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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 14.08.2003
Aktenzeichen: XI B 235/02
Rechtsgebiete: FGO


Vorschriften:

FGO § 116 Abs. 6
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Streitig ist die Einlegung eines Einspruchs. Der Einkommensteuerbescheid 1998 erging unter dem 7. September 2000. Mit Schreiben vom 11. Dezember 2000 trug der Prozessbevollmächtigte des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) vor, dass die Erklärung eingereicht worden sei, mit weiterem Schreiben vom 22. Januar 2001, dass der Einspruch eingelegt und begründet worden sei. Nachdem der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) den Eingang eines Einspruchs verneint hatte, legte der Kläger mit Schreiben vom 12. Februar 2001 erneut Einspruch ein und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Sodann überließ er die Kopie eines Einspruchsschreibens vom 19. September 2000. Das FA wies den Einspruch als verspätet zurück. Im Klageverfahren trug der Kläger vor, er habe das Einspruchsschreiben vom 19. September 2000 am 25. September 2000 persönlich in den Hausbriefkasten des FA eingeworfen. Zum Beweis legte er eine Erklärung seiner (früheren) Ehefrau vor. Danach habe er --mit dem PKW auf dem Weg nach ...-- seine Ehefrau zu deren Arbeitsstelle mitgenommen und auf dem Weg dorthin den Brief eingeworfen. Das Finanzgericht (FG) lud die Ehefrau als Zeugin zur mündlichen Verhandlung. Diese teilte dem FG mit, dass sie die Aussage verweigern würde; sie stehe unter erheblicher psychischer Belastung, weshalb sie nicht bei Gericht erscheinen könne. Das Gericht sah von einer Vorladung ab. Die Klage hatte keinen Erfolg. Das klägerische Vorbringen sei unglaubhaft; die Schilderung der Ereignisse am 25. September 2000 machte einen ziemlich konstruierten Eindruck.

Mit der Beschwerde macht der Kläger insbesondere geltend, dass das FG-Urteil auf Verfahrensfehlern beruhe. Die aus vermeintlich eigener Sachkunde gewonnene Erkenntnis des FG, dass es sich angeboten hätte, die Ehefrau zunächst zu ihrer Arbeitsstätte zu bringen und dann erst zum FA zu fahren, sei schlichtweg unrichtig. Das FG hätte hinsichtlich der Mitnahme der Ehefrau und der Fahrtroute die tatsächlichen Gegebenheiten weiter ermitteln müssen. Ein entsprechender Beweisantritt sei nicht erfolgt, da die Fahrtroute unstreitig gewesen sei.

Ein Verfahrensfehler liege auch darin, dass das FG aus der Aussageverweigerung der Ehefrau auf die Unrichtigkeit der Erklärung geschlossen habe. Das Gericht stütze sich in seiner Entscheidung zu einem wesentlichen Anteil auf den Gebrauch des Aussageverweigerungsrechts und den dadurch vermeintlich erbrachten Hinweis auf die Unrichtigkeit der Bescheinigung der Ehefrau. Insoweit mache das Gericht seine Entscheidung erheblich von diesem Punkt abhängig. Ebenso falsch sei es, dass das FG aus der Erklärung der Ehefrau den Schluss gezogen habe, dass sie durch die angekündigte Vernehmung psychischer Belastung ausgesetzt gewesen sei.

Der Kläger beantragt, die Revision zuzulassen.

Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

Eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht bezüglich der Fahrtroute sei nicht entscheidungserheblich. Das FG wäre auch ohne Erörterung der Fahrstrecke zu keinem anderen Ergebnis gekommen. Die Wertung der Aussageverweigerung der Ehefrau sei im Rahmen der Beweiswürdigung erfolgt. Die Beweiswürdigung betreffe die Urteilsfindung, nicht das Verfahren.

II. Die Beschwerde ist begründet; sie führt gemäß § 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung. Der Entscheidung des FG liegen Verfahrensfehler zugrunde.

Gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO ist die Revision nur zuzulassen, wenn bei einem geltend gemachten Verfahrensmangel die angefochtene Entscheidung auf dem Verfahrensmangel beruhen kann. Die Bezeichnung eines Verfahrensmangels verlangt eine genaue Angabe der Tatsachen, die den gerügten Mangel ergeben, unter gleichzeitigem schlüssigen Vortrag, inwiefern das angegriffene Urteil ohne diesen Verfahrensmangel anders ausgefallen wäre (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 6. Juni 2001 XI B 134/99, BFH/NV 2001, 1440, und vom 29. August 2001 XI B 101/00, BFH/NV 2002, 201).

a) Die Bewertung der Aussageverweigerung der Ehefrau durch das FG ist verfahrensfehlerhaft. Der Kläger hat in seiner Beschwerdeschrift schlüssig dargelegt, dass das Urteil des FG anders ausgefallen wäre, wenn es bei seiner Beweiswürdigung den Gebrauch des Aussageverweigerungsrechts anders bewertet hätte (dazu vgl. BFH-Beschluss vom 1. Oktober 2002 VII B 91/02, BFH/NV 2003, 192).

Das FG hat aus dem Umstand, dass die Ehefrau vom ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hat, darauf geschlossen, dass die Bescheinigung unrichtig sei. Dieser Schluss führt als unzulässige Beweiswürdigung ebenso zu einem Verfahrensfehler wie eine vorweggenommene Beweiswürdigung (dazu vgl. Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., 2002, § 115 Rz. 80). Die Aussageverweigerung kann weder positiv noch negativ für die Richtigkeit der Erklärung herangezogen werden. Aus der Tatsache einer berechtigten Zeugnisverweigerung dürfen keine negativen Schlüsse für den Kläger gezogen werden, wenn der Zeuge als Grund für sein Verhalten lediglich die bestehende Angehörigeneigenschaft genannt hat (FG Köln vom 10. November 1998 15 K 4994/93, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1999, 451). In ihrer Mitteilung vom 19. November 2002 hat die Ehefrau erklärt, dass sie zur Zeit unter einer großen psychischen Belastung stehe; aus dieser Erklärung geht nicht hervor, dass diese Belastung in Zusammenhang mit ihrer früheren Schilderung über den Ablauf der Ereignisse am 25. September 2000 steht.

b) Das FG ist aufgrund eigener Sachkunde der ehrenamtlichen Richter davon ausgegangen, dass es sich aufgrund der Verkehrsverhältnisse allein angeboten hätte, zunächst die Ehefrau zu ihrer Arbeitsstelle zu bringen und von da aus zum FA weiterzufahren (Fahrtroute B). Diese Fahrtroute ist nach Darstellung des Klägers erheblich ungünstiger; jeder mit den Verkehrs- und Ortsverhältnissen vertraute Fahrer hätte seine Route gewählt (Fahrtroute A). Das Gericht darf nicht entscheiden, ohne sich die nötige Sachkunde verschafft zu haben; es kann nur dann von der Einholung eines Gutachtens eines unabhängigen Sachverständigen absehen, wenn es ausnahmsweise selbst über die nötige Sachkunde verfügt und diese in den Entscheidungsgründen darlegt (vgl. BFH-Urteil vom 12. April 1994 IX R 101/90, BFHE 174, 301). Das FG hat aber nicht näher seine Sachkunde hinsichtlich der örtlichen Verkehrsverhältnisse dargelegt. Soweit es die nötige Sachkunde nicht selbst besitzt, muss es ein Sachverständigengutachten einholen (BFH-Urteil vom 14. Dezember 1976 VIII R 76/75, BFHE 121, 410, BStBl II 1977, 471).

Der Kläger rügt damit zu Recht, dass das FG die notwendige Beweiserhebung unterlassen hat. Er weist zu Recht darauf hin, dass er diesen Umstand noch nicht in der mündlichen Verhandlung vor dem FG rügen konnte, da in der mündlichen Verhandlung dieser Punkt erörtert worden sei und das FA die tatsächliche Fahrtroute nicht bestritten habe (vgl. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2001, 1440, und in BFH/NV 2002, 201).

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