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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 07.04.2009
Aktenzeichen: VIII B 191/07
Rechtsgebiete: AO


Vorschriften:

AO § 125
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I.

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist Rechtsanwalt. In den Streitjahren übte er in erheblichem Umfange die Tätigkeit eines Konkurs- und Insolvenzverwalters aus. Die Beschwerde richtet sich gegen das Urteil des Finanzgerichts (FG), das eine Klage auf Feststellung der Nichtigkeit gegenüber dem Kläger ergangener Gewerbesteuermessbescheide und Zerlegungsbescheide abgewiesen hat.

II.

Die Beschwerde ist nicht begründet, weil keiner der geltend gemachten gesetzlichen Gründe nach § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) für eine Zulassung der Revision vorliegt.

1.

Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn eine Frage zu entscheiden ist, deren Klärung das Interesse der Allgemeinheit an der Entwicklung und Handhabung der Rechts betrifft (ständige Rechtsprechung, s. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 23 ff., m.w.N.; Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 27. April 2007 VIII B 250/05, BFH/NV 2007, 1675). Es muss sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame und auch für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Frage handeln, die im Revisionsverfahren klärungsbedürftig und klärungsfähig ist. Allein das Fehlen einer Entscheidung des BFH zu der konkreten Fallgestaltung begründet weder einen Klärungsbedarf noch das erforderliche Allgemeininteresse (BFH-Beschluss vom 19. Januar 2006 VIII B 114/05, BFH/NV 2006, 709, m.w.N.).

Diesem Maßstab genügen die vom Kläger aufgeworfenen Fragen aus verschiedenen Gründen nicht.

a)

Soweit das FG sein Urteil damit begründet hat, dass --einmal unterstellte-- Fehler der angefochtenen Bescheide jedenfalls nicht offenkundig i.S. von § 125 der Abgabenordnung (AO) seien, hat der Kläger hiergegen keine substantiierten Einwendungen erhoben, die zu Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung rund um die Offenkundigkeit führten. Die schlichte Behauptung der Evidenz von Rechtsanwendungsfehlern genügt nicht. Da der Kläger im Übrigen keine Zulassungsgründe gegen die Auslegung und Anwendung des Tatbestandsmerkmals "offenkundig" in § 125 Abs. 1 AO durch das FG geltend macht, kann seine Beschwerde schon deshalb keinen Erfolg haben.

b)

Soweit der Kläger sich gegen die sachliche Richtigkeit des angefochtenen Urteils wendet, macht er nur eine fehlerhafte Rechtsanwendung im konkreten Einzelfall geltend. Eine --unterstellt-- rechtsfehlerhafte Entscheidung allein verleiht der Rechtssache jedoch noch keine grundsätzliche Bedeutung (vgl. etwa BFH-Beschlüsse vom 4. Juli 2002 IX B 169/01, BFH/NV 2002, 1476; vom 27. März 2007 VIII B 152/05, BFH/NV 2007, 1335; vom 16. August 2007 VIII B 210/06, BFH/NV 2007, 2286).

c)

Darüber hinaus formuliert der Kläger mehrere abstrakte Rechtsfragen, die er für entscheidungserheblich hält und denen er grundsätzliche Bedeutung beimisst, die aber in ihrer Allgemeinheit in einem Revisionsverfahren nicht klärungsfähig wären und/oder mit ihren komplexen tatsächlichen Prämissen, die ersichtlich auf den konkreten Einzelfall zugeschnitten sind, eine Klärungsbedürftigkeit im Allgemeininteresse nicht erkennen lassen.

Dies gilt zum einen für die Frage, "ob das Handeln der Finanzverwaltung, welche vermeintlich richtig die Gesetze anwendet, gleichwohl aufgrund der besonderen Art und Weise der Geltendmachung von Steuern in der Summe zu einer Beeinträchtigung des Steuerbürgers führt, die als eine Beeinträchtigung der Menschenwürde zu bewerten ist, damit gegen das Grundgesetz Art. 1 verstößt und in deren Folge die erlassenen Verwaltungsakte zum Schutze des Steuerbürgers als nichtig einzustufen sind".

Es gilt zum anderen zumindest auch für die unter II. (Begründungsschriftsatz S. 88 ff.) zu 2., 5. und 6. aufgeführten Rechtsfragen.

d)

Grundsätzliche Bedeutung misst der Kläger der Frage bei, ob es aus rechtssystematischen Gründen ausgeschlossen ist, die Nichtigkeit eines Steuerbescheides mit dem Unterlassen einer abweichenden Steuerfestsetzung zu begründen. Es ist nicht ersichtlich, dass diese Frage umstritten und deshalb klärungsbedürftig wäre. Der Umstand, dass der Kläger in über 50 BFH-Urteilen zur Billigkeit keine Entscheidung dazu gefunden hat, inwieweit das Unterlassen der Prüfung von Billigkeitsgesichtspunkten zur Nichtigkeit führen könne, weist gerade nicht auf einen Klärungsbedarf hin. Vielmehr entspricht es ständiger Rechtsprechung, dass es sich bei dem Steuerfestsetzungsverfahren und dem Verfahren über die Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO um zwei verschiedene Verfahren handelt, auch wenn sie miteinander verbunden werden können (s. etwa Loose in Tipke/ Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 163 AO Rz 20, 21, m.w.N.). Jedenfalls dann, wenn der Verwaltungsakt über die Steuerfestsetzung --oder wie hier der Gewerbesteuermessbescheid als Grundlagenbescheid für die Steuerfestsetzung-- zuerst ergeht, kann er systematisch nicht deshalb nichtig sein, weil das Finanzamt über die begehrte Billigkeitsmaßnahme noch nicht befunden hat. Die Klärungsbedürftigkeit folgt entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht daraus, dass es bei der Nichtigkeit des Verwaltungsakts auf "alle Umstände" ankomme und deshalb auch der Gesichtspunkt der Billigkeitsmaßnahme einzubeziehen sei. Da über die Billigkeit in einem anderen Verfahren entschieden wird, kann die unterlassene Billigkeitsmaßnahme nicht zu einem --noch dazu schwerwiegenden-- Fehler des zuerst ergangenen Steuerbescheides führen, genauso wenig wie sie bei Beurteilung der Offenkundigkeit des Fehlers "in Betracht" kommender Umstand i.S. von § 125 Abs. 1 AO sein kann.

Die in diesem Zusammenhang gerügte Divergenz des angefochtenen Urteils von der Rechtsprechung des BFH ist nicht feststellbar.

e)

Dass es regelmäßig zweckmäßig erscheint, über einen Antrag auf Durchführung einer Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO in Verbindung oder zumindest zeitlicher Nähe zum betreffenden Steuer-, Feststellungs- oder Messbetragsbescheid zu entscheiden, steht auf einem anderen Blatt. Die Billigkeitsmaßnahme selbst oder ihre Ablehnung waren nicht Gegenstand des angefochtenen Urteils. Aus diesem Grunde hatte das FG auch keinen Anlass, sich mit dem Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70 (BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603) auseinanderzusetzen.

2.

Eine Zulassung der Revision wegen des vom Kläger gerügten Verfahrensmangels ungenügender Sachverhaltsaufklärung (§ 115 Abs. 2 Nr.3, § 76 Abs. 1 FGO) kommt nicht in Betracht. Die Revision darf nur zugelassen werden, wenn das Urteil des FG auf dem Verfahrensmangel beruhen kann, wobei es grundsätzlich auf den materiell-rechtlichen Standpunkt des FG ankommt (s. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 96, m.w.N.). Ausgehend von der Auffassung des FG, dass --unterstellte-- Fehler jedenfalls nicht offenkundig waren, kam es auf die vom Kläger vermisste Sachverhaltsaufklärung, so wie auf S. 200 f. der Beschwerdebegründung dargelegt, nicht an. Auch soweit der Kläger die Sachaufklärung darüber hinaus als bedeutend "für die Billigkeitsgesichtspunkte gem. § 163 AO" ansieht, war dies unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung des FG nicht entscheidungserheblich.

3.

Allerdings wirft der Streitfall Zweifelsfragen auf, die zwar in diesem Verfahren, in dem es allein um die Nichtigkeit der angefochtenen Bescheide gemäß § 125 AO geht, nicht geklärt werden können, die aber in den anscheinend noch anhängigen weiteren Verfahren zu klären sein werden. So wird insbesondere zu prüfen sein, ob der BFH seine Rechtsprechung zur Beurteilung der Tätigkeit eines Rechtsanwalts als Konkursverwalter so verschärfend geändert hat, dass diese Rechtsprechungsänderung nicht rückwirkend angewendet werden darf (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 17. Dezember 2007 GrS 2/04, BFHE 220, 129, BStBl II 2008, 608 unter B.IV.2.b der Gründe). Wenn die Tätigkeit des Klägers als Konkursverwalter in den Streitjahren gleichwohl als gewerblich zu beurteilen sein sollte, wäre weiter zu prüfen, ob diese Tätigkeit von der übrigen Rechtsanwaltstätigkeit zu trennen ist (vgl. z.B. BFH-Urteil von 11. Juli 1991 IV R 15/90, BFHE 165, 216, BStBl II 1991, 889).

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