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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 24.08.2004
Aktenzeichen: VIII R 7/04
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO, BGB, GG


Vorschriften:

AO 1077 § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
AO 1977 § 357 Abs. 2 Satz 2
FGO § 118 Abs. 2
FGO § 119 Nr. 6
BGB § 133
BGB § 140
GG Art. 19 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) und seine Mutter waren Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). Ausweislich der Anzeige über die Gründung der GbR vom 5. April 1997 war der Kläger Empfangsbevollmächtigter gegenüber den Finanzbehörden für alle Steuerarten.

Nachdem die GbR trotz Aufforderung keine Feststellungserklärung abgegeben hatte, schätzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) die Besteuerungsgrundlagen für 1999 und stellte mit Bescheid vom 18. Dezember 2000 die Einkünfte für 1999 gesondert und einheitlich fest. Der Bescheid wurde dem Kläger ausweislich der Postzustellungsurkunde am 19. Dezember 2000 durch Niederlegung bei der Post zugestellt. Die Mitteilung über den auf den Kläger entfallenden Gewinnanteil der GbR ging ebenfalls am 19. Dezember 2000 bei dem für die Einkommensteuer-Veranlagung des Klägers zuständigen Wohnsitzfinanzamt ein.

Am 10. Januar 2001 suchte der Kläger die Vollstreckungsstelle seines Wohnsitzfinanzamts auf, um eine Aussetzung der Vollstreckung der Einkommensteuer-Vorauszahlungen für 1999 und 2000 zu erreichen. Auf Anraten der zuständigen Sachbearbeiterin fertigte der Kläger an Amtsstelle folgendes Schreiben:

"Sehr geehrter Frau K...!

Hiermit stelle ich den Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung für die Einkommensteuervorauszahlungen 1999 und 2000. Anbei erhalten Sie EkSt 99 mit G & V 1999. Bitte passen Sie die EkSt für 2000 entsprechend an."

Nach den tatsächlichen Feststellungen des Finanzgerichts (FG) überreichte der Kläger bei dieser Gelegenheit zur Begründung seines Antrags der zuständigen Sachbearbeiterin die Einkommensteuererklärung 1999 und eine Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) der GbR für 1999. Die Gewinnermittlung vom 4. September 2000 enthält folgende Überschrift:

"X & Partner GbR,

- FA A, St.-Nr. xxx"

Der Kläger hat darin für die GbR einen Gewinn für 1999 in Höhe von 37 440,99 DM errechnet, der auch in seiner Einkommensteuererklärung in der Anlage GSE in Zeile 5 unter Angabe der Steuernummer der GbR beim Betriebsstättenfinanzamt, dem FA, ausgewiesen ist.

Das Wohnsitzfinanzamt erließ am 29. Januar 2001 einen Einkommensteuerbescheid für 1999, in dem es den vom Kläger erklärten Gewinnanteil berücksichtigte.

Am 4. Oktober 2001 wertete das Wohnsitzfinanzamt die Mitteilung des FA vom 18. Dezember 2000 aus und änderte am 16. Oktober 2001 den Einkommensteuerbescheid für 1999 nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) entsprechend.

Am 22. November 2001 fragte der Kläger telefonisch beim FA an, warum in seinem Einkommensteuerbescheid 1999 ein so hoher GbR-Gewinnanteil berücksichtigt worden sei, und wies darauf hin, dass er den Feststellungsbescheid für 1999 nicht erhalten habe. Das FA übersandte dem Kläger daraufhin am 23. November 2001 eine Kopie des Gewinnfeststellungsbescheids vom 18. Dezember 2000 zur Kenntnis.

Mit Schreiben vom 9. Januar 2002 übersandte der Kläger dem FA eine Kopie der GuV-Rechnung der GbR für 1999 und beantragte eine Änderung der Schätzung. Das FA lehnte die Änderung unter Hinweis auf die bereits eingetretene Bestandskraft ab.

Am 5. März 2002 legte der Kläger gegen den Feststellungsbescheid vom 18. Dezember 2000 Einspruch ein mit der Begründung, er habe von dem Inhalt des Feststellungsbescheides erst am 25. Februar 2002 Kenntnis erlangt. Im Übrigen habe er die Feststellungserklärung bereits am 10. Januar 2001 beim Wohnsitzfinanzamt abgegeben.

Das FA verwarf den Einspruch als unzulässig.

Der Kläger trug zur Begründung seiner Klage vor, er habe den mit Postzustellungsurkunde zugestellten Gewinnfeststellungsbescheid nicht erhalten und in seinem Briefkasten keine Benachrichtigung vorgefunden. Es habe auch beim Postamt nicht mehr geklärt werden können, ob das niedergelegte Schriftstück zurückgesandt oder abgeholt worden sei. Auf jeden Fall sei sein Schreiben vom 10. Januar 2001 an sein Wohnsitzfinanzamt in Verbindung mit der Abgabe der Einkommensteuererklärung und der GuV-Rechnung 1999 als Einspruch auszulegen. Er habe dadurch eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass er eine Änderung des bisherigen Bescheides begehre.

Der Kläger schränkte seinen ursprünglichen Antrag auf Änderung des angefochtenen Bescheides und Feststellung eines Gewinns in Höhe von 37 440 DM ein und beantragte in der mündlichen Verhandlung, den Einspruchsbescheid hinsichtlich der gesonderten Feststellung 1999 vom 17. April 2002 aufzuheben.

Das FG gab der Klage mit diesem Antrag statt. Es entschied, der Feststellungsbescheid vom 18. Dezember 2000 sei mit der Niederlegung bei der Post wirksam bekannt gegeben worden. Der Kläger habe mit der Abgabe der GuV-Rechnung der GbR für 1999 beim Wohnsitzfinanzamt am 10. Januar 2001 rechtzeitig Einspruch gegen den Feststellungsbescheid eingelegt. Ein Einspruch, der sich gegen die Feststellung von Besteuerungsgrundlagen richte, könne auch bei der zur Erteilung des Steuerbescheids zuständigen Behörde angebracht werden (§ 357 Abs. 2 Satz 2 AO 1977).

Die GuV-Rechnung sei als Einspruch auszulegen. Nach Auffassung des Bundesfinanzhofs (BFH) sei eine Steuererklärung, die nach Erlass eines Steuerbescheids mit geschätzten Besteuerungsgrundlagen innerhalb der Einspruchsfrist ohne weitere Erklärung eingereicht worden sei, im Zweifel als Einspruch auszulegen (Urteil vom 27. Februar 2003 V R 87/01, BFHE 201, 416, BStBl II 2003, 505). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) gebiete die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes durch Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) eine Auslegung und Anwendung der die Einlegung von Rechtsbehelfen regelnden Vorschriften, die die Beschreitung des eröffneten Rechtswegs nicht in einer Weise erschwere, die aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigen sei. Sei ungewiss, ob der Steuerpflichtige ein Rechtsmittel einlegen wolle, sei im Allgemeinen die Erklärung als Rechtsmittel zu betrachten, um zugunsten des Steuerpflichtigen den Eintritt der Rechtskraft aufzuhalten (BVerfG-Beschluss vom 2. September 2002 1 BvR 476/01, BStBl II 2002, 835, m.w.N.).

Da dem Wohnsitzfinanzamt seit dem 19. Dezember 2000 die Mitteilung über den Gewinnanteil des Klägers an der GbR vorgelegen habe, habe es gewusst, dass die Besteuerungsgrundlagen geschätzt gewesen seien. Der Umstand, dass diese Mitteilung und die Einkommensteuerakten nicht zusammengeführt worden seien und die Mitteilung deshalb auch nicht bei der Veranlagung des Klägers durch die Außenstelle des Wohnsitzfinanzamts berücksichtigt worden sei, könne nicht zu Lasten des Klägers gehen, da die zuständigen Sachbearbeiter den Akteninhalt und damit den Eingang der Mitteilung des FA hätten kennen müssen. Im Ergebnis sei durch die Kennzeichnung der GuV-Rechnung mit dem Namen der GbR, des Betriebsstättenfinanzamts und der dortigen Steuernummer in Kenntnis des Umstandes, dass die Besteuerungsgrundlagen im Feststellungsbescheid für 1999 höher geschätzt geworden seien, auch für den Empfänger erkennbar, dass sich der Kläger gegen die aus seiner Sicht zu hohen geschätzten gewerblichen Einkünfte im Feststellungsbescheid 1999 wende bzw. dadurch beschwert fühle.

Der Sachverhalt des Streitfalles könne nicht anders behandelt werden als der Schätzfall, bei dem innerhalb der Einspruchsfrist ohne weitere Mitteilung eine Steuererklärung eingehe und diese als Einspruch auszulegen sei. Dass hier keine Feststellungserklärung, sondern nur eine GuV-Rechnung eingereicht worden sei, stehe diesem Auslegungsergebnis nicht entgegen, da die Feststellungserklärung im Hinblick darauf, dass es sich um eine zweigliedrige GbR mit einer 100-prozentigen Gewinnbeteiligung des Klägers handele, nur eine äußere Hülle ohne Aussagewert sei.

Unerheblich sei, dass die GuV-Rechnung bei der Vollstreckungsstelle des Wohnsitzfinanzamts abgegeben worden sei. Die Aufsplitterung der Zuständigkeiten auf Seiten der Finanzverwaltung könne nicht zu Lasten der Steuerpflichtigen gehen. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2004, 474 veröffentlicht.

Das FA rügt mit seiner Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Es beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision des FA ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Entscheidung des FG, dass das FA den Einspruch des Klägers gegen den Gewinnfeststellungsbescheid vom 18. Dezember 2000 zu Unrecht als unzulässig verworfen hat und die Einspruchsentscheidung daher aufzuheben ist, ist revisionsrechtlich im Ergebnis nicht zu beanstanden.

1. Der Senat geht mit dem FG davon aus, dass der Feststellungsbescheid mit der Niederlegung bei der Post am 19. Dezember 2000 bekannt gegeben und damit wirksam wurde (§§ 122 Abs. 5, 124 AO 1977, § 3 des Verwaltungszustellungsgesetzes, §§ 182, 418 Abs. 1 der Zivilprozessordnung --ZPO-- i.d.F. vor In-Kraft-Treten des Zustellungsreformgesetzes). Die Entscheidung des FG, der Kläger habe nicht den Gegenbeweis gegen die in der Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen geführt, lässt keinen Fehler erkennen. Denn der Kläger hat weder im Klageverfahren noch im Revisionsverfahren im Wege der Gegenrüge konkrete Umstände dargelegt, die ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der beurkundeten Tatsachen begründen (vgl. BFH-Urteil vom 17. Dezember 1996 IX R 5/96, BFHE 183, 3, BStBl II 1997, 638).

2. Der Kläger hat am 10. Januar 2001 bei seinem Wohnsitzfinanzamt einen Antrag gestellt, der unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Gebots zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) als Einspruch gegen den Gewinnfeststellungsbescheid für 1999 umzudeuten ist.

a) Der Senat geht in tatsächlicher Hinsicht davon aus, dass der Kläger seinem Wohnsitzfinanzamt am 10. Januar 2001 seine Einkommensteuererklärung und die GuV-Rechnung 1999 der GbR übergeben hat. Denn das FG hat auf Seite 3 des Tatbestands seines Urteils festgestellt, dass der Kläger bei dieser Gelegenheit, d.h. als er am 10. Januar 2001 die Vollstreckungsstelle seines Wohnsitzfinanzamts aufsuchte, der für die Vollstreckung zuständigen Sachbearbeiterin die Einkommensteuererklärung 1999 und eine GuV-Rechnung der GbR für 1999 überreicht hat. An diese Feststellung ist der Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden, es sei denn, dass dagegen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind. Dies ist nicht Fall.

Das FG hat bei der beanstandeten tatsächlichen Feststellung nicht gegen seine Amtsermittlungspflicht (§ 76 FGO) verstoßen. Das FA hat in seinem Schriftsatz vom 11. April 2003 die Übergabe dieser Unterlagen nicht bestritten, sondern lediglich zum Ausdruck gebracht, dass der handschriftliche Vermerk der Vollstreckungssachbearbeiterin nicht zwingend bestätige, dass dem Antrag tatsächlich als Anlagen die Einkommensteuererklärung 1999 sowie die GuV-Rechnung der GbR beigefügt gewesen seien. Hätte das FA die Übergabe der Unterlagen bestreiten wollen, hätte es dies unmissverständlich tun und die Vernehmung der Sachbearbeiterin der Vollstreckungsstelle beantragen müssen. Dies hat es jedoch auch in der mündlichen Verhandlung vor dem FG nicht getan.

b) Auch die Rüge des FA, das angefochtene Urteil sei bezüglich der Feststellung, dass der Kläger am 10. Januar 2001 seinem Wohnsitzfinanzamt eine GuV-Rechnung der GbR für 1999 überreicht habe, nicht mit Gründen i.S. des § 119 Nr. 6 FGO versehen sei, geht fehl. Dies könnte allenfalls dann zutreffen, wenn diese Frage im finanzgerichtlichen Verfahren zwischen den Beteiligten kontrovers erörtert worden wäre und das FA die Übergabe der in dem Schreiben des Klägers vom 10. Januar 2001 aufgeführten Unterlagen bestritten hätte. Dies war aber gerade nicht der Fall.

c) Ob Erklärungen oder Anträge eines Steuerpflichtigen als Einspruch (§ 357 AO 1977) auszulegen sind, richtet sich gemäß dem sinngemäß anzuwendenden § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) nach seinem wirklichen Willen. Macht ein Steuerpflichtiger --wie im Streitfall-- geltend, er habe von dem Erlass eines bestimmten Steuerbescheids keine Kenntnis, da er ihn nicht erhalten habe, kann sich sein wirklicher Wille nicht auf die Anfechtung dieses Bescheides richten. Deshalb kann im Streitfall nicht festgestellt werden, dass der tatsächliche Wille des Klägers darauf gerichtet war, den --ihm überhaupt nicht bekannten-- Schätzungsbescheid mit einem Einspruch anzufechten.

Insoweit unterscheidet sich der Streitfall von dem Sachverhalt, der dem BFH-Urteil in BFHE 201, 416, BStBl II 2003, 505 zugrunde lag. Denn dort wusste der Steuerpflichtige, dass ein Schätzungsbescheid ergangen war. Deshalb war es ohne weiteres möglich und geboten, die kommentarlose Einreichung der Steuererklärung gemäß dem wirklichen Willen des Steuerpflichtigen dahin auszulegen, dass er sich damit gegen den Schätzungsbescheid wenden und Einspruch einlegen wollte.

Auch soweit der Senat in seinem Urteil vom 26. April 1988 VIII R 292/82 (BFHE 153, 497, BStBl II 1988, 855) den Inhalt eines Schreibens als Einspruch ausgelegt hat, obwohl dem Kläger der Feststellungsbescheid nicht bekannt gegeben worden war, ist der Sachverhalt des Streitfalles damit nicht vergleichbar. Denn dort konnte der Kläger aus dem geänderten Einkommensteuerbescheid auf die Existenz eines entsprechenden Feststellungsbescheides (Grundlagenbescheides) schließen, während im vorliegenden Verfahren der Einkommensteuerbescheid für 1999 am 10. Januar 2001 noch nicht erlassen war und der Kläger dementsprechend daraus auch keine Schlussfolgerungen ziehen konnte.

d) Der Senat ist jedoch der Auffassung, dass bei der Entscheidung, ob ein Steuerpflichtiger gegen einen wirksamen Feststellungsbescheid Einspruch eingelegt hat, der Rechtsgedanke des § 140 BGB zu berücksichtigen ist. Die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes durch Art. 19 Abs. 4 GG gebietet nach der Rechtsprechung des BVerfG eine Auslegung und Anwendung der die Einlegung von Rechtsbehelfen regelnden Vorschriften, die die Beschreitung des eröffneten Rechtswegs nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren (vgl. Beschluss der 3. Kammer des 1. Senats des BVerfG vom 31. Juli 2001 1 BvR 1061/00, Deutsches Verwaltungsblatt --DVBl-- 2001, 1747, m.w.N.). Dem Richter ist es verwehrt, durch übermäßig strenge Handhabung verfahrensrechtlicher Vorschriften den Anspruch auf gerichtliche Durchsetzung des materiellen Rechts unzumutbar zu verkürzen (vgl. Beschluss der 3. Kammer des 1. Senats des BVerfG in BStBl II 2002, 835). Die Anwendung des in § 140 BGB zum Ausdruck gekommenen allgemeinen Rechtsgedankens im Verfahrensrecht dient der Verwirklichung des Gebots zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes.

aa) Nach § 140 BGB gilt dann, wenn ein nichtiges Rechtsgeschäft den Erfordernissen eines anderen Rechtsgeschäfts entspricht, das letztere, wenn anzunehmen ist, dass dessen Geltung bei Kenntnis der Nichtigkeit gewollt sein würde. Es ist in der Rechtsprechung des BFH anerkannt, dass in Anwendung des dieser Vorschrift zugrunde liegenden Rechtsgedankens Anträge eines Steuerpflichtigen umgedeutet werden können, wenn nicht zweifelhaft ist, welches Ziel er letztlich erreichen will und dass er die dem Wortlaut nach richtigen Anträge gestellt hätte, wenn er die zutreffende verfahrensrechtliche Lage gekannt hätte. Deshalb hat der BFH Anträge auf Aussetzung der Vollziehung der Einkommensteuerbescheide in Anträge aus Aussetzung der Vollziehung der Gewinnfeststellungsbescheide unter Hinweis auf den allgemeinen Rechtsgedanken des § 140 BGB umgedeutet (vgl. Beschlüsse vom 24. Oktober 1968 IV B 40/68, BFHE 93, 543, BStBl II 1969, 40; vom 12. Januar 1978 IV S 12 13/77, BFHE 124, 147, BStBl II 1978, 227; vom 30. April 1987 VIII S 2/87, BFH/NV 1987, 796).

bb) Im Streitfall war neben der Erlangung von Vollstreckungsschutz erkennbares Ziel der Vorsprache des Klägers beim Wohnsitzfinanzamt, dass bei seiner Veranlagung zur Einkommensteuer für 1999 bei den gewerblichen Einkünften ein Gewinn in der von ihm erklärten und aus der GuV-Rechnung ersichtlichen Höhe berücksichtigt werden sollte. Dieses Ziel konnte der Kläger wegen der Bindungswirkung (§ 182 Abs. 1 AO 1977) des wirksamen Schätzungs-Feststellungsbescheides für 1999 nur dadurch erreichen, dass er gegen diesen Bescheid Einspruch einlegte und die Herabsetzung des darin geschätzten Gewinns unter Hinweis auf die GuV-Rechnung beantragte. Deshalb ist der in der Einkommensteuererklärung enthaltene Antrag auf Berücksichtigung gewerblicher Einkünfte in der aus der GuV-Rechnung ersichtlichen Höhe in einen Einspruch gegen den Feststellungsbescheid vom 18. Dezember 2000 mit dem Antrag umzudeuten, den geschätzten Gewinn entsprechend herabzusetzen. Es ist kein vernünftiger Grund dafür ersichtlich, weshalb der Kläger nicht gegen den Feststellungsbescheid Einspruch eingelegt und die Herabsetzung des geschätzten Gewinns beantragt hätte, wenn er die verfahrensrechtliche Situation gekannt hätte. Dabei ist unerheblich, dass der Kläger keine Feststellungserklärung, sondern nur eine Einkommensteuererklärung und GuV-Rechnung eingereicht hat. Denn das Ziel des Klägers, dass bei seinen gewerblichen Einkünften nur ein Gewinn in der erklärten Höhe berücksichtigt werden sollte, ging daraus ebenso deutlich hervor wie aus einer entsprechenden Feststellungserklärung.

cc) Auch die weiteren Voraussetzungen für eine Zulässigkeit des Einspruchs sind erfüllt. Das Erfordernis, dass ein Einspruch schriftlich einzulegen ist (§ 357 Abs. 1 Satz 1 AO 1977), ist gewahrt. Denn das in einen Einspruch umgedeutete Begehren des Klägers, dass seine Einkommensteuer auf der Grundlage des von ihm erklärten Gewinns festgesetzt werden sollte, ergab sich aus der am 10. Januar 2001 eingereichten Einkommensteuererklärung und GuV-Rechnung.

Der Kläger hat seinen umgedeuteten Antrag auch innerhalb der Einspruchsfrist von einem Monat (§ 355 Abs. 1 Satz 1 AO 1977) gestellt. Die mit der Bekanntgabe des Feststellungsbescheides am 19. Dezember 2000 in Lauf gesetzte Einspruchsfrist ist nach zutreffender Auffassung der Vorinstanz am 19. Januar 2001 abgelaufen (§ 108 Abs. 1 AO 1977, § 188 Abs. 2 BGB). Der Kläger hat seine Einkommensteuererklärung und die GuV-Rechnung am 10. Januar 2001 und damit vor Fristablauf abgegeben. Unerheblich ist dabei, dass der Feststellungsbescheid nicht vom Wohnsitzfinanzamt des Klägers erlassen worden ist und letzteres die GuV-Rechnung nicht an das Betriebsstättenfinanzamt, das FA, weitergeleitet hat. Denn ein Einspruch, der sich gegen die Feststellung von Besteuerungsgrundlagen richtet, kann gemäß § 357 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 auch bei der für die Erteilung des Steuerbescheides zuständigen Behörde angebracht werden. Das bedeutet, dass die Frist bereits mit dem Eingang beim Wohnsitzfinanzamt gewahrt ist, ohne dass es auf die Weiterleitung an das Betriebsstättenfinanzamt ankommt.

3. Da der Kläger danach rechtzeitig Einspruch eingelegt hat, hätte das FA seinen Einspruch nicht als unzulässig verwerfen dürfen. Das FG hat daher die Einspruchsentscheidung zu Recht mit der Folge aufgehoben, dass das FA das Begehren des Klägers sachlich zu prüfen hat.



Ende der Entscheidung

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