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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 23.05.2000
Aktenzeichen: VIII R 3/99
Rechtsgebiete: EStG, AO 1977, HGB, BGB


Vorschriften:

EStG § 17
EStG § 17 Abs. 2
EStG § 17 Abs. 1
AO 1977 § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
HGB § 255 Abs. 1
BGB § 774
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war seit 1984 mit 40 v.H. am Stammkapital der ... GmbH (im Folgenden: GmbH) beteiligt. Die GmbH betrieb zwei Einzelhandelsgeschäfte. Im März 1986, Februar 1988 und am 14. November 1988 verbürgte sich der Kläger selbstschuldnerisch gegenüber der W-Bank in Höhe von 30 000 DM, 100 000 DM und 240 000 DM für Verbindlichkeiten der GmbH.

Im Januar 1989 verkaufte die GmbH ihre in gemieteten Räumen betriebenen Geschäfte einschließlich Ladeneinrichtung und Warenbestand zu einem Gesamtkaufpreis von 250 000 DM an den Mitgesellschafter des Klägers, Herrn G. G finanzierte den Kaufpreis u.a. durch ein Darlehen der W-Bank. Der Kläger verbürgte sich im Februar 1989 gegenüber der W-Bank selbstschuldnerisch bis zum Betrag von 200 000 DM für die Darlehensverbindlichkeit des G.

Im Juni 1989 teilte die W-Bank dem Kläger mit, die für die GmbH abgegebenen Bürgschaften seien durch den Verkauf des Betriebsvermögens der GmbH gegenstandslos geworden, und reichte die Bürgschaftsurkunden zurück.

Im Dezember 1990 verkaufte und übertrug der Kläger seine Anteile an der GmbH für 1/10 ihres Nennwerts an verschiedene Erwerber.

Bei der Einkommensteuer-Veranlagung des Klägers für das Streitjahr 1990 berücksichtigte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) den vom Kläger geltend gemachten Verlust aus der Veräußerung seiner Beteiligung in Höhe von 4 835 DM.

Mit Schreiben vom 7. Juli 1993 nahm die W-Bank den Kläger aus der für G eingegangenen Bürgschaft in Anspruch. Aus dem Schreiben geht hervor, dass sie ohne die Bürgschaftsverpflichtung des Klägers nicht bereit gewesen wäre, G den Kredit für die Kaufpreisschuld zu gewähren, und dass mit dem Kaufpreis die Darlehensverbindlichkeiten der GmbH abgelöst worden sind, für die sich der Kläger verbürgt hatte.

Der Kläger beantragte, die Aufwendungen aufgrund der Bürgschaft zugunsten des G in Höhe von 200 000 DM als nachträgliche Anschaffungskosten i.S. des § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu berücksichtigen und den Einkommensteuerbescheid für 1990 insoweit zu ändern. Der Antrag und der Einspruch hatten keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es entschied, dass die Aufwendungen eines Gesellschafters einer GmbH aufgrund einer Bürgschaft für einen Dritten zu nachträglichen Anschaffungskosten i.S. des § 17 Abs. 2 EStG führen könnten, wenn der Gesellschafter die Bürgschaft für den Dritten zwecks Abwendung einer drohenden Bürgschaftsinanspruchnahme für Verbindlichkeiten der GmbH eingegangen sei. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1999, 285 veröffentlicht.

Das FA rügt mit seiner Revision eine Verletzung des § 17 EStG.

Es beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Revision des FA ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat rechtsfehlerfrei entschieden, dass dem Kläger jedenfalls in Höhe eines Betrages von 11 808 DM nachträgliche Anschaffungskosten i.S. des § 17 Abs. 2 EStG für seine Beteiligung an der GmbH entstanden sind.

1. Nach § 17 Abs. 1 und Abs. 2 EStG gehört zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch der Gewinn bzw. Verlust aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, wenn der Veräußerer am Kapital der Gesellschaft innerhalb der letzten fünf Jahre wesentlich beteiligt war und er die Beteiligung in seinem Privatvermögen hielt. Im Streitfall besteht zwischen den Beteiligten kein Streit darüber, dass die Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 EStG vorliegen. Umstritten ist allein, ob die Inanspruchnahme des Klägers im Jahr 1993 durch die W-Bank aufgrund der Bürgschaft für G zu nachträglichen Anschaffungskosten geführt und deshalb als rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) eine Erhöhung des bereits anerkannten Veräußerungsverlustes bewirkt hat. Diese Frage hat das FG zutreffend bejaht.

2. Zu den Anschaffungskosten einer Beteiligung, die bei der Ermittlung eines Veräußerungsgewinns oder -verlustes gemäß § 17 Abs. 2 EStG zu berücksichtigen sind, gehören nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) auch nachträgliche Aufwendungen, wenn sie durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst und weder Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen noch Veräußerungskosten sind. Bei Finanzierungshilfen eines wesentlich beteiligten Gesellschafters hat der Senat eine Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis grundsätzlich nur dann angenommen, wenn und insoweit die Finanzierungsmaßnahmen eigenkapitalersetzenden Charakter haben (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 24. April 1997 VIII R 23/93, BFHE 183, 397, BStBl II 1999, 342, unter II. 2. a der Gründe; vom 6. Juli 1999 VIII R 9/98, BFHE 189, 383, BStBl II 1999, 817).

Dem Einwand des FA, diese Rechtsprechung sei im Hinblick auf § 255 Abs. 1 des Handelsgesetzbuchs (HGB) unzutreffend und der Begriff der nachträglichen Anschaffungskosten sei gegenüber der bisherigen Auslegung durch den BFH einzuengen, vermag der Senat nicht zu folgen. Er hat in dem Urteil vom 10. November 1998 VIII R 6/96 (BFHE 187, 480, BStBl II 1999, 348) ausdrücklich an der bisherigen Rechtsprechung festgehalten und die Einwendungen gegen den weit verstandenen Begriff der nachträglichen Anschaffungskosten nicht als berechtigt angesehen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf diese Ausführungen Bezug genommen.

3. Nach der Rechtsprechung des Senats liegt eine Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis auch dann vor und können nachträgliche Anschaffungskosten i.S. des § 17 Abs. 2 EStG auch dann entstehen, wenn der Gesellschafter eine Bürgschaft kapitalersetzend übernommen und nach seinem Ausscheiden aus der Gesellschaft verlängert hat. Entscheidend ist, dass die rechtliche Grundlage für die Verlängerung der kapitalersetzenden Finanzierungshilfe bereits vor dem Ausscheiden des wesentlich beteiligten Gesellschafters geschaffen worden ist. Mit der Qualifizierung der Bürgschaft als eigenkapitalersetzende Finanzierungshilfe erlangt die Kapitalgesellschaft einen Freistellungsanspruch gegen den Gesellschafter bei Darlehensfälligkeit. Daran ändert sich nichts, wenn der Gesellschafter seine Bürgschaft zeitlich streckt, um so zu einer Verlängerung des der GmbH gewährten Fremddarlehens beizutragen (Urteil in BFHE 189, 383, BStBl II 1999, 817, 820, unter 3. der Gründe).

Nicht anders ist der Sachverhalt zu beurteilen, wenn der wesentlich beteiligte Gesellschafter für die GmbH eine kapitalersetzende Bürgschaft übernommen hat und dann eine neue Bürgschaftsverpflichtung zugunsten eines Dritten eingegangen ist, um dadurch seine Inanspruchnahme aus der ursprünglichen kapitalersetzenden Bürgschaft zu vermeiden. Bei diesem Sachverhalt hat die neue Bürgschaft ebenso wie im Falle der Prolongation ihre Grundlage in der ursprünglichen, durch das Gesellschaftsverhältnis veranlassten Bürgschaft. Sie ist als deren Surrogat anzusehen. Dies rechtfertigt die Wertung der Vorinstanz, dass sich der zwischen dem Gesellschaftsverhältnis und der ursprünglichen Bürgschaft bestehende Veranlassungszusammenhang auf die neue Bürgschaft erstreckt. Es kann bei der gebotenen wertenden Zuordnung der Aufwendungen aus einer Bürgschaft zur Privatsphäre oder zu den nachträglichen Anschaffungskosten i.S. des § 17 Abs. 2 EStG keinen sachlich einleuchtenden Unterschied machen, ob der Gesellschafter seine Inanspruchnahme aus einer kapitalersetzenden Bürgschaft abwendet, indem er die bestehende Bürgschaft verlängert oder indem er eine neue Bürgschaft zugunsten eines Dritten eingeht. In beiden Fällen ist die kapitalersetzende Finanzierungsmaßnahme zugunsten der Kapitalgesellschaft die Grundlage für die Inanspruchnahme auf Zahlung.

4. Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall erweist sich die Entscheidung des FG, dem Kläger seien nachträgliche Anschaffungskosten jedenfalls in Höhe von 11 808 DM entstanden, als zutreffend.

a) Zunächst setzt die Beurteilung der Aufwendungen des Klägers aufgrund der Bürgschaft für G als nachträgliche Anschaffungskosten voraus, dass die Bürgschaft des Klägers für den Kredit der GmbH von der W-Bank kapitalersetzenden Charakter hatte. Kapitalersetzenden Charakter hat eine Bürgschaft, wenn sie zu einem Zeitpunkt übernommen wird, in dem sich die Gesellschaft bereits in der sog. Krise befindet oder wenn sie (auch) für den Fall der Krise bestimmt ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil vom 26. Januar 1999 VIII R 32/96, BFH/NV 1999, 922, unter 2. d der Gründe, m.w.N.). Weiterhin kann eine Bürgschaft eigenkapitalersetzenden Charakter erlangen, wenn sie zu einem Zeitpunkt übernommen wurde, in dem sich die Gesellschaft noch nicht in der Krise befand, sie aber bei Eintritt der Krise stehen gelassen wird (vgl. BFH-Urteile in BFHE 183, 397, BStBl II 1999, 342, unter II. 2. b der Gründe; in BFHE 189, 383, BStBl II 1999, 817).

Im Streitfall hat das FG ausdrücklich keine Feststellung darüber getroffen, ob der Kläger die Bürgschaft für die GmbH in der Krise übernommen hat. Seinen Ausführungen ist jedoch zu entnehmen, dass es dies für offenkundig und deshalb für nicht weiter erörterungsbedürftig gehalten hat. Denn es hat dargelegt, dass die Übernahme einer Bürgschaft durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst sei, wenn im Zeitpunkt der Übernahme die Inanspruchnahme und die Uneinbringlichkeit der Rückgriffsforderung so wahrscheinlich seien, dass ein Nichtgesellschafter bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns die Bürgschaft nicht übernommen hätte, oder wenn der Gesellschafter die Bürgschaft unentgeltlich, ohne Sicherheit und zeitlich unbeschränkt übernehme. Es hat weiter --dem Vorbringen des Klägers folgend-- ausgeführt, die wirtschaftliche Lage der GmbH sei Ende 1988 so schlecht gewesen, dass entweder die Liquidation hätte durchgeführt oder Konkursantrag hätte gestellt werden müssen. Gegen diese Feststellung des FG hat das FA keine Rügen erhoben. Sie rechtfertigt die Annahme, dass die vom Kläger am 14. November 1988 übernommene Bürgschaft zugunsten der GmbH kapitalersetzenden Charakter hatte. Da das FG nicht festgestellt hat und auch sonst keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass die Konkursreife der GmbH durch plötzliche und im Zeitpunkt der Übernahme der Bürgschaft unvorhersehbare Ereignisse eingetreten ist, kann angenommen werden, dass die Gesellschaft bereits bei Übernahme der Bürgschaft durch den Kläger Mitte November 1988 nicht mehr kreditwürdig war und sich somit bereits in der Krise befunden hat.

b) Nur aufgrund der Übernahme der Bürgschaft für G ist der Kläger von seiner ursprünglichen Bürgschaftsverpflichtung gegenüber der W-Bank frei geworden. Diese hat in ihrem Schreiben vom 7. Juli 1993 erklärt, dass sie ohne die Bürgschaft des Klägers für G diesem den Kredit für den Kaufpreis nicht bewilligt hätte, dass dann der Verkauf der beiden Einzelhandelsgeschäfte an G nicht zustande gekommen wäre und dass der von G gezahlte Kaufpreis dazu gedient habe, die Verbindlichkeiten der GmbH abzulösen, für die sich der Kläger verbürgt gehabt habe. Gegen die Feststellung des FG, dass weder nach Aktenlage noch nach dem Vortrag der Beteiligten irgendwelche Anhaltspunkte dafür vorhanden seien, dass die Bürgschaftsübernahme für G nicht auf der Gesellschafterstellung des Klägers, sondern auf persönlichen Gründen oder Beziehungen des Klägers zu G beruht hätten, hat das FA keine Rüge erhoben.

c) Der Kläger hat sich für die Kaufpreisverbindlichkeit des G in einem Zeitpunkt verbürgt, als sein Rückgriffsanspruch gegen die GmbH, der gemäß § 774 des Bürgerlichen Gesetzbuches entstanden wäre, wenn er stattdessen deren Schuld bei der W-Bank beglichen hätte, jedenfalls in Höhe eines Betrages von ca. 12 000 DM wertlos gewesen wäre. Das FG hat schlüssig dargelegt, dass der von G gezahlte Kaufpreis für das Gesellschaftsvermögen zumindest insoweit höher war, als bei einer Verwertung des Gesellschaftsvermögens der GmbH im Falle eines Konkursverfahrens kein Erlös für den ideellen Geschäftswert erzielt worden wäre und der Kläger auf jeden Fall in dieser Höhe aus der Bürgschaft in Anspruch genommen worden wäre.



Ende der Entscheidung

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