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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 12.12.2007
Aktenzeichen: XI R 11/07
Rechtsgebiete: AO, RAO, BGB, FGO


Vorschriften:

AO § 110
AO § 110 Abs. 1
AO § 110 Abs. 1 Satz 2
AO § 110 Abs. 3
AO § 179 Abs. 3
AO § 183 Abs. 1
AO § 352 Abs. 1 Nr. 1
AO § 352 Abs. 1 Nr. 5
RAO § 219 Abs. 1
BGB § 714
FGO § 48 Abs. 1 Nr. 1
FGO § 60 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Gesellschafter einer Sozietät.

Die Erklärung der Sozietät zur gesonderten und einheitlichen Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 2002 vom 13. November 2003 ging am 18. November 2003 beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) ein. In einer Anlage zur Feststellungserklärung teilte der Kläger dem FA mit, dass "Angaben über die Sonderbetriebsausgaben für das Jahr 2002" von ihm "nachgereicht" würden. Als Empfangsbevollmächtigter für alle Beteiligten war der Gesellschafter B unter der Anschrift der Sozietät benannt.

Das FA erließ am 28. November 2003 einen Feststellungsbescheid für 2002 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 der Abgabenordnung --AO--). Darin wurden für die Beteiligten der Sozietät laufende Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 417 067 € und Sonderbetriebsausgaben in Höhe von ... € festgestellt. Die laufenden Einkünfte wurden auf alle drei Beteiligten und die Sonderbetriebsausgaben nur auf die Beteiligten B und A aufgeteilt. Hinsichtlich des Klägers enthielt der Bescheid weder den Begriff "Sonderbetriebsausgaben" noch eine Null. Der Bescheid wurde B mit dem Hinweis bekannt gegeben, er ergehe an ihn mit Wirkung für und gegen alle Feststellungsbeteiligten.

Mit an B adressiertem Bescheid vom 6. April 2004 hob das FA den Vorbehalt der Nachprüfung auf. Zur Begründung gab es an, eine nochmalige Überprüfung habe nicht zu abweichenden Feststellungen geführt. Der Bescheid wurde am 8. April 2004 (Donnerstag) zur Post gegeben. Er enthielt eine Rechtsbehelfsbelehrung und den Hinweis, dass er an B als Empfangsbevollmächtigten mit Wirkung für und gegen alle Feststellungsbeteiligten ergehe.

Mit Schreiben vom 21. Mai 2004 übersandte der Steuerberater des Klägers dem FA eine Aufstellung der Sonderbetriebsausgaben des Klägers für 2002 in Höhe von ... € mit der Bitte um Berücksichtigung.

Das FA lehnte eine Änderung des Feststellungsbescheids 2002 mit Bescheid vom 1. Juni 2004 ab. Es wies zur Begründung darauf hin, dass der Vorbehalt der Nachprüfung mit Bescheid vom 6. April 2004 aufgehoben worden sei. Einen Ergänzungsbescheid i.S. von § 179 Abs. 3 AO erließ das FA nicht.

Mit Schreiben vom 17. Juni 2004, das am 28. Juni 2004 beim FA einging, legte der Kläger gegen den Ablehnungsbescheid vom 1. Juni 2004 Einspruch ein. Außerdem legte er gegen den Feststellungsbescheid vom 6. April 2004 Einspruch ein und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 AO wegen Versäumung der Einspruchsfrist. Zur Begründung trug er vor: Erst durch den Bescheid vom 1. Juni 2004 habe er erfahren, dass der Vorbehalt der Nachprüfung hinsichtlich des Feststellungsbescheids 2002 am 6. April 2004 aufgehoben worden sei. B habe den Bescheid vom 6. April 2004 der Bürovorsteherin, die sich in 25 Jahren als zuverlässige Mitarbeiterin erwiesen habe, mit der Bitte übergeben, eine Kopie dem Gesellschafter A und ihm, dem Kläger, auszuhändigen. Er habe aufgrund eines Versehens der Bürovorsteherin keine Kopie des Bescheids erhalten. Die Bürovorsteherin bestätigte die Richtigkeit dieser Angaben des Klägers mit eidesstattlicher Versicherung vom 17. Juni 2004.

Am 29. Juli 2004 lehnte das FA den Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab und verwarf den Einspruch gegen den Feststellungsbescheid vom 6. April 2004 als unzulässig. Am gleichen Tag wies es auch den Einspruch gegen die Ablehnung der Änderung dieses Bescheids als unbegründet zurück.

Die Klage hatte keinen Erfolg. Zur Begründung führte das Finanzgericht (FG) u.a. aus: Der Feststellungsbescheid 2002 in der Fassung des Bescheids vom 6. April 2004 (Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung) sei bestandskräftig. Er gelte als dem Empfangsbevollmächtigten B am 12. April 2004 (Montag) bekannt gegeben. Selbst wenn das Schreiben vom 21. Mai 2004, mit dem die Berücksichtigung von Sonderbetriebsausgaben beantragt worden sei, als Einspruch gewertet würde, wäre er offensichtlich nach Ablauf der einmonatigen Einspruchsfrist und damit verspätet beim FA eingegangen. Der Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei zu Recht abgelehnt worden. Dem Kläger sei die Bekanntgabe des Bescheids an den Empfangsbevollmächtigten B zuzurechnen. Er könne die Versäumung der Einspruchsfrist deshalb nicht damit entschuldigen, dass ihm der Inhalt des Bescheids tatsächlich nicht bekannt geworden sei, weil die Bürovorsteherin eine Bescheidkopie versehentlich nicht an ihn weitergeleitet habe. Die nachträglich geltend gemachten Sonderbetriebsausgaben könnten auch nicht durch Erlass eines Ergänzungsbescheids gemäß § 179 Abs. 3 AO berücksichtigt werden. Denn ein Ergänzungsbescheid dürfe einen lückenhaften Feststellungsbescheid nur vervollständigen, nicht aber Unrichtigkeiten des Feststellungsbescheids korrigieren oder die in dem ursprünglichen Feststellungsbescheid getroffenen Feststellungen ändern (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 11. Mai 1999 IX R 72/96, BFH/NV 1999, 1446, m.w.N.). Im Streitfall habe das FA aufgrund der Mitteilung des Klägers, Angaben über die Sonderbetriebsausgaben würden nachgereicht, gewusst, dass Sonderbetriebsausgaben angefallen seien. Es habe diese wegen fehlender Erklärung nicht berücksichtigt. Deshalb sei der Bescheid insoweit nicht unvollständig, sondern unrichtig. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2007, 1134 veröffentlicht.

Mit der Revision rügt der Kläger die unrichtige Anwendung von § 110 und § 179 Abs. 3 AO.

Der Kläger beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidungen vom 29. Juli 2004 aufzuheben und den Bescheid vom 28. November 2003 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 2002 in der Fassung des Bescheids vom 6. April 2004 dahin zu ändern bzw. zu ergänzen, dass seine Sonderbetriebsausgaben in Höhe von ... € berücksichtigt werden.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der nicht spruchreifen Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Entgegen der Ansicht des FG durfte der Einspruch des Klägers vom 17. Juni 2004 gegen den Bescheid vom 6. April 2004 nicht ohne Prüfung der Frage, ob Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 Abs. 1 AO zu gewähren ist, als unzulässig verworfen werden.

a) Der Einspruch war zwar verspätet. Denn der Bescheid vom 6. April 2004 war dem Empfangsbevollmächtigten B bereits am 12. April 2004 mit Wirkung für und gegen den Kläger bekannt gegeben worden.

Die Empfangsvollmacht nach § 183 Abs. 1 AO umfasst auch die Bekanntgabe eines Bescheids, mit dem ein Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben wird. Denn die Aufhebung des Nachprüfungsvorbehalts steht einer Feststellung ohne Vorbehalt der Nachprüfung gleich (§ 181 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 164 Abs. 3 Satz 2 AO). Mit der Bekanntgabe an den Empfangsbevollmächtigten wird die Rechtsbehelfsfrist von einem Monat (§ 355 AO) auch gegenüber den anderen Feststellungsbeteiligten in Lauf gesetzt.

b) Die Auffassung des FG, dass einem Feststellungsbeteiligten keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 Abs. 1 AO wegen Versäumung der Einspruchsfrist gewährt werden kann, wenn der Feststellungsbescheid an einen Empfangsbevollmächtigten bekannt gegeben worden ist und mangels Weiterleitung nicht zur Kenntnis des Feststellungsbeteiligten gelangt ist, hält aber einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

§ 110 Abs. 1 AO ist auch bei Bekanntgabe an einen Empfangsbevollmächtigten i.S. von § 183 Abs. 1 AO zugunsten der anderen Feststellungsbeteiligten anwendbar. Von der Unanwendbarkeit dieser Norm bei Bekanntgabe an einen Empfangsbevollmächtigten könnte nur dann ausgegangen werden, wenn es einen Grundsatz gäbe, dass derjenige, der einen Empfangsbevollmächtigten i.S. von § 183 Abs. 1 AO bestimmt, stets die Folgen tragen muss, wenn dieser ihm nicht oder nicht rechtzeitig Kenntnis von empfangenen Bescheiden gibt. Hierfür könnte zwar eine Formulierung des BFH im Urteil vom 27. November 1968 III 244/64 (BFHE 94, 517, BStBl II 1969, 250) zu § 219 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung (RAO), der Vorgängervorschrift zu § 183 Abs. 1 AO, sprechen. Dort heißt es wörtlich: "Wer einen Zustellungsvertreter bestimmt, muß die Folgen tragen, wenn dieser ihm nicht rechtzeitig Kenntnis von einer Zustellung gibt [...]." Der BFH hatte dort jedoch nicht über einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Nachsicht) gemäß § 110 AO (§ 86 RAO) zu entscheiden. Das Urteil enthält auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der BFH der Auffassung gewesen wäre, dass die Anwendbarkeit des § 110 AO (§ 86 RAO) ausgeschlossen wäre oder der Feststellungsbeteiligte, der mangels Kenntnis von einem Feststellungsbescheid nicht rechtzeitig Einspruch dagegen einlegen konnte, stets so zu behandeln wäre, als würde ihn ein Verschulden i.S. von § 110 AO (§ 86 RAO) treffen.

Auch der Sinn und Zweck des § 183 Abs. 1 AO spricht nicht gegen die Anwendbarkeit des § 110 AO. Der Gesetzgeber wollte mit dieser Norm nur eine Verfahrenserleichterung bei der Bekanntgabe von Feststellungsbescheiden erreichen und verhindern, dass die Rechtsbehelfsfristen zu verschiedenen Zeitpunkten anlaufen und die getroffenen Feststellungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten unanfechtbar werden (vgl. BTDrucks VI/1982, S. 158; Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 183 AO Rz 6 f.). Dieses Ziel wird nicht verfehlt, wenn dem Feststellungsbeteiligten die Möglichkeit eröffnet wird, sich nach § 110 Abs. 1 AO darauf zu berufen, er sei mangels Kenntnis des Feststellungsbescheids ohne Verschulden gehindert gewesen, die Einspruchsfrist einzuhalten. Denn mit der Bekanntgabe an den Empfangsbevollmächtigten nach § 183 Abs. 1 AO läuft die Rechtsbehelfsfrist für und gegen alle Feststellungsbeteiligten an. Sie endet dementsprechend für alle Feststellungsbeteiligten zeitgleich. Diese Folge muss ein Feststellungsbeteiligter auch dann tragen, wenn der Empfangsbevollmächtigte ihm nicht oder nicht rechtzeitig Kenntnis von dem Feststellungsbescheid gibt (vgl. Pahlke/Koenig/Pahlke, Abgabenordnung § 123 Rz 9). Gerade durch den Ablauf der Rechtsbehelfsfrist entsteht für den Feststellungsbeteiligten erst die Notwendigkeit, einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu stellen. Ein solcher Antrag setzt denklogisch den Ablauf der Rechtsbehelfsfrist voraus.

c) Nach § 110 Abs. 1 AO ist jemandem, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Das Verschulden eines Vertreters ist dem Vertretenen zuzurechnen (§ 110 Abs. 1 Satz 2 AO).

aa) Der "bloße" Empfangsbevollmächtigte ist kein Vertreter i.S. des § 110 Abs. 1 Satz 2 AO (vgl. Tipke in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 110 AO Rz 71; Pahlke/Koenig/Pahlke, a.a.O., § 123 Rz 10).

Zwar ist der Begriff des Vertreters i.S. des § 110 Abs. 1 Satz 2 AO weit auszulegen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 28. November 1990 VI R 174/87, BFH/NV 1991, 502). Notwendig ist aber, dass die Vornahme der fristwahrenden Handlung und damit das für die Fristversäumnis ursächliche schuldhafte Verhalten in den Aufgabenbereich des Dritten fällt. Wird er ohne eigene Entscheidungsbefugnis für den zur Fristwahrung Berufenen lediglich als Hilfsperson (Bote o.ä.) tätig, kommt eine auf § 110 Abs. 1 Satz 2 AO gestützte Verschuldenszurechnung nicht in Betracht (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 1991, 502; BFH-Beschluss vom 23. Oktober 2001 VIII B 51/01, BFH/NV 2002, 162).

Der Empfangsbevollmächtigte i.S. von § 183 Abs. 1 AO hat als Zugangsvertreter keine Vollmacht, für die anderen Feststellungsbeteiligten Einspruch gegen den empfangenen Bescheid einzulegen. Etwas anderes gilt nur, wenn ihm insoweit eine Vollmacht erteilt wurde. Bei fehlender Bevollmächtigung zur Einspruchseinlegung ist der Empfangsbevollmächtigte deshalb kein Vertreter der anderen Feststellungsbeteiligten i.S. von § 110 Abs. 1 Satz 2 AO. Ein etwaiges Verschulden bei der Erfüllung seiner Pflicht, die anderen Feststellungsbeteiligten über den Inhalt von Bescheiden, die im Feststellungsverfahren ergehen, zu informieren (vgl. dazu Söhn in HHSp, § 183 AO Rz 27, 63), kann den anderen Feststellungsbeteiligten daher nicht nach § 110 Abs. 1 Satz 2 AO zugerechnet werden. Dies entspricht der Rechtsprechung des BFH zum Testamentsvollstrecker. Die Bekanntgabe des Erbschaftsteuerbescheids an den Testamentsvollstrecker setzt zwar auch die Rechtsbehelfsfrist für die Anfechtung durch den Erben in Lauf. Dem Erben ist aber bei verspäteter Unterrichtung innerhalb der Jahresfrist des § 110 Abs. 3 AO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wobei das Verhalten des Testamentsvollstreckers ihm nicht zuzurechnen ist (BFH-Urteil vom 14. November 1990 II R 58/86, BFHE 162, 385, BStBl II 1991, 52).

bb) Daran, dass der Empfangsbevollmächtigte kein Vertreter i.S. des § 110 Abs. 1 Satz 2 AO ist, würde sich --vorbehaltlich abweichender Regelungen im Gesellschaftsvertrag oder Vereinbarungen zwischen dem Kläger und dem Empfangsbevollmächtigten-- auch nichts ändern, wenn dem von den Gesellschaftern benannten Empfangsbevollmächtigten gleichzeitig die Führung der Geschäfte der Sozietät und das Recht zur Vertretung der Sozietät übertragen worden sein sollte (§§ 709, 710 des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB--).

Zwar bestimmt § 714 BGB, dass ein Gesellschafter, soweit ihm nach dem Gesellschaftsvertrag die Befugnis zur Geschäftsführung zusteht, im Zweifel auch ermächtigt ist, "die anderen Gesellschafter Dritten gegenüber zu vertreten". Dieser Wortlaut deutet auf eine Vertretungsbefugnis für die nicht geschäftsführenden Mitgesellschafter persönlich hin. § 714 BGB ist aber aus heutiger Sicht missverständlich formuliert. Denn seit dem Urteil vom 29. Januar 2001 II ZR 331/00 (BGHZ 146, 341) bejaht der Bundesgerichtshof (BGH) die Rechts- und Parteifähigkeit einer (Außen-)GbR. Die Formulierung in § 714 BGB lässt die seitdem notwendige Unterscheidung zwischen der Vertretung der Gesellschaft und derjenigen der Gesellschafter nicht erkennen (vgl. MünchKommBGB/Ulmer, 5. Aufl., § 709 Rz 4). Inzwischen ist anerkannt, dass es in § 714 BGB nicht um die Vertretung der Gesellschafter persönlich, sondern um die Vertretung der Gesellschaft selbst geht (vgl. Palandt/Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl., § 714 Rz 1; Erman/Westermann, BGB, 11. Aufl., § 714 Rz 1; MünchKommBGB/Ulmer, a.a.O., § 714 Rz 15; Staudinger/Habermeier (2003), BGB, § 714 Rz 1; von Ditfurth in Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, § 714 Rz 2).

Außerdem entspricht der Umfang der Vertretungsmacht nach § 714 BGB, sofern der Gesellschaftsvertrag keine besondere Regelung trifft, der Reichweite der Geschäftsführungsbefugnis (vgl. BGH-Urteil vom 14. Februar 2005 II ZR 11/03, Deutsches Steuerrecht 2005, 614). Die Geschäftsführung wird aber nicht jeweils für die Mitgesellschafter persönlich, sondern für alle Gesellschafter in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit, d.h. für die personenrechtliche Gesamthand als --bei Außengesellschaften grundsätzlich rechtsfähigem-- Personenverband ausgeübt (vgl. MünchKommBGB/Ulmer, a.a.O., § 709 Rz 4).

Im Streitfall geht es um den Einspruch des Gesellschafters wegen einer Frage, die ihn persönlich angeht (§ 352 Abs. 1 Nr. 5 AO). Anders als der Einspruch, den der vertretungsberechtigte Geschäftsführer nach § 352 Abs. 1 Nr. 1 AO für die Sozietät hätte einlegen können, gehört die Wahrnehmung der dem Gesellschafter selbst zustehenden Einspruchsbefugnis grundsätzlich nicht zu den Aufgaben des Geschäftsführers und Vertreters der Sozietät.

Die Einlegung eines Einspruchs nach § 352 Abs. 1 Nr. 5 AO für den Kläger als betroffenen Gesellschafter hätte nur dann zu dem Aufgabenbereich des als Empfangsbevollmächtigen bestellten Gesellschafters B gehört, wenn sich dies aus dem Gesellschaftsvertrag ergäbe oder ihm dazu eine Vollmacht erteilt worden wäre.

2. Die Vorentscheidung ist von anderen Voraussetzungen ausgegangen und deshalb aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif.

a) Das FG hat --von seinem Rechtsstandpunkt aus zu Recht-- bisher keine Feststellungen darüber getroffen, ob der Empfangsbevollmächtigte vom Kläger auch mit der Einlegung des Einspruchs beauftragt war.

Sollte eine Vollmacht vorliegen, wird das FG entscheiden müssen, ob den Bevollmächtigten ein eigenes Verschulden trifft, das dem Kläger gemäß § 110 Abs. 1 Satz 2 AO zuzurechnen wäre. Außerdem wird es § 60 Abs. 3 i.V.m. § 48 Abs. 1 Nr. 1 FGO zu beachten haben (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 31. Januar 1992 VIII B 33/90, BFHE 167, 5, BStBl II 1992, 559, m.w.N.).

b) Soweit das FG die Klage auch unter dem Gesichtspunkt eines Ergänzungsbescheids nach § 179 Abs. 3 AO abgewiesen hat, kann keine Entscheidung zur Sache ergehen, solange es an der notwendigen Beiladung der Sozietät nach § 60 Abs. 3 i.V.m. § 48 Abs. 1 Nr. 1 FGO fehlt. Aus prozessökonomischen Gründen weist der Senat darauf hin, dass die Entscheidung in diesem Punkt nicht zu beanstanden ist. Das FA hatte die Sonderbetriebsausgaben für die an der Sozietät Beteiligten in dem ursprünglichen Feststellungsbescheid einheitlich mit insgesamt ... € festgestellt und diesen Betrag auf A und B aufgeteilt. Damit war der Bescheid nicht unvollständig, sondern hinsichtlich der fehlenden Sonderbetriebsausgaben des Klägers allenfalls unrichtig (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 22. September 1977 IV R 120/73, BFHE 123, 467, BStBl II 1978, 152; vom 15. Juni 1994 II R 120/91, BFHE 174, 465, BStBl II 1994, 819; in BFH/NV 1999, 1446; vom 22. Oktober 1998 I R 122/97, BFHE 187, 273, BStBl II 1999, 101; vom 15. Januar 2002 IX R 21/98, BFHE 197, 503, BStBl II 2002, 309).

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