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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 01.02.1999
Aktenzeichen: X R 146/96
Rechtsgebiete: FGO


Vorschriften:

FGO § 76
FGO § 96
FGO § 116 Abs. 1 Nr. 3
FGO § 115 Abs. 1
FGO § 56
FGO § 119 Nr. 3
FGO § 116
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war im Streitjahr 1993 Gastronom und betrieb zwei Gaststätten. Da er trotz wiederholter Aufforderungen des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) keine Steuererklärungen für das Streitjahr abgab, schätzte das FA die Besteuerungsgrundlagen. Die Bescheide über Umsatzsteuer und Einkommensteuer wurden am 27. Januar 1995 durch Niederlegung beim Postamt 03 in X zugestellt. Später machte der Kläger geltend, die Bescheide seien ihm nicht zugegangen; er habe keine Benachrichtigung über die Niederlegung bei der Post erhalten. Das FA verwarf den eingelegten Einspruch als unzulässig. Das hiergegen angerufene Finanzgericht (FG) beraumte eine mündliche Verhandlung auf Mittwoch, den 19. Juni 1996, 11.15 Uhr an. In der Ladung wurde darauf hingewiesen, bei Ausbleiben eines Beteiligten könne auch ohne diesen verhandelt und entschieden werden. Der Kläger erschien nicht zur mündlichen Verhandlung, die um 11.35 Uhr eröffnet und um 11.40 Uhr geschlossen wurde. Im Anschluß hieran verkündete das FG das angefochtene Urteil, mit welchem die Klage als unbegründet abgewiesen wurde. Die Revision wurde nicht zugelassen.

Am 26. Juni 1996 gab der Kläger persönlich dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des FG zu Protokoll: Er habe den Termin zur mündlichen Verhandlung aufgrund einer Erkrankung nicht wahrnehmen können. Er habe sich am 19. Juni 1996 in der Zeit von 8.30 Uhr bis 16.00 Uhr beim behandelnden Arzt aufgehalten, wo er Infusionen bekommen habe. Er bitte um Anberaumung eines neuen Termins. Ausweislich einer ärztlichen Bescheinigung war er vom 19. bis 21. Juni 1996 "krank und arbeitsunfähig". Der Einzelrichter des FG teilte dem Kläger mit, das Gesetz sehe keine Möglichkeit vor, einen neuen Termin anzuberaumen.

Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 76 der Finanzgerichsordnung --FGO--) und des Rechts auf Gehör (§ 96 FGO). Er habe sich aufgrund einer akuten Erkrankung am 19. Juni 1996 morgens in ärztliche Behandlung begeben. Die gesundheitlichen Beschwerden seien frühmorgens mit einer solchen Heftigkeit aufgetreten, daß ärztliche Hilfe ohne Verzug erforderlich gewesen sei. Der behandelnde Arzt habe mehrere Infusionen und die Einnahme von Medikamenten verordnet. Es sei ihm, dem Kläger, unmöglich gewesen, zu telefonieren oder Dritte damit zu beauftragen. Erst gegen 15.00 Uhr habe er im FG anrufen können; er habe den Einzelrichter nicht mehr erreicht und sei auf den nächsten Tag verwiesen worden. Wäre ihm die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung möglich gewesen, hätte er gewichtige Argumente gegen die Steuerfestsetzung vorbringen können.

Die Revision, mit welcher sich der Kläger inzident auf den absoluten Revisionsgrund der mangelnden Vertretung (§ 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO) beruft, ist nicht statthaft.

Gemäß Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) findet in Abweichung von § 115 Abs. 1 FGO die Revision nur statt, wenn das FG oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof (BFH) sie zugelassen hat. Diese Voraussetzungen sind hier unstreitig nicht erfüllt.

Als wesentlicher Mangel des Verfahrens, der die zulassungsfreie Revision begründen könnte, kommt hier allein in Betracht, daß der Kläger wegen der mangelnden Teilnahme an der mündlichen Verhandlung im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war (§ 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO). Dabei kommt es nicht darauf an, daß der Kläger die Revision nicht ausdrücklich auf den wesentlichen Verfahrensmangel der fehlenden ordnungsgemäßen Vertretung gestützt und die Vorschrift des § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO nicht benannt hat (vgl. BFH-Urteile vom 25. August 1982 I R 120/82, BFHE 136, 518, BStBl II 1983, 46, 47, und vom 10. August 1988 III R 220/84, BFHE 154, 17, BStBl II 1988, 948, 949). Eine nicht ordnungsgemäße Vertretung im Sinne dieser Vorschrift ist aber nicht schlüssig gerügt worden. Es fehlt an dem substantiierten Vortrag von Umständen, die geeignet wären, einen Verfahrensmangel i.S. von § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO zu begründen.

Der in § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO verwendete Begriff "nicht vertreten" wird zwar von der Rechtsprechung weit ausgelegt, so daß hierunter grundsätzlich auch solche Sachverhalte fallen können, in denen der Kläger selbst bzw. sein Prozeßbevollmächtigter gehindert war, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen. Diese Nichtteilnahme muß aber, wie dem Eingangssatz des § 116 Abs. 1 FGO zu entnehmen ist, auf einem wesentlichen Verfahrensmangel beruhen, d.h. dem FG muß ein Verfahrensfehler unterlaufen sein, der einen Beteiligten an der Teilnahme an der mündlichen Verhandlung hinderte (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 27. September 1988 III R 26/88, BFH/NV 1989, 378; vom 29. Juni 1989 V R 112/80, V B 72/89, BFHE 157, 308, BStBl II 1989, 850; vom 11. November 1992 IV R 97/92, BFH/NV 1993, 482; vom 12. April 1994 I R 44/93, I R 45/93, BFH/NV 1995, 41; vom 12. April 1994 I R 43/93, BFH/NV 1995, 221 - Reifenpanne auf der Fahrt zur mündlichen Verhandlung; vom 9. Juli 1996 VII R 23/96, VII B 41/96, BFH/NV 1997, 44, die gegen letztere Entscheidung eingelegte Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen, Bundesverfassungsgericht, Beschluß vom 23. Oktober 1996 1 BvR 2012/96, Steuer-Eildienst 1997, 64). Demgemäß liegt kein Verfahrensfehler vor, wenn ein Beteiligter aus einem in seiner Person oder in der Person des Prozeßbevollmächtigten liegenden, wenn auch unverschuldeten Grund nicht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen konnte. Dies gilt auch für den Fall einer plötzlich auftretenden Krankheit (BFH-Beschlüsse vom 12. September 1994 X R 44/94, BFH/NV 1995, 243; vom 25. Oktober 1995 III R 31/95, BFH/NV 1996, 412). § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO geht mithin davon aus, daß der Beteiligte in gesetzwidriger Weise im Verfahren nicht vertreten war, weil das Gericht bei der Vorbereitung und Durchführung der mündlichen Verhandlung den Vorschriften des Gesetzes nicht genügt und dadurch dem Beteiligten die Teilnahme unmöglich gemacht hat. Ein Fall fehlender Vertretung läge somit insbesondere vor, wenn der Kläger bzw. sein Prozeßbevollmächtigter nicht ordnungsgemäß geladen worden wären (BFHE 154, 17, BStBl II 1988, 948, 949). Solches wird aber mit der Revision nicht gerügt. Auch hat das FG in der mündlichen Verhandlung vom 19. Juni 1996 die ordnungsmäßige Ladung des Klägers festgestellt.

Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO wegen nach Darstellung des Klägers unverschuldeter Versäumung des Termins zur mündlichen Verhandlung kommt im finanzgerichtlichen Verfahren nicht in Betracht (BFH in BFHE 154, 17, BStBl II 1988, 948; Beschluß vom 19. April 1995 IX R 15/94, BFH/NV 1995, 913).

Die vom Kläger ferner erhobene Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 119 Nr. 3 FGO) kann, da in § 116 FGO nicht erwähnt, eine zulassungsfreie Revision nicht begründen (vgl. z.B. BFH-Beschluß vom 16. September 1991 IX R 43/91, BFH/NV 1992, 187, m.w.N.). Das gleiche gilt für seine Rüge, das FG habe seine Sachaufklärungspflicht nicht erfüllt. Da eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nach Ergehen des Urteils nicht mehr möglich ist (vgl. Urteil in BFH/NV 1995, 221), kann in diesem Verfahren offenbleiben, ob die Verweigerung einer Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung überhaupt einen Verfahrensverstoß gemäß § 116 FGO bilden würde.

Die --vom Kläger ausdrücklich als solche gekennzeichnete-- Revision kann nicht in eine Nichtzulassungsbeschwerde umgedeutet werden (ständige Rechtsprechung, vgl. zuletzt BFH-Beschluß vom 7. Oktober 1997 IV R 29/96, BFH/NV 1998, 345).

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