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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 01.07.2003
Aktenzeichen: VIII R 71/02
Rechtsgebiete: EStG, BGB, FGO, AO 1977


Vorschriften:

EStG § 17
EStG § 17 Abs. 2
EStG § 17 Abs. 4
BGB § 421
FGO § 118 Abs. 2
AO 1977 § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute. Der Kläger war wesentlich i.S. des § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG) an einer GmbH beteiligt. Über das Vermögen der GmbH wurde am 11. Januar 1995 das Konkursverfahren eröffnet. Das Konkursverfahren wurde im Oktober 1995 abgeschlossen.

Der Kläger machte in seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1995 aus seiner wesentlichen Beteiligung einen Auflösungsverlust gemäß § 17 Abs. 4 EStG wegen seiner und der Klägerin Zahlungen aufgrund von Bankbürgschaften zu Gunsten der GmbH geltend. Er legte u.a. eine selbstschuldnerische Bürgschaftserklärung für alle bestehenden und künftigen Forderungen der GmbH vom 26. November 1987 vor, in der sich neben den beiden Klägern vier weitere Personen über einen Gesamtbetrag von insgesamt 390 000 DM gegenüber der Sparkasse verbürgt hatten. Ausweislich eines Schreibens der Sparkasse vom 13. März 1996 hatte der Kläger "aufgrund dieser Bürgschaft am 17.11.1995 eine erste Zahlung von 27 140,00 DM geleistet" und valutierte das verbürgte Darlehen derzeit noch mit 57 520,53 DM zuzüglich Zinsen.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) erkannte in dem bestandskräftig gewordenen Einkommensteuerscheid vom 12. September 1996 einen Auflösungsverlust gemäß § 17 Abs. 4 EStG nur in Höhe der Beträge an, die der Kläger aufgrund der Bürgschaften gezahlt hatte.

Im Juli 2000 beantragten die Kläger, im Wege der Änderung des Einkommensteuerbescheides für 1995 gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) weitere Beträge als Verlust i.S. des § 17 EStG zu berücksichtigen. Sie machten neben anderen, im Revisionsverfahren nicht mehr streitigen Zahlungen unter Hinweis auf ein Schreiben der Sparkasse vom 16. Oktober 2000 geltend, der Kläger sei aus der Bürgschaft vom 26. November 1987 in Höhe eines weiteren Betrages von 60 000 DM von der Sparkasse in Anspruch genommen worden.

Das FA lehnte die Änderung mit der Begründung ab, der Tatbestand des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 sei nicht erfüllt, da mit der Inanspruchnahme in der jetzt geltend gemachten Höhe bereits bei Abgabe der Einkommensteuererklärung für 1995 hätte gerechnet werden müssen.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage wegen der Inanspruchnahme des Klägers durch die Sparkasse im Jahr 2000 statt und erkannte unter Abweisung der Klage im Übrigen einen weiteren Verlust i.S. von § 17 EStG von 60 000 DM an. Es entschied, aufgrund der Eigenart der Gewinnermittlung nach § 17 EStG könnten Bürgschaftsverpflichtungen nur insoweit berücksichtigt werden, als sie tatsächlich eine gegenwärtige Belastung darstellten. Dies sei im Streitfall im Zeitpunkt der Entstehung des Auflösungsverlusts nur in Höhe des auf den Kläger im Rahmen seiner gesamtschuldnerischen Haftung entfallenden Anteils der Fall gewesen, da die Sparkasse zunächst nur jeden Gesellschafter entsprechend seinem Anteil in Anspruch genommen habe. Da der Kläger zum Zeitpunkt seiner Inanspruchnahme durch die Sparkasse keine konkreten Anhaltspunkte für eine Insolvenz der anderen Gesellschafter gehabt habe, habe er nicht damit rechnen müssen, dass er auch noch darüber hinaus in Anspruch genommen werde. Aufgrund der nachträglichen weiteren Inanspruchnahme wegen des Ausfalls weiterer Gesellschafter sei der Kläger erst zu diesem Zeitpunkt wirtschaftlich belastet gewesen. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2003, 166 veröffentlicht.

Das FA rügt mit seiner Revision eine Verletzung von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 und § 17 EStG.

Es beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben, soweit sie der Klage stattgegeben hat, und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Die Revision des FA ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Entscheidung des FG, der bestandskräftige Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 1995 sei gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 zu ändern, soweit der Kläger bei seinen Einkünften aus § 17 EStG nachträglich einen weiteren Verlust von 60 000 DM wegen seiner Inanspruchnahme aus einer Bürgschaft für die GmbH geltend macht, ist frei von Rechtsfehlern.

1. Das FG hat in Übereinstimmung mit den Beteiligten angenommen, dass die vom Kläger übernommene Bürgschaft durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst gewesen sei, so dass die Zahlungen des Klägers auf diese Bürgschaft grundsätzlich zu seinen Anschaffungskosten i.S. des § 17 Abs. 2 EStG gehört hätten, und dass der Auflösungsverlust des Klägers i.S. des § 17 Abs. 4 EStG im Jahr 1995 entstanden sei, nachdem das Konkursverfahren über das Vermögen der GmbH im Oktober 1995 abgeschlossen worden war. Diese Rechtsansicht des FG wird vom FA nicht in Frage gestellt.

2. Die alleinige Streitfrage im Revisionsverfahren ist daher, ob die Inanspruchnahme des Klägers im Jahr 2000 aus seiner Bürgschaft für die GmbH in Höhe von 60 000 DM ein Ereignis ist, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat und damit gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 die Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheides für 1995 rechtfertigt. Dies hat das FG entgegen der Auffassung des FA rechtsfehlerfrei bejaht.

a) Der Veräußerungs- und Auflösungsgewinn i.S. des § 17 Abs. 2 und 4 EStG ist aufgrund einer Stichtagsbewertung aller in § 17 Abs. 2 EStG genannten Faktoren auf den Zeitpunkt der Entstehung des Gewinns oder Verlusts zu ermitteln (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 8. April 1998 VIII R 21/94, BFHE 186, 194, BStBl II 1998, 660, m.w.N., unter II.2.b der Gründe). Dabei ist für die Berücksichtigung von Verbindlichkeiten nach Wahrscheinlichkeitsgesichtspunkten zu entscheiden, ob in absehbarer Zeit mit einer Erfüllung der Verbindlichkeit zu rechnen ist (vgl. BFH-Urteile in BFHE 186, 194, BStBl II 1998, 660, unter II.2.c der Gründe; vom 26. Januar 1999 VIII R 50/98, BFHE 188, 295, BStBl II 1999, 559). Deshalb ist grundsätzlich auch die Verpflichtung des Gesellschafters aus einer Bürgschaft bei der Ermittlung des Auflösungsgewinns nach § 17 Abs. 4 EStG --unabhängig vom Zeitpunkt der Zahlung des Bürgen-- bereits dann zu berücksichtigen, wenn der Gläubiger seinen Anspruch aus der Bürgschaft geltend gemacht hat oder wenn mit einer Inanspruchnahme ernstlich zu rechnen ist (BFH-Urteile in BFHE 186, 194, BStBl II 1998, 660, unter II.2.d der Gründe; in BFHE 188, 295, BStBl II 1999, 559, unter II.2.c der Gründe; vom 26. Januar 1999 VIII R 32/96, BFH/NV 1999, 922).

Brauchte der Gesellschafter im Zeitpunkt der Entstehung des Auflösungsgewinns oder -verlusts mit seiner Inanspruchnahme nicht oder jedenfalls nicht über einen bestimmten Betrag hinaus zu rechnen, dann ist seine spätere Inanspruchnahme ein nachträgliches Ereignis, das auf den Zeitpunkt der Auflösung der Gesellschaft zurückwirkt. Die Einkommensteuerveranlagung des Entstehungsjahres ist dann gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 zu ändern (vgl. BFH-Urteile vom 2. Oktober 1984 VIII R 20/84, BFHE 143, 304, BStBl II 1985, 428; in BFHE 186, 194, BStBl II 1998, 660).

b) Von dieser Rechtslage ist das FG im Streitfall ausgegangen. Zwischen den Beteiligten ist allein umstritten, ob es die vorstehenden Grundsätze im Hinblick darauf fehlerfrei auf den Streitfall angewendet hat, dass der Kläger nicht Alleinschuldner der Bürgschaft war. Dies ist entgegen der Ansicht des FA der Fall.

Der Senat teilt die Ansicht der Vorinstanz, dass bei der Ermittlung des Gewinns oder Verlusts i.S. des § 17 Abs. 2 und 4 EStG die Inanspruchnahme eines Gesellschafters aus einer Bürgschaft dann nicht ohne weiteres in voller Höhe zu berücksichtigen ist, wenn sich --wie im Streitfall-- mehrere Bürgen für dieselbe Schuld verbürgt haben. Zwar kann der Gläubiger die Zahlung gemäß § 421 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) von jedem Bürgen fordern, so dass dieser grundsätzlich auch mit seiner Inanspruchnahme rechnen muss. Da die Bürgen als Gesamtschuldner im Innenverhältnis aber zu gleichen Anteilen verpflichtet sind, soweit nichts anderes vereinbart ist (vgl. § 426 Abs. 1 BGB), erwirbt der Bürge, der eine über seinen Anteil hinausgehende Zahlung leistet, beim Fehlen anderweitiger Vereinbarungen einen Ausgleichsanspruch (§ 426 Abs. 2 BGB). Er wäre deshalb bei einer seinen Anteil übersteigenden Zahlung insoweit wirtschaftlich nur dann belastet, wenn gleichzeitig feststünde, dass die Ausgleichsforderung gegen den oder die anderen Gesamtschuldner (Mitbürgen) nicht realisierbar und damit wertlos ist.

Das FG hat im Streitfall in tatsächlicher Hinsicht angenommen, die Sparkasse habe den Kläger zunächst nur in Höhe des Anteils in Anspruch genommen, der im Rahmen seiner gesamtschuldnerischen Haftung auf ihn entfallen sei und den der Kläger auch im Jahr 1995 bezahlt habe. Diese tatsächliche Feststellung des FG ist gemäß § 118 Abs. 2 FGO für den Senat bindend, da das FA gegen sie keine zulässigen und begründeten Rügen erhoben hat. Die vom Kläger vorgelegten Schreiben der Sparkasse vom 13. März 1996 und 16. Oktober 2000 legen dieses Verständnis auch nahe. Soweit das FA dagegen einwendet, die Sparkasse habe vom Kläger im Jahr 1995 oder 1996 jedenfalls die Zahlung von 65 000 DM als seinen Anteil im Rahmen der gesamtschuldnerischen Haftung gefordert, handelt es sich lediglich um eine Schlussfolgerung des FA aus der Höhe der ursprünglichen Bürgschaftsschuld von 390 000 DM. Diese Schlussfolgerung könnte aber nur dann richtig sein, wenn das Darlehen noch in voller Höhe von 390 000 DM valutiert hätte und wenn deshalb die Bürgen auch in Höhe dieses Betrages von der Sparkasse in Anspruch genommen worden wären. Das hat das FG jedoch nicht festgestellt. Dagegen spricht auch der Inhalt der beiden Schreiben der Sparkasse vom 13. März 1996 und 16. Oktober 2000. Daraus geht hervor, dass das Darlehen am 13. März 1996 nur noch mit 57 520,53 DM valutiert hat und dass sich die Sparkasse an die Mitbürgen des Klägers gewandt hatte, nachdem dieser sie auf die gesamtschuldnerische Haftung der weiteren Bürgen verwiesen hatte. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger den Betrag von 27 140 DM und die Klägerin einen Betrag von 54 426,25 DM auf die Bürgschaft geleistet.

Unter diesen Umständen hätte der Kläger im Rahmen der ursprünglichen Einkommensteuerveranlagung wegen der Bürgschaft nur dann einen höheren als den tatsächlich gezahlten Betrag als Anschaffungskosten i.S. des § 17 Abs. 2 EStG beanspruchen können, wenn er wegen einer Zahlungsunfähigkeit seiner Mitbürgen mit seiner Inanspruchnahme durch die Sparkasse über den auf ihn entfallenden Anteil hinaus ernsthaft hätte rechnen müssen. Die Annahme des FG, dass dies mangels konkreter Anhaltspunkte für eine Insolvenz der Mitbürgen nicht der Fall gewesen sei, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie steht im Einklang damit, dass die Sparkasse erst fünf Jahre nach der Entstehung des Auflösungsverlusts von einer Uneinbringlichkeit ihrer Forderungen gegen die Mitbürgen ausgegangen ist und den Kläger erst zu diesem Zeitpunkt ernsthaft wegen des Betrages in Anspruch genommen hat, der seinen eigenen Anteil an der Gesamtschuld übersteigt.

Ende der Entscheidung

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