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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 27.07.1999
Aktenzeichen: VIII R 79/98
Rechtsgebiete: EStG, AO 1977, FGO


Vorschriften:

EStG § 2 Abs. 2 Nr. 2
EStG § 2 Abs. 1 Nr. 5
EStG § 11
EStG § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3
EStG § 20 Abs. 2 Nr. 3 Satz 2
EStG § 20 Abs. 2 Nr. 3
EStG § 20 Abs. 4
EStG § 9 a Abs. 1 Nr. 1b
AO 1977 § 42
AO 1977 § 42 Satz 1
FGO § 126 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

Der verheiratete und mit seiner Ehefrau zusammenveranlagte Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Bankkaufmann. Am 13. Dezember des Streitjahres 1996 erwarb er festverzinsliche Bundesobligationen, die am 20. Januar 1997 endfällig waren, mit einem Nennwert von 140 000 DM zu einem Kurs von 100,46 DM. Zinsdatum war der 16. Dezember 1996. Der Kläger hatte neben dem Kurswert von 140 644 DM Stückzinsen von 10 650,21 DM zu zahlen. Außerdem waren eine Provision von 351,61 DM, eine Courtage von 40 DM und weitere Nebenkosten von 13 DM fällig. Insgesamt wurde der Kläger mit 151 698,82 DM belastet.

Zur Finanzierung des Kaufs nahm der Kläger bei seiner Arbeitgeberin, einer Bank, einen Kredit von 150 000 DM auf. Er hatte bis zur Rückzahlung des Kredits dafür Zinsen in Höhe von 708,33 DM zu zahlen. Bei Endfälligkeit der Bundesobligationen wurde ihm neben dem Nennbetrag von 140 000 DM der Jahreszinsbetrag von 11 725 DM gutgeschrieben.

Der Kläger machte die im Jahr 1996 gezahlten Stückzinsen von 10 650,21 DM in seiner Steuererklärung als negative Einnahmen bei den Einkünften aus Kapitalvermögen geltend. Unter Berücksichtigung anderer positiver Einnahmen aus Kapitalvermögen ergab sich ein negativer Einkunftsbetrag von 10 037 DM. Diesen Betrag berücksichtigte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) bei der Steuerfestsetzung mit der Begründung nicht, daß der Kläger die Obligationen nicht erworben habe, um Einkünfte zu erzielen.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab. Es entschied, daß bei einer kurzfristigen Kapitalanlage wie im Streitfall die Frage der Einkunftserzielungsabsicht nicht allein danach beurteilt werden könne, ob der Kapitalanleger nach den Regeln des Einkommensteuerrechts einen Überschuß erzielen würde. In einem solchen Fall sei vielmehr allein darauf abzustellen, ob der Anleger bis zum absehbaren Ende der Kapitalanlage auch unter Berücksichtigung solcher Aufwendungen und Erträge einen Überschuß erziele, die nicht unter die Begriffsbestimmung der Einkünfteermittlung i.S. von § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) fielen. Wenn, wie im Streitfall, die Kapitalanlage wegen der Endfälligkeit der erworbenen Papiere am 20. Januar des Folgejahres, mithin 35 Tage nach Erwerb der Wertpapiere, enden müsse, so sei es gerechtfertigt, bei der Beurteilung, ob eine Einkünfteerzielungsabsicht vorgelegen habe, den bereits feststehenden Kursverlust einzubeziehen. Dieser habe 644 DM betragen. Daraus folge, daß der Kläger bei Erwerb der Wertpapiere gewußt habe, daß er aus dem Gesamtgeschäft wirtschaftlich einen Verlust von rund 700 DM hinnehmen müsse.

Die Klage sei aber auch unter dem Gesichtspunkt des Mißbrauchs von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts (§ 42 der Abgabenordnung --AO 1977--) unbegründet. Für den Erwerb der Bundesobligationen seien wirtschaftliche Gründe nicht ersichtlich. Der Kläger habe selbst vorgetragen, das Steuersparmodell des kurzfristigen Erwerbs festverzinslicher Wertpapiere über den Jahreswechsel sei ihm empfohlen worden. Das FA habe den ähnlichen Vorgang für die Jahre 1994/1995 akzeptiert. Dies zeige jedoch, daß keine wirtschaftlichen, sondern allein der Gesichtspunkt der Steuerersparnis für sein Handeln maßgeblich gewesen sei.

Der Kläger rügt mit seiner Revision eine Verletzung des § 2 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. §§ 11 und 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 EStG.

Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und den Werbungskostenabzug in Höhe der gezahlten Stückzinsen zuzulassen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Die Revision des Klägers ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Zwar kann dem Kläger entgegen der Auffassung des FG die Absicht, aus dem Erwerb der Bundesobligationen einen ertragsteuerlichen Überschuß erzielen zu wollen, nicht abgesprochen werden. Aber das FG hat seine Entscheidung zusätzlich zu Recht darauf gestützt, daß der Erwerb der Bundesobligationen rechtsmißbräuchlich i.S. des § 42 Satz 1 AO 1977 gewesen sei.

1. Die Beteiligten sind übereinstimmend und zutreffend davon ausgegangen, daß die vom Erwerber festverzinslicher Wertpapiere gezahlten Stückzinsen im Jahre der Zahlung vorab entstandene negative Einnahmen i.S. des § 20 Abs. 2 Nr. 3 EStG in der ab dem 1. Januar 1994 gültigen Fassung des Gesetzes zur Bekämpfung des Mißbrauchs und zur Bereinigung des Steuerrechts (Mißbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz --StMBG--) vom 21. Dezember 1993 (BGBl I, 2310, BStBl I 1994, 50) sein können. Zwar waren nach § 20 Abs. 2 Nr. 3 Satz 2 EStG in seiner bis einschließlich 1993 gültigen Fassung (vgl. § 52 Abs. 20 Satz 4 EStG i.d.F. des StMBG) die beim Erwerb von festverzinslichen Wertpapieren gezahlten Stückzinsen negative Einnahmen erst im Zeitpunkt des Zuflusses der vom Steuerpflichtigen aus den entsprechenden Wertpapieren erzielten Zinseinnahmen (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 19. März 1996 VIII R 56/94, BFH/NV 1997, 17). Der Satz 2 des § 20 Abs. 2 Nr. 3 EStG ist aber durch das StMBG mit der Folge aufgehoben worden, daß insoweit wieder das Zu- und Abflußprinzip des § 11 EStG maßgebend ist (vgl. BTDrucks 12/5630, S. 59). Die Einstufung der gezahlten Stückzinsen als negative Einnahmen ist dadurch nicht beeinflußt worden. Der Begründung für die Gesetzesänderung ist zu entnehmen, daß auch nach der Streichung des Satzes 2 weiterhin negative Einnahmen (vgl. dazu grundsätzlich BFH-Urteil vom 13. Dezember 1963 VI 22/61 S, BFHE 78, 477, BStBl III 1964, 184) vorliegen (vgl. BTDrucks 12/5630, S. 59) und mithin ausschließlich der Abzugszeitpunkt neu bestimmt werden sollte (vgl. auch Scheurle, Der Betrieb --DB-- 1994, 502). Dementsprechend geht auch die Finanzverwaltung davon aus, daß seit 1994 die vom Erwerber der Wertpapiere entrichteten Stückzinsen im Veranlagungszeitraum des Abflusses negative Einnahmen aus Kapitalvermögen sind (vgl. H 154 der Einkommensteuer-Richtlinien --EStR-- 1996).

2. Die Berücksichtigung der gezahlten Stückzinsen als negative Einnahmen i.S. des § 20 Abs. 2 Nr. 3 EStG des Streitjahres 1996 kann entgegen der Auffassung des FG nicht mit der Begründung abgelehnt werden, daß der Kläger keine Überschußerzielungsabsicht gehabt habe.

Bei der Ermittlung des Einkommens für die Einkommensteuer sind nur solche positiven oder negativen Einkünfte anzusetzen, die unter die Einkünfte des § 2 Abs. 1 Nrn. 1 bis 7 EStG fallen. Kennzeichnend für diese Einkunftsarten ist, daß die ihnen zugrunde liegenden Tätigkeiten oder Vermögensnutzungen der Erzielung positiver Einkünfte oder Überschüsse dienen. Fehlt es an dieser Voraussetzung, so fallen die wirtschaftlichen Ergebnisse auch dann nicht unter eine Einkunftsart, wenn sie sich ihrer Art nach unter § 2 Abs. 1 EStG einordnen ließen. Auch bei den Überschußeinkünften (§ 2 Abs. 1 Nrn. 4 bis 7 EStG) ist eine einkommensteuerrechtlich relevante Betätigung oder Vermögensnutzung nur dann gegeben und wird der Tatbestand der Einkunftserzielung nur dann erfüllt, wenn die Absicht besteht, auf Dauer gesehen nachhaltig Überschüsse zu erzielen (BFH-Beschluß vom 25. Juni 1984 GrS 4/82, BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751, 766, unter C. IV. 3. c (2) der Entscheidungsgründe; BFH-Urteile vom 23. März 1982 VIII R 132/80, BFHE 135, 320, BStBl II 1982, 463, und vom 27. März 1996 I R 87/95, BFHE 180, 332, BStBl II 1996, 473, 474, betreffend Einkünfte aus Kapitalvermögen). Bei den Einkünften aus Kapitalvermögen ist jede Kapitalanlage gesondert zu beurteilen (BFH-Urteil vom 27. Juni 1989 VIII R 30/88, BFHE 157, 541, BStBl II 1989, 934, 936). Es ist nicht auf das Ergebnis der Vermögensnutzung eines oder weniger Jahre, sondern auf das positive Gesamtergebnis der voraussichtlichen Vermögensnutzung abzustellen; steuerfreie Veräußerungsgewinne sind aber nicht in diese Betrachtung einzubeziehen (BFH in BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751, 766; in BFHE 135, 320, BStBl II 1982, 463).

Im Streitfall hat der Kläger aus der kurzfristigen Kapitalanlage in Bundesobligationen einen ertragsteuerlichen Überschuß erzielt, dessen Höhe unstreitig 366,46 DM beträgt. Die Kursverluste bei der Veräußerung waren entgegen der Auffassung des FG bei der Prüfung, ob der Kläger eine Überschußerzielungsabsicht im oben dargestellten Sinne gehabt hat, nicht einzubeziehen.

3. Das danach vom Kläger mit einer Überschußerzielungsabsicht im ertragsteuerlichen Sinne getätigte Wertpapiergeschäft ist vom FG aber zutreffend als rechtsmißbräuchlich i.S. des § 42 AO 1977 beurteilt worden.

a) Nach § 42 Satz 1 AO 1977 kann durch Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden. Ein Gestaltungsmißbrauch in diesem Sinne ist nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung gegeben, wenn die gewählte rechtliche Gestaltung unangemessen ist, der Steuerminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 17. Januar 1991 IV R 132/85, BFHE 163, 449, BStBl II 1991, 607; vom 7. Juli 1998 VIII R 10/96, BFHE 186, 534). Die genannten Merkmale müssen kumulativ erfüllt sein. Ein Mißbrauch in diesem Sinne kann auch vorliegen, wenn eine unangemessene Gestaltung für die Verwirklichung des Tatbestandes einer begünstigenden Gesetzesvorschrift gewählt wird (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 31. Juli 1984 IX R 3/79, BFHE 142, 347, BStBl II 1985, 33; vom 28. November 1990 X R 109/89, BFHE 163, 264, BStBl II 1991, 327; vom 16. Januar 1992 V R 1/91, BFHE 167, 215, BStBl II 1992, 541; BFH-Beschluß vom 3. Februar 1993 I B 90/92, BFHE 170, 197, BStBl II 1993, 426, 428). Gleiches muß gelten, wenn durch eine unangemessene Gestaltung die Voraussetzungen für das Vorliegen negativer Einnahmen und einer daraus resultierenden Steuererstattung erfüllt werden. Dies trifft im Streitfall zu.

b) Das vom Kläger getätigte Wertpapiergeschäft sollte ausschließlich der Steuerminderung dienen und ist durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe nicht zu erklären. Denn obwohl der Kläger einen ertragsteuerlichen Überschuß von 366,46 DM aus dem Geschäft erzielt hat, hat es unter Einbeziehung der Vermögenssphäre zu dem vom FA errechneten Verlust von 682,15 DM geführt. Abweichend von der Ermittlung des ertragsteuerlichen Ergebnisses waren bei der Prüfung des wirtschaftlichen Erfolgs unter Berücksichtigung der Vermögenssphäre zusätzlich als Aufwendungen die Anschaffungskosten (140 644 DM) und Anschaffungsnebenkosten (404,61 DM) und als Einnahmen der Endfälligkeitsbetrag (140 000 DM) zu berücksichtigen.

Das Entstehen dieses "wirtschaftlichen Verlustes" in der Zeit vom 16. Dezember 1996 und der Fälligkeit am 20. Januar 1997 stand für den Kläger auch bereits im Zeitpunkt des Erwerbs der Bundesobligationen fest. Denn alle Positionen, die in die Ermittlung des Ergebnisses dieses Wertpapiergeschäfts eingeflossen sind, waren dem Kläger im Zeitpunkt des Erwerbs bekannt.

Das Wertpapiergeschäft kann deshalb einzig und allein durch die Steuerersparnis motiviert gewesen sein, die sich dann ergeben würde, wenn im Streitjahr steuermindernd negative Einnahmen berücksichtigt würden, während sich im Folgejahr die Zinserträge wegen des Freibetrags gemäß § 20 Abs. 4 EStG nicht steuererhöhend auswirken würden. Die im Folgejahr 1997 angefallenen Zinserträge von 11 725 DM lagen unterhalb des Sparerfreibetrags (§ 20 Abs. 4 EStG) und der Werbungskostenpauschale (§ 9a Abs. 1 Nr. 1 b EStG), die bei dem mit seiner Ehefrau zusammenveranlagten Kläger insgesamt 12 200 DM betrugen. Die erstrebte Steuerersparnis hätte den "wirtschaftlichen Verlust" aus dem Wertpapiergeschäft deutlich überwogen.

c) Die gewählte Gestaltung war auch unangemessen. Eine Rechtsgestaltung ist unangemessen, wenn verständige Parteien in Anbetracht des wirtschaftlichen Sachverhalts und der wirtschaftlichen Zielsetzung nicht in der gewählten Weise verfahren wären (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil in BFHE 167, 215, BStBl II 1992, 541, 542, m.w.N.). Auch wenn insbesondere umständliche, komplizierte, schwerfällige oder gekünstelte Rechtsgestaltungen als unangemessen bezeichnet werden können (vgl. dazu BFH-Beschluß vom 10. November 1993 I S 9/93, BFH/NV 1994, 685, 686), schließt dies nicht aus, daß auch ein seiner Art nach alltägliches und übliches Geschäft unangemessen sein kann. Dies ist bei einem Wertpapiergeschäft jedenfalls dann anzunehmen, wenn für den Steuerpflichtigen bereits im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses feststeht, daß das Geschäft bei Einbeziehung der Vermögensebene zu einem Verlust führt und daß es sich deshalb ausschließlich im Falle seiner steuerlichen Anerkennung vorteilhaft für ihn auswirken würde. Ein solches Rechtsgeschäft ist unangemessen, weil eine verständige Partei es in Anbetracht des wirtschaftlichen Sachverhalts überhaupt nicht abgeschlossen hätte.

d) Gemäß § 42 Satz 2 AO 1977 entsteht der Steueranspruch bei einem Mißbrauch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entstanden wäre. Im Streitfall hätte der Kläger bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung die Bundesobligationen überhaupt nicht erworben. Deshalb hat das FG zu Recht entschieden, daß bei der Steuerfestsetzung für das Streitjahr die Anschaffung der Bundesobligationen und mithin die Zahlung der Stückzinsen nicht zu berücksichtigen ist.

Ende der Entscheidung

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