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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 11.04.2001
Aktenzeichen: VIII S 8/97
Rechtsgebiete: FGO, ZPO, VwZG


Vorschriften:

FGO § 56
FGO § 134
ZPO §§ 578 ff.
VwZG § 5 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

I. Die inzwischen geschiedenen Antragsteller, Kläger und Revisionskläger (Antragsteller) wurden für die Streitjahre 1987 bis 1989 als Ehegatten zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage der Antragsteller wegen Einkommensteuer 1987 bis 1989 mit Urteil vom 13. Februar 1997 als unbegründet abgewiesen und die Revision zugelassen.

In der Empfangsbestätigung bescheinigte der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller, Steuerberater X, dass er das FG-Urteil am Samstag, den 15. März 1997, erhalten habe. Mit Schriftsatz vom 10. April 1997, eingegangen beim FG am selben Tag, legte der Prozessbevollmächtigte gegen dieses Urteil --fristgerecht-- Revision ein. Mit einem weiteren Schriftsatz vom 16. Mai 1997, eingegangen beim Bundesfinanzhof (BFH) per Fax am selben Tag, begründete er die Revision. Mit Schreiben des Vorsitzenden des beschließenden Senats vom 20. Mai 1997 wurde der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller auf den --aus damaliger Sicht-- um einen Tag verspäteten Eingang der Revisionsbegründungsschrift und dessen Folgen (§ 124 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) sowie auf § 56 FGO hingewiesen.

Nachdem eine Stellungnahme des Prozessbevollmächtigten hierzu nicht zu den Akten gelangt war, verwarf der beschließende Senat mit dem angefochtenen Beschluss vom 9. Juli 1997 VIII R 31/97 die Revision als unzulässig.

Mit Schriftsatz vom 30. September 1997 führte der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller aus, er habe --als Reaktion auf das Schreiben des Senatsvorsitzenden vom 20. Mai 1997-- dem BFH bereits am 23. Mai 1997 per Telefax mitgeteilt, dass ihm das FG-Urteil erst am Montag, den 17. März 1997, zugestellt worden und folglich die Revisionsbegründung fristgerecht erfolgt sei. Leider habe er in dem dem FG zurückgesandten Empfangsbekenntnis den Erhalt des angefochtenen FG-Urteils irrig mit dem 15. März 1997 (Samstag) bescheinigt. An diesem Tag sei sein Büro jedoch gar nicht besetzt gewesen. In einem weiteren Schreiben vom 10. November 1997 konkretisierte der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller seine Ausführungen dahin gehend, dass er am 15. März 1997 gegen 7.30 Uhr gemeinsam mit seiner Ehefrau von seinem Wohnort H nach O zur Geburtstagsfeier des befreundeten Ehepaares S gefahren sei. Seine Ehefrau und die Eheleute S könnten bezeugen, dass dieser Besuch stattgefunden habe und die Rückfahrt erst am Nachmittag des 16. März 1997 (Sonntag) erfolgt sei.

Die Antragsteller beantragen (sinngemäß), den Beschluss des Senats vom 9. Juli 1997 VIII R 31/97 aufzuheben und das Revisionsverfahren fortzusetzen.

Der Beklagte, Revisionsbeklagte und Antragsgegner (das Finanzamt --FA--) beantragt, den Antrag abzulehnen.

Am 7. September 2000 hat der Senat beschlossen, dass vor dem FG als ersuchtem Richter durch die Vernehmung der Ehefrau des Prozessbevollmächtigten als Zeugin Beweis darüber erhoben werden solle, ob der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller entgegen seiner Bekundung im Empfangsbekenntnis vom Zugang des angefochtenen FG-Urteils nicht schon am Samstag, den 15. März 1997, sondern erst am Montag, den 17. März 1997, Kenntnis erhalten hat und ob der Prozessbevollmächtigte am Samstag, den 15. März 1997, ohne zuvor die eingegangene Post in seiner Steuerberater-Praxis zu sichten und das Schriftstück mit dem angefochtenen FG-Urteil zur Kenntnis zu nehmen, gegen 7.30 Uhr mit seiner Ehefrau (Zeugin) von seinem Wohnort H zur Geburtstagsfeier nach O gefahren und erst am Nachmittag des folgenden Tages nach H zurückgekehrt ist.

Die Beweisaufnahme vor dem ersuchten Richter des FG hat am 19. Dezember 2000 stattgefunden. Wegen des Inhalts der Aussage der Zeugin Frau Y wird auf das Protokoll vom 19. Dezember 2000 ... Bezug genommen.

II. 1. Gründe, die gemäß § 134 FGO i.V.m. den §§ 578 ff. der Zivilprozeßordnung (ZPO) eine Wiederaufnahme des Verfahrens gebieten könnten, liegen nicht vor. Das Begehren der Antragsteller, den ihre Revision als unzulässig verwerfenden Beschluss vom 9. Juli 1997 VIII R 31/97 zu überprüfen, ist deshalb als "Gegenvorstellung" zu deuten (zu diesem außerordentlichen Rechtsbehelf vgl. z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., Vor § 115 Rz. 26 ff.).

2. Die Gegenvorstellung ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Verwerfungsbeschlusses des Senats vom 9. Juli 1997 VIII R 31/97 mit der Folge, dass das Revisionsverfahren fortzuführen ist.

Der beschließende Senat ist aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme vor dem ersuchten Richter vom 19. Dezember 2000 davon überzeugt, dass das angefochtene FG-Urteil dem Prozessbevollmächtigten der Antragsteller entgegen dessen --versehentlicher-- Bekundung im Empfangsbekenntnis nicht schon am Samstag, den 15. März 1997, sondern erst am Montag, den 17. März 1997, i.S. von § 5 Abs. 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) zugestellt worden ist. Die Revisionsbegründungsfrist begann deshalb erst an diesem Tag zu laufen (vgl. BFH-Beschluss vom 9. April 1987 V B 111/86, BFHE 149, 146, BStBl II 1987, 441; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 16. Aufl., § 5 VwZG Tz. 3) und endete folglich, da der 17. Mai 1997 der Pfingstsamstag war, mit Ablauf des 20. Mai 1997 (§ 54 FGO, § 222 Abs. 1 und 2 ZPO, §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB--; zur Berechnung der Revisionsbegründungsfrist vgl. z.B. BFH-Urteil vom 12. Juli 1972 I R 206/70, BFHE 106, 483, BStBl II 1972, 957). Die am 16. Mai 1997 beim BFH eingegangene Revisionsbegründungsschrift ist daher entgegen der Annahme des Senats in seinem Verwerfungsbeschluss vom 9. Juli 1997 fristgerecht erfolgt.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH wird die Zustellung nach § 5 Abs. 2 VwZG in dem Zeitpunkt bewirkt, in dem der Aussteller das Schriftstück als zugestellt entgegen genommen hat (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 11. Dezember 1987 III R 168/86, BFH/NV 1988, 451; Tipke/Kruse, a.a.O., § 5 VwZG Tz. 3 f., m.w.N.). Dies war im Streitfall nach der Überzeugung des Senats erst am Montag, den 17. März 1997, der Fall. Zwar hat der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller in seinem Empfangsbekenntnis bekundet, das Schriftstück mit dem angefochtenen FG-Urteil bereits am Samstag, den 15. März 1997, empfangen zu haben. Auch liefert dieses Empfangsbekenntnis grundsätzlich den vollen Beweis für den Zeitpunkt der Zustellung (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 1988, 451; BFH-Zwischenurteil vom 20. Januar 1989 III R 91/85, BFH/NV 1989, 646; Tipke/Kruse, a.a.O., § 5 VwZG Tz. 4, m.w.N.). Jedoch ist der auf dem Empfangsbekenntnis angegebene Zustelltag dann nicht maßgebend, wenn er nachgewiesenermaßen unrichtig ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteile in BFH/NV 1988, 451, und in BFH/NV 1989, 646; Tipke/ Kruse, a.a.O., § 5 VwZG Tz. 4).

b) Letzteres trifft im Streitfall zu. Der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller hat glaubhaft bekundet, dass er an dem fraglichen Samstag frühmorgens zusammen mit seiner Ehefrau, der Zeugin Y, von seinem Wohnort H nach O zu einer Geburtstagsfeier eines befreundeten Ehepaares gefahren sei und dort übernachtet habe. An diesem Samstag sei sein Büro nicht besetzt gewesen. Er habe bei diesem Besuch auch die Unterlagen zwecks Erstellung der Einkommensteuererklärung des befreundeten Ehepaares abgeholt. Zum Beweis fügte er die Kopie des mit dem Datum "8.4.97" versehenen Deckblatts des Mantelbogens der betreffenden Einkommensteuererklärung bei.

Die Zeugin Y hat diese Ausführungen in ihren Kernpunkten bei ihrer Einvernahme durch den ersuchten Richter des FG bestätigt. Sie hat bekundet, dass sie und ihr Mann am 15. März 1997 morgens gegen 8.00 Uhr nach Norddeutschland gefahren seien, um Bekannte zu besuchen und an einer Geburtstagsfeier teilzunehmen. Sie hätten dort übernachtet. Erst am späten Nachmittag des folgenden Tages seien sie nach Hause zurückgekehrt. Sie und ihr Mann seien den gesamten Samstag und Sonntag zusammen gewesen. Sie könne es ausschließen, dass ihr Mann an einem dieser Tage im Büro gewesen sei. Das Büro befinde sich nicht in ihrem Wohnhaus, sondern liege etwa 15 bis 20 Fußweg-Minuten von ihrer Wohnung entfernt. Das Büro sei an Samstagen geschlossen gewesen. Sie müsse gestehen, dass sie sich anfangs an die genauen Umstände des 15. und 16. März 1997 nur schwer habe erinnern können. Nach konkreterem Nachdenken könne sie heute aber mit Sicherheit sagen, dass sich alles so, wie von ihr bekundet, ereignet habe. Sie erinnere sich auch deswegen an diese Umstände, weil sie und ihr Mann in diesem Jahr zum ersten Mal das neu erbaute Haus ihrer Bekannten besichtigt hätten. Zur damaligen Zeit hätten sie die Bekannten einmal im Jahr besucht. Bei dieser Gelegenheit habe ihr Mann auch bei den Steuerangelegenheiten der Bekannten Hilfe geleistet. Die entsprechenden Unterlagen seien dann entweder mitgenommen oder zurückgegeben worden.

Die Darstellung der Zeugin Y ist schlüssig und plausibel. Sie deckt sich in ihren wesentlichen Punkten mit den Angaben des Prozessbevollmächtigten der Antragsteller. Der Senat hegt an der Glaubwürdigkeit der Zeugin keine Zweifel. Auch das FA hat insoweit keine Einwendungen vorgebracht.

Damit haben die Antragsteller den Nachweis (Gegenbeweis) dafür erbracht, dass das vom Prozessbevollmächtigten der Antragsteller in das Empfangsbekenntnis eingetragene Zustellungsdatum versehentlich unrichtig war und die Zustellung erst am Montag, den 17. März 1997, erfolgte. Die Revisionsbegründungsfrist ist daher eingehalten worden.



Ende der Entscheidung

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