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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 27.01.1998
Aktenzeichen: VIII R 73/96
Rechtsgebiete: FGO


Vorschriften:

FGO § 96 Abs. 1 Satz 1 und 3
FGO § 126 Abs. 3 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) --eine KG-- lieferte vorwiegend an die Firma A Produkte zur Eisherstellung. Mit Vertrag vom 10. Dezember 1985 hatte sich die Klägerin verpflichtet, der Firma E SA in der Schweiz eine Entwicklungs- und Verkaufsprovision in Höhe von 3 % des Nettorechnungswerts für zwei von der Klägerin vertriebene Grundstoffe zu bezahlen, wenn die Abnehmer bei der Verwendung dieser Erzeugnisse zur Eisherstellung nach der Rezeptur der Firma E verfahren. Die Firma E wurde am 20. Februar 1986 im Handelsregister der Stadt F/Schweiz eingetragen. Einziger Verwaltungsrat und alleiniger Aktionär ist M, wohnhaft in F/Schweiz.

In den Streitjahren minderte die Klägerin ihren Gewinn um jährliche Provisionszahlungen an die Firma E. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) versagte den Abzug dieser Zahlungen als Betriebsausgaben, da es sich bei der Firma E um eine Domizilgesellschaft handle. Ein wirtschaftlicher Grund für die Provisionszahlungen an die Firma E sei nicht erkennbar.

Einspruch und Klage wurden als unbegründet zurückgewiesen. Das Finanzgericht (FG) führte in den Urteilsgründen aus, der Senat sei nicht davon überzeugt, daß M als Vertreter der Geldempfängerin die Provisionszahlungen aus betrieblichen Gründen erhalten habe. Die als Zeugen vernommenen Mitarbeiter der Firma A hätten nicht bestätigen können, daß die Firma E, vertreten durch M, wesentliche betriebliche Leistungen für die Klägerin bzw. für die Firma A erbracht habe.

Die vom Senat zugelassene Revision stützt die Klägerin auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Sie rügt, das FG habe gegen den klaren Inhalt der Akten verstoßen. Es habe den Schriftsatz des hinter der Firma E stehenden Gesellschafters M an das FA vom 22. November 1993 überhaupt nicht in seine Erwägungen einbezogen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das FG-Urteil aufzuheben und die angefochtenen Gewinnfeststellungsbescheide in Gestalt der Einspruchsentscheidung unter Anerkennung der geltend gemachten Provisionszahlungen als Betriebsausgabe abzuändern.

Das FA beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie zur Zurückverweisung der Sache an das FG zu anderweitiger Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

Mit dem Einwand, das Gericht habe durch Nichtberücksichtigung des Schreibens vom 22. November 1993 gegen den klaren Inhalt der Akten verstoßen, rügt die Klägerin im Ergebnis zu Recht die Verletzung des § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO.

Nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO muß das Gericht seiner Entscheidung das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde legen. Diese Vorschrift verpflichtet das FG nicht nur, das Ergebnis der mündlichen Verhandlung, sondern auch den Inhalt der ihm vorliegenden Akten vollständig und einwandfrei zu berücksichtigen (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 6. Dezember 1978 I R 131/75, BFHE 126, 379, BStBl II 1979, 162, und vom 15. Dezember 1987 II R 130/85, BFH/NV 1989, 230, 231).

Das angefochtene Urteil läßt nicht erkennen, daß das FG das von der Klägerin im vorinstanzlichen Verfahren vorgelegte Schreiben der Firma E --vertreten durch M-- vom 22. November 1993 in die Beweiswürdigung einbezogen hat. Dieses Schreiben, in dem die Firma E detailliert ihre Geschäftsbeziehungen zur Klägerin darlegt und die --angeblich-- erbrachten Leistungen einzeln aufgliedert, ist weder im Tatbestand des Urteils noch in den Entscheidungsgründen erwähnt. Das Gericht verletzt § 96 Abs. 1 Nr. 1 FGO, indem es bei seiner Entscheidung den ermittelten Sachverhalt nur unvollständig berücksichtigt (Herrmann, Die Zulassung der Revision und die Nichtzulassungsbeschwerde im Steuerprozeß, Rz. 204, m.w.N.). Wenn das Gericht auch nicht auf jedes Beweismittel ausdrücklich eingehen muß, so muß das Urteil doch ergeben, daß es nichts übersehen und alles im Zusammenhang gewürdigt hat (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/ Hartmann, Zivilprozeßordnung, § 286 4 D; Zöller, Zivilprozeßordnung, § 286 Rz. 21; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 96 FGO Rz. 26; vgl. auch Beschluß des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 10. März 1992 2 BvR 430/91, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1992, 2217 zur Nichtberücksichtigung erheblichen Parteivorbringens; § 138 Abs. 4 der Zivilprozeßordnung --ZPO-- i.V.m. Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--). Danach genügt es nicht, wenn das Gericht --wie im Streitfall-- die gewonnene Überzeugung nur auf die Aussagen der beiden vernommenen Zeugen stützt, ohne sich mit den gegenteiligen Aussagen des Schreibens vom 22. November 1993 in den Urteilsgründen auseinanderzusetzen (§ 96 Abs. 1 Satz 3 FGO; BVerfG-Beschluß in NJW 1992, 2217, 2218). Dies wäre aber notwendig gewesen, weil das Schriftstück das einzige --wenn auch nur mittelbare-- Beweismittel für die Angaben der Klägerin hinsichtlich der von der Firma E für ihren Betrieb erbrachten Leistungen gewesen ist, nachdem der Zeuge M nicht präsent war (Zur Würdigung und Auseinandersetzung mit dem --geringeren-- Beweiswert eines mittelbaren Beweismittels vgl. Beschluß des Bundesarbeitsgerichts vom 25. März 1992 7 ABR 65/90, NJW 1993, 612, und zur Auseinandersetzung mit dem Sachvortrag der beweisbelasteten Partei sowie den einzelnen Beweismitteln vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 22. November 1994 XI ZR 219/93, NJW 1995, 966). In Anbetracht der vom FG aufgrund der Zeugenaussagen zu Lasten der Klägerin gewonnenen entscheidungserheblichen Überzeugung, daß die Provisionszahlungen nicht --feststellbar-- betrieblich veranlaßt waren, hätte es zumindest zum Ausdruck bringen müssen, daß und aus welchen Gründen es dem Inhalt des Schreibens (ggf. als Gefälligkeitserklärung, vgl. BFH-Beschluß vom 8. November 1993 X B 92/93, 93/93, nicht veröffentlicht) keinen Glauben schenkt. Es hätte bei der Einvernahme der Zeugen R und V den Inhalt des Schreibens zum Gegenstand der Beweiserhebung machen und die Zeugen zu den einzelnen, dort näher bezeichneten Tätigkeiten der Firma E befragen müssen. Daß solche Vorhalte stattgefunden haben, ergibt sich aus der Niederschrift über die mündliche Verhandlung und Beweisaufnahme nicht.

Zu einer Auseinandersetzung mit dem in Widerspruch zu den Zeugenaussagen stehenden Schreiben der Firma E im Rahmen der Beweiswürdigung bestand für das FG insbesondere deshalb Anlaß, weil es bei seiner Entscheidung allein von der die Klägerin treffenden Feststellungslast ausging und seinen Urteilsspruch auf die Nichterweislichkeit des von der Klägerin vorgetragenen Sachverhalts gestützt hat (vgl. hierzu BFH/NV 1989, 230).

Auf der unterlassenen Berücksichtigung des Schreibens vom 22. November 1993 kann das Urteil des FG auch beruhen. In einem solchen Fall kann das Revisionsgericht das angefochtene Urteil auf seine sachliche Richtigkeit nicht überprüfen, weil verfahrensrechtlich fehlerhaft nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens i.S. des § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO Grundlage der Entscheidung geworden ist (vgl. auch BFH-Urteil vom 6. Dezember 1996 VI R 80/96, BFH/NV 1997, 368). Deshalb war die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).



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