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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 23.08.2004
Aktenzeichen: X B 74/03
Rechtsgebiete: FGO


Vorschriften:

FGO § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Das Finanzgericht (FG) wies mit dem angefochtenen Urteil die Klage des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) als unzulässig ab. Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers gegen Empfangsbekenntnis am 31. März 2003 zugestellt. Die dagegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde, die an das FG adressiert war und dort mit einer Abschrift am 30. April 2003 in den Nachtbriefkasten geworfen wurde, leitete das FG am 2. Mai 2003 per Telefax an den Bundesfinanzhof (BFH) weiter.

Nach einem Hinweis auf den verspäteten Eingang der Nichtzulassungsbeschwerde beim BFH hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers umgehend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Er führt aus, ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde gehindert gewesen zu sein. Zur Versäumung der Frist sei es aufgrund eines Fehlverhaltens einer Angestellten gekommen, die bisher zu Beanstandungen keinen Anlass gegeben habe. Er versichert anwaltlich, er habe vor Verlassen des Büros nach Unterzeichnung der Beschwerdeschrift am 30. April 2003 der Angestellten die Weisung erteilt, die Beschwerdeschrift unverzüglich zur Wahrung der Frist per Telefax an den BFH zu senden und dann den Originalschriftsatz an das FG weiterzuleiten, damit von dort aus dieser Schriftsatz, der auch schon die Beschwerdebegründung enthalten habe, zusammen mit der Akte an den BFH weitergeleitet werde. Die Übermittlung des Fax an den BFH habe die Angestellte nach vergeblichem Erfüllungsversuch vergessen, während sie die Beschwerdeschrift auf der Heimfahrt in den Briefkasten des FG geworfen habe. Die Angestellte bestätigte das Vorbringen des Prozessbevollmächtigten durch Abgabe einer entsprechenden eidesstattlichen Versicherung.

II. Die Beschwerde ist wegen Fristversäumnis als unzulässig zu verwerfen.

1. Die an das FG gerichtete und dort am letzten Tag der Frist in den Nachtbriefkasten eingeworfene Beschwerdeschrift ist trotz umgehender Weiterleitung durch das FG beim BFH erst nach Ablauf der Beschwerdefrist und damit verspätet eingegangen. Die Frist endete am 30. April 2003 (§ 116 Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Beschwerde ging aber erst am 2. Mai 2003 beim BFH ein.

2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist dem Kläger nicht zu gewähren.

a) Einem Verfahrensbeteiligten, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 56 Abs. 1 FGO). Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen; innerhalb dieser Frist muss die versäumte Rechtshandlung nachgeholt werden (§ 56 Abs. 2 Sätze 1 und 3 FGO).

b) An der Verspätung trifft den Prozessbevollmächtigten des Klägers ein Verschulden, das sich der Kläger wie eigenes Verschulden zurechnen lassen muss (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozessordnung; z.B. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 56 Rz. 6, m.w.N.).

c) Darauf, dass Fristversäumnisse, die durch Angestellte eines Rechtsanwalts oder Steuerberaters aufgrund eines sog. Büroversehens verschuldet sind, der Prozesspartei nicht zuzurechnen sind (ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, vgl. z.B. Gräber/Koch, a.a.O., § 56 Rz. 20 "Büroversehen", m.w.N.), kann sich der Kläger nicht berufen.

aa) Zwar ist anerkannt, dass dann, wenn im Einzelfall eine konkrete Anweisung erteilt worden ist, die bei Befolgung die Fristwahrung sichergestellt hätte, kein Verschulden des Prozessbevollmächtigten vorliegt, weil es aufgrund der konkreten Einzelanweisung auf die allgemeinen organisatorischen Vorkehrungen für die Fristwahrung in einer Anwaltskanzlei nicht entscheidend ankommt und ein Angehöriger der beratenden Berufe im Allgemeinen darauf vertrauen darf, dass eine Angestellte, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, Einzelanweisungen befolgt (vgl. BFH-Urteil vom 26. Februar 2004 XI R 62/03, BFHE 205, 9, BStBl II 2004, 564, m.w.N. insbesondere aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen).

bb) Aber diese das Verschulden des Prozessbevollmächtigten ausschließende Wirkung kommt einer konkreten Einzelanweisung dann nicht zu, wenn neben dem Umstand, dass eine Angestellte schuldhaft eine Einzelanweisung nicht befolgt und dadurch eine Frist versäumt wird, ein bestimmtes, den speziellen Fall betreffendes schuldhaftes Verhalten des Prozessbevollmächtigten hinzu tritt, das für das Versäumen der Frist mitursächlich sein kann. Das ist im Streitfall zu bejahen.

Die vom Prozessbevollmächtigten unterzeichnete Beschwerdeschrift ist entgegen der Rechtsbehelfsbelehrung in dem angefochtenen Urteil nicht an den BFH, sondern an das FG gerichtet worden. Mehr als zwei Jahre nach dem In-Kraft-Treten der Neuordnung des Revisionsrechts am 1. Januar 2001 liegt in diesem Fehler ein die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschließendes Verschulden des Prozessbevollmächtigten (vgl. Senatsbeschluss vom 8. Juli 1991 X B 3/91, BFH/NV 1992, 120; BFH-Beschluss vom 28. August 2002 I B 26/02, BFH/NV 2003, 67; Gräber/ Koch, a.a.O., § 56 Rz. 20 "Prozessbevollmächtigter"; Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 56 FGO Rz. 243; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 110 AO 1977 Tz. 65 und 60; Kuczynski in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 56 FGO Rz. 15.3). Nachdem die Beschwerde erst am letzten Tag der Frist auf den Weg gebracht wurde und in den Nachtbriefkasten gelangte, hatte das FG auch nicht die Möglichkeit, sie als Irrläufer fristwahrend an den BFH weiterzuleiten.

d) Dieses Verschulden des Prozessbevollmächtigten muss sich der Kläger zurechnen lassen. Die vom Prozessbevollmächtigten zu verantwortende falsche Adressierung der Beschwerde drängt die Einzelanweisung an die Angestellte, die Beschwerde noch am 30. April 2003 dem BFH per Telefax zuzuleiten, in den Hintergrund und beseitigt ihre entlastende Wirkung.

Denn hat die Angestellte --wie vorgebracht-- nach einem Fehlversuch keinen weiteren Versuch unternommen, die Beschwerdeschrift durch Telefax an den BFH zu senden, und hat sie schließlich die entsprechende Anweisung vergessen, so kann dies auch darauf beruhen, dass sich ihr wegen der nicht gebotenen und unzutreffenden Adressierung der Beschwerde an das FG der Sinn und die Dringlichkeit eines Telefaxes an den BFH nicht erschlossen haben, zumal die Beschwerdeschrift keinerlei Hinweis auf die Notwendigkeit enthält, die Beschwerde beim BFH einzulegen. Damit ist ein unmittelbares Mitverschulden des Prozessbevollmächtigten am Versäumnis seiner Angestellten nicht auszuschließen.

3. Der Senat sieht gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO von einer Darstellung des Sachverhalts und einer weiteren Begründung der Entscheidung ab.

Ende der Entscheidung

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