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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 14.05.2003
Aktenzeichen: X R 47/00
Rechtsgebiete: EStG, FGO


Vorschriften:

EStG § 10e Abs. 1 Satz 2
EStG § 10e Abs. 2
EStG § 10e Abs. 1 Satz 4 Halbsatz 2
FGO § 118 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) erwarb durch notariellen Vertrag vom 9. Juni 1995 zusammen mit ihrem Lebensgefährten S ein mit einem Fachwerkhaus bebautes Grundstück in X. Die Klägerin und S, je zur Hälfte Miteigentümer des Grundstücks, renovierten das Gebäude nach Erwerb umfassend. Sie erneuerten die Elektro-, Wasser- und Abwasserinstallation und errichteten im Kellergeschoss eine Ölheizungsanlage. Im Erdgeschoss brachen sie nichttragende Zwischenwände ab und bauten zur Vergrößerung des Dielen- und Wohnbereichs neue Trennwände ein. Ein Teil der Geschossdecke im linken Gebäudeteil wurde, um die Raumhöhe zu vergrößern, angehoben. Ferner bauten die Eigentümer eine neue Geschosstreppe im Erdgeschoss ein und renovierten das dort gelegene Bad. Im Obergeschoss entfernten sie nichttragende Innenwände, um diesen Gebäudeteil als offenen Wohnbereich nutzen zu können. Die tragenden Wände wurden entkernt und schadhafte Balkenteile dort ebenso wie im Erdgeschoss saniert. Der vorhandene Dachstuhl wurde abgebrochen und ein neuer unter Einbau von Schleppgauben errichtet. Die Klägerin und S konnten dadurch neuen Wohnraum (Schlafzimmer und Bad) schaffen. Der Zugang wurde durch den Einbau einer Spindeltreppe ermöglicht. Das Dachgeschoss war in seinem früheren Zustand nicht ausgebaut. Die Klägerin und S erneuerten darüber hinaus die Fenster in der Hinterfront des Gebäudes.

In den Einkommensteuerbescheiden für die Kalenderjahre 1995 bis 1997 berücksichtigte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) gemäß § 10e Abs. 1 Satz 4 Halbsatz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) den Abzugshöchstbetrag von je 4 500 DM für Altbauten. Die Einkommensteuerbescheide für 1995 und 1996 wurden bestandskräftig. Im Einspruchsverfahren gegen den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 1997 machte die Klägerin aus den (hälftigen) Anschaffungskosten für den Grund und Boden, den Anschaffungskosten für das Gebäude und den angefallenen Baukosten einen Abzugsbetrag nach § 10e Abs. 1 Satz 2 EStG geltend. Der Einspruch blieb erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es führte im Wesentlichen aus:

Das Gebäude sei als in bautechnischer Hinsicht neu zu bewerten. Es seien wesentliche Elemente im Hinblick auf die Geschossdecken, die Dachkonstruktion und die tragenden Innenwände verändert worden. Im Ergebnis sei ein sehr altes Fachwerkhaus im Inneren nahezu vollständig entkernt und neu gestaltet worden. Außenmauern und Fundamente seien zwar nicht erneuert worden, dies sei aber im Streitfall nicht entscheidend. Das Gepräge des neuen Gebäudes bildeten die vielen einzelnen Maßnahmen, die bautechnisch ineinander griffen. Das neue Gebäude habe höhere Geschossdecken, einen völlig neuen Dachstuhl und neue Treppen. Der Lichteinfall im Flur sei verbessert worden. Darüber hinaus seien entscheidende Eingriffe in die Bausubstanz und weitgehende bautechnische Veränderungen nicht zu umgehen gewesen. Von besonderer Bedeutung sei, dass das alte Dachgeschoss für Wohnzwecke völlig ungeeignet gewesen sei, viele tragende Teile und verschiedene Innenwände hätten versetzt werden müssen. Eine Wendeltreppe sei ganz neu eingefügt worden.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 10e Abs. 1 Satz 2 EStG. Die umfassenden Renovierungsarbeiten hätten die Eigenart des Gebäudes nicht verändert. Durch sie sei nur die bereits vorhandene nichttragende Bausubstanz erneuert worden. Dies gelte allerdings nicht für den Dachgeschossausbau; hier sei unstreitig neuer Wohnraum geschaffen worden. Insoweit wäre bei entsprechender Antragstellung eine Berücksichtigung nach § 10e Abs. 2 EStG möglich gewesen.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie macht u.a. geltend:

Im Zuge der Baumaßnahmen seien auch große Teile der Erdgeschossdecke und tragende Teile der Zwischenwände im Erd- und Obergeschoss erneuert worden.

II. Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

Die tatsächlichen Feststellungen des FG erlauben keine abschließende Entscheidung darüber, ob die Klägerin und S eine neue Wohnung i.S. des § 10e Abs. 1 Satz 2 EStG hergestellt haben.

a) Stellt der Steuerpflichtige eine zu eigenen Wohnzwecken genutzte Wohnung her, kann er --unter weiteren hier nicht streitigen Voraussetzungen-- im Jahr der Fertigstellung und den folgenden drei Jahren bis zu 6 v.H. der Herstellungskosten wie Sonderausgaben abziehen (§ 10e Abs. 1 Satz 1 EStG).

Zu Unrecht hat das FG aufgrund des festgestellten Sachverhalts die Umbau- und Instandsetzungsmaßnahmen als Herstellung einer neuen Wohnung beurteilt.

Herstellung einer Wohnung i.S. des § 10e Abs. 1 Satz 2 EStG bedeutet nach der Rechtsprechung des Senats das Schaffen einer neuen, bisher nicht vorhandenen Wohnung (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsurteile vom 15. November 1995 X R 102/95, BFHE 179, 290, BStBl II 1998, 92; vom 11. September 1996 X R 46/93, BFHE 181, 294, BStBl II 1998, 94; vom 25. August 1999 X R 57/96, BFH/NV 2000, 186; vom 15. Mai 2002 X R 36/99, BFH/NV 2002, 1158). Baumaßnahmen an einem bestehenden Gebäude können deshalb nur dann als Herstellung einer Wohnung i.S. des § 10e Abs. 1 Satz 2 EStG beurteilt werden, wenn die Baumaßnahmen einem Neubau gleichkommen. Das Gebäude muss bautechnisch neu sein.

Es genügt nicht, dass die Aufwendungen für die Instandsetzung, die Renovierung und ggf. Modernisierung des Gebäudes in ihrer Gesamtheit über die zeitgemäße Substanz erhaltende Bestandteilerneuerung hinaus den Gebrauchswert des Hauses insgesamt erhöhen. Eine Neuherstellung kann auch nicht unter dem Gesichtspunkt der "Generalüberholung" angenommen werden. Der Begriff hat nach der neueren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) keine eigenständige steuerrechtliche Bedeutung, sondern umschreibt lediglich in tatsächlicher Hinsicht den Vorgang umfangreicher Instandsetzungs- und Modernisierungsarbeiten (BFH-Urteile vom 9. Mai 1995 IX R 116/92, BFHE 177, 454, BStBl II 1996, 632, unter I. 4. a; vom 17. Dezember 1997 X R 54/96, BFH/NV 1998, 841, m.w.N.).

Nur wenn ein Gebäude infolge Abnutzung unbrauchbar geworden ist (Vollverschleiß), wird durch die Instandsetzungsarbeiten unter Verwendung der übrigen noch nutzbaren Teile ein neues Wirtschaftsgut hergestellt. Unbrauchbar im Sinne eines Vollverschleißes ist nach dem Senatsurteil in BFH/NV 1998, 841 (m.w.N.) ein Gebäude nur bei schweren Substanzschäden an den für die Nutzbarkeit als Bau und die Nutzungsdauer des Gebäudes bestimmenden Teilen, indes nicht schon dann, wenn es beispielsweise deshalb nicht vermietbar ist, weil es wegen Abnutzung und Verwahrlosung zeitgemäßen Wohnvorstellungen nicht mehr entspricht. Die Umgestaltung des umbauten Raums oder die grundlegende Sanierung reicht nicht aus. Vielmehr müssen die neu eingefügten Gebäudeteile dem Gesamtgebäude das bautechnische Gepräge geben. Das ist insbesondere der Fall, wenn verbrauchte Teile ersetzt werden, die für die Nutzungsdauer bestimmend sind, wie z.B. Fundamente, tragende Außen- und Innenwände, Geschossdecken und die Dachkonstruktion. Wird nur ein einziger für die Nutzungsdauer bestimmender Gebäudeteil erneuert, reicht dies in der Regel für die Beurteilung als bautechnisch neues Gebäude nicht aus (Senatsentscheidung in BFH/NV 2000, 186). Da bei einem Fachwerkhaus dem Fachwerkgebälk die tragende Funktion zukommt, ist hier darauf abzustellen, inwieweit dieses erneuerungsbedürftig war. Auch in diesem Fall muss die Altbausubstanz so tiefgreifend umgestaltet oder in einem solchen Ausmaß erweitert worden sein, dass die neu eingefügten Gebäudeteile der entstandenen Wohnung das Gepräge geben und die verwendeten Altteile wertmäßig untergeordnet erscheinen (BFH-Urteil in BFHE 181, 294, BStBl II 1998, 94). Das kann angenommen werden, wenn der angefallene Bauaufwand zuzüglich des Werts der Eigenleistungen nach überschlägiger Berechnung den Wert der Altbausubstanz (Verkehrswert) übersteigt. Bei diesem Vergleich müssen nach der Rechtsprechung des Senats jedoch typische Erhaltungsaufwendungen außer Betracht bleiben. Nur Aufwendungen, durch welche die verwendete Bausubstanz so tiefgreifend umgestaltet oder in einem solchen Ausmaß erweitert wird, dass die eingefügten Teile der Wohnung das Gepräge geben, sind dem Wert der Altbausubstanz gegenüberzustellen. Aufwendungen wie z.B. für die Erneuerung von Bodenbelägen, Fenstern und Türen, die Modernisierung der Heizung, die Überholung und Erweiterung der Elektroinstallation und die Badsanierung müssen deshalb außer Betracht bleiben.

b) Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall rechtfertigen die vom FG unter Bezugnahme auf das Schreiben des Bausachverständigen des FA B vom 5. April 2000 ausdrücklich festgestellten Baumaßnahmen dessen Beurteilung als Neuherstellung einer Wohnung nicht. Zwar gehört das komplett erneuerte Dach zu den Gebäudeteilen, die für die Nutzungsdauer eines Hauses bestimmend sind. Die Erneuerung des Daches allein gibt jedoch dem Gesamtgebäude nicht das bautechnische Gepräge eines neuen Hauses, zumal Fundament und Außenwände keiner durchgreifenden Erneuerung unterzogen wurden. Der Abbruch und Einbau nichttragender Innenwände muss ebenso außer Betracht bleiben wie die Erneuerung von Heizungsanlage, Elektro-, Wasser- und Abwasserinstallation, Bad, Fenstern und Treppen. Selbst wenn diese Aufwendungen in ihrer Gesamtheit den Gebrauchswert des Hauses über die zeitgemäße substanzerhaltende Bestandserneuerung hinaus insgesamt erhöhen, führen sie auch nicht in Verbindung mit der Erneuerung des gesamten Daches und der Ersetzung eines tragenden Balkens im Erdgeschoss zu Herstellungskosten.

Das FG hat zwar seine Entscheidung u.a. auch darauf gestützt, dass "wesentliche Elemente in Bezug auf die Geschossdecken ... und die tragenden Innenwände verändert" und "viele tragende Teile ... versetzt" werden mussten. Doch sind diese Aussagen für den Senat nicht i.S. des § 118 Abs. 2 FGO bindend. Sie stehen nämlich im Widerspruch zu den im Tatbestand des Urteils getroffenen Feststellungen. Im Ürigen hat das FG zum Umfang der die konstruktiven Teile betreffenden Baumaßnahmen im Innenbereich des Objekts keine Feststellungen getroffen. Konkret steht lediglich fest, dass im Zusammenhang mit dem Einbau der Geschosstreppe im Erdgeschoss ein tragender Balken ersetzt worden ist. Es ist nicht erkennbar, welchen bautechnischen Aufwand die vom FG erwähnte Anhebung der Geschossdecke erforderte.

c) Im zweiten Rechtsgang wird das FG festzustellen haben, inwieweit das Fachwerkgebälk durch die Baumaßnahmen erneuert worden ist. Nur wenn das Fachwerkgebälk der Innenwände bzw. der Geschossdecken und die Dachkonstruktion in einem Umfang erneuert werden mussten, dass der hierauf entfallende Bauaufwand zuzüglich des Wertes der Eigenleistungen der Klägerin nach überschlägiger Berechnung den Wert der Altbausubstanz (Verkehrswert) insoweit übersteigt, geben sie dem Gesamtgebäude das bautechnische Gepräge eines neuen Hauses. Der Bauaufwand, der auf die Instandsetzung, die Renovierung und Modernisierung der bereits vorhandenen Räume und des Gebäudes entfällt, bleibt bei dieser Vergleichsrechnung außer Ansatz.

d) Die Feststellungslast, in welchem Umfang verbrauchte Teile ersetzt wurden, die für die Nutzungsdauer eines Gebäudes bestimmend sind, sowie für den Umstand, dass der darauf entfallende Bauaufwand einschließlich des Werts der Eigenleistungen den Wert der Altbausubstanz übersteigt, trägt die Klägerin. Anhaltspunkt dafür kann bei einem Fachwerkhaus die Zahl der erneuerten Balken im Vergleich zum Umfang des verbliebenen Fachwerkgebälks bieten.

Ende der Entscheidung

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