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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 29.06.2004
Aktenzeichen: X B 155/03
Rechtsgebiete: FGO, AO 1977, GewStG, BGB


Vorschriften:

FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2
FGO § 116 Abs. 5 Satz 2
AO 1977 § 169 Abs. 2 Nr. 2
AO 1977 § 171 Abs. 4
GewStG § 10a
BGB § 133
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) kommt nicht in Betracht. Die vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) vorgetragene Rechtsfrage, ob und in welchem Umfang die Rechtsgrundsätze des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 10. April 2003 IV R 30/01 (BFHE 202, 206, BStBl II 2003, 827), wonach eine angefochtene Prüfungsanordnung, in der der Prüfungsbeginn rechtswidrig festgelegt worden ist, mit Ablauf der normalen Festsetzungsfrist rechtswidrig werde, "auch auf Prüfungserweiterungen, die kurz vor Ablauf der Festsetzungsfrist bekannt gegeben werden, anzuwenden" seien, ist im vorliegenden Verfahren nicht klärungsfähig (vgl. unten 2.). Ebenso wenig rechtfertigt § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO (Erfordernis einer Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung) die Zulassung der Revision (vgl. unten 3.).

2. Grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) kommt einer Rechtssache nach ständiger Rechtsprechung des BFH zu, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das (abstrakte) Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Außerdem muss die Rechtsfrage klärungsbedürftig und in einem künftigen Revisionsverfahren klärungsfähig sein (zusammenfassend zu dem seit 2001 geltenden Zulassungsrecht Senatsbeschluss vom 10. April 2003 X B 109/02, BFH/NV 2003, 1082, unter 1.a, mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Eine Rechtsfrage ist nur dann klärungsfähig, wenn sie in einem künftigen Revisionsverfahren für die Entscheidung des Streitfalls rechtserheblich ist (u.a. BFH-Beschluss vom 8. Januar 1998 VII B 102/97, BFH/NV 1998, 729).

Die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage ist in einem künftigen Revisionsverfahren nicht klärungsfähig. Selbst wenn man --entsprechend dem Vorbringen des Klägers in der Beschwerdebegründung-- unterstellt, dass der Prüfungsbeginn in der angefochtenen Prüfungsanordnung rechtswidrig festgelegt worden ist, führt dies nicht zur Rechtswidrigkeit der Prüfungsanordnung mit Ablauf des 31. Dezember 2000, da im Streitfall der Ablauf der regulären Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) gemäß § 171 Abs. 4 AO 1977 gehemmt war.

a) Die Außenprüfung betreffend die Einkommensteuer 1994 hatte bereits vor Ablauf der Festsetzungsfrist am 31. Dezember 2000 begonnen. Aus dem Schreiben des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt --FA--) vom 11. September 2000, mit dem er die vorläufigen Prüfungsfeststellungen übersandt hat, geht hervor, dass vor diesem Zeitpunkt Prüfungshandlungen betreffend den Veranlagungszeitraum 1994 vorgenommen wurden und der Kläger mit einer Änderung der Besteuerungsgrundlagen im Erweiterungszeitraum 1994 sowohl in Bezug auf die Einkommensteuer und die Umsatzsteuer als auch in Bezug auf den Gewerbesteuermessbetrag und die Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes nach § 10a des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) rechnen musste.

Entscheidend für die Abgrenzung zwischen Ermittlungen im Rahmen einer Außenprüfung und daneben zulässigen Einzelermittlungen ist, wie sich das Tätigwerden der Finanzbehörde aus der Sicht des Betroffenen in entsprechender Anwendung der zu § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) entwickelten Rechtsgrundsätze darstellt (BFH-Urteil vom 2. Februar 1994 I R 57/93, BFHE 173, 487, BStBl II 1994, 377). Maßgeblich ist, wie der Steuerpflichtige nach den ihm bekannten Umständen den Gehalt der Ermittlungsmaßnahme unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte (BFH-Urteile in BFHE 173, 487, BStBl II 1994, 377, m.w.N. der Rechtsprechung; vom 6. Juli 1999 VIII R 17/97, BFHE 189, 302, BStBl II 2000, 306; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 171 AO 1977 Rz. 37). Auf die Rechtmäßigkeit der Handlung kommt es insoweit nicht an. Auch rechtswidrige, aber wirksame Prüfungshandlungen hemmen den Fristablauf, solange sie nicht mit Erfolg angefochten wurden (vgl. BFH-Urteile vom 25. Juni 1992 IV R 87/90, BFH/NV 1993, 457, m.w.N.; in BFHE 173, 487, BStBl II 1994, 377).

Maßnahmen eines Außenprüfers zur Ermittlung eines Steuerfalles sind grundsätzlich Prüfungshandlungen (BFH-Urteil in BFHE 173, 487, BStBl II 1994, 377). Deshalb hat ein Prüfer, der den Prüfungszeitraum überschreitende Einzelermittlungen anstellt, deutlich zu machen, dass die verlangten Auskünfte nicht mehr im Zusammenhang mit der Außenprüfung stehen (BFH-Urteil vom 5. April 1984 IV R 244/83, BFHE 140, 518, BStBl II 1984, 790, unter 2.b). Hieran fehlt es im Streitfall. Der Inhalt des Schreibens vom 11. September 2000 zeigt vielmehr, dass der Außenprüfer auch für den Erweiterungszeitraum 1994 keine Einzelermittlungen, sondern Prüfungshandlungen vorgenommen hat. Auch die Erkenntnisse des Prüfers betreffend den Veranlagungszeitraum 1994 werden als vorläufige Prüfungsfeststellungen bezeichnet.

b) Das FA hat die Prüfungsanordnung vor Ablauf der Festsetzungsfrist ergänzt. Seit In-Kraft-Treten der AO 1977 setzt die höchstrichterliche Rechtsprechung für eine Ablaufhemmung durch eine Betriebsprüfung voraus, dass eine Betriebsprüfungsanordnung erlassen wurde und tatsächlich, wenn auch nur stichprobenweise, Prüfungshandlungen für die einzelnen Steuerarten vorgenommen wurden (vgl. BFH-Urteil in BFHE 173, 487, BStBl II 1994, 377, m.w.N.). Beide Voraussetzungen sind im Streitfall vor Ablauf der regulären Festsetzungsverjährung mit Ablauf des 31. Dezember 2000 erfüllt. Sie müssen nicht in einer bestimmten zeitlichen Reihenfolge eintreten (vgl. hierzu die Begründung im BFH-Urteil in BFHE 173, 487, BStBl II 1994, 377; Rüsken in Klein, Abgabenordnung, § 171 Rz. 41).

Zwar enthält im Streitfall --anders als bei dem der Entscheidung in BFHE 173, 487, BStBl II 1994, 377 zugrunde liegenden Sachverhalt-- die Ergänzung der Prüfungsanordnung nicht den Hinweis, dass die Außenprüfung bereits begonnen habe und nicht erst in Zukunft beginnen werde. Durch die Übersendung der vorläufigen Prüfungsfeststellungen mit Schreiben vom 11. September 2000 war dies dem Kläger im Zeitpunkt der Bekanntgabe der Prüfungsanordnung vom 21. Dezember 2000 jedoch bekannt.

c) Eine Prüfungsanordnung kann bis zum Abschluss der Außenprüfung wirksam ergehen. Eine Außenprüfung ist erst abgeschlossen, wenn das FA sie ausdrücklich oder konkludent für abgeschlossen erklärt. Regelmäßig kann eine Außenprüfung nicht vor Absendung des Betriebsprüfungsberichts als abgeschlossen angesehen werden (BFH-Urteil vom 16. März 1989 IV R 6/88, BFH/NV 1990, 139, m.w.N.; BFH-Beschluss vom 27. Oktober 2003 III B 13/03, BFH/NV 2004, 312). Dies vorausgesetzt konnte das FA am 21. Dezember 2000 die Erweiterung anordnen. Im Übrigen hat das FG festgestellt, dass auch die das Jahr 1994 betreffende Prüfung noch nicht abgeschlossen war.

Nach der Rechtsprechung des BFH kann in besonderen Fällen die Bekanntgabe der Prüfungsanordnung auch mit dem Beginn der Prüfung zusammen fallen. Dies kann vor allem für Anordnungen einer ergänzenden Prüfung angenommen werden; für sie kann die angemessene Frist in der Regel kürzer als bei einer erstmaligen Prüfungsanordnung sein und häufig auch ganz entfallen. Letzteres ist insbesondere gerechtfertigt, wenn hinsichtlich des Rechtsgrundes und des Prüfers keine Abweichung von der ersten und unbeanstandeten Prüfungsanordnung feststellbar ist (BFH-Beschluss vom 4. Februar 1988 V R 57/83, BFHE 152, 217, BStBl II 1988, 413).

Die Angemessenheit der Frist zwischen Prüfungsbeginn und der Bekanntgabe der Prüfungsanordnung hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (BFH-Beschlüsse in BFHE 152, 217, BStBl II 1988, 413; vom 26. Juli 2000 XI B 22/00, BFH/NV 2001, 181). Diese Frist kann für die Bekanntgabe der Anordnung der Erweiterung eines Prüfungszeitraums während einer bereits begonnenen Prüfung in der Regel kürzer als bei der erstmaligen Anordnung einer Prüfung sein.

Nach dem BFH-Urteil in BFHE 173, 487, BStBl II 1994, 377 ist der Ablauf der Festsetzungsfrist auch dann gehemmt, wenn die tatsächliche Prüfungshandlung dem Erlass einer Ergänzung der Betriebsprüfungsanordnung vorausgeht und die Betriebsprüfungsanordnung vor Ablauf der Festsetzungsfrist ergänzt wird. Dies setzt gedanklich voraus, dass die Anordnung der Erweiterung nicht zwingend mit einer Fristsetzung für die Fortführung der Außenprüfung verbunden sein muss.

3. Auch die weitere Rüge des Klägers, das FG-Urteil weiche von der BFH-Entscheidung in BFHE 202, 206, BStBl II 2003, 827 ab, führt nicht zur Zulassung der Revision.

a) Rügt der Beschwerdeführer eine Abweichung von einer Entscheidung des BFH, so muss er nach inzwischen ständiger Rechtsprechung des BFH auch nach neuem Revisionszulassungsrecht tragende und abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen FG-Urteil einerseits und aus der behaupteten Divergenzentscheidung des BFH andererseits herausarbeiten und einander gegenüberstellen, um so eine Abweichung zu verdeutlichen (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 5. Juli 2002 XI B 67/00, BFH/NV 2002, 1479; vom 12. Juli 2002 II B 33/01, BFH/NV 2002, 1482; vom 12. Juli 2002 XI B 152/01, BFH/NV 2002, 1484; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 116 Rz. 42).

b) Es kann dahingestellt bleiben, ob die Beschwerdebegründung diesen Anforderungen genügt. Der Kläger hat jedenfalls verkannt, dass der dem angefochtenen Urteil zugrunde liegende Sachverhalt und der in dem BFH-Urteil in BFHE 202, 206, BStBl II 2003, 827 beurteilte Fall sich in den wesentlichen Merkmalen grundlegend unterscheiden. Der IV. Senat des BFH hat im Urteil in BFHE 202, 206, BStBl II 2003, 827, wonach eine Außenprüfung für eindeutig festsetzungsverjährte Steuern ausgeschlossen ist, entscheidend darauf abgestellt, dass der Ablauf der Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 nicht nach § 171 Abs. 4 AO 1977 gehemmt war, weil das FA nicht vor deren Ablauf mit einer Außenprüfung begonnen habe. Der Prüfer sei nicht beim Kläger erschienen und die vom FA im erstinstanzlichen Verfahren vorgetragenen Vorbereitungsarbeiten des Prüfers habe das FG ohne Verstoß gegen die Denkgesetze nicht als Prüfungsbeginn gewertet. Im Streitfall hingegen hat das FA auch mit der Außenprüfung für den Veranlagungszeitraum 1994 vor Ablauf der Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 am 31. Dezember 2000 begonnen (vgl. oben unter 2.).

4. Von der Darstellung des Sachverhalts und einer weiter gehenden Begründung sieht der Senat nach § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ab.

Ende der Entscheidung

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