/NV 1995, 1019; Senatsbeschluss vom 19. November 1998 VII B 196/98, BFH/NV 1999, 522).

2. Es trifft zwar zu, dass sich das FG in den Gründen der Vorentscheidung nicht damit auseinander gesetzt hat, ob der auf Grund der Eintragung des Klägers im Schuldnerverzeichnis (§ 915 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung --ZPO--) vermutete Vermögensverfall widerlegbar ist und das FG die zur Widerlegung dieser Vermutung bestimmten Ausführungen des Klägers, insbesondere in seinem Schriftsatz vom 15. April 1999, nicht berücksichtigt hat. Die im Zusammenhang damit erhobene Verfahrensrüge des Klägers, dass das FG seine Pflicht zur Sachaufklärung und zu sachdienlichen Hinweisen (§ 76 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) verletzt habe, vermag der Revision jedoch letztlich nicht zum Erfolg zu verhelfen, weil sich die Entscheidung trotz der gerügten Verfahrensfehler unabhängig davon, ob sie tatsächlich vorliegen, als richtig darstellt (§ 126 Abs. 4 FGO).

Denn selbst wenn die vom Kläger in seinem Schriftsatz vom 15. April 1999 genannten Tatsachen zuträfen, würden sie angesichts der Höhe seiner Steuerschulden von über ... DM und der geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge von über ... DM nicht ausreichen, um die durch seine Eintragung in das Schuldnerverzeichnis begründete Vermutung seines Vermögensverfalls zu widerlegen. Ein Vermögensverfall liegt vor, wenn sich der Schuldner in ungeordneten, schlechten finanziellen Verhältnissen befindet, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann, und er außerstande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen (vgl. Senatsurteil in BFHE 178, 504, BStBl II 1995, 909, 910; und Senatsbeschluss vom 7. Juli 1998 VII B 60/98, BFH/NV 1999, 78). Ein Vermögensverfall ist demnach erst dann beseitigt, wenn der Schuldner mit den Gläubigern der titulierten Forderungen Vereinbarungen getroffen hat, die erwarten lassen, dass es zu keinen Vollstreckungsmaßnahmen mehr kommen wird (vgl. Beschluss des Bundesgerichtshofs --BGH--, vom 9. Dezember 1996 AnwZ (B) 35/96, NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht --NJW-RR-- 1997, 1558 zu der insoweit inhaltlich übereinstimmenden Vorschrift des § 7 Nr. 9 der Bundesrechtsanwaltsordnung --BRAO--). Nur dann ist anzunehmen, dass der Schuldner in Zukunft seine Schulden aus seinen Einkünften in geordneter und vorausschaubarer Weise begleichen kann und deshalb ein Vermögensverfall im Sinne des Gesetzes trotz der bestehenden Schulden nicht mehr besteht. Davon kann aber im Streitfall selbst unter Berücksichtigung des Vortrags im Schriftsatz des Klägers vom 15. April 1999 keine Rede sein. Denn der Kläger macht darin nur geltend, dass er mit seiner Praxis einen monatlichen Gewinn von ... DM erziele und unter Berücksichtigung der zum Lebensunterhalt notwendigen Entnahmen ein Betrag von monatlich ... DM zur Tilgung der Schulden zur Verfügung stehe. Er hat aber nicht dargelegt, dass er mit dem Steuergläubiger und dem Sozialversicherungsträger Vereinbarungen über eine planmäßige Tilgung der bestehenden erheblichen Schulden geschlossen habe oder der Abschluss solcher Vereinbarungen mit seinen Gläubigern Erfolg versprechend angebahnt sei.

Da somit selbst unter Berücksichtigung der vom FG nicht aufgeklärten Tatsachen von einem Vermögensverfall des Klägers auszugehen ist, kommt es, wie das FG somit im Ergebnis doch zutreffend ausgeführt hat, nur darauf an, ob dem Kläger der Entlastungsbeweis, dass nämlich Interessen seiner Auftraggeber nicht gefährdet werden, gelungen ist.

3. Das FG hat rechtsfehlerfrei erkannt, dass der Kläger diesen Entlastungsbeweis, anders als er meint, nicht geführt hat.

Es ist dem Kläger zwar einzuräumen, dass dieser Entlastungsbeweis, der den Nachweis einer negativen Tatsache verlangt, nur schwer zu führen ist (vgl. Senatsurteil in BFH/NV 1995, 736, m.w.N.). Das ändert aber nichts daran, dass der Gesetzgeber im Falle von § 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG den Nachweis von dem betroffenen Berufsangehörigen verlangt, wenn dieser bei einem Vermögensverfall den Widerruf seiner Bestellung als Steuerberater vermeiden will. Der Betroffene hat danach im Einzelnen genau und überprüfbar darzulegen, aus welchen Gründen in seinem konkreten Fall Interessen seiner Auftraggeber durch seinen Vermögensverfall nicht gefährdet werden. Die bloße Behauptung bestimmter Tatsachen reicht dafür nicht aus. An die diesbezüglich getroffenen Feststellungen des FG, nach denen der Kläger die Nichtgefährdung der Interessen seiner Auftraggeber nicht zur Überzeugung des Gerichts dargetan hat, ist der Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO grundsätzlich gebunden. Denn hierbei handelt es sich um die Feststellung von Tatsachen.

Allerdings kann der Senat überprüfen, ob das FG bei seiner Tatsachenfeststellung den Ausnahmetatbestand "Nichtgefährdung von Auftraggeberinteressen" zutreffend ausgelegt hat. Insoweit handelt es sich nämlich nicht um eine Tatsachenfeststellung, sondern um Rechtsanwendung, weil der für die Tatsachenfeststellung maßgebende Rechtsbegriff "Nichtgefährdung von Auftraggeberinteressen" auszulegen ist (vgl. Senatsurteil in BFH/NV 1995, 736). Der Senat teilt diesbezüglich die Auffassung des FG, dass im Streitfall aus der Tatsache der Nichtabführung einbehaltener Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge für die Mitarbeiter des Klägers auf eine Gefährdung auch von Interessen seiner Auftraggeber zu schließen sei.

Zwar muss nach dem Gesetzeswortlaut die bereits in dem Vermögensverfall des Klägers liegende potenzielle Gefährdung von Auftraggeberinteressen nicht automatisch zum Widerruf der Bestellung als Steuerberater führen, wenn er nachweist, dass trotz seines Vermögensverfalls die Interessen seiner Auftraggeber im konkreten Fall nicht gefährdet sind. Da aber eine potenzielle Gefährdung der Auftraggeberinteressen bereits in der Tatsache des Vermögensverfalls liegt, ist ein Nachweis, dass eine solche Gefährdung im konkreten Fall nicht gegeben ist, nur in Ausnahmefällen denkbar. Zumal es insoweit nicht darauf ankommt, ob Auftraggeberinteressen tatsächlich verletzt wurden, vielmehr auszuschließen ist, dass im konkreten Fall die Interessen von Auftraggebern gefährdet sind.

Es ist schon sehr fraglich, ob eine Gefährdung von Auftraggeberinteressen ausgeschlossen ist, wenn nachgewiesen wird, dass der Betroffene keine Geldempfangsvollmacht von Mandanten hat, keine treuhänderischen Aufgaben wahrnimmt und in der Vergangenheit die bestehende Haftpflichtversicherung nicht für ihn hat einstehen müssen (der Senat hat dies in seinem Urteil in BFHE 169, 286, BStBl II 1993, 203 für möglich gehalten; s. auch Späth, Bonner Handbuch der Steuerberatung, § 46 StBerG Rz. B 622.1, m.w.N.), weil es praktisch nicht kontrollierbar ist, ob sich der Betroffene an solche Vorgaben weiterhin hält (vgl. u.a. Feuerich/Braun, Bundesrechtsanwaltsordnung, 4. Aufl., § 14 Rdnr. 63 ff. zur entsprechenden Vorschrift in der BRAO. Selbst wenn aber eine entsprechende Ausgestaltung der vertraglichen Beziehungen zu den Mandanten als ausreichend angesehen würde, um eine Gefährdung ihrer Interessen durch den Vermögensverfall auszuschließen, lässt sich eine Gefährdung ihrer Interessen jedenfalls nicht verneinen, wenn feststeht, dass der Steuerberater in sonstigen geschäftlichen oder eigenen Angelegenheiten unzuverlässig ist und sich an gesetzliche Vorgaben nicht hält (vgl. Senatsurteile vom 4. April 2000 VII R 24/99, zur Veröffentlichung in BFH/NV bestimmt; und vom 3. November 1992 VII R 95/91, BFH/NV 1993, 624; Senatsbeschluss in BFH/NV 1995, 441). In diesem Fall ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Betroffene unter Missachtung vertraglicher Vereinbarungen auch Mandanteninteressen verletzt, so groß, dass von einer konkreten Gefährdung der Auftraggeberinteressen auszugehen ist.

Mit Recht hat deshalb das FG im Streitfall aus der Tatsache, dass der Kläger in der Vergangenheit in beträchtlichem Umfang die von seinen Mitarbeitern einbehaltenen Lohnsteuern und Sozialversicherungsbeiträge nicht vorschriftsgemäß abgeführt, sondern die ihm wirtschaftlich nicht zustehenden Beträge anderweitig verwendet hat, auf die konkret bestehende Gefahr geschlossen, dass der Kläger auch die Interessen seiner Mandanten missachten würde, falls ihn seine schlechten finanziellen Verhältnisse dazu zwingen würden. Dabei ist es unerheblich, dass Auftraggeberinteressen durch die festgestellten geschäftlichen Unregelmäßigkeiten bisher tatsächlich nicht verletzt wurden, weil es wie ausgeführt nur auf die Gefährdung solcher Interessen ankommt.

Ist eine solche Gefährdung nicht auszuschließen, dann steht auch Art. 12 GG dem gesetzlich vorgeschriebenen Widerruf der Bestellung des Klägers als Steuerberater nicht entgegen.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.



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