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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 10.07.2002
Aktenzeichen: X R 65/96
Rechtsgebiete: EStG, FGO, AO 1977


Vorschriften:

EStG § 37 Abs. 3 Satz 3
EStG § 37 Abs. 3 Satz 3 1. Halbsatz
FGO § 118 Abs. 2
FGO § 100 Abs. 1 Satz 4
AO 1977 § 164
AO 1977 § 169
AO 1977 § 233a
AO 1977 § 164 Abs. 2
AO 1977 § 171 Abs. 3
AO 1977 § 233a Abs. 3
AO 1977 § 164 Abs. 2 Satz 2
AO 1977 § 164 Abs. 2 Satz 1
AO 1977 § 164 Abs. 1 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Sie beantragten mit Schreiben vom 27. März 1991, das am 28. März 1991 (Gründonnerstag) beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--), eingegangen ist, die Vorauszahlungen zur Einkommensteuer für den Veranlagungszeitraum 1989 nachträglich von 0 DM (so die Festsetzung vom 21. Juni 1989) auf 44 423 DM zu erhöhen, und zwar mit der Begründung, dies sei das Ergebnis der inzwischen erstellten Einkommensteuererklärung für diesen Veranlagungszeitraum.

Diesen Antrag lehnte das FA mit Schreiben vom 9. April 1991 ab mit der Begründung, dass die begehrte Anpassungsentscheidung innerhalb der hierfür in § 37 Abs. 3 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) bestimmten Frist, die am 31. März 1991 abgelaufen sei, nicht mehr habe ergehen können. Der Antrag sei erst wenige Stunden vor Ablauf der Dienstzeit am letzten Arbeitstag vor Ostern (28. März 1991, 12.00 Uhr) eingegangen.

Gegen die Entscheidung vom 9. April 1991 legten die Kläger fristgerecht Einspruch ein und machten geltend, die 15-Monats-Frist sei im Streitfall gemäß § 171 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) durch die rechtzeitige Antragstellung gehemmt worden. Mit dem Antrag hätten sie das Ziel verfolgt, die in § 233a AO 1977 geregelte Zinspflicht zu vermeiden.

Am 11. Februar 1992 erging aufgrund der am 5. April 1991 eingereichten Steuererklärung der Einkommensteuerbescheid für 1989, in dem die Einkommensteuer der Kläger für diesen Veranlagungszeitraum auf 44 555 DM (nach Berücksichtigung anrechenbarer Steuern) festgesetzt und die hieraus in gleicher Höhe errechnete Nachzahlung für die Zeit vom 1. April 1991 bis 16. März 1992 verzinst wurden (Zinsfestsetzung: 2 447 DM).

Über den hiergegen ebenfalls fristgerecht eingelegten Einspruch der Kläger ist noch nicht entschieden.

Der in der Anpassungssache erhobene Einspruch hatte keinen Erfolg. Die dagegen gerichtete Verpflichtungsklage hat das Finanzgericht (FG) als unzulässig, die hilfsweise erhobene Fortsetzungsfeststellungsklage als unbegründet abgewiesen. Die Ablehnung der Anpassung sei nicht rechtswidrig. Unter den gegebenen Umständen sei das FA gehindert gewesen, das ihm insoweit zugebilligte Ermessen dergestalt auszuüben. Auf den "rechtzeitig" gestellten Antrag komme es nicht an. Die Regelung des § 164 Abs. 2 AO 1977 sei durch § 37 Abs. 3 Satz 3 EStG eingeschränkt. Auch § 171 Abs. 3 AO 1977 stehe diesem Auslegungsergebnis nicht entgegen; diese Vorschrift sei nur auf die Festsetzungsverjährung nach § 169 AO 1977 zu beziehen. Das Urteil des FG ist veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1996, 143.

Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung des rechtlichen Gehörs und des materiellen Rechts.

Sie beantragen, das angefochtene Urteil aufzuheben und festzustellen, dass die Ablehnung ihres Anpassungsantrags rechtswidrig war.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Revision ist unbegründet (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

Das angefochtene Urteil ist hinsichtlich der Abweisung der Fortsetzungsfeststellungsklage nicht zu beanstanden.

1. Im Ergebnis zu Recht hat das FG die Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO als zulässig angesehen.

a) Allerdings war es nicht --wie von der Vorinstanz angenommen-- zu einer Erledigung des Klageverfahrens, sondern der ursprünglich streitbefangenen Verwaltungsakte gekommen (s. dazu Senatsurteil vom 28. Juni 2000 X R 24/95, BFHE 192, 32, BStBl II 2000, 514; Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl. 2002, § 100 Rz. 55, jeweils m.w.N.): Tatsächlich erledigt nämlich hatten sich die den Anpassungsantrag ablehnenden Verwaltungsentscheidungen zum Veranlagungszeitraum 1989 gemäß § 124 Abs. 2 AO 1977, und zwar spätestens mit Ergehen des Einkommensteuerbescheids für diesen Zeitraum (vgl. Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 3. Juli 1995 GrS 3/93, BFHE 178, 11, BStBl II 1995, 730, unter II. 2.; Gräber/ von Groll, a.a.O., § 100 Rz. 58; Kruse in Festschrift für K. Tipke, 1995, 227, 285 ff.), ebenso wie die von den Klägern mit dem Verpflichtungsbegehren erstrebte positive Anpassungsentscheidung (auch dazu BFH in BFHE 192, 32, BStBl II 2000, 514; Gräber/von Groll, a.a.O., § 100 Rz. 55, jeweils m.w.N.). Dass das erledigende Ereignis schon vor Klageerhebung eingetreten war, ist unbeachtlich (BFH-Urteil vom 7. August 1979 VII R 14/77, BFHE 128, 346, BStBl II 1979, 708; Gräber/ von Groll, a.a.O., § 100 Rz. 59, m.w.N.).

b) Das für den Erfolg einer solchen Klage nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO erforderliche besondere Feststellungsinteresse hat das FG zu Recht im Hinblick darauf bejaht, dass die erstrebte Entscheidung den vom FA geltend gemachten Nachforderungszinsanspruch (§ 1 Abs. 3 Satz 1, § 3 Abs. 3 und § 233a AO 1977) beeinflussen kann, und zwar über die gemäß § 233a Abs. 3 AO 1977 für die Höhe des Zinsanspruchs mitentscheidende Maßgröße der "bis zum Beginn des Zinslaufs festgesetzten Vorauszahlungen". Insoweit genügt es, dass die begehrte Feststellung geeignet ist, die Rechtsposition der Kläger zu verbessern, sie muss dies nicht tatsächlich zur Folge haben (Gräber/von Groll, a.a.O., § 100 Rz. 60, m.w.N.).

2. Beigepflichtet werden kann dem angefochtenen Urteil auch, was die Unbegründetheit der Fortsetzungsfeststellungsklage angeht. Für die begehrte Feststellung gibt es keine Rechtsgrundlage. Das FA hat den Anpassungsantrag der Kläger zu Recht abgelehnt.

a) Nach § 37 Abs. 3 Satz 3 1. Halbsatz EStG in der für das Jahr 1991 geltenden Fassung konnte das FA bis zum Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden fünfzehnten Kalendermonats die Vorauszahlungen an die Einkommensteuer anpassen, die sich für den Veranlagungszeitraum voraussichtlich ergeben wird. Eine Anpassungsentscheidung ist nicht innerhalb dieser Frist ergangen. Das ist zu Recht nicht geschehen. Die für eine solche Ermessensentscheidung erforderlichen gesetzlichen Voraussetzungen lagen zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht vor: Unter den hier gegebenen, vom FG in unangefochtener Weise festgestellten tatsächlichen Umständen (§ 118 Abs. 2 FGO) war das FA innerhalb der gesetzlichen Frist nicht in der Lage, von dem ihm in § 37 Abs. 3 Satz 3 EStG eingeräumten Ermessen (dazu: BFH-Entscheidungen vom 22. Oktober 1981 IV R 81/79, BFHE 134, 415, BStBl II 1982, 446, unter 1., und vom 6. Mai 1986 IX B 121/84, BFHE 146, 433, BStBl II 1986, 749, unter 1. c; Stolterfoht in Kirchhof/ Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 37 Rdnr. D 57 ff., m.w.N.) einen pflichtgemäßen Gebrauch zu machen. Denn der Antrag der Kläger ging ihm so spät zu, dass innerhalb der verbleibenden Dienstzeit eine sachgerechte Bearbeitung nicht möglich war.

b) Bei ihren Einwänden gegen dieses Rechtsanwendungsergebnis übersehen die Kläger, dass es bei dieser Fristenregelung im Unterschied zu anderen Vorschriften dieser Art auf den Zeitpunkt der Antragstellung ausdrücklich nicht ankommt. Diesem Umstand kann hier nur ausnahmsweise unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben mittelbare Bedeutung zukommen: So kann der Finanzbehörde die Berufung auf den Fristablauf verwehrt sein, wenn z.B. ein Anpassungsantrag derart rechtzeitig vor Ablauf der 15-Monats-Frist gestellt und sorgfältig begründet wird, dass die Ablehnung einer Anpassung als widersprüchliches Verhalten zu werten ist. Ein solcher Fall aber liegt hier schon im Hinblick auf die späte Antragstellung nicht vor.

c) Auch der Wortlaut von § 233a Abs. 3 AO 1977 in der im Streitjahr geltenden Fassung, der für die Ermittlung des für die Zinsberechnung entscheidenden Unterschiedsbetrags die Berücksichtigung der "festgesetzten Vorauszahlungen" gebot, spricht dafür, dass das FA die Vorauszahlungen --von Ausnahmefällen abgesehen (vgl. oben 2. b)-- nach Ablauf der Karenzfrist nicht mehr anheben kann. Der mit der Vollverzinsung verfolgte Zweck, Liquiditätsvorteile und -nachteile auszugleichen, würde verfehlt, wenn nach Beginn des Zinslaufs, aber vor der erstmaligen Steuerfestsetzung festgesetzte Vorauszahlungen zur Folge hätten, dass keine oder nur geringere Nachzahlungszinsen festgesetzt werden könnten.

3. Demgegenüber können sich die Kläger nicht mit Erfolg auf andere Rechtsvorschriften berufen:

a) Das gilt zum einen für § 164 Abs. 2 Satz 2 AO 1977, wonach der Steuerpflichtige, solange ein Nachprüfungsvorbehalt wirksam ist (§ 164 Abs. 2 Satz 1 AO 1977), die Aufhebung oder Änderung der in Frage stehenden Steuerfestsetzung jederzeit beantragen kann. Diese Befugnis ist für den Spezialfall der Festsetzung von Einkommensteuervorauszahlungen (§ 164 Abs. 1 Satz 2 AO 1977) durch § 37 Abs. 3 Satz 3 EStG allerdings auf den 15-Monats-Zeitraum begrenzt. Insofern wirkt § 37 Abs. 3 Satz 3 EStG --wie das FG zutreffend erkannt hat-- einschränkend (so auch Stolterfoht in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 37 Rdnr. A 54), ohne dass dadurch --entgegen der Ansicht der Kläger-- § 164 AO 1977 bedeutungslos wird (vgl. Diebold in Hermann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, 21. Aufl., § 37 EStG Anm. 100).

b) Auch § 171 Abs. 3 AO 1977, nach welchem ein vor Ablauf der Festsetzungsfrist gestellter Korrekturantrag bewirkt, dass die Festsetzungsfrist insoweit nicht abläuft, bevor über den Antrag unanfechtbar entschieden worden ist, gibt für die Ansicht der Kläger nichts her. Die hier allein in Frage kommende entsprechende Anwendung dieser unmittelbar nur die Festsetzungsverjährung betreffenden Vorschrift scheitert für den Geltungsbereich des § 37 Abs. 3 Satz 3 EStG an der unterschiedlichen Norm- und Interessenlage: Der entspricht es, wenn der Gesetzgeber im Rahmen von der Rechtssicherheit dienenden Verjährungsvorschriften unter bestimmten Voraussetzungen an die Antragstellung anknüpft und im deutlichen Gegensatz dazu, soweit es um das Verhältnis Vorauszahlungsschuld/Jahressteuerschuld und der zu ihrer Durchsetzung erforderlichen Steuerverwaltungsakte geht, der Antragstellung --wie oben näher ausgeführt-- keine Bedeutung beimisst.

4. Inwieweit die nach alledem zu Recht ausgesprochene Ablehnung der erstrebten Anpassung die Zinszahlung nach § 233a AO 1977 tatsächlich beeinflusst (dazu näher Senatsbeschluss vom 30. Oktober 2001 X B 147/01, BFH/NV 2002, 505), ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens.

5. Das FG-Urteil beruht auch nicht auf einem Verfahrensmangel. Eine Überraschungsentscheidung und damit ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (§ 96 Abs. 2 FGO) liegt nur vor, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt gestützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der auch ein kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht rechnen musste. Auf nahe liegende rechtliche oder tatsächliche Gesichtspunkte braucht das FG nicht ausdrücklich hinzuweisen, wenn die Beteiligten fachkundig vertreten sind (vgl. dazu BFH-Urteil vom 23. Februar 2000 VIII R 80/98, BFH/NV 2000, 978, m.w.N.). Danach konnte das FG entgegen der Ansicht der Kläger deren Recht auf Gehör nicht dadurch verletzen, dass es seine Rechtsauffassung zum Verhältnis des § 37 Abs. 3 EStG zu § 164 Abs. 2 AO 1977 den Beteiligten nicht vor Erlass des angefochtenen Urteils im Einzelnen darlegte; denn auch ohne dahin gehenden Hinweis des Gerichts musste sich den Beteiligten aufdrängen, dass es sich hierbei um einen der Kernpunkte zur Lösung des Streitfalles handelte. Ihr Anspruch auf rechtliches Gehör ist selbst dann nicht verletzt, wenn die Kläger aufgrund der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewinnen konnten, das FG folge ihrer Rechtsauffassung.

Ende der Entscheidung

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