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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 15.12.2004
Aktenzeichen: X B 3/04
Rechtsgebiete: VwZG, AO 1977, FGO


Vorschriften:

VwZG § 15
VwZG § 15 Abs. 3 Satz 2
AO 1977 § 110
AO 1977 § 110 Abs. 2 Satz 1
AO 1977 § 110 Abs. 2 Satz 3
AO 1977 § 122 Abs. 2
FGO § 96 Abs. 1 Satz 1
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) führte beim Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) eine Betriebsprüfung durch. Während dieser war der Kläger nicht durch einen steuerlichen Berater vertreten. Eine Schlussbesprechung unterblieb, weil der Kläger auf Anfragen und die Übersendung einer Zusammenstellung der Prüfungsfeststellungen nicht geantwortet hatte. Schon zuvor waren mehrere Versuche, den Kläger postalisch zu erreichen, fehlgeschlagen. Im Zeitraum von November 1999 bis Anfang Januar 2000 holte der Kläger vier Postsendungen trotz Benachrichtigung über ihre Niederlegung nicht ab. Die Zusendung von Steuererklärungen kam im Februar 2000 mit dem Vermerk "unbekannt verzogen" zurück. Auch die Polizei traf den Kläger im März 2000 weder unter der gemeldeten Wohnanschrift noch unter der Adresse seiner Eltern an. Die letzten Versuche des FA, dem Kläger Post zu übersenden, scheiterten am 14. April 2000 mit der Übersendung des Prüfungsberichts und am 19. Mai 2000 mit der Übersendung einer Androhung von Zwangsgeld. Beide Schriftstücke kamen mit dem auf dem Briefumschlag angebrachten Vermerk der Deutschen Post "unbekannt verzogen" zurück. Daraufhin gab das FA die im Rubrum genannten Bescheide vom 30. Mai 2000 am 29. Mai 2000 durch Aushang im Wege der öffentlichen Zustellung nach § 15 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) bekannt.

Am 23. Oktober 2000 legte der Kläger gegen diese Bescheide Einspruch ein. Mit Schreiben vom 6. November 2000 wies das FA den Kläger auf die versäumte Einspruchsfrist hin und forderte ihn auf, Wiedereinsetzungsgründe i.S. des § 110 der Abgabenordnung (AO 1977) vorzubringen. Nach einer Erinnerung am 8. Januar 2001 meldete sich erstmals der ehemalige Prozessbevollmächtigte beim FA. Der Kläger stellte die Rechtmäßigkeit der öffentlichen Zustellung in Frage. Trotz eines Brandes in seiner Wohnung am 16. Januar 2000 sei er unter seiner alten Anschrift erreichbar gewesen. Das FA wies die Einsprüche des Klägers als unzulässig zurück.

Seine Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) bejahte die Rechtmäßigkeit der öffentlichen Zustellung und verneinte die Zulässigkeit der Einsprüche, weil sie verspätet eingelegt und Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht fristgerecht vorgebracht worden seien.

Die Finanzbehörden hätten umfangreiche Ermittlungen nach dem Aufenthaltsort des Klägers angestellt. Daher habe das FA davon ausgehen können, dass der Aufenthaltsort des Klägers allgemein unbekannt sei. Die Behauptung des Klägers, er habe das FA über eine bevorstehende Reise nach Thailand informiert, sei durch die Beweisaufnahme nicht bestätigt worden. Ebenfalls nicht erwiesen sei die Behauptung des Klägers, er habe dem FA gegenüber seinen damaligen Prozessbevollmächtigten zum Empfang etwaiger Steuerbescheide bevollmächtigt. Wiedereinsetzungsgründe habe der Kläger nicht innerhalb eines Monats vorgebracht, nachdem er am 6. November 2000 auf die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hingewiesen worden sei.

II. Die Beschwerde ist unbegründet.

1. Der vom Kläger nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) geltend gemachte Zulassungsgrund, die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordere eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH), weil das Urteil des FG auf einem gravierenden Rechtsanwendungsfehler beruhe, der zwingend der Korrektur durch die Revisionsinstanz bedürfe, ist nicht gegeben.

a) Entgegen dem Vorbringen des Klägers ist die Anordnung der öffentlichen Zustellung von einem zeichnungsberechtigten Beamten, nämlich vom Vorsteher des FA, angeordnet worden, mit dem der frühere Bevollmächtigte des Klägers im Einspruchsverfahren Gespräche geführt hatte. Die Person dessen, der die öffentliche Zustellung anordnete, kann somit deren Fehlerhaftigkeit nicht begründen.

b) Bescheide werden unabhängig davon, welches Datum sie tragen, erst mit der Bekanntgabe rechtlich existent. Wann dies der Fall ist, ergibt sich bei der Übermittlung mit einfacher Post aus § 122 Abs. 2 AO 1977 und bei der öffentlichen Zustellung aus § 15 Abs. 3 Satz 2 VwZG. Die Anordnung der öffentlichen Zustellung fünf Tage vor dem Erlass der streitgegenständlichen Bescheide und die Benachrichtigung über die öffentliche Zustellung einen Tag vor dem Bescheiddatum sind deshalb für die Frage der Rechtmäßigkeit der öffentlichen Zustellung unmaßgeblich und lassen entgegen dem Vorbringen des Klägers die Bejahung der rechtlichen Voraussetzungen einer öffentlichen Zustellung nicht als objektiv willkürlich erscheinen.

2. Unbegründet ist auch die Rüge des Klägers, das angefochtene Urteil beruhe auf einem Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO.

Es kann dahingestellt bleiben, ob das Vorbringen berechtigt ist, das FG habe bei seiner Entscheidung in mehrfacher Hinsicht nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens i.S. des § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO berücksichtigt, weil es nach den Akten klar feststehende Tatsachen unberücksichtigt gelassen habe. Denn auf einen Verfahrensmangel kann die Zulassung der Revision nur gestützt werden, wenn das angefochtene Urteil auf dem behaupteten Verfahrensmangel beruhen kann. Diese Voraussetzung ist dann gegeben, wenn die Möglichkeit besteht, dass das Urteil bei richtigem Verfahren anders ausgefallen wäre. Dabei kommt es auf den Rechtsstandpunkt des FG an. Es hat im angefochtenen Urteil zu Recht die Notwendigkeit einer im Einzelfall sorgfältigen Prüfung bejaht, ob die Voraussetzungen der öffentlichen Zustellung gegeben sind (vgl. BFH-Entscheidungen vom 6. Juni 2000 VII R 55/99, BFHE 192, 200, BStBl II 2000, 560; vom 13. März 2003 VII B 196/02, BFHE 201, 425, BStBl II 2003, 609, m.w.N.). Die Behörde muss sich, bevor sie den Weg der öffentlichen Zustellung einschlägt, durch die nach Sachlage gebotenen Ermittlungen Gewissheit darüber beschaffen, dass der Aufenthaltsort des Empfängers nicht nur ihr, sondern allgemein unbekannt ist (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 26. Oktober 1987 1 BvR 198/87, Neue Juristische Wochenschrift 1988, 2361; Senatsbeschluss vom 17. Mai 1990 X S 2/90, BFH/NV 1991, 13).

Danach war für den Ausgang des Klageverfahrens die Feststellung des FG maßgeblich und entscheidend, dass die Finanzbehörden umfangreiche Ermittlungen nach dem Aufenthaltsort des Klägers angestellt hatten. Das FA durfte infolgedessen davon ausgehen, dass der Aufenthaltsort des Klägers allgemein unbekannt ist. Somit hatte nach der Auffassung des FG das FA, ehe es die öffentliche Zustellung anordnete, offenkundig alles Erforderliche getan, um den Aufenthaltsort des Klägers zu ermitteln.

Vor diesem Hintergrund bestand für das FG kein Anlass, vom FA weitere Ermittlungsmaßnahmen zu verlangen. Das FA hätte also nicht erneut bei den Einwohnermeldebehörden nachfragen müssen und musste insofern auch nicht deren Antwort auf die erneute Anfrage abwarten. Dies gilt jedenfalls dann, wenn --so der hier zu beurteilende Sachverhalt-- auch die weitere Anfrage kein positives Ergebnis zeitigt und zuvor sachnähere Beweismittel --Ermittlung vor Ort und Befragung der Vermieterin-- erfolglos geblieben waren. Dem steht nicht entgegen, dass das FA ohne vorherige mehrfache Zustellversuche und umfangreiche Ermittlungen mit einer erneuten Anfrage beim Einwohnermeldeamt zum Ausdruck bringen kann, dass nur ihm der Aufenthaltsort unbekannt ist, dass es ihn aber nicht für allgemein unbekannt hält (Linssen in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 15 VwZG Rz. 7, unter Hinweis auf das Urteil des FG München vom 10. Juni 1975, VII 175/74 K, EW, V, Entscheidungen der Finanzgerichte 1975, 502 - Leitsatz).

Nach dieser Auffassung des FG musste das FA ebenso wenig etwaigen sich aus der Tatsache des Wohnungsbrandes ergebenden weiteren Hinweisen auf Ermittlungsmöglichkeiten nachgehen oder sich bei dem früheren Steuerberater des Klägers erkundigen. Das FG hatte aus seiner Sicht keinen Grund, auf weitere möglicherweise denkbare Erkenntnisquellen über den Aufenthaltsort des Klägers in den Akten einzugehen und sich damit im Urteil auseinander zu setzen. Infolgedessen kann ihm nicht entgegen gehalten werden, es habe nach den Akten klar feststehende Tatsachen unzulässigerweise unberücksichtigt gelassen.

3. Im Übrigen hat das FG zu Recht auch darauf abgestellt, dass der Kläger von der Möglichkeit, hinsichtlich der versäumten Einspruchsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu beantragen, innerhalb der dafür zu beachtenden Frist des § 110 Abs. 2 Sätze 1 und 3 AO 1977 keinen Gebrauch gemacht hat.

Ende der Entscheidung

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