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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 16.02.2006
Aktenzeichen: X B 57/05
Rechtsgebiete: AO 1977, UStG, FGO, EStG, UStDV


Vorschriften:

AO 1977 § 140
AO 1977 § 145
AO 1977 § 146
AO 1977 § 146 Abs. 1 Satz 2
AO 1977 § 146 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2
UStG § 15
UStG § 22
UStG § 22 Abs. 2 Nr. 1
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
EStG § 4 Abs. 3
UStDV §§ 63 bis 68
UStDV § 63 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

Die Beschwerde ist unbegründet, weil die vom Beklagten und Beschwerdeführer (Finanzamt --FA--) aufgeworfene Rechtsfrage, ob die Ordnungsvorschrift des § 146 Abs. 1 Satz 2 der Abgabenordnung (AO 1977) uneingeschränkt bei allen Unternehmern anwendbar ist, die Aufzeichnungen nach § 22 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) zu führen haben, und wenn ja, in welcher Form sie diese zeitnah dokumentieren müssen, keine grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. "Grundsätzliche Bedeutung" i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO kommt einer Rechtssache nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zu, wenn die für die Beurteilung des Streitfalles maßgebliche Rechtsfrage das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt, d.h. wenn die Beantwortung der Rechtsfrage aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 21. April 1999 I B 99/98, BFHE 188, 372, BStBl II 2000, 254; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 115 Rz. 23, mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung des BFH). Die Rechtsfrage muss klärungsbedürftig und im Streitfall klärungsfähig sein (Gräber/Ruban, a.a.O.). An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es, wenn die Rechtsfrage bereits durch die Rechtsprechung des BFH hinreichend geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den BFH erforderlich machen (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 28, m.w.N. aus der Rechtsprechung). Eine Rechtsfrage ist auch dann nicht klärungsbedürftig, wenn sich ihre Antwort ohne weiteres aus dem klaren Wortlaut und Sinngehalt des Gesetzes ergibt oder die Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das Finanzgericht (FG) getan hat, die Rechtslage also eindeutig ist (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 28, m.w.N. aus der Rechtsprechung).

2. Eine klärungsbedürftige Frage in diesem Sinne vermochte das FA nicht aufzuwerfen.

Das Einkommensteuergesetz (EStG) und die AO 1977 enthalten entgegen der Auffassung des FA keine Verpflichtung zur Führung eines Kassenbuchs für die Überschussermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG.

Insbesondere kann eine solche Verpflichtung nicht auf die Vorschrift des § 4 Abs. 3 EStG gestützt werden, da diese lediglich die Art der Gewinnermittlung bestimmt (BFH-Urteil vom 11. August 1992 VII R 90/91, BFH/NV 1993, 346). Aus ihr ergibt sich nur eine Verpflichtung zur Führung eines Verzeichnisses über die Wirtschaftsgüter des nicht abnutzbaren Anlagevermögens (§ 4 Abs. 3 Satz 5 EStG). Auch die §§ 145, 146 AO 1977 können eine dahin gehende Verpflichtung nicht begründen, da die Anwendung dieser Vorschriften gerade eine ausdrückliche gesetzliche Aufzeichnungsverpflichtung zur Voraussetzung hat (BFH-Urteil in BFH/NV 1993, 346).

Eine Verpflichtung zur Einzelaufzeichnung ergibt sich jedoch auch für Unternehmen, die den Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG ermitteln, aus § 22 UStG i.V.m. §§ 63 bis 68 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV). Zwar sind umsatzsteuerrechtliche Aufzeichnungen keine Aufzeichnungen "nach anderen Gesetzen als den Steuergesetzen" i.S. des § 140 AO 1977. Die Aufzeichnungsverpflichtung aus einem Steuergesetz wirkt aber, sofern dieses Gesetz keine Beschränkung auf seinen Geltungsbereich enthält oder sich eine solche Beschränkung aus der Natur der Sache ergibt, unmittelbar auch für andere Steuergesetze, also auch für das EStG (BFH-Urteil vom 2. März 1982 VIII R 225/80, BFHE 136, 28, BStBl II 1984, 504; Weber-Grellet in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 4 Rz. D 52).

Gemäß § 22 Abs. 2 Nr. 1 UStG sind u.a. auch die vereinnahmten Entgelte aufzuzeichnen. Nach § 63 Abs. 1 UStDV müssen die Aufzeichnungen so beschaffen sein, dass es einem sachverständigen Dritten innerhalb einer angemessenen Zeit möglich ist, einen Überblick über die Umsätze des Unternehmens und die abziehbaren Vorsteuern zu erhalten.

Eine Regelung, dass vereinnahmte Barentgelte gesondert in einem Kassenbuch aufzuzeichnen sind, enthält weder § 22 UStG noch die UStDV. Zwar sind bei den Aufzeichnungen nach § 22 UStG die §§ 145 und 146 AO 1977 zu beachten (Weber-Grellet in Kirchhof/ Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 4 Rz. D 52). Bei der Einnahmenüberschussrechnung gibt es jedoch keine Bestandskonten und somit auch kein Kassenkonto. Vereinnahmtes Geld wird sofort Privatvermögen (BFH-Urteil vom 22. Februar 1973 IV R 69/69, BFHE 109, 30, BStBl II 1973, 480). Die Feststellung eines Kassenbestands, für den ein Kassenbuch bei einer Gewinnermittlung nach dem Bestandsvergleich aufgrund ordnungsgemäßer Buchführung erforderlich ist, kommt nicht in Betracht. Demzufolge hat der BFH erkannt, dass Steuerpflichtige, die ihren Gewinn zulässigerweise nach § 4 Abs. 3 EStG ermitteln, nicht verpflichtet sind, ein Kassenbuch zu führen (BFH-Urteil vom 10. März 1983 IV R 236/81, juris Nr: STRE835031760; so auch Cöster in Pahlke/Koenig, Abgabenordnung, § 146 Rz. 3 i.V.m. § 145 Rz. 4; Weber-Grellet in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 4 Rz. D 57; Schmidt/ Heinicke, Einkommensteuergesetz, 24. Aufl., § 4 Rz. 372; a.A. Sauer in Beermann/Gosch, Steuerliches Verfahrensrecht, § 146 AO 1977 Rz. 36). Vielmehr müssen sie nach § 146 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 AO 1977 die Aufzeichnungen, die allein nach den Steuergesetzen (§ 22 UStG) vorzunehmen sind, lediglich so führen, dass sie dem konkreten Besteuerungszweck genügen. Sie können auch in der geordneten Ablage von Belegen bestehen (§ 146 Abs. 5 Satz 1 AO 1977). Diese Anforderung ist erfüllt, wenn Steuerpflichtige --wie im Streitfall die Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin)-- sämtliche Ausgangsrechnungen chronologisch nach dem Tag des Geldeingangs ablegen und in handschriftliche Listen eintragen, auch wenn nur auf den Rechnungen, nicht aber in den angefertigten Listen zwischen Geldeingang auf dem Bankkonto oder Barzahlung unterschieden wurde.

3. Dass über § 22 UStG nicht ein Steuerpflichtiger, der den Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelt, zum Führen eines Kassenbuchs verpflichtet ist, ergibt sich auch aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Durch die Umsatzsteuer werden Leistungsabgaben eines Unternehmers und sein Eigenverbrauch im Erhebungsgebiet besteuert. Vorleistungen anderer Unternehmer und Einfuhren, die in den unternehmerischen Bereich eingehen, können zu einer Steuerentlastung durch Gewährung des Vorsteuerabzugs nach § 15 UStG führen (Geist in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, Umsatzsteuergesetz, § 22 Rz. 4). Die geschuldete Umsatzsteuer, die hiervon abziehbare Vorsteuer und die letztlich vom Unternehmer an das FA zu entrichtende Umsatzsteuer könnten ohne Aufzeichnung aller umsatzsteuerrechtlich relevanter Vorgänge innerhalb des Unternehmens nicht ermittelt werden. Deshalb hat der Gesetzgeber den Unternehmer in § 22 UStG verpflichtet, Aufzeichnungen zu fertigen. Nach diesem Gesetzeszweck ist die Frage, ob Leistungsabgaben des Unternehmers bzw. Vorleistungen anderer Unternehmer bar oder unbar vergütet werden, für die Umsatzsteuer ohne Bedeutung. Entscheidend ist lediglich, dass solche Vorgänge vollständig erfasst werden. Hierzu ist das Führen eines Kassenbuchs nicht geboten. Eine Belegsammlung, wie sie die Klägerin vorgelegt hat, kann ebenso wie Kassenaufzeichnungen nachgeprüft werden. Auch aus den Ausgangsrechnungen lassen sich Inhalt des Geschäfts, Name, Firma und Adresse des Vertragspartners ersehen.

4. Aus den vom FA angeführten Stimmen in der Literatur (Flückinger in Plückebaum/Malitzky, Umsatzsteuergesetz, § 22 Rz. 68; Rothenberger in Hartmann/Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz, § 22 Rz. 10; Heidner in Bunjes/Geist, Umsatzsteuergesetz, § 22 Rz. 5; Wagner in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuergesetz, § 22 Rz. 48) ergibt sich nicht, dass Steuerpflichtige, die den Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG ermitteln, wegen der Aufzeichnungspflicht nach § 22 UStG ein Kassenbuch führen müssen.

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