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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 19.02.2002
Aktenzeichen: VIII R 90/01
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 66 Abs. 1
EStG § 66 Abs. 2
EStG § 32 Abs. 4 Satz 6
EStG § 32 Abs. 4 Satz 7
EStG § 63 Abs. 1 Satz 2
EStG § 32 Abs. 4 Sätze 2 ff.
EStG § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a
EStG § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b
EStG § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erhielt für ihren 1977 geborenen Sohn (S) bis einschließlich Juni 1998 Kindergeld. S besuchte ab 1994 die Berufsfachschule O. Die Abschlussprüfung am 19. Juni 1998 bestand er nicht; er unterzog sich deshalb --mit Erfolg-- einer Nachprüfung am 12. und 14. August 1998.

In der Zeit von 22. Juni 1998 bis einschließlich August 1998 war S als Bauhelfer vollerwerbstätig. Aufgrund des hierfür erhaltenen Arbeitslohns (brutto: 8 953,50 DM) sowie des Entgelts für ein Praktikum während des Schulbesuchs (25. Februar bis 27. März 1998) in Höhe von 1 500 DM gelangte das Arbeitsamt M -Familienkasse- (Beklagter) zu der Auffassung, dass der (anteilige) Jahresgrenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Sätze 2 ff. des Einkommensteuergesetzes 1997 (EStG 1997) i.d.F. vom 16. April 1997 (BGBl I 1997, 821) überschritten sei (hier: 8/12 aus 12 360 DM = 8 240 DM). Bestimmend hierfür sei, dass S seine Berufsausbildung erst im August 1998 mit dem Bestehen der Nachprüfung beendet habe.

Mit Bescheid vom 1. Dezember 1999 hob der Beklagte die Festsetzung des Kindergelds für die Monate Januar bis Juni 1998 auf und forderte das gezahlte Kindergeld zurück.

Einspruch und Klage blieben erfolglos.

Mit ihrer vom Finanzgericht (FG) zugelassenen Revision beantragt die Klägerin sinngemäß, das Urteil der Vorinstanz, den Bescheid vom 1. Dezember 1999 und die Einspruchsentscheidung vom 22. Dezember 1999 aufzuheben sowie den Beklagten zu verpflichten, Kindergeld für die Monate Januar bis Juni 1998 in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet.

Der Klage ist in vollem Umfang stattzugeben, da die Klägerin für die Monate Januar bis Juni 1998 Anspruch auf Kindergeld nach §§ 62 Abs. 1 Nr. 1, 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2, § 66 Abs. 1 und 2 EStG hat. Die hiervon abweichende Ansicht der Vorinstanz verkennt, dass S aufgrund der Vollzeiterwerbstätigkeit ab 22. Juni 1998 nicht mehr i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 2 EStG "für einen Beruf ausgebildet" wurde. Ob Letzteres auch für die Tage der von S abgelegten Nachprüfung anzunehmen ist (12. und 14. August 1998), bedarf im Streitfall keiner Entscheidung.

1. Nimmt das Kind nach Ablegung der letzten Prüfungsleistung, aber noch vor der Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses eine Vollzeiterwerbstätigkeit auf, so bereitet es sich nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) nicht mehr ernstlich auf den Beruf vor und befindet sich somit auch nicht mehr in Berufsausbildung. Diese Auslegung des Tatbestandsmerkmals "für einen Beruf ausgebildet" i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG trägt zum einen dem Umstand Rechnung, dass der steuerliche Kinderleistungsausgleich das Ziel verfolgt, die kindbedingte Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit der Eltern während der Ausbildung des Kindes in typisierender Weise zu berücksichtigen, und eben diese Belastung der Eltern --mangels Unterhaltsbedarfs des Kindes-- regelmäßig ab dem Zeitpunkt nicht mehr besteht, ab dem das Kind einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachgeht. Sie entspricht zum anderen aber auch insofern dem genannten Gesetzeszweck, als die aus der (vollen) Erwerbstätigkeit erzielten Einkünfte nicht dazu führen können, dass der (anteilige) Jahresgrenzbetrag (vgl. § 32 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. Sätze 6 und 7 EStG) überschritten wird und damit der Kindergeldanspruch auch für die der Aufnahme der Vollzeiterwerbstätigkeit vorangegangenen Zeiträume der Berufsausbildung, in denen die steuerliche Leistungsfähigkeit der Eltern aufgrund des (Ausbildungs-)Unterhaltsbedarfs des Kindes tatsächlich gemindert war, entfällt (vgl. eingehend BFH-Urteil vom 24. Mai 2000 VI R 143/99, BFHE 191, 557, BStBl II 2000, 473).

2. Die vorstehenden Grundsätze erfassen nicht nur den Sachverhalt, dass das Kind im Anschluss an die Erbringung der Prüfungsleistungen dauerhaft eine Vollzeiterwerbstätigkeit aufnimmt. Entsprechendes gilt vielmehr --verbunden mit der weiteren Folge, dass aufgrund der (vollen) Erwerbstätigkeit des Kindes auch die Voraussetzungen der Berücksichtigungstatbestände des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b und c EStG nicht gegeben sind--, wenn das Kind nach einer solchen Berufstätigkeit eine zusätzliche oder anders geartete Berufsausbildung beginnt oder --wie im Streitfall (hier: Ablegen einer Nachprüfung)-- nach Erhalt eines negativen Prüfungsbescheids die nämliche und zunächst unterbrochene Berufsausbildung in einem weiteren Ausbildungsabschnitt wieder aufnimmt und ggf. zu Ende führt (vgl. BFH-Urteil vom 19. Oktober 2001 VI R 39/00, BFH/NV 2002, 260). Mit Rücksicht auf den dargelegten --eigenständigen-- Gesetzeszweck des steuerlichen Familienleistungsausgleichs ist es hierbei auch ohne Bedeutung, ob die Zeit zwischen der nicht bestandenen Erstprüfung sowie der Nachprüfung zu den nach den §§ 15 Abs. 3 Nr. 4, 15b Abs. 3 des Berufsausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) geförderten Zeiträume gehört (vgl. Rothe/Blanke, Berufsausbildungsförderungsgesetz, Kommentar, § 15 Rz. 24) oder ob sich im Einzelfall ein Berufsausbildungsverhältnis auf Verlangen des Auszubildenden bis zur Wiederholungsprüfung verlängert (dazu Leinemann-Taubert, Berufsbildungsgesetz, Kommentar, § 14 Rz. 25 ff.).

3. Aus dem Dargelegten ergibt sich, dass der Klägerin von Januar 1998 bis einschließlich Juni 1998 Anspruch auf Kindergeld für ihren Sohn S nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG zusteht. Die von S aus dem Vollzeiterwerb erzielten Einkünfte sind bei der Prüfung des (anteiligen) Jahresgrenzbetrags (§ 32 Abs. 4 Sätze 2 ff. EStG) außer Ansatz zu lassen (zum Monat Juni 1998 --Wechsel von Ausbildung zu Vollzeiterwerb-- als Anspruchs- und Kürzungsmonat vgl. BFH-Urteil vom 12. April 2000 VI R 135/99, BFHE 191, 74, BStBl II 2000, 466; Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen --BMF-- vom 22. November 2000, BStBl I 2000, 1515, zu den insoweit vergleichbaren sog. Heiratsfällen siehe BFH-Urteil vom 2. März 2000 VI R 13/99, BFHE 191, 69, BStBl II 2000, 522; BMF-Schreiben vom 5. Oktober 2000, BStBl I 2000, 1391). Ob S sich für die Zeiten der Nachprüfung (12. und 14. August 1998) in Berufsausbildung (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG) befand, kann offen bleiben, weil die Klägerin lediglich begehrt, den Bescheid vom 1. Dezember 1999 (betr. Kindergeld für die Monate Januar bis Juni 1998) aufzuheben, und zudem selbst dann, wenn S an den Nachprüfungstagen den Tatbestand des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG erfüllt hätte, der Monat des Ausbildungsabschlusses (August 1998) aufgrund der Vollzeiterwerbstätigkeit von S zu den Kürzungsmonaten im Sinne von § 32 Abs. 4 Sätze 6 und 7 EStG gehören würde.

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