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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 05.10.2004
Aktenzeichen: VII R 76/03
Rechtsgebiete: AO 1977


Vorschriften:

AO 1977 § 73
AO 1977 § 233a
AO 1977 § 239 Abs. 1 Satz 1
1. Die in § 73 AO 1977 angeordnete Haftung der Organgesellschaft für Steuern des Organträgers erstreckt sich nicht auf steuerliche Nebenleistungen.

2. Von der in § 239 Abs. 1 AO 1977 angelegten Verweisung auf die für Steuern geltenden Vorschriften werden die haftungsrechtlichen Bestimmungen des Zweiten Teils der AO 1977 nicht erfasst.


Gründe:

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine Steuerberatungsgesellschaft mbH, bildete zusammen mit dem Diplom-Kaufmann G (G) eine umsatzsteuerliche Organschaft. Nachdem Vollstreckungsversuche wegen anderer Abgabenrückstände bei G, dem Organträger, nicht zum Erfolg geführt hatten, nahm der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) die Klägerin in ihrer Eigenschaft als Organgesellschaft mit Haftungsbescheid vom ... wegen rückständiger Nachforderungszinsen des Organträgers gemäß § 73 der Abgabenordnung (AO 1977) als Haftungsschuldnerin in Anspruch.

Nach erfolglosem Einspruch erhob die Klägerin Klage, die zur Aufhebung des Haftungsbescheides und der Einspruchsentscheidung durch das Finanzgericht (FG) führte. Das FG urteilte, dass die Haftung einer Organgesellschaft nach § 73 AO 1977 nicht die Haftung für steuerliche Nebenleistungen, wie z.B. Zinsen, erfasse. Dies ergebe sich aus dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift, nach dem sich die Haftung nur auf Steuern erstrecke. Für eine extensive Auslegung von § 73 AO 1977 sei daher kein Raum. Auch der Umstand, dass nach § 239 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 auf Zinsen die für Steuern geltenden Vorschriften entsprechende Anwendung finden, lasse keine andere rechtliche Beurteilung zu. Vielmehr folge aus dem Wortlaut von § 239 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AO 1977, dass die Verweisung nur Steuerfestsetzungsvorschriften erfasse. Demgegenüber erstrecke § 1 Abs. 3 AO 1977 die Vorschriften der AO 1977 generell auch auf steuerliche Nebenleistungen. Deshalb habe es der Verweisung in § 239 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 bedurft, um klar zu stellen, dass sich die Festsetzung von Zinsen nach den §§ 155 ff. AO 1977 richte. Im Übrigen belege die Stellung von § 239 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 innerhalb der Vorschriften über das Erhebungsverfahren, dass sich dessen Regelungsbereich nur auf die Verzinsungsfolgen aus der vorübergehenden Nichtverwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis erstrecke.

Gegen das erstinstanzliche Urteil wendet sich das FA mit seiner Revision. Seiner Ansicht nach beruht das Urteil auf einer unzutreffenden Auslegung von § 73 AO 1977. Entgegen der Auffassung des FG erfasse die streitgegenständliche Vorschrift auch Nachzahlungszinsen nach § 233a AO 1977. Dafür spreche der Grundgedanke, den Organkreis als einheitliches Ganzes zu betrachten. Zwar sei dem FG zuzugeben, dass dem Gesetzgeber bei der Abfassung von § 73 AO 1977 kein erkennbarer Irrtum unterlaufen sei, doch müsse bei der Auslegung berücksichtigt werden, dass § 233a AO 1977 erst durch das Steuerreformgesetz 1990 in die AO 1977 eingefügt worden sei. Folge man der Auffassung des FG, sei der Gesetzeszweck von § 73 AO 1977 weitgehend verfehlt. Denn wie der Fall zeige, würde der Organschaft durch die Besonderheiten dieses Rechtsinstituts ein ungerechtfertigter Vorteil in Höhe der Nachzahlungszinsen entstehen. Nach seinem Wortlaut beschränke § 73 AO 1977 die Haftung nicht auf die vom beherrschten Unternehmen verursachten Steuern, sondern erstrecke sie auf die gesamten Steuern des Organkreises. Mit dieser umfassenden Haftung würde den praktischen Schwierigkeiten bei der Aufteilung der vom Organträger geschuldeten Steuern begegnet. Eine haftungsrechtliche Inanspruchnahme sei dann als ermessensfehlerhaft anzusehen, wenn die Organschaft infolge der besonderen Unternehmensgestaltung keine wirtschaftlichen Vorteile erlangt habe. Im Umkehrschluss hierzu ergebe sich, dass eine Inanspruchnahme dann begründet sei, wenn der Organschaft solche Vorteile tatsächlich zugute gekommen seien. Auf die Erstreckung des Anwendungsbereiches von § 73 AO 1977 auf Nachzahlungszinsen weise auch § 239 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 hin.

Die Klägerin schließt sich der Rechtsauffassung des FG an. Die Haftung für Zinsen hätte in § 73 AO 1977 ausdrücklich angeordnet werden müssen. Aufgrund des eindeutigen Wortlauts der Vorschrift sei für eine extensive Auslegung kein Raum.

Die Revision des FA ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Vorentscheidung verletzt nicht Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO). Vielmehr hat das FG zutreffend entschieden, dass sich die Haftung der Organgesellschaft nach § 73 AO 1977 nicht auf steuerliche Nebenleistungen --wie im Streitfall Nachzahlungszinsen nach § 233a AO 1977-- erstreckt.

1. Nach § 73 AO 1977 haftet eine Organgesellschaft für solche Steuern des Organträgers, für welche die Organschaft zwischen ihnen steuerlich von Bedeutung ist. Die Haftung der im Organkreis untergeordneten Organgesellschaft für Steuerschulden des die Organgesellschaft beherrschenden Organträgers soll die steuerlichen Risiken ausgleichen, die mit der Verlagerung der steuerlichen Rechtszuständigkeit auf den Organträger verbunden sind. Durch den haftungsrechtlichen Zugriff auf das Vermögen der Organgesellschaft sollen bei Zahlungsunfähigkeit des Organträgers Steuerausfälle vermieden werden, die infolge von Vermögensverlagerungen innerhalb des Organkreises entstehen könnten. Nach Auffassung des Senats beschränkt sich der Anwendungsbereich der Vorschrift auf Steuern und kann nicht im Wege der Auslegung oder durch Anwendung von § 239 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 auf Nachzahlungszinsen ausgedehnt werden.

a) Der Wortlaut der Vorschrift ist eindeutig. Danach erstreckt sich die verschuldensunabhängige Haftung lediglich auf Steuern. Der Begriff "Steuern" in § 73 AO 1977 kann nicht dahin gehend verstanden werden, dass er auch Nachzahlungszinsen erfasst. Wie sich aus § 3 Abs. 4 AO 1977 ergibt, gehören Zinsen zu den steuerlichen Nebenleistungen und nicht zu den in § 3 Abs. 1 AO 1977 als Steuern definierten Abgaben. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber der in § 73 AO 1977 angeordneten Haftung einen von diesen Vorgaben abweichenden Steuerbegriff zugrunde legen wollte. Eine Einbeziehung von Zinsen hätte vielmehr einer ausdrücklichen Benennung dieser steuerlichen Nebenleistung oder zumindest einer Formulierung bedurft, nach der eine entsprechende Erstreckung der Haftung auf steuerliche Nebenleistungen deutlich geworden wäre.

b) Entgegen der Auffassung des FA kann § 239 Abs. 1 Satz 1 AO 1977, nach dem die für Steuern geltenden Vorschriften auf Zinsen entsprechend anzuwenden sind, nicht entnommen werden, dass sich über eine analoge Anwendung von § 73 AO 1977 die Haftung für Steuern in jedem Fall auch auf die mit ihnen akzessorisch verbundenen Zinsen erstreckt.

aa) In der Literatur lässt sich zu dieser Frage kein einheitliches Meinungsbild feststellen. Einerseits wird --zum Teil unter Hinweis auf § 239 Abs. 1 Satz 1 AO 1977-- die Haftung für Zinsen bejaht (so Schwarz, Kommentar zur Abgabenordnung, § 73 Rdnr. 6, § 239 Rdnr. 2; Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 73 AO 1977 Rdnr. 18; Rüsken in Klein, Abgabenordnung, 8. Aufl., § 73 Rdnr. 10), andererseits unter Bezugnahme auf den eingeschränkten Anwendungsbereich von § 239 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 und den Wortlaut der Haftungsvorschriften der §§ 69 ff. AO 1977 abgelehnt (vgl. Kruse/Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 73 AO 1977 Rdnr. 7, § 239 AO 1977 Rdnr. 1; Baum in Koch/Scholtz, Abgabenordnung, 5. Aufl., § 239 Rdnr. 4; Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 239 AO 1977 Rdnr. 4; Kögel in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 239 AO 1977 Rdnr. 2; Becker, Die Haftung nach §§ 73 und 74 AO 1977, Die steuerliche Betriebsprüfung, 2000, S. 278, sowie Flume, Steuerzinsen und Körperschaftsteuer, Der Betrieb 1985, S. 9, 10). Soweit ersichtlich haben auch die FG den Anwendungsbereich von § 239 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 auf die Vorschriften über die Steuerfestsetzung beschränkt (Urteil des FG Münster vom 6. November 1986 IV 159/85, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1987, 281, und Urteil des FG Baden-Württemberg vom 11. April 1988 X-K 265/85, EFG 1988, 488).

bb) Aus der Entstehungsgeschichte von § 239 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 lässt sich das vom FA vertretene Auslegungsergebnis nicht ableiten. Die in § 239 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 getroffene Regelung geht auf § 6 Abs. 2 Satz 2 des Steuersäumnisgesetzes (StSäumG) vom 13. Juli 1961 (BGBl I 1961, 981) zurück. Dieses Gesetz enthielt eigenständige Regelungen über die Erhebung von Säumniszuschlägen und Zinsen im Falle der nicht rechtzeitigen Entrichtung von Steuern. Unter der Überschrift "Rechtsnatur der Säumniszuschläge und der Zinsen; Haftung" bestimmte § 6 Abs. 2 StSäumG, dass Zinsen Nebenleistungen der Steuer sind, zu der sie erhoben werden und dass auf sie die für Steuern geltenden Vorschriften entsprechende Anwendung finden. Der Bundesfinanzhof (BFH) deutete die außerhalb der Reichsabgabenordnung stehende Vorschrift dahin, dass die in ihr ausgesprochene Verweisung auf die für Steuern geltenden Bestimmungen auch die Haftungsvorschriften erfasse (vgl. Senatsurteil vom 3. Februar 1982 VII R 101/79, BFHE 135, 167, BStBl II 1982, 355). Nach der Auffassung des erkennenden Senats kann diese zu § 6 Abs. 2 StSäumG getroffene Aussage hinsichtlich der Rechtslage nach der AO 1977 keine Geltung mehr beanspruchen.

Da sich aus § 1 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 nicht genau entnehmen lässt, welche Vorschriften der AO 1977 auf steuerliche Nebenleistungen sinngemäße Anwendung finden sollen und die Geltung der Vorschriften über die Steuerfestsetzung und die Haftung (§ 191 AO 1977) in § 1 Abs. 3 Satz 2 AO 1977 unter den Vorbehalt einer ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung gestellt werden, bestand für den Gesetzgeber Anlass, die Festsetzung für Zinsen einer eigenständigen Regelung zuzuführen und hierzu eine entsprechende Vorschrift im Fünften Teil der AO 1977 aufzunehmen. Nach der systematischen Stellung von § 239 AO 1977 im Fünften Teil der AO 1977 bezieht sich sein Regelungsgehalt auf den 1. Unterabschnitt des Dritten Abschnitts des Vierten Teils, der das Festsetzungs- und Feststellungsverfahren regelt. Auch die von § 6 StSäumG deutlich abweichende --und einschränkender gefasste-- Überschrift von § 239 AO 1977 (Festsetzung von Zinsen) deutet darauf hin, dass eine Erstreckung des Anwendungsbereiches auch auf andere Abschnitte der AO 1977 --insbesondere auf den die Haftung regelnden Vierten Abschnitt des Zweiten Teils-- nicht gewollt war. Aus diesen Umständen hat der BFH die Schlussfolgerung gezogen, dass die Verweisung in § 239 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 nur für solche Vorschriften gilt, die die Festsetzung von Steuern regeln (BFH-Urteil vom 23. November 1988 I R 180/85, BFHE 154, 552, BStBl II 1989, 116, mit Hinweisen auf Tipke/Kruse, a.a.O., § 239 AO 1977 Anm. 1, und Klein/Orlopp, a.a.O., 3. Aufl., § 239 Anm. 2).

Nach den Wertungen des Gesetzgebers stellt § 239 AO 1977 lediglich eine Verfahrensvorschrift dar, nach der Zinsen in gleicher Weise durch Bescheid festgesetzt werden wie Steuern (§ 155 Abs. 1 AO 1977). Hinsichtlich der Haftung für Steuern kommt ihm indes keine anspruchsbegründende Wirkung zu. Die Voraussetzungen für die Erfüllung eines Haftungstatbestandes bestimmen sich vielmehr nach den §§ 69 ff. AO 1977.

c) Der Wortlaut der Haftungsvorschriften stützt das zu § 239 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 gefundene Auslegungsergebnis. Denn träfe es zu, dass sich die Haftungstatbestände über die Verweisung in § 239 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 auch auf Zinsen erstreckten, hätte es der differenzierten Ausgestaltung der Haftungsvorschriften --insbesondere von § 71 AO 1977-- nicht bedurft (vgl. auch BFH-Entscheidung in BFHE 154, 552, 554, BStBl II 1989, 116).

aa) Nach § 69 Satz 1 AO 1977 umfasst die Vertreterhaftung Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, zu denen nach § 37 Abs. 1 AO 1977 auch Ansprüche auf steuerliche Nebenleistungen und folglich auch Zinsansprüche gehören (vgl. zur Haftung des Vertreters für steuerliche Nebenleistungen Senatsurteil in BFHE 135, 167, BStBl II 1982, 355). Damit hätte die Verweisung in § 239 Abs. 1 Satz 1 AO 1977, selbst wenn man diese auf Haftungsvorschriften anwenden wollte, für den Haftungstatbestand des § 69 AO 1977 lediglich eine klarstellende Bedeutung.

bb) In § 71 AO 1977 wird die Haftung des Steuerhinterziehers und des Steuerhehlers ausdrücklich auf die zu Unrecht gewährten Steuervorteile sowie Zinsen nach § 235 AO 1977 erstreckt. Würde man der Auffassung des FA folgen, hätte es dieser ausdrücklichen Regelung nicht bedurft. Schließlich erfasst die Haftung der Organgesellschaft (§ 73 AO 1977), des Eigentümers (§ 74 AO 1977) sowie des Betriebsübernehmers (§ 75 AO 1977) nicht alle Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis schlechthin, sondern lediglich Steuern und Ansprüche auf Erstattung von Steuervergütungen. Nicht benannt werden steuerliche Nebenleistungen, für die folglich auch nicht gehaftet wird. Der Einführungserlass zur AO 1977 vom 1. Oktober 1976 (BStBl I 1976, 576) verdeutlicht diese Rechtsfolge, indem er zumindest hinsichtlich der Haftung nach § 74 AO 1977 ausdrücklich darauf hinweist, dass sich die Haftung nicht auf steuerliche Nebenleistungen erstreckt (BGBl I 1976, 576, 592).

Vom Sinn und Zweck der haftungsrechtlichen Vorschriften ist kein überzeugender Grund ersichtlich, warum sich die in §§ 73, 74 und 75 AO 1977 angeordnete Haftung über die Verweisung in § 239 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 auf Zinsen erstrecken sollte, während die Haftung für Verspätungs- und Säumniszuschläge davon ausgenommen bliebe. Hätte der Gesetzgeber eine umfassende Haftung auch für steuerliche Nebenleistungen beabsichtigt, hätte es nahe gelegen, einen Hinweis auf § 37 Abs. 1 AO 1977 aufzunehmen, wie dies in § 69 AO 1977 erfolgt ist.

Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die Haftung der vorgenannten Haftungsschuldner --im Gegensatz zur Haftung nach § 69 AO 1977-- keine vorwerfbare Pflichtverletzung voraussetzt. Es handelt sich vielmehr um eine strengere, weil verschuldensunabhängige Haftung, die ausschließlich auf der besonderen Rechtsstellung des Haftenden und damit auf objektiven Tatbestandsmerkmalen beruht. Dieser Umstand liefert ein nachvollziehbares Kriterium dafür, die Haftung der in §§ 73, 74 und 75 AO 1977 benannten Haftungsschuldner auf rückständige Steuern zu beschränken und verwirkte Verspätungs- und Säumniszuschläge sowie Zinsen außer Betracht zu lassen.

2. Entgegen der Auffassung des FA zwingt der Gesetzeszweck von § 73 AO 1977 nicht zu einer Auslegung gegen den eindeutigen Wortlaut der Vorschrift. Eine solche wird von der Rechtsprechung des BFH nur dann für zulässig erachtet, wenn aufgrund des unklaren Wortlauts der Vorschrift eine Regelungslücke anzunehmen ist und eine wortgetreue Auslegung zu einem sinnwidrigen Ergebnis führen würde, das vom Gesetzgeber nicht gewollt sein kann (vgl. Urteil des BFH vom 1. August 1974 IV R 120/70, BFHE 113, 357, BStBl II 1975, 12). Die Erstreckung der Haftung über die vom beherrschten Unternehmen verursachten Steuern hinaus auf die gesamten Steuern des Organkreises beruht auf den praktischen Schwierigkeiten, die eine Aufteilung der vom Organträger geschuldeten Steuern nach sich ziehen würde. Auch entspricht sie dem Anliegen des Gesetzgebers, den Organkreis als einheitliches Ganzes zu betrachten (vgl. Boeker, a.a.O., § 73 AO 1977 Rdnr. 4). Allein dieses Anliegen lässt es jedoch nicht zwingend geboten erscheinen, auch Zinsen oder andere steuerliche Nebenleistungen in die Haftung mit einzubeziehen. Dem Erfordernis einer einheitlichen Betrachtungsweise wird vielmehr dadurch genüge getan, dass sich die Haftung der Organgesellschaft auf die im gesamten Organkreis entstandenen Steuern erstreckt und insoweit keiner Beschränkung unterliegt.

Bei dieser Betrachtung führt die Außerachtlassung von steuerlichen Nebenleistungen nicht zu einem sinnwidrigen Ergebnis, das der Gesetzgeber in dieser Ausprägung offensichtlich nicht gewollt haben kann. Steuerliche Nebenleistungen, wie z.B. Verspätungs- und Säumniszuschläge sowie Zinsen, von der Haftung auszunehmen, hieße auch nicht --wie das FA meint--, der Organschaft einen ungerechtfertigten Vorteil zu verschaffen, der durch eine extensive Auslegung der Haftungsvorschrift ausgeglichen werden müsste. Vielmehr stellt sich der Ausfall der nach § 233a AO 1977 zu erhebenden Zinsen im Streitfall als Rechtsfolge der dem eindeutigen Wortlaut von § 73 AO 1977 zu entnehmenden Haftungsbeschränkung dar. Hätte der Gesetzgeber diese Folgen vermeiden wollen, wäre es ihm wie bereits ausgeführt unbenommen gewesen, etwa durch Aufnahme eines Hinweises auf § 37 Abs. 1 AO 1977, eine umfassendere Regelung zu schaffen.

Nach all dem gelangt der Senat zu der Auffassung, dass die streitbefangene Vorschrift nach Wortlaut, Systematik und Sinn abschließend gestaltet ist und eine Ausdehnung auf steuerliche Nebenleistungen --und damit auf Nachzahlungszinsen-- dazu in Widerspruch stünde. Für eine richterliche Rechtsfortbildung ist daher kein Raum (vgl. zu deren Voraussetzungen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 1983 2 BvR 485, 486/80, BVerfGE 65, 182, 191).

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