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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 20.03.2002
Aktenzeichen: X R 34/00
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 10e Abs. 6
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) erwarben durch notariellen Vertrag vom 2. November 1990 von einer Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft als Berechtigte je zur Hälfte ein seit 1965 bestehendes Erbbaurecht. Eigentümerin des bereits vermessenen und erschlossenen Grundstücks ist eine Kirchengemeinde. Das Erbbaurecht läuft bis zum 31. Dezember 2082.

Die Kläger mussten das Erbbaurecht innerhalb von zwei Jahren nach Vertragsschluss mit einem Wohnhaus nebst Garage bebauen. Die Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft übernahm die der Gemeinde gegenüber übernommene Erschließungsverpflichtung auch gegenüber den Klägern. Als Gegenleistung sollten diese ab dem 1. Januar 1991 die Verpflichtung der Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft zur Zahlung des jährlichen Erbbauzinses in Höhe von 2 716 DM übernehmen und für die Erschließung einen Betrag von 169 DM je qm (= 118 300 DM) bezahlen. Der als "Kaufvertrag" bezeichnete Vertrag enthält zahlreiche Streichungen und Ergänzungen. Der ursprünglich vorgesehene Passus, nach dem die Erschließungskosten für die "Übertragung des Erbbaurechts" erstattet wurden, ist ebenso gestrichen wie der Hinweis, dass es sich um einen Festpreis handelt. Die Vertragsparteien waren sich darin einig, dass der von der Gemeinde zu zahlende Zuschuss zu den Erschließungskosten dem Wohnungsunternehmen zusteht. Zusätzlich zum "Kaufpreis" übernahmen die Kläger die Kosten des Kanalanschlusses.

Am 15. September 1992 bezogen die Kläger das von ihnen auf dem Erbbaugrundstück errichtete Gebäude.

In den Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre 1990 und 1991 beantragten die Kläger, Erschließungskosten in Höhe von 70 750,84 DM (1990) und 50 000 DM (1991) als Vorkosten nach § 10e Abs. 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu berücksichtigen.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) ließ die Aufwendungen nur insoweit zum Abzug zu, als sie auf den Zeitraum vor der erstmaligen Nutzung der Wohnung entfielen. Der Einspruch der Kläger war erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) gab der dagegen erhobenen Klage statt. Es führte aus, die Erschließungskosten seien in voller Höhe Vorkosten gemäß § 10e Abs. 6 EStG und keine Anschaffungskosten des Grund und Bodens oder des Erbbaurechts. Nach dem eindeutigen Vertragsinhalt seien sie nicht für die Übertragung des Erbbaurechts, sondern nur für die Durchführung der Erschließung bezahlt worden. Wegen der fehlenden Gegenseitigkeit der Übertragung des Erbbaurechts einerseits und der Zahlung der Erschließungskosten andererseits sei auch unerheblich, ob der Wohnungsgesellschaft die tatsächlich entstandenen Erschließungskosten erstattet worden seien oder sich die Parteien auf einen Festpreis für die Erschließung geeinigt hätten.

Zudem hätten die Kläger aufgrund der zur Selbstbindung der Verwaltung führenden Billigkeitsregelung im Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 31. Dezember 1994 IV B 3 -S 2225a- 294/94 (BStBl I 1994, 887, Rz. 119) einen Rechtsanspruch auf Anerkennung der geltend gemachten Aufwendungen für die Erschließung ihres Grundstücks gemäß § 10e Abs. 6 EStG in voller Höhe.

Wegen weiterer Einzelheiten der Urteilsbegründung wird auf die Veröffentlichung in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2000, 997 Bezug genommen.

Mit der Revision rügt das FA sinngemäß Verletzung des § 10e Abs. 6 EStG.

Es beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen sinngemäß, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Die von den Klägern lt. notariellem Vertrag vom 2. November 1990 übernommenen Erschließungskosten sind Anschaffungskosten für das Erbbaurecht, die grundsätzlich nach § 10e Abs. 6 EStG begünstigt sind. Da der Abzug als Vorkosten jedoch voraussetzt, dass die Aufwendungen im Fall der Vermietung oder Verpachtung der Wohnung als Werbungskosten abgezogen werden könnten, sind sie auf die Laufzeit des Erbbaurechts zu verteilen und nur insoweit abziehbar, als sie auf die Zeit vor Bezug der Wohnung entfallen.

a) Zutreffend hat das FG darauf hingewiesen, dass die Frage der einkommensteuerlichen Behandlung der vom Erbbauberechigten übernommenen Erschließungskosten in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) unterschiedlich beurteilt worden ist.

Während ursprünglich --im Zusammenhang mit den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung-- diese Erschließungskosten zu den Anschaffungskosten des Erbbauberechtigten für das Erbbaurecht gerechnet worden sind, die im Wege der Absetzung für Abnutzung auf die Laufzeit des Erbbaurechts zu verteilen sind (BFH-Urteil vom 22. Februar 1967 VI 295/65, BFHE 88, 285, BStBl III 1967, 417), wird in der Übernahme von Erschließungskosten bei bilanzierenden Erbbauberechtigten ein zusätzliches Entgelt für die Nutzungsüberlassung des Grundstücks durch den Erbbauverpflichteten gesehen, das in der Bilanz des Erbbauberechtigten als aktiver, in derjenigen des Erbbauverpflichteten als passiver Rechnungsabgrenzungsposten auszuweisen und jeweils auf die Dauer des Erbbaurechts zu verteilen ist (BFH-Urteil vom 14. September 1999 IX R 31/96, BFH/NV 2000, 558, m.w.N.). Hiernach ist es gleichgültig, ob der Erbbauberechtigte die Erschließungskosten unmittelbar trägt oder sie dem Grundstückseigentümer erstattet (BFH-Urteil vom 8. Dezember 1988 IV R 33/87, BFHE 155, 532, BStBl II 1989, 407).

Der für Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung zuständige IX. Senat des BFH hat es bislang ausdrücklich offen gelassen, inwieweit die zu den Gewinneinkünften entwickelten Grundsätze auf die Erzielung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung übertragbar sind (z.B. Urteil in BFH/NV 2000, 558); die Anwendung der für die bilanzierenden Erbbauberechtigten geltenden Rechtsprechung im Bereich der Überschusseinkünfte sei zweifelhaft, weil bei den Überschusseinkünften nicht die Möglichkeit bestehe, ein Nutzungsentgelt auf die Laufzeit des Nutzungsrechts zu verteilen (BFH-Urteil vom 23. April 1991 IX R 86/89, BFHE 164, 275, BStBl II 1991, 712).

b) Auch im Streitfall bedarf die Frage nach der einkommensteuerrechtlichen Beurteilung der vom Erbbauberechtigten übernommenen Erschließungskosten keiner abschließenden Beurteilung; denn die strittigen Aufwendungen stellen bereits aus anderen Gründen Anschaffungskosten des von den Klägern erworbenen Erbbaurechts dar.

Der IX. Senat des BFH geht in ständiger Rechtsprechung jedenfalls dann von Anschaffungskosten des Erbbaurechts aus, wenn der Erbbauberechtigte das Erbbaurecht nicht vom Grundstückseigentümer, sondern von einem erbbauberechtigten Rechtsvorgänger erwirbt und für den Erwerb des Erbbaurechts einschließlich Erschließung des Erbbaurechts einen festen Quadratmeterpreis zu zahlen hat (z.B. BFH-Urteil vom 23. November 1993 IX R 84/92, BFHE 173, 61, BStBl II 1994, 292), mit der Folge, dass das Entgelt für die Erschließung nicht sofort, sondern nur verteilt auf die Laufzeit des Erbbaurechts als Werbungskosten abgezogen werden darf (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7 EStG). Dieser Auffassung hat sich der erkennende Senat im Urteil vom 27. Juli 1994 X R 97/92 (BFHE 175, 115, BStBl II 1994, 934, unter II. 1. e) für den Fall angeschlossen, dass der Steuerpflichtige das Erbbaurecht nicht vom Grundstückseigentümer, sondern von einem erbbauberechtigten Wohnungsunternehmen erwirbt und diesem für die Erschließung des Grundstücks einen pauschal ermittelten Betrag zahlt. Liegen diese Voraussetzungen vor, sind die Erschließungskosten Anschaffungskosten des Erbbaurechts, auch wenn --anders als in der Entscheidung in BFHE 175, 115, BStBl II 1994, 934-- das zu erstellende Eigenheim nicht von dem Wohnungsunternehmen zu einem Festpreis errichtet, sondern von den Erbbauberechtigten selbst gebaut wird.

c) Es kann dahingestellt bleiben, ob beim Erwerb des Erbbaurechts von einem Rechtsvorgänger Erschließungskosten nur dann als Anschaffungskosten des Erbbaurechts zu beurteilen sind, wenn dem Veräußerer nicht die konkret entstandenen Aufwendungen vergütet werden, sondern ein pauschal ermittelter Betrag bezahlt wird. Im Streitfall haben die Kläger jedenfalls das Erbbaurecht von einem erbbauberechtigten Wohnungsunternehmen erworben und --entgegen der Auffassung des FG-- auch einen festen Quadratmeterpreis für die Erschließung entrichtet.

aa) Die Kläger hatten nach den vertraglichen Bestimmungen an das Wohnungsunternehmen für die Erschließung des Erbbaurechts einen Betrag in Höhe von 169 DM je qm zu zahlen. Obwohl das Erbbaugrundstück bereits erschlossen war und die tatsächlich entstandenen Erschließungskosten somit feststanden, findet sich im notariellen Vertrag kein Hinweis darauf, wie sich dieser Betrag auf die einzeln aufgeführten Erschließungsmaßnahmen aufgliedert. Die Kläger mussten vielmehr für die Erschließung an das Wohnungsunternehmen den gleichen Preis entrichten, den dieses auch in Fällen, in denen das Erbbaurecht an einem noch nicht erschlossenen Grundstück übertragen wurde (vgl. Senatsurteil in BFHE 175, 115, BStBl II 1994, 934 zum Erbbaurecht an einem Grundstück im selben Erschließungsgebiet), vereinnahmte. Das Gesamtrisiko hinsichtlich der Erschließungskosten trug somit das Wohnungsunternehmen. Auch die Behandlung des gemeindlichen Zuschusses spricht dafür, dass die Kläger für die Erschließung des Erbbaurechts einen Festpreis bezahlt haben.

bb) Die Zahlung der Erschließungskosten war auch Gegenleistung für die Übertragung des Erbbaurechts. Zwar wurde im beurkundeten Vertrag der Passus, wonach die Kläger einen Betrag von 118 300 DM nicht nur für die Erschließung des Grundstücks, sondern auch "für die Übertragung des Erbbaurechts" zahlen, gestrichen. Dies ist jedoch nicht entscheidend, da sich aus dem gesamten Vertragsinhalt ergibt, dass die Übernahme der Erschließungskosten des Grundstücks Gegenleistung für die Übertragung des Erbbaurechts auf die Kläger sein sollte. In dem mit "Gegenleistung" überschriebenen Abschnitt der als "Kaufvertrag" bezeichneten Urkunde wird nicht nur die Übernahme der Erbbauzinsverpflichtung durch die Kläger, sondern auch die Zahlung der Erschließungskosten geregelt. Die Kosten des Kanalanschlusses sollten nicht durch die vereinbarte "Gegenleistung" abgegolten sein. Der Notar war angewiesen, die Umschreibung des Erbbaurechts im Grundbuch erst zu beantragen, nachdem ihm die Zahlung des "Kaufpreises" bestätigt wurde. Schließlich kommt hinzu, dass eine separate Veräußerung des Erbbaurechts an dem bereits erschlossenen Grundstück und der Erschließungsmaßnahmen nicht nur wirtschaftlich, sondern auch rechtlich ausgeschlossen ist.

2. Auch aus Rz. 119 des BMF-Schreibens in BStBl I 1994, 887 lassen sich keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Einkommensteuerfestsetzungen für die Jahre 1990 und 1991 herleiten. Nach diesem Übergangserlass ist die Regelung in Rz. 93 des BMF-Schreibens in BStBl I 1994, 887, wonach zu den Anschaffungskosten des Erbbaurechts gehörende Erschließungskosten nach § 10e Abs. 6 EStG abziehbar sind, nicht anwendbar, soweit die Anwendung dieser Bestimmung zu einer Verschärfung der Besteuerung führt und der rechtswirksame Abschluss des Erbbaurechtsvertrags oder des auf die Übertragung eines Erbbaurechts gerichteten Vertrags vor dem 1. Januar 1992 liegt. Derartige Übergangserlasse sind, wenn sie eine ausreichende Rechtsgrundlage haben, auch von den Steuergerichten zu beachten (Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BStBl II 1972, 603, 609; BFH-Urteil vom 15. Januar 1986 II R 141/83, BFHE 145, 453, BStBl II 1986, 418, m.w.N.; vgl. auch BFH-Urteil vom 12. Januar 1989 IV R 87/87, BFHE 155, 487, BStBl II 1990, 261). Seit In-Kraft-Treten der Abgabenordnung (AO 1977) können die Steuergerichte Übergangserlasse jedoch nicht mehr im Anfechtungsverfahren gegen Steuerbescheide bzw. Feststellungsbescheide berücksichtigen (BFH-Urteile vom 28. November 1980 VI R 226/77, BFHE 132, 264, BStBl II 1981, 319, und vom 28. April 1987 IX R 40/81, BFH/NV 1987, 712). Daran hat sich auch durch die am 1. Januar 1996 in Kraft getretene Regelung, wonach auch die Ablehnung einer Billigkeitsmaßnahme mit dem Rechtsbehelf des Einspruchs angefochten wird (vgl. § 347 AO 1977 i.d.F. des Grenzpendlergesetzes vom 24. Juni 1994, BStBl I 1994, 440), nichts geändert (vgl. von Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 227 AO 1977 Rz. 376).

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