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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 06.08.1999
Aktenzeichen: X B 18/99
Rechtsgebiete: FGO, ZPO


Vorschriften:

FGO § 79b
FGO § 51 Abs. 1 Satz 1
FGO § 79
FGO § 54 Abs. 2
FGO § 51
FGO § 155
ZPO § 42 Abs. 2
ZPO § 224 Abs. 2
ZPO § 43
ZPO § 570
ZPO § 45 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

Der Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Kläger) betrieb im Streitjahr 1994 eine Gaststätte und ein Gewerbe als Automatenaufsteller. Er klagt vor dem Finanzgericht (FG) gegen die jeweils auf geschätzten Besteuerungsgrundlagen beruhenden Bescheide über Einkommensteuer und Umsatzsteuer. In der mündlichen Verhandlung vom 2. September 1998 trug er vor, das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung A (Straf- und Bußgeldsachenstelle) habe die Herausgabe der Buchführungsunterlagen des Streitjahres verweigert. Daraufhin hat das FG die Sache vertagt. Die Straf- und Bußgeldsachenstelle hat dem Berichterstatter Richter B am 11. September 1998 auf dessen telefonische Anfrage die Auskunft erteilt, die Geschäftsunterlagen des nicht strafbefangenen Veranlagungszeitraums 1994 könnten, soweit sie beschlagnahmt worden waren, dem Kläger bzw. dessen Prozeßbevollmächtigten ausgehändigt werden. B hat den Prozeßbevollmächtigten mit Verfügung vom 14. September 1998 hiervon unterrichtet und ihn gleichzeitig gemäß § 79b der Finanzgerichtsordnung (FGO) aufgefordert, nunmehr innerhalb von 2 Monaten die in der mündlichen Verhandlung angekündigte Steuererklärung einzureichen.

Mit Schriftsatz vom 16. November 1998 teilte der Bevollmächtigte dem FG mit, es sei dem Kläger nicht möglich, die Steuererklärung zu fertigen, da er immer noch nicht im Besitz der hierfür erforderlichen Unterlagen sei. Nachforschungen über den genauen Verbleib dieser Unterlagen auch bei der Straf- und Bußgeldsachenstelle seien ergebnislos verlaufen. Zugleich lehnte der Prozeßbevollmächtigte Richter B wegen der Besorgnis der Befangenheit ab.

Richter B hat in seiner dienstlichen Äußerung vom 19. November 1998 erklärt, er halte sich nicht für befangen.

Das FG hat das Ablehnungsgesuch als unbegründet zurückgewiesen. Es seien keine Anhaltspunkte ersichtlich, welche ein Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters B rechtfertigen würden. Eine Besorgnis der Voreingenommenheit lasse sich insbesondere nicht aus den getroffenen prozeßleitenden Maßnahmen herleiten. Dies gelte auch dann, wenn sich im nachhinein herausstellen sollte, daß der Kläger aufgrund von Umständen, die im Verantwortungsbereich der Steuerfahndungsbehörden lägen, nicht imstande gewesen sei, die gesetzte Frist einzuhalten. Fristversäumnisse, die der Kläger nachweislich nicht zu vertreten habe, hätten keine Präklusionswirkung.

Hiergegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit welcher der Kläger seinen Antrag, Richter B wegen Befangenheit abzulehnen, weiterverfolgt.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 42 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) findet die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dabei kommt es darauf an, daß ein am Verfahren Beteiligter von seinem Standpunkt aus, bei Anlegung eines objektiven Maßstabs, d.h. bei vernünftiger Würdigung aller Umstände, Anlaß hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln. Das Institut der Richterablehnung soll eine unparteiische Rechtspflege sichern (Beschluß des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 24. November 1994 X B 146-149/94, BFH/NV 1995, 692, m.w.N.). Verfahrensverstöße oder sonstige Rechtsfehler eines Richters sind --selbst wenn sie objektiv vorliegen-- grundsätzlich kein Ablehnungsgrund (ständige Rechtsprechung; vgl. BFH-Beschlüsse vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555; vom 30. August 1995 XI B 114/95, BFH/NV 1996, 225; vom 27. Juni 1996 X B 84/96, BFH/NV 1997, 122; vom 22. Oktober 1998 II B 64/98, BFH/NV 1999, 624; Gräber/ Koch, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl. 1997, § 51 Anm. 40). Denn das Ablehnungsverfahren dient nicht dazu, die Beteiligten gegen unzutreffende Rechtsauffassungen des gesetzlichen Richters zu schützen. Insoweit stehen den Beteiligten die allgemeinen Rechtsbehelfe --auch zur Überprüfung von Verfahrensfehlern-- zur Verfügung (Gräber/Koch, a.a.O., Rz. 39 a, m.w.N.). Verfahrensverstöße können eine Besorgnis der Befangenheit daher --ausnahmsweise-- nur dann rechtfertigen, wenn Gründe dargetan sind, die dafür sprechen, daß die Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegenüber dem ihn ablehnenden Beteiligten oder auf Willkür beruht. Dies setzt ohne weiteres erkennbare und gravierende Verfahrensfehler oder eine Häufung von Rechtsverstößen voraus (BFH-Beschlüsse vom 29. Oktober 1993 XI B 91/92, BFH/NV 1994, 489; in BFH/NV 1995, 692; vom 23. Juli 1996 VIII B 22/96, BFH/NV 1997, 126).

2. Dies vorausgesetzt, ist eine Besorgnis der Befangenheit des Richters B nicht begründet.

a) Mit der Vorentscheidung ist davon auszugehen, daß der Berichterstatter des FG seiner Verpflichtung aus § 79 FGO nachkommen wollte, den Streitfall zügig einer Erledigung zuzuführen. Das prozessuale Vorgehen des Richters B hält sich im Rahmen einer zulässigen Prozeßführung und ist vom Standpunkt eines unabhängigen und fairen Prozeßbeobachters aus nicht geeignet, auf eine unsachliche Einstellung oder gar Willkür zu schließen bzw. den Eindruck einer sachwidrigen, auf Voreingenommenheit beruhenden Benachteiligung des Klägers entstehen zu lassen. Auch läßt sich im Verfahren der Richterablehnung nicht klären, aus welchen Gründen die den Veranlagungszeitraum 1994 betreffenden beschlagnahmten Unterlagen trotz einer diesbezüglichen Zusage eines Bediensteten der Straf- und Bußgeldsachenstelle nicht herausgegeben werden konnten und offenbar, wie der Kläger in seinem Schriftsatz vom 26. April 1999 behauptet, immer noch nicht herausgegeben worden sind. Der Senat geht nach dem Akteninhalt davon aus, daß Richter B in Ausübung der Amtsermittlungspflicht mit dieser Behörde ein Gespräch des Inhalts geführt hat, wie er es in seiner dienstlichen Äußerung vom 19. November 1998 dargestellt hat. Die Unterstellung des Klägers, die vom Richter B behauptete Auskunft sei nicht erteilt worden, mithin sei auch der Inhalt des diesbezüglichen Aktenvermerks vom 11. September 1998 falsch, ist unsubstantiiert und vermag keine Zweifel an der dienstlichen Äußerung des Berichterstatters zu wecken. Anhaltspunkte dafür, daß der Berichterstatter auf die ihm telefonisch erteilte Auskunft zur Rückgabe der Akten nicht hätte vertrauen können, liegen nicht vor. Daß die Herausgabe der "offenbar im Gebäude des Finanzamts C lagernden" Akten möglich und dies dem Prozeßbevollmächtigten mitgeteilt worden sei, ergibt sich aus dem Schreiben der Straf- und Bußgeldsachenstelle vom 30. November 1998.

Aus welchen Gründen die Akten bis zum 6. April 1999 nicht zurückgegeben worden waren, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls lassen richterliche Ausschlußfristen grundsätzlich eine Besorgnis der Befangenheit schon deswegen nicht entstehen, weil diese Fristen bei Vorliegen erheblicher Gründe auf fristgerechten und glaubhaft gemachten Antrag verlängert werden können (§ 54 Abs. 2 FGO i.V.m. § 224 Abs. 2 ZPO; BFH-Beschluß vom 1. April 1996 I B 102/95, BFH/NV 1996, 761). Im übrigen liegt eine Besorgnis der Befangenheit selbst dann nicht vor, wenn ein Richter sich hinsichtlich der Erfüllbarkeit von Aufklärungsverfügungen irrt (vgl. z.B. zu irrtümlichen Annahmen BFH-Beschlüsse vom 2. September 1991 XI B 27/90, BFH/NV 1992, 124; vom 9. Februar 1994 I B 161/93, BFH/NV 1994, 874). Es ist auch nichts dafür ersichtlich, daß der Richter B einer schlüssig dargelegten und vom Kläger nicht zu vertretenen Beweisnot nicht Rechnung getragen hätte, etwa durch eine Aufhebung der Aufklärungsverfügung oder durch eine Verlängerung der Frist.

b) Soweit der Kläger beanstandet, Richter B habe ihm in der mündlichen Verhandlung empfohlen, die angefochtenen, unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Steuerbescheide zunächst "hinzunehmen", vermag der Senat nicht erkennen, warum diese Äußerung auf die Absicht des Richters schließen lassen könnte, den Kläger unsachlich oder gar willkürlich zu behandeln. Im übrigen hat der Kläger in dieser Hinsicht sein Rügerecht gemäß § 51 FGO i.V.m. § 43 ZPO verloren. Danach kann eine Partei einen Richter nicht mehr wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnen, wenn sie sich bei ihm, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat. Dem Protokoll über die mündliche Verhandlung ist nicht zu entnehmen, daß der Kläger bereits zu diesem Zeitpunkt die nunmehr von ihm beanstandete Äußerung des Richters gerügt hätte. Er hat sich damit "in die Verhandlung eingelassen". Ablehnungsgründe, die während einer mündlichen Verhandlung entstehen, müssen bis zum Schluß dieser Verhandlung geltend gemacht werden; darüber hinaus muß sich die Partei weigern, den Termin weiter wahrzunehmen, wenn sie ihr Ablehnungsrecht nicht verlieren will (BFH-Beschlüsse vom 7. Februar 1996 X B 195/95, BFH/NV 1996, 616; vom 12. August 1998 III B 23/98, BFH/NV 1999, 476; jeweils mit weiteren Nachweisen der Rechtsprechung). Schließlich kann nicht die Rede davon sein, daß sich ein Ablehnungsgrund erst aus der wertenden Zusammenschau mit einem nach der mündlichen Verhandlung liegenden Verhalten des Richters B ergeben würde.

c) Zu dem Beschwerdevorbringen in den Schriftsätzen des Klägers vom 6. und 26. April 1999 weist der Senat vorsorglich darauf hin, daß mit der Beschwerde gegen den einen Befangenheitsantrag ablehnenden Beschluß des FG keine neuen Ablehnungsgründe geltend gemacht werden können. Zwar dürfen im Beschwerdeverfahren neue Tatsachen und Beweismittel vorgebracht werden (§ 155 FGO i.V.m. § 570 ZPO), jedoch nur im Rahmen des Verfahrensgegenstandes der angefochtenen Entscheidung. Gegenstand der Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch nach § 51 FGO i.V.m. § 45 Abs. 1 ZPO sind nur die Gründe, die in dem Ablehnungsgesuch dem FG gegenüber geltend gemacht worden sind (BFH-Beschlüsse vom 24. Juli 1990 X B 115/89, BFH/NV 1991, 253; vom 7. Februar 1996 X B 195/95, BFH/NV 1996, 616). Dies gilt erst recht für solche Gründe, die aus späteren, der angefochtenen Entscheidung des FG zeitlich nachfolgenden Handlungen oder Entscheidungen des abgelehnten Richters --hier: Erlaß einer weiteren Aufklärungsverfügung-- abgeleitet werden (BFH-Beschluß vom 4. Oktober 1994 X B 168/94, BFH/NV 1995, 528).

d) Die vom Kläger im Beschwerdeverfahren gestellten Beweisanträge sind nicht entscheidungserheblich.

Ende der Entscheidung

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