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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 01.07.2003
Aktenzeichen: VIII R 54/02
Rechtsgebiete: BKGG, AFG, SGB III, EStG


Vorschriften:

BKGG § 2
AFG § 101
AFG § 103
SGB III § 119
EStG § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1
EStG § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wohnt in den Niederlanden und ist in Deutschland nichtselbständig tätig. Er heiratete im November 1998 die Mutter von zwei Kindern, die im Juni 1979 und Juli 1980 geboren sind. Seinen Antrag, ihm für diese Kinder Kindergeld zu gewähren, lehnte der Beklagte und Revisionsbeklagte (Beklagter) für die Tochter für die Monate Dezember 1998 bis Februar 1999 sowie Mai bis Juli 1999 und für den Sohn für den Monat August 1999 ab. Die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) waren nach Auffassung des Beklagten nicht erfüllt, weil die Kinder nur bei einem privaten Arbeitsvermittler und nicht bei der staatlichen Arbeitsvermittlungsbehörde arbeitslos gemeldet gewesen seien.

Zur Begründung seiner Klage machte der Kläger geltend, die Arbeitsvermittlung in den Niederlanden erfolge weit überwiegend durch die privaten "Uitzendbureaus"; diese könnten ebenfalls die Registrierung eines Arbeitssuchenden vornehmen, auch wenn daraus --anders als bei einer Registrierung bei der staatlichen Arbeitsvermittlung-- kein Anspruch auf Arbeitslosengeld folge.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab. Es führte aus, es sei entgegen dem Gesetzeswortlaut des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG unter Berücksichtigung des europäischen Gemeinschaftsrechts zwar ausreichend, dass das Kind der Arbeitsvermittlung in seinem Wohnsitzstaat und nicht in Deutschland zur Verfügung stehe. Das Kind müsse aber grundsätzlich bei einer staatlichen Arbeitsvermittlung gemeldet sein. Ob ausnahmsweise etwas anderes dann und für solche Staaten gelten könne, in denen die Arbeitsverwaltung insgesamt privat organisiert sei, könne offen bleiben, da es in den Niederlanden möglich --und für den Anspruch auf Arbeitslosenhilfe auch erforderlich-- sei, sich bei der staatlichen Arbeitsverwaltung als arbeitslos zu melden. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 1179 veröffentlicht.

Der Kläger rügt mit seiner Revision die Verletzung materiellen Rechts (§§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1, 63 Abs. 1 EStG).

Er beantragt sinngemäß,

den Beklagten unter Aufhebung der Vorentscheidung zu verpflichten, ihm Kindergeld für die Stieftochter für die Zeit von Dezember 1998 bis Februar 1999 und Mai bis Juli 1999 sowie für den Stiefsohn für den Monat August 1999 zu gewähren, hilfsweise,

das Verfahren auszusetzen und eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) darüber einzuholen, welche Anforderungen an den Nachweis der Arbeitslosigkeit eines in einem anderen Mitgliedstaat wohnenden Kindes bei der Gewährung von Kindergeld zu stellen seien.

Der Beklagte beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Die Revision des Klägers ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Recht entschieden, dass dem Kläger für seine beiden in den Niederlanden lebenden Stiefkinder in den umstrittenen Monaten der Jahre 1998 und 1999 kein Anspruch auf Kindergeld gemäß §§ 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG i.V.m. Art. 73 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 (VO Nr. 1408/71) des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern i.d.F. der Bekanntmachung der Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- 1997 Nr. L 28/4), zusteht. Die Voraussetzungen dieser Vorschriften sind nicht erfüllt, weil die Stiefkinder der Klägers nicht der staatlichen Arbeitsvermittlungsbehörde der Niederlande zur Verfügung gestanden haben.

1. Ein Anspruch des Klägers auf Kindergeld für seine Stiefkinder ergibt sich nicht aus einer isolierten Anwendung der §§ 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG in der für das Jahr 1999 gültigen Fassung. Nach der letztgenannten Vorschrift wird ein Kind, das das 18. und noch nicht das 21. Lebensjahr vollendet hat, berücksichtigt, wenn es arbeitslos ist und der Arbeitsvermittlung im Inland zur Verfügung steht.

Im Streitfall ist dieser Tatbestand nicht erfüllt, weil die Stiefkinder des Klägers nicht bei einem deutschen Arbeitsamt als arbeitslos gemeldet waren und damit nicht der Arbeitsvermittlung im Inland zur Verfügung gestanden haben.

2. Die Frage, ob dem Kläger ein Anspruch auf Kindergeld zusteht, richtet sich aber nicht allein nach den deutschen Gesetzen, sondern ist unter Berücksichtigung der Vorschriften des europäischen Gemeinschaftsrechts zu entscheiden. Auch danach besteht jedoch kein Anspruch des Klägers auf Kindergeld für die streitigen Monate.

a) Der Kläger wird --wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist-- als Staatsbürger eines Mitgliedsstaats der Europäischen Union gemäß Art. 2 VO Nr. 1408/71 von dem persönlichen Geltungsbereich dieser Verordnung erfasst. Das deutsche Kindergeld fällt in den sachlichen Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71, da es auch nach seiner Neuregelung durch das Jahressteuergesetz (JStG) 1996 vom 11. Oktober 1995 (BGBl I 1995, 1250, BStBl I 1995, 438) eine Familienleistung i.S. des Art. 4 Abs. 1 Buchst. h VO Nr. 1408/71 ist (vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 13. August 2002 VIII R 54/00, BFHE 200, 204, BStBl II 2002, 869). Auf den Kläger sind gemäß Art. 13 Abs. 2 Buchst. a VO Nr. 1408/71 die Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland anzuwenden, weil er dort arbeitet. Da er mit seiner Familie in den Niederlanden lebt, sind die Voraussetzungen des Art. 73 VO Nr. 1408/71 erfüllt. Danach hat ein Arbeitnehmer, der den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates unterliegt, für seine Familienangehörigen, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnen, vorbehaltlich der Bestimmungen in Anhang VI Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des ersten Staates, als ob diese Familienangehörigen im Gebiet dieses Staates wohnen.

b) § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG in seiner bis zum 31. Dezember 1999 gültigen und im Streitfall maßgeblichen Fassung ist durch das JStG 1996 in das EStG aufgenommen worden. Im Rahmen der Neuregelung von Kindergeld und Kinderfreibetrag sollten --wie bisher schon im Kindergeldrecht-- arbeitlose Kinder unter 21 Jahren berücksichtigt werden (vgl. BTDrucks 13/1558, S. 155). Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass mit der Übernahme der bisher bereits im Bundeskindergeldgesetz (BKGG) enthaltenen Regelung in das EStG inhaltliche Änderungen verbunden sein sollten. Das EStG enthält keine eigenen Definitionen der Tatbestandsmerkmale "arbeitslos" und "der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehen". Dies spricht dafür, den Tatbestand des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG nach den Grundsätzen auszulegen, die für die entsprechende Vorschrift des BKGG entwickelt worden sind.

aa) Nach § 2 BKGG in seinen verschiedenen Fassungen wurden Kinder über 18 Jahre u.a. dann berücksichtigt, wenn sie "als Arbeitslose" entweder in Deutschland oder im Geltungsbereich des BKGG "der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehen". Der EuGH hat den Umstand, dass das Kind nach dem gesetzlichen Tatbestand der deutschen Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehen muss, als diskriminierend angesehen. Er hat mit Urteil vom 22. Februar 1990 Rs. C-228/88 (EuGHE 1990, I-549 bis 555) entschieden, Art. 73 VO Nr. 1408/71 sei dahin auszulegen, dass dann, wenn die Gewährung einer Familienleistung eines bestimmten Staates davon abhänge, dass der Familienangehörige des Arbeitnehmers als Arbeitsloser der Arbeitsvermittlung im Geltungsbereich dieser Rechtsvorschriften zur Verfügung stehe, diese Voraussetzung als erfüllt anzusehen sei, wenn der Familienangehörige als Arbeitsloser der Arbeitsvermittlung in dem Mitgliedstaat zur Verfügung stehe, in dem er wohne.

Das Bundessozialgericht (BSG) hat im Anschluss an dieses EuGH-Urteil konkretisiert, unter welchen Voraussetzungen bei einem Kind mit Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union der Tatbestand als erfüllt anzusehen ist, dass es als Arbeitsloser der Arbeitsvermittlung in seinem Wohnsitzstaat zur Verfügung steht. Da das BKGG keine eigenen Definitionen für die Tatbestandsmerkmale "Arbeitsloser" und "der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehen" enthalte, seien für die Auslegung dieser Begriffe die einschlägigen Vorschriften des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) maßgebend, soweit Kinder mit Wohnsitz im Inland betroffen seien. Wegen des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 3 VO Nr. 1408/71) seien an Kinder, die in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union lebten, zwar einerseits die gleichen Anforderungen zu stellen, aber andererseits die Gegebenheiten des Wohnsitzstaates nicht völlig außer Acht zu lassen. Deshalb komme es zwar nicht darauf an, ob die Voraussetzungen der §§ 101 und 103 AFG in jedem Punkt erfüllt seien; es müsse jedoch feststehen, dass das Kind im Wohnsitzland arbeitslos gemeldet sowie bereit und in der Lage sei, den Arbeitsangeboten der Arbeitsverwaltung nach den im Wohnsitzland üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes nachzukommen (vgl. BSG-Urteile vom 30. Mai 1990 10 RKg 7/90, SozR 3-5870 § 2 BKGG Nr. 7; vom 22. August 1990 10 RKg 29/88, BSGE 67, 194; vom 18. Dezember 1990 10 RKg 8/90, juris).

bb) Der Tatbestand, dass ein inländischer Arbeitsloser "der Arbeitsvermittlung zur Verfügung" steht (vgl. § 103 AFG bis zum 31. Dezember 1997; § 119 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch --SGB III--, gemäß Art. 83 Abs. 1 i.V.m. Abs. 5 des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes vom 24. März 1997, BGBl I 1997, 594, in Kraft getreten am 1. Januar 1998), setzt zunächst und auf jeden Fall voraus, dass der Arbeitslose dem zuständigen Arbeitsamt mitteilt, dass er vermittelt werden will und einen Arbeitsplatz sucht. Die Frage, auf welche Weise ein Kind, das in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union wohnt, nachweisen kann und muss, dass es "der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht", ist unter Berücksichtigung der Verhältnisse seines Wohnsitzstaates zu beantworten. Existiert im konkreten Wohnsitzstaat ebenso wie in der Bundesrepublik Deutschland eine staatliche Arbeitsvermittlung, dann bedeutet es keine versteckte Diskriminierung, wenn verlangt wird, dass das im Ausland wohnende Kind ebenso wie ein Kind im Inland dieser staatlichen Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehen und sich folglich dort als arbeitslos und arbeitssuchend melden muss. Ob dies auch dann ohne Einschränkung gilt, wenn in dem Wohnsitzstaat neben der staatlichen eine private Arbeitsvermittlung existiert, kann jedenfalls dann offen bleiben, wenn der konkrete Wohnsitzstaat seine eigenen Sozialleistungen i.S. des Art. 4 Abs. 1 VO Nr. 1408/71, die er für den Fall der Arbeitslosigkeit und Arbeitsbereitschaft gewährt, von einer Meldung bei seiner staatlichen Arbeitsvermittlung abhängig macht. Denn es kann dem deutschen Träger einer Sozialleistung nicht verwehrt werden, gemäß den im Inland gültigen Bestimmungen darauf zu bestehen, dass das Kind der staatlichen und nicht einer privaten Arbeitsvermittlung seines Wohnsitzstaates zur Verfügung steht, wenn der Mitgliedstaat, in dem das Kind seinen Wohnsitz hat, für seine eigenen Sozialleistungen, die er für den Fall der Arbeitslosigkeit gewährt, ebenfalls die Meldung bei der staatlichen Arbeitsvermittlung fordert.

c) Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall haben die Stiefkinder des Klägers die Voraussetzungen für einen Anspruch des Klägers auf Kindergeld in den umstrittenen Monaten nicht erfüllt. Sie waren ausschließlich bei einem privaten Arbeitsvermittler als arbeitssuchend gemeldet, obwohl in den Niederlanden eine staatliche Arbeitsvermittlung besteht. Das FG hat festgestellt und es ist unstreitig, dass in den Niederlanden die Gewährung von Arbeitslosengeld, das eine Sozialleistung i.S. des Art. 4 Abs. 1 Buchst. g VO Nr. 1408/71 ist, die Meldung bei der staatlichen Arbeitsvermittlung voraussetzt und dass die Meldung bei einem privaten Arbeitsvermittler nicht ausreicht. Gründe dafür, dass den Stiefkindern des Klägers die Meldung bei der staatlichen Arbeitsvermittlung nicht zuzumuten gewesen sei, hat der Kläger nicht vorgetragen und sind auch nicht ersichtlich.

3. Der Senat hält es nicht für erforderlich, in dieser Sache eine Vorabentscheidung des EuGH nach Art. 234 Abs. 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft von Nizza vom 26. Februar 2001 (ABlEG 2001 Nr. C 80/1; konsolidierte Fassung: ABlEG 2002 Nr. C 325/1) einzuholen. Er hält es aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht nicht für zweifelhaft, dass der deutsche Leistungsträger bei der Gewährung seiner Sozialleistungen, die er für den Fall der Arbeitslosigkeit erbringt, den gleichen Maßstab an die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Leistung anlegen darf wie es der Wohnsitzstaat des Leistungsempfängers bzw. seines Kindes tut, wenn er Sozialleistungen für den Fall der Arbeitslosigkeit erbringt.

Ende der Entscheidung

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