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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 03.03.2004
Aktenzeichen: X R 17/98
Rechtsgebiete: ZPO, EStG


Vorschriften:

ZPO § 323
EStG § 12
EStG § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute und wurden für die Streitjahre 1991 und 1992 zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Mit notariellem Übertragungs- und Pflichtteilsverzichtsvertrag vom 6. Oktober 1980 hatte die damals 67 Jahre alte Mutter des Klägers, Frau B, diesem ein bebautes Grundstück zu Alleineigentum übertragen. Das Gebäude enthielt eine einzige Wohnung. "Als Gegenleistung" für die Grundstücksübertragung hatte er sich verpflichtet, seiner Mutter eine lebenslängliche wertgesicherte Rente in Höhe von monatlich 600 DM zu zahlen. Durch privatschriftliche Verträge vom 15. Dezember 1980 und 1. Januar 1986 vereinbarten der Kläger und seine Mutter, dass sie "entsprechend § 323 der Zivilprozessordnung (ZPO)" berechtigt sein sollen, eine Anpassung der wiederkehrenden Leistungen zu verlangen, wenn sich die Verhältnisse wesentlich ändern, die für die Entrichtung der Leistungen, für die Bestimmung der Höhe der Leistungen und der Dauer ihrer Entrichtung maßgebend waren. Der Kläger erzielte aus der Vermietung der Wohnung in den Streitjahren Überschüsse in Höhe von 6 840 DM (1991) und von 8 380 DM (1992).

In den Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre beantragten die Kläger, eine dauernde Last in Höhe von jeweils 7 200 DM zum Abzug als Sonderausgabe (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 a des Einkommensteuergesetzes --EStG--) zuzulassen. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) sah die wiederkehrenden Zahlungen wie in den Vorjahren als Leibrente an und ließ nur den Ertragsanteil zum Abzug als Sonderausgabe zu. Mit der hiergegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage trugen die Kläger vor, die Abziehbarkeit der Versorgungsleistungen als dauernde Last ergebe sich vorliegend --auch ohne ausdrückliche Bezugnahme auf § 323 ZPO-- aus der Rechtsnatur des Versorgungsvertrages.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen. Es war der Auffassung, das überlassene Grundstück stelle schon angesichts der geringen Überschüsse keine existenzsichernde Wirtschaftseinheit dar. Im Übrigen habe eine dauernde Last nicht nachträglich vereinbart werden können. Das Urteil des FG ist veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1998, 729.

Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Der Große Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) habe mit Beschluss vom 12. Mai 2003 GrS 1/00 (BFHE 202, 464, BStBl II 2004, 95) entschieden, dass der erzielbare Ertrag nicht notwendigerweise mit den steuerlichen Einkünften identisch sei. Aufgrund des langen Zeitablaufs seien die Verhältnisse bei Übergabe des Vermögens im Jahre 1980 nicht mehr aufklärbar. Ausweislich des ab dem 1. Januar 1983 abgeschlossenen Mietvertrages sei das Grundstück zu einem Mietpreis von monatlich 960 DM zuzüglich sämtlicher Nebenkosten auf die Dauer von 10 Jahren vermietet worden. Unter Berücksichtigung der hinzuzurechnenden Absetzung für Abnutzung (AfA) habe die dauernde Last schon damals und erst recht heute aus dem Nettoertrag gezahlt werden können.

Die Kläger beantragen, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Einkommensteuerbescheide 1991 und 1992 in der Fassung der Einspruchsentscheidung dahin abzuändern, dass die jeweils gezahlten 7 200 DM in voller Höhe als Sonderausgaben abgezogen werden.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Das FA trägt --nach Ergehen des Beschlusses in BFHE 202, 464, BStBl II 2004, 95-- vor: Der Große Senat habe die Auffassung der Verwaltung bestätigt, dass eine als Sonderausgabe abziehbare dauernde Last nur dann vorliege, wenn die Versorgungsleistungen aus den erzielbaren laufenden Nettoerträgen des übergebenen Vermögens gezahlt werden könnten. Die Ertragsprognose müsse auf die Verhältnisse bei Vertragsabschluss abstellen, wobei der durchschnittliche Nettoertrag des Jahres der Übergabe und der beiden vorangegangenen Jahre maßgebend sei. Die Kläger hätten nicht nachgewiesen, dass die Versorgungsleistungen aus dem durchschnittlichen Nettoertrag der Jahre 1978 bis 1980 hätten gezahlt werden können. Ihr Hinweis, dass die Verhältnisse im Zeitpunkt der Vermögensübergabe denjenigen der Streitjahre entsprochen hätten, reiche insoweit nicht aus.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Zu Unrecht hat das FG die Voraussetzungen für die Abziehbarkeit einer dauernden Last verneint.

1. Als Sonderausgaben abziehbar sind die auf besonderen Verpflichtungsgründen beruhenden Renten und dauernden Lasten, die nicht mit Einkünften im Zusammenhang stehen, die bei der Veranlagung außer Betracht bleiben (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 a EStG). Dauernde Lasten sind in vollem Umfang abziehbar, Leibrenten hingegen nur mit dem Ertragsanteil, der sich aus der Tabelle des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG ergibt. Demgegenüber dürfen die in § 12 EStG genannten Ausgaben weder bei den einzelnen Einkunftsarten noch vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden, "soweit in den §§ 10 Abs. 1 Nrn. 1, 2 bis 9, 10 b und 33 bis 33c nichts anderes bestimmt ist". Vom Abzugsverbot erfasst sind u.a. freiwillige Zuwendungen und Zuwendungen auf Grund einer freiwillig begründeten Rechtspflicht (§ 12 Nr. 2 EStG). Dies gilt auch für die im Einleitungssatz des § 12 EStG nicht erwähnten Renten und dauernden Lasten (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 a EStG), soweit diese --außerhalb der für die Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen geltenden Sonderregelung-- Unterhaltsleistungen oder Leistungen aufgrund freiwillig begründeter Rechtspflicht sind (Senatsurteil vom 27. Februar 1992 X R 139/88, BFHE 167, 381, BStBl II 1992, 612). Im Zusammenhang mit einer Vermögensübergabe zur Vorwegnahme der Erbfolge vereinbarte wiederkehrende Leistungen, die nicht aus den erzielbaren Nettoerträgen des übernommenen Vermögens gezahlt werden können, sind nicht als dauernde Last abziehbar. Sie sind grundsätzlich Entgelt für das übernommene Vermögen (Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 202, 464, BStBl II 2004, 95).

2. Dies vorausgesetzt liegen die Voraussetzungen für den Abzug einer dauernden Last insoweit vor, als sich der Kläger anlässlich der Übernahme eines ertragbringenden Wirtschaftsguts zur Zahlung abänderbarer Leistungen verpflichtet hat.

a) Ein Einfamilienhaus gehört nach der ständigen, durch den vorstehend genannten Beschluss des Großen Senats des BFH bestätigten Rechtsprechung und nach der Verwaltungsauffassung (Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen --BMF-- vom 26. August 2002 IV C 3 -S 2255- 420/02, BStBl I 2002, 893 Tz. 8) zu den --bisher unter der Bezeichnung "existenzwahrend" zusammengefassten-- Vermögensarten, deren Übergabe zum Abzug einer dauernden Last führen kann (Senatsbeschluss vom 10. November 1999 X R 46/97, BFHE 189, 497, BStBl II 2000, 188). Dies ist ungeachtet dessen anzunehmen, dass sich die Übergeberin soweit ersichtlich im Wesentlichen den gesamten Ertrag des Grundstücks vorbehalten hat.

Der steuerrechtlichen Behandlung der Versorgungsleistungen als dauernde Last/sonstige wiederkehrende Bezüge (§ 22 Nr. 1 Satz 1 EStG) liegt die normleitende Vorstellung zugrunde, dass der Übergeber "das Vermögen --ähnlich wie beim Nießbrauchsvorbehalt-- ohne die vorbehaltenen Erträge, die ihm nunmehr als Versorgungsleistungen zufließen, übertragen hat". Hierzu hat der Große Senat des BFH in BFHE 202, 464, BStBl II 2004, 95 des Weiteren ausgeführt: "Maßgebendes Kriterium für die Frage, ob ein Wirtschaftsgut Gegenstand einer unentgeltlichen Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen sein kann, ist die Vergleichbarkeit mit dem Vorbehaltsnießbrauch. Die Vermögensübergabe muss sich so darstellen, dass die vom Übernehmer zugesagten Leistungen --obwohl sie von ihm erwirtschaftet werden müssen-- als zuvor vom Übergeber vorbehaltene --abgespaltene-- Nettoerträge vorstellbar sind." Diese Begründung lässt eine Einschränkung etwa des Inhalts, dass sich Übergeber und Übernehmer des Vermögens dessen Nettoerträge teilen müssten, nicht zu. Eine solche Restriktion wäre mit der dogmatischen Grundlegung der dauernden Last nicht vereinbar; für sie gäbe es auch keinen rechtlich begründbaren Maßstab.

b) Es kann dahingestellt bleiben, ob eine kurze Zeit nach Abschluss des Übergabevertrages hinzugefügte klarstellende oder präzisierende Ergänzung als Vertragsbestandteil anerkannt werden kann. Die Hinzufügung dieser Klausel hat jedenfalls dann lediglich deklaratorischen Charakter, wenn die Versorgungsrente aus den Erträgen des übertragenen Vermögens gezahlt werden kann (vgl. zur Abänderbarkeit der Versorgungsleistungen "nach der Rechtsnatur des Versorgungsvertrages" Beschluss des Großen Senats des BFH vom 5. Juli 1990 GrS 4-6/89, BFHE 161, 317, 328, BStBl II 1990, 847; zusammenfassend z.B. Senatsurteil vom 27. August 1997 X R 54/94, BFHE 184, 337, BStBl II 1997, 813, mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen).

c) Dem FG kann nicht darin gefolgt werden, dass im Streitfall die vorbehaltenen Vermögenserträge betragsmäßig unbedeutend seien. Zum einen stellt die Rechtsprechung für die Anerkennung der Steuerfolgen eines Vermögensübergabevertrages nicht darauf ab, ob der Übergeber für seine Versorgung auf die private Versorgungsrente angewiesen ist (Senatsurteile vom 29. Januar 1992 X R 193/87, BFHE 167, 95, BStBl II 1992, 465; vom 16. März 1999 X R 87/95, BFH/NV 2000, 12). Andererseits reicht es aus, wenn durch die Erträge des Vermögens die Versorgung des Übergebers zumindest teilweise sichergestellt ist (ständige Rechtsprechung, zuletzt Senatsurteil vom 16. Mai 2001 X R 53/99, BFH/NV 2001, 1388).

3. Die angefochtene Entscheidung entspricht diesen Grundsätzen nicht. Da sie sich auch nicht aus anderen Gründen als zutreffend erweist, ist sie aufzuheben (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Die nicht spruchreife Sache wird an das FG zurückverwiesen. Dieses wird die Frage prüfen, ob die dauernde Last aus den Nettoerträgen des übergebenen Einfamilienhauses erbracht werden kann. Hierbei wird es berücksichtigen, dass dem nach steuerlichen Vorschriften ermittelten Nettoertrag aus Vermietung und Verpachtung die AfA, erhöhte Absetzungen und Sonderabschreibungen sowie außerordentliche Aufwendungen hinzuzurechnen sind (Beschluss des Großen Senats in BFHE 202, 464, BStBl II 2004, 95; vgl. auch BMF-Schreiben in BStBl I 2002, 893 Tz. 14). Eine solche Korrektur des Nettoertrags ist bislang unterblieben.

4. Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass die Nichterweislichkeit des maßgeblichen Sachverhalts im Zeitpunkt des Vermögensübergabevertrages vorliegend nicht notwendigerweise zum Nachteil der Kläger gereicht. Diese hatten weder materiell- noch verfahrensrechtlich Veranlassung, bezogen auf weit zurückliegende Tatsachen Beweisvorsorge zu treffen (vgl. BFH-Urteil vom 10. Oktober 1996 III R 118/95, BFH/NV 1997, 337), zumal die für die Abziehbarkeit einer dauernden Last rechtlich maßgebende Dogmatik der vorbehaltenen Vermögenserträge erst etwa ab dem Jahre 1990 präzisiert worden ist; diese Rechtsentwicklung hat mit dem Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 202, 464, BStBl II 2004, 95 ihren endgültigen Abschluss gefunden. Dies allein und eine lange Verfahrensdauer rechtfertigen freilich noch nicht eine Umkehr der Beweislast (BFH-Urteil vom 23. Februar 1999 IX R 19/98, BFHE 188, 264, BStBl II 1999, 407; Bundesverwaltungsgericht --BVerwG--, Beschluss vom 12. Dezember 2000 11 B 76.00, Neue Juristische Wochenschrift 2001, 841, m.w.N. der Rechtsprechung). Nur eine schuldhafte Beweisvereitelung seitens der beklagten Behörde --für die indes vorliegend nichts spricht-- könnte zu einer Beweislastumkehr zu Gunsten der Kläger führen. Indes erfordern das Gebot des wirksamen Rechtsschutzes und der Grundsatz der Fairness des Verfahrens, dass die Regeln einer strengen Überzeugungsbildung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) in der Weise abzumildern sind, dass das Gericht aufgrund reduzierter Anforderungen an die Gewissheit der Tatsachenfeststellungen entscheidet (vgl. hierzu Senatsurteil vom 15. Februar 1989 X R 16/86, BFHE 156, 38, BStBl II 1989, 462). Der Umfang, in dem das Beweismaß abzusenken ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles. Das FG wird auch zu berücksichtigen haben, in welchem Umfang sich die Beteiligten um eine umfassende Aufklärung bemüht haben (vgl. BFH-Urteil in BFHE 188, 264, BStBl II 1999, 407). Auf dieser Grundlage könnte vorliegend in tatsächlicher Hinsicht insbesondere der Schluss verfahrensrechtlich möglich sein, dass die für das Streitjahr und die Folgejahre ermittelbaren Daten einen verlässlichen Rückschluss auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der Vermögensübergabe zulassen.

Ende der Entscheidung

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