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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 26.02.2002
Aktenzeichen: VIII R 85/98
Rechtsgebiete: EStG, GG


Vorschriften:

EStG § 62
EStG § 63
EStG § 1 Abs. 2
EStG § 32 Abs. 1
EStG § 31 Satz 3
EStG § 31 Satz 4
EStG § 1 Abs. 1 Satz 1
EStG § 32 Abs. 6 Satz 4
EStG § 39a Abs. 1 Nr. 6
EStG § 63 Abs. 1 Satz 3
EStG § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
EStG § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a
GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 6 Abs. 1
GG Art. 100 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) beantragte im März 1997 Kindergeld für seine am 6. September 1996 geborene Tochter P. Die Tochter lebt zusammen mit ihrer Mutter, der Lebensgefährtin des Klägers, und zwei Halbschwestern in Thailand in einem Haus, das vom Kläger und seiner Lebensgefährtin im April 1996 erworben wurde. Der Kläger unterhält die Familie in Thailand. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Beklagter) lehnte den Antrag mit der Begründung ab, dass Kinder, die weder einen festen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Wohnsitz im Inland haben, gemäß § 63 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht berücksichtigt werden können.

Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied, dass die Tochter nach § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG nicht berücksichtigt werden könne und diese Regelung nicht verfassungswidrig sei. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1998, 1418 veröffentlicht.

Der Kläger rügt mit seiner Revision eine fehlerhafte Auslegung der §§ 62 und 63 EStG durch das FG und macht hilfsweise geltend, die Regelungen verstießen gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG).

Er beantragt,

die Vorentscheidung aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 26. März 1997 und der Einspruchsentscheidung vom 2. Juni 1997 zu verpflichten, ihm Kindergeld nach den gesetzlichen Vorschriften zu gewähren, hilfsweise, das Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) einzuholen.

Der Beklagte beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Die Revision des Klägers ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat rechtsfehlerfrei entschieden, dass der Kläger keinen gesetzlichen Anspruch auf Kindergeld für seine in Thailand lebende Tochter hat und dass dies auch nicht verfassungswidrig ist.

1. Die Tochter des Klägers ist zwar ein Kind i.S. des § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG i.V.m. § 32 Abs. 1 EStG. Sie ist nach den unbestrittenen tatsächlichen Feststellungen des FG das leibliche Kind des Klägers und daher mit diesem im ersten Grad verwandt (§ 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG).

Aber nach § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG werden solche Kinder nicht berücksichtigt, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat haben, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) Anwendung findet, es sei denn, sie leben im Haushalt eines Berechtigten i.S. des § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG. Die Tochter des Klägers lebt in Thailand und hat damit ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem der im Gesetz angeführten Länder.

Sie lebt dort im Haushalt ihrer Eltern und erfüllt damit auch nicht die Voraussetzungen des § 63 Abs. 1 Satz 3, 2. Halbsatz EStG i.V.m. § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG. Nach der letztgenannten Vorschrift ist kindergeldberechtigt, wer ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland nach § 1 Abs. 2 EStG unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist. Nach dieser Vorschrift sind deutsche Staatsangehörige ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig, wenn sie zu einer inländischen juristischen Person des öffentlichen Rechts in einem Dienstverhältnis stehen und dafür Arbeitslohn aus einer inländischen öffentlichen Kasse beziehen. Dies trifft für den Kläger offensichtlich nicht zu.

2. § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG ist entgegen der Auffassung des Klägers nicht verfassungswidrig.

a) Der VI. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) hat mit Urteil vom 23. November 2000 VI R 165/99 (BFHE 193, 569, BStBl II 2001, 279) entschieden, dass die Anknüpfung an den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes als Ausprägung des Territorialitäts-Prinzips (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EStG) sachgerecht sei und nicht gegen Art. 6 Abs. 1 GG verstoße. Er hat unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerfG (Beschluss vom 29. Mai 1990 1 BvL 20/84, 1 BvL 26/84, 1 BvL 4/86, BVerfGE 82, 60, BStBl II 1990, 653) dargelegt, dass sich aus dieser Vorschrift keine konkreten Ansprüche auf bestimmte staatlichen Leistungen ableiten lassen. Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf den Inhalt dieses Urteils. Ergänzend ist anzumerken, dass die 1. Kammer des 1. Senats des BVerfG durch Beschluss vom 23. Februar 1994 --1 BvR 1105/91-- (nicht veröffentlicht) bestätigt hat, dass dem Gesetzgeber bei der Entscheidung, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang er Kindergeld gewährt, ein weiter Gestaltungsraum zusteht; weder aus dem allgemeinen Gleichheitssatz noch aus anderen Verfassungsnormen ergebe sich eine Verpflichtung, im Ausland lebende Kinder deutscher Staatsangehöriger generell bei der Gewährung von Kindergeld zu berücksichtigen.

b) An dieser Beurteilung des Kindergeldanspruchs nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG) durch das BVerfG hat sich nichts dadurch geändert, dass der Gesetzgeber das bisherige duale System von Kindergeld und Kinderfreibetrag mit Wirkung ab dem 1. Januar 1996 umgestellt hat. Durch den neu eingefügten § 31 Satz 1 EStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes 1996 (JStG 1996) vom 11. Oktober 1995 (BGBl I 1995, 1250, BStBl I 1995, 438) wird die steuerliche Freistellung des Einkommensbetrages von Eltern in Höhe des Existenzminimums ihrer Kinder durch den Kinderfreibetrag korrespondierend mit der laufenden Steuervergütung Kindergeld (§ 66 i.V.m. § 31 Satz 3 EStG) bewirkt. Soweit durch das Kindergeld die (verfassungsrechtlich) gebotene steuerliche Freistellung nicht in vollem Umfang erreicht wird, ist nach § 31 Satz 4 EStG bei der Veranlagung zur Einkommensteuer der Kinderfreibetrag abzuziehen. Ist das Kindergeld nicht zur Freistellung des Existenzminimums eines Kindes von der Einkommensteuer erforderlich, dient es der Förderung der Familie (§ 31 Satz 2 EStG).

Die Versagung eines Anspruchs auf Kindergeld würde den Kläger nur dann in seinen verfassungsrechtlichen Rechten (Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 EStG) verletzen, wenn damit gleichzeitig auch die Freistellung eines Einkommensbetrages in Höhe des Existenzminimums der unterhaltsberechtigten Tochter bei der Veranlagung des Klägers zur Einkommensteuer abgelehnt worden wäre. Denn der Gesetzgeber ist nach der Rechtsprechung des BVerfG von Verfassungs wegen verpflichtet, das nach sozialhilferechtlichen Kriterien zu ermittelnde Existenzminimum der unterhaltsberechtigten Kinder eines Steuerpflichtigen im wirtschaftlichen Ergebnis von der Einkommensteuer frei zu stellen (vgl. dazu Beschlüsse in BVerfGE 82, 60, BStBl II 1990, 653; vom 25. September 1992 2 BvL 5/91, 2 BvL 8/91, 2 BvL 14/91, BVerfGE 87, 153, BStBl II 1993, 413; vom 10. November 1998 2 BvL 42/93, BVerfGE 99, 246, BStBl II 1999, 174).

Die Ablehnung des Antrags auf Kindergeld für Kinder, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt nicht in den in § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG genannten Ländern haben, umfasst aber nicht gleichzeitig die Entscheidung, dass ein Betrag in Höhe des Existenzminimums dieser Kinder nicht von der Einkommensteuer frei gestellt wird. Denn nach § 32 Abs. 6 Satz 4 EStG kann für Kinder mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland bei der Veranlagung zur Einkommensteuer ein Kinderfreibetrag abgezogen werden, der nach § 39a Abs. 1 Nr. 6 EStG auch auf der Lohnsteuerkarte eingetragen werden kann und sich somit bereits monatlich steuerentlastend auswirkt. Eventuelle Verletzungen von grundgesetzlichen Ansprüchen bei der Festsetzung seiner Einkommensteuer, die der Kläger darin sehen könnte, dass der ihm gewährte Kinderfreibetrag nicht den Vorgaben des BVerfG genügt, müsste er im Rahmen eines Einspruchs und ggf. einer Klage gegen diesen Bescheid geltend machen.

Ende der Entscheidung

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