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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 23.08.2000
Aktenzeichen: X R 63/96
Rechtsgebiete: WBVO, EStG, AO 1977


Vorschriften:

WBVO § 4 Abs. 1
EStG § 24
EStG § 34 Abs. 1
EStG § 34
EStG § 34c
AO 1977 § 175 Abs. 1 Satz 1
AO 1977 § 182 Abs. 1
AO 1977 § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
AO 1977 § 170 Abs. 2 Nr. 1
AO 1977 § 171 Abs. 10
AO 1977 § 171 Abs. 10 Satz 1
AO 1977 § 182 Abs. 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die in den Streitjahren 1985 und 1986 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. In den Anlagen GSE zu den Steuererklärungen waren u.a. Gewinnanteile des Klägers aus seiner Beteiligung als Kommanditist an der X-GmbH & Co. KG (im Folgenden: "KG") erklärt, bezeichnet als "tarifbegünstigte Einkünfte i.S. des § 24 EStG" (1985: 49 721 DM; 1986: 65 783 DM). Die KG fiel, soweit sie "elektrische Arbeit durch Wasserkräfte" erzeugte, mit ihrem gewerblichen Gewinn unter § 1 der Verordnung über die steuerliche Begünstigung von Wasserkraftwerken vom 26. Oktober 1944 --WBVO-- (RGBl I 1944, 278, RStBl 1944, 657), zuletzt geändert durch das Steueränderungsgesetz (StÄndG) vom 16. August 1977 (BGBl I 1977, 1586, BStBl I 1977, 450) sowie durch Art. 14 des Steuerbereinigungsgesetzes (StBereinG) 1985 vom 14. Dezember 1984 (BGBl I 1984, 1493, BStBl I 1984, 659). Dies hat gemäß § 4 Abs. 1 WBVO zur Folge, dass sich die Einkommensteuer, die auf den Gewinn aus den steuerbegünstigten Anlagen entfällt (ab Betriebsbeginn auf die Dauer von zwanzig Jahren), auf die Hälfte der gesetzlichen Beträge ermäßigt. Die gesonderte und einheitliche Feststellung des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt --FA--) --als Betriebs-FA der KG-- für die Streitjahre lautete insoweit --ebenso wie die hausinternen ESt 4 B-Mitteilungen-- auf Anteile an "tarifbegünstigten Einkünften i.S. d. Wasser-Kraftwerks VO" bzw. an "begünstigten Einkünften nach KraftwerkVO".

Die am 16. Juni 1987 (für 1985) und 8. Juni 1988 (für 1986) erlassenen (erstmaligen) Einkommensteuerbescheide, in denen das FA (als Wohnsitz-FA) die begünstigten Gewinnanteile jeweils mit ermäßigten Steuersätzen i.S. des § 34 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der damals maßgeblichen Fassung ansetzte, sind bestandskräftig geworden.

In den Einkommensteuer-Änderungsbescheiden vom 21. Juli 1989 bzw. vom 6. Dezember 1989 wurden die Gewinnanteile in unveränderter Höhe angesetzt und als nach "§ 34 EStG begünstigte Einkünfte" aufgeführt.

Am 26. April 1989 ergingen für die Streitjahre Feststellungsänderungsbescheide, in denen die --der Höhe nach unveränderten-- begünstigten Gewinnanteile als solche an "tarifbegünstigten Einkünften i.S. der KraftwerkVO" bezeichnet sind.

Nachdem das FA --als Wohnsitz-FA-- am 21. Juli 1989 erneut andere Besteuerungsgrundlagen betreffende Korrekturen an den Einkommensteuer-Festsetzungen für die Streitjahre vorgenommen, die steuerbegünstigten Gewinnanteile hierbei aber unverändert als solche nach § 34 Abs. 1 EStG berücksichtigt hatte, erhöhte es unter Berufung auf § 175 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) mit abermaligen Einkommensteuer-Änderungsbescheiden vom 16. Mai 1990 die Einkommensteuer-Festsetzungen für die Streitjahre, indem es nunmehr die auf die begünstigten Gewinnanteile entfallende tarifliche Steuer halbierte. Bezeichnet war die Steuerbegünstigung in diesen Änderungsbescheiden als "Ermäßigung für Erfinder". Dies ist darauf zurückzuführen, dass der Eingabewertbogen für Steuerbegünstigungen der hier in Frage stehenden Art keine Kennziffer vorsah, wohl aber für die Tarifermäßigung nach § 4 Nr. 3 der damals noch geltenden Verordnung über die einkommensteuerliche Behandlung der freien Erfinder vom 30. Mai 1951 (BGBl I 1951, 387, BStBl I 1951, 181, BGBl I 1969, 116, BStBl I 1984, 659, ErfVO), die rechnerisch zu demselben Resultat führte. In der Begründung zu den Änderungsbescheiden hierzu hieß es, die "steuerbegünstigten Einkünfte gem. WasserkraftVO" seien "anders wie bisher anzusetzen".

Während der Einspruch hiergegen keinen Erfolg hatte, gab das Finanzgericht (FG) der Klage statt. Es stellte sich auf den Standpunkt, die für die Streitjahre ergangenen Feststellungsbescheide hätten zwar mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht, dass es sich bei den dem Grunde und dem Ausgangsbetrag nach unstreitigen Steuerbegünstigungen um solche i.S. des § 4 Abs. 1 WBVO handle, die Verbindlichkeit dieser Entscheidung betreffe jedoch nur die Frage, ob eine solche Steuerermäßigung zu gewähren sei, nicht aber die, wie dies zu geschehen habe. Darum fielen Fehler, die --wie hier jeweils-- bei der Berechnung der Steuer unterlaufen seien (Gewährung eines günstigeren Steuersatzes, statt anteilige Minderung des Steuerbetrages), in den Regelungsbereich des Folgebescheids und könnten nach Eintritt der Bestandskraft nur nach den hierfür geltenden, im Streitfall nicht in Betracht kommenden Korrekturvorschriften richtiggestellt werden. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Veröffentlichung in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1996, 846 Bezug genommen.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts. Es ist der Meinung, das FG-Urteil beruhe auf einer fehlerhaften Auslegung des § 182 Abs. 1 AO 1977 sowie des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977.

Es beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen.

Die Kläger haben sich nicht geäußert.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--); denn die angefochtenen Bescheide sind im hier streitigen Umfang rechtmäßig.

1. Festsetzungsverjährung stand den streitigen Korrekturen nicht entgegen (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO 1977), weil im Hinblick auf die Abgabe der Steuererklärungen (11. März 1987 bzw. 29. April 1988) gemäß § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 bei Erlass der Korrekturbescheide am 16. Mai 1990 die vierjährige Verjährungsfrist (§ 169 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977) weder für 1985 noch für 1986 abgelaufen war, und zwar unabhängig davon, inwieweit Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 AO 1977 eingetreten war.

2. Zu Unrecht hat das FG im angefochtenen Urteil die Voraussetzungen für die Änderung der angefochtenen Bescheide gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 verneint.

Nach dieser Vorschrift ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Grundlagenbescheid, dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert wird. Ein solcher Grundlagenbescheid liegt gemäß § 171 Abs. 10 Satz 1 AO 1977 u.a. vor, soweit ein Feststellungsbescheid für die Festsetzung einer Steuer bindend ist. Wie weit eine solche Bindungswirkung reicht, richtet sich gemäß § 182 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 nach der Bedeutung, die den im Grundlagenbescheid getroffenen Feststellungen für den Folgebescheid zukommt. Dies hängt grundsätzlich von der Abgrenzung der den Grundlagenbescheiden einerseits und den Folgebescheiden andererseits zugewiesenen Regelungsbereiche ab (vgl. Entscheidungen des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 31. Oktober 1991 X R 126/90, BFH/NV 1992, 363; vom 9. März 1995 X B 242/94, BFH/NV 1995, 858; vom 23. Juli 1997 X B 55/97, BFH/NV 1998, 15; vom 11. Dezember 1997 III R 14/96, BFHE 185, 177, BStBl II 1999, 401, und vom 8. September 1998 IX B 71/98, BFH/NV 1999, 157).

Zur Bindungswirkung im Streitfall pflichtet der erkennende Senat der vom XI. Senat im Urteil vom 4. September 1996 XI R 50/96 (BFHE 181, 388, BStBl II 1997, 261) vertretenen Ansicht bei, im Grundlagenbescheid werde verbindlich nicht nur darüber entschieden, dass und in welchem Umfang eine Steuerermäßigung zu gewähren sei, sondern auch darüber, in welcher Art und Weise (nämlich durch Ermäßigung "auf die Hälfte der gesetzlichen Beträge") dies zu geschehen habe. Das Senatsurteil vom 4. Juni 1991 X R 35/88 (BFHE 164, 435, BStBl II 1992, 187) steht dem nicht entgegen, weil es die dort streitige Steuerermäßigung des § 34c EStG nur hinsichtlich ihrer höchstpersönlichen Kriterien dem Regelungsbereich des Folgebescheids zuordnet.

Die im Streitfall gebotene Abgrenzung der Regelungsbereiche, wonach dem Einkommensteuerbescheid nur die rein rechnerische Umsetzung der verbindlich in den Feststellungsbescheiden getroffenen Ermäßigungsentscheidung auf die individuelle Steuerfestsetzung überlassen bleibt, hat zur weiteren Folge, dass das FA gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 verpflichtet war, die zunächst fehlerhaft vorgenommene Anpassung richtigzustellen (BFH in BFHE 181, 388, BStBl II 1997, 261; s. auch BFH-Urteil vom 10. Juni 1999 IV R 25/98, BFHE 188, 548, BStBl II 1999, 545, jeweils m.w.N.). Dies ist in den angefochtenen Bescheiden geschehen. Die vom FA hierzu gegebenen, irreführenden Hinweise auf die "Ermäßigung für Erfinder" sind unbeachtlich (s. dazu Gräber, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., 1997, § 100 Rz. 9, m.w.N.).



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