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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 13.08.2002
Aktenzeichen: VIII R 53/01
Rechtsgebiete: EStG 1997, GG


Vorschriften:

EStG 1997 § 31
EStG 1997 § 32 Abs. 6 Satz 3 Nr. 1
EStG 1997 § 36 Abs. 2 Satz 1
EStG 1997 § 65 Abs. 1 Satz 1
EStG 1997 § 65 Abs. 1 Satz 2
GG Art. 3
Ein in Deutschland lebender und Unterhalt zahlender Vater kann bei seiner Veranlagung zur Einkommensteuer (1997) keinen Kinderfreibetrag nach § 32 Abs. 6 Satz 3 Nr. 1 EStG abziehen, wenn die in Österreich lebende Mutter dort für das gemeinsame Kind Kindergeld erhält, das höher ist als die Steuerersparnis des Vaters bei Abzug eines Kinderfreibetrages. Dies gilt unabhängig davon, ob das in Österreich gezahlte Kindergeld die Höhe der zivilrechtlichen Unterhaltspflicht des Vaters gemindert hat.
Gründe:

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind die Eltern eines gemeinsamen Kindes und leben in Deutschland. Der aus Österreich stammende Kläger ist außerdem Vater eines weiteren Kindes aus einer früheren Ehe. Dieses Kind lebt in Österreich bei seiner Mutter. Der Kläger zahlte den geschuldeten Unterhalt in Höhe von jährlich 4 800 DM. Die Mutter erhielt Kindergeld nach österreichischem Recht in Höhe von umgerechnet etwa 2 388 DM jährlich.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) setzte in dem angefochtenen Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 1997 eine Einkommensteuer von 9 624 DM nach der Splittingtabelle fest. Er berücksichtigte dabei keinen Kinderfreibetrag. Mit ihrem Einspruch begehrten die Kläger, einen Kinderfreibetrag gemäß § 32 Abs. 6 Satz 3 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu berücksichtigen und das in Österreich gezahlte Kindergeld nur zur Hälfte anzurechnen. Das FA wies den Einspruch als unbegründet zurück.

Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied, das FA habe bei der sog. "Günstigerrechnung" zutreffend den vollen Kinderfreibetrag von 6 912 DM abgezogen und folgerichtig das österreichische Kindergeld in voller Höhe angesetzt. Der Anrechnung stehe nicht entgegen, dass das Kindergeld nicht an den Kläger, sondern an die Mutter des Kindes gezahlt worden sei. Nach dem Wortlaut des § 31 EStG komme es nicht entscheidend auf den Empfänger des Kindergeldes an. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 697 veröffentlicht.

Die Kläger rügen mit ihrer Revision eine Verletzung des § 31 Sätze 1, 4 und 5, und des § 36 Abs. 2 Satz 1 EStG sowie hilfsweise einen Verstoß gegen Art. 3 des Grundgesetzes (GG).

Sie beantragen sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und den angefochtenen Einkommensteuerbescheid für 1997 dahin zu ändern, dass ein Kinderfreibetrag von 6 912 DM abgezogen wird und die Anrechnung von Kindergeld nach § 36 Abs. 2 Satz 1 EStG unterbleibt.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Die Revision der Kläger ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat rechtsfehlerfrei entschieden, dass bei der Einkommensteuerveranlagung der Kläger für das Streitjahr 1997 kein Kinderfreibetrag für das in Österreich lebende Kind des Klägers aus seiner früheren Ehe abzuziehen ist.

1. Es ist unstreitig, dass das in Österreich lebende und im Jahr 1991 geborene Kind des Klägers die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3 EStG erfüllt und damit ein zu berücksichtigendes Kind i.S. des § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG ist. Da die Mutter des Kindes im Inland nicht unbeschränkt steuerpflichtig ist, wäre nach § 32 Abs. 6 Satz 3 Nr. 1 EStG für das Kind ein Kinderfreibetrag von monatlich 576 DM, also von jährlich 6 912 DM abzuziehen, wenn der Abzug nicht durch die in § 31 EStG i.V.m. § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 EStG getroffenen Regelungen ausgeschlossen wäre. Letzteres ist indessen nach der zutreffenden Auffassung des FG der Fall.

2. Nach § 31 Satz 1 EStG wird die steuerliche Freistellung eines Einkommensbetrages in Höhe des Existenzminimums eines Kindes durch den Kinderfreibetrag nach § 32 EStG oder durch Kindergeld nach dem X. Abschnitt bewirkt. Nach § 31 Satz 4 EStG ist nur dann, wenn die gebotene steuerliche Freistellung durch das Kindergeld nicht in vollem Umfang bewirkt wird, bei der Veranlagung zur Einkommensteuer der Kinderfreibetrag abzuziehen. Im Streitfall wird die gebotene steuerliche Freistellung zwar nicht durch das Kindergeld nach dem EStG, wohl aber durch das in Österreich gezahlte Kindergeld herbeigeführt.

a) Der Kläger hat keinen Anspruch auf Kindergeld nach den Vorschriften der §§ 62 ff. EStG. Der ihm grundsätzlich nach § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 3 EStG zustehende Anspruch auf Kindergeld wird durch § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift wird Kindergeld u.a. nicht für ein Kind gezahlt, für das im Ausland Leistungen gewährt werden, die dem Kindergeld vergleichbar sind.

Im Streitfall erhält die Mutter des Kindes in Österreich Kindergeld. Dabei handelt es sich nach der zutreffenden Auffassung der Vorinstanz um eine dem deutschen Kindergeld nach dem X. Abschnitt des EStG vergleichbare Leistung (vgl. Schreiben des Bundesamts für Finanzen vom 26. Juni 2000 St I 4 -S 2473- 11/1999, BStBl I 2000, 1128, 1132). Die Richtigkeit dieser Auffassung wird entgegen der Auffassung des Klägers nicht durch sein Vorbringen in Frage gestellt, die österreichische Familienbeihilfe habe unter Berücksichtigung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 (Verordnung Nr. 1408/71) des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 zur Änderung und Aktualisierung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, und der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- 1997 Nr. L 28/1) denselben Rechtscharakter wie das deutsche Kindergeld. Diese Aussage bestätigt im Gegenteil, dass es sich bei dem österreichischen Kindergeld um eine vergleichbare Leistung i.S. des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG handelt. Denn nach Art. 1 Buchst. u Ziff. i der Verordnung Nr. 1408/71 sind "Familienleistungen" alle Sach- oder Geldleistungen, die zum Ausgleich von Familienlasten bestimmt sind. Diese Aufgabe hat das österreichische Kindergeld ebenso wie das deutsche (vgl. zur Eigenschaft des Kindergeldes nach dem EStG als "Familienleistung" i.S. des Art. 4 Abs. 1 Buchst. h der Verordnung Nr. 1408/71 z.B. das Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 13. August 2002 VIII R 54/00, zur Veröffentlichung bestimmt).

b) Kindergeld i.S. des § 31 EStG ist jedoch nicht nur das nach den Vorschriften des EStG gezahlte Kindergeld. Vielmehr bestimmt § 65 Abs. 1 Satz 2 EStG, dass die Leistungen nach § 65 Abs. 1 Satz 1 EStG dem Kindergeld gleichstehen, soweit es für die Anwendung von Vorschriften dieses Gesetzes auf den Erhalt von Kindergeld ankommt. Außerdem sind nach § 31 Satz 5 EStG "das Kindergeld" oder "vergleichbare Leistungen" gleichermaßen nach § 36 Abs. 2 EStG zu verrechnen.

Das in Österreich gewährte Kindergeld ist eine Leistung i.S. des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG, weil es --wie oben dargelegt-- dem deutschen Kindergeld vergleichbar ist. Es ist somit auch "Kindergeld" i.S. des § 31 EStG. Dieser Auffassung widerspricht nicht, dass es nicht an den Kläger, sondern an die in Österreich lebende Mutter des Kindes gezahlt worden ist. Das Gesetz verlangt in § 65 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht, dass die dort genannten Leistungen oder Zahlungen an denjenigen erfolgen oder die Ansprüche demjenigen zustehen müssen, der ansonsten --d.h. ohne die Ausschlusstatbestände des § 65 Abs. 1 Satz 1 EStG-- nach den §§ 62, 63 EStG kindergeldberechtigt wäre. Auch § 65 Abs. 1 Satz 2 EStG enthält eine derartige Einschränkung nicht. Das Gesetz stellt vielmehr allein darauf ab, ob die dem Kindergeld vergleichbaren Leistungen für das betreffende Kind erbracht worden sind, unabhängig davon, wer der Empfänger der Leistung ist.

c) Bei der somit gemäß § 31 Satz 4 EStG vorzunehmenden Prüfung, ob durch das in Österreich gezahlte Kindergeld ein Einkommensbetrag des Klägers in Höhe des Existenzminimums seines Kindes von der Steuer freigestellt ist (sog. Günstigerrechnung), ist zunächst festzustellen, wie hoch die steuerliche Entlastung bei Abzug des Kinderfreibetrages wäre. Ist dieser Betrag geringer als das tatsächlich in Österreich an die Mutter gezahlte Kindergeld, ist die steuerliche Freistellung des Existenzminimums des Kindes durch das Kindergeld bewirkt (§ 31 Satz 1, 2. Alternative EStG), wobei das österreichische Kindergeld höchstens in Höhe des deutschen Kindergeldes anzusetzen ist (vgl. § 31 Satz 6 EStG). Das bedeutet, dass es bei einem Kind im Streitjahr 1997 höchstens mit 2 640 DM zu berücksichtigen ist (vgl. § 66 Abs. 1 EStG).

Im Streitfall ist die gebotene steuerliche Freistellung eines Einkommensbetrages in Höhe des Existenzminimums des Kindes des Klägers durch das in Österreich gezahlte Kindergeld eingetreten. Es ist unstreitig, dass bei Abzug des vollen Kinderfreibetrages von monatlich 576 DM (vgl. dazu oben unter 1. der Gründe), also eines Jahresbetrages von 6 912 DM, die Steuerentlastung der Kläger niedriger wäre als das in Österreich gezahlte Kindergeld in Höhe von 2 388 DM. Denn sie betrüge nur 1 963 DM (festgesetzte Steuer: 9 624 DM abzüglich der Steuer bei Abzug des Kinderfreibetrags: 7 661 DM).

d) Der Auffassung der Kläger, bei der Prüfung, ob ein Einkommensbetrag in Höhe des Existenzminimums des Kindes steuerlich freigestellt werde, sei dem Betrag, der sich bei Abzug des (vollen) Kinderfreibetrages ergebe, nur die Hälfte des in Österreich gezahlten Kindergeldes gegenüberzustellen, kann nicht gefolgt werden. Wenn für das Kind ggf. der volle Kinderfreibetrag nach § 32 Abs. 6 Sätze 2 und 3 Nr. 1 EStG von monatlich 576 DM und nicht nur der (halbe) Kinderfreibetrag nach § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG von monatlich 288 DM abzuziehen ist, dann ist auch bei der Vergleichsberechnung (sog. Günstigerrechnung), ob das Kindergeld zur Freistellung eines Einkommensbetrages in Höhe des Existenzminimums ausreicht, dem vollen Freibetrag das volle Kindergeld gegenüberzustellen.

Damit entspricht die Vorentscheidung den gesetzlichen Vorschriften.

3. Das aus den gesetzlichen Vorschriften abgeleitete Ergebnis, dass der Kläger weder einen eigenen Anspruch auf Kindergeld nach den Vorschriften des EStG noch einen Anspruch auf Abzug eines Kinderfreibetrages hat, steht auch mit dem Gesetzeszweck im Einklang. Die gesetzlichen Regelungen sollen einerseits sicherstellen, dass die Aufwendungen der Eltern in Höhe des Existenzminimums ihres Kindes von der Einkommensteuer freigestellt werden; andererseits dient § 65 Abs. 1 Satz 2 EStG, wonach Leistungen, die im Ausland gewährt werden und die mit dem deutschen Kindergeld vergleichbar sind, dem deutschen Kindergeld gleichgestellt werden, erkennbar dem Zweck, Doppelbegünstigungen für dasselbe Kind zu vermeiden. Beide Ziele sind im Streitfall erreicht. Für das Kind des Klägers wird in Österreich ein Kindergeld gezahlt, das höher ist, als es die Steuerersparnis des Klägers bei Abzug eines (vollen) Kinderfreibetrags nach § 32 Abs. 6 Satz 3 Nr. 1 EStG wäre. Würde dem Kläger dagegen der begehrte Kinderfreibetrag bewilligt, würden für dasselbe Kind bei einer vergleichbaren Höhe der Unterhaltskosten insgesamt höhere staatliche Begünstigungen gewährt als für ein Kind, dessen Eltern beide im Inland leben. Für eine derartige Bevorzugung von Eltern, die in unterschiedlichen Ländern leben, wäre kein sachlich einleuchtender Grund ersichtlich.

4. Die gesetzliche Regelung begegnet auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Dem verfassungsrechtlichen Gebot, einen Einkommensbetrag in Höhe des Existenzminimums eines Kindes steuerlich freizustellen (vgl. dazu Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 29. Mai 1990 1 BvL 20/84, 1 BvL 26/84, 1 BvL 4/86, BVerfGE 82, 60, BStBl II 1990, 653; vom 25. September 1992 2 BvL 5/91, 2 BvL 8/91, 2 BvL 14/91, BVerfGE 87, 153, BStBl II 1993, 413), wird durch die Zahlung des Kindergeldes in Österreich genügt. Der Umstand, dass ein zum Unterhalt durch Barzahlung Verpflichteter nach österreichischem Recht keinen Anspruch hat, der dem Ausgleichsanspruch nach deutschem Zivilrecht vergleichbar ist, führt nicht zu einer Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG. Das Fehlen eines Ausgleichsanspruchs ist ohnehin unerheblich, wenn bereits bei der Bemessung der Höhe des Unterhaltsbedarfs des Kindes die Gewährung staatlicher Leistungen mit der Rechtsfolge berücksichtigt worden ist, dass die Höhe der Unterhaltszahlungen geringer ausfällt. Aber selbst wenn dies nach den gesetzlichen Vorschriften eines ausländischen Staates aus irgendwelchen Gründen nicht der Fall sein sollte, kann der deutsche Gesetzgeber nicht alle Besonderheiten und Unterschiede des ausländischen Rechts bei der Art der Ermittlung der Höhe der Unterhaltspflicht berücksichtigen. Es muss ihm im Rahmen der gesetzlichen Typisierung und zur Vermeidung einer Schlechterstellung von im Inland lebenden Eltern erlaubt sein, auch bei Sachverhalten mit Auslandsbezug als ausschlaggebend anzusehen, dass die dort gezahlten Familienleistungen höher sind, als es die inländische Steuerersparnis im Falle des Abzugs eines Kinderfreibetrags wäre.

5. Das Klagebegehren ist auch nicht nach § 33a Abs. 1 EStG begründet. Denn Voraussetzung für den Abzug von Unterhaltsaufwendungen nach dieser Vorschrift ist nach ihrem Satz 3, dass weder der Steuerpflichtige noch eine andere Person Anspruch auf einen Kinderfreibetrag oder auf Kindergeld für die unterhaltene Person hat. Im Streitfall besteht für das vom Kläger unterhaltene Kind Anspruch auf Kindergeld. Denn Kindergeld i.S. des § 33a Abs. 1 Satz 3 EStG ist nach § 65 Abs. 1 Satz 2 EStG aus den oben dargelegten Gründen auch das österreichische Kindergeld.

Ende der Entscheidung

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