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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 14.12.2004
Aktenzeichen: XI R 12/04
Rechtsgebiete: AO 1977, EStG, GmbHG


Vorschriften:

AO 1977 § 88
AO 1977 § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
EStG § 24 Nr. 1 Buchst. a
EStG § 34 Abs. 1
EStG § 34 Abs. 2 Nr. 2
EStG § 34 Abs. 3
GmbHG § 30
GmbHG § 31
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Der Ehemann der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war Gesellschafter-Geschäftsführer der X-GmbH. Die GmbH hatte ihm mit Verträgen vom 2. Januar 1980 und Dezember 1990 eine monatliche Altersrente, für den Fall seines Todes eine Witwenrente in Höhe von monatlich 5 400 DM zugesagt. Zur Rückdeckung dieser Pensionsverpflichtung schloss sie sechs Lebensversicherungsverträge ab.

Die Klägerin, die zunächst 5 % der GmbH-Anteile hielt, war als Prokuristin der GmbH tätig. Die GmbH hatte im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung zugunsten der Klägerin drei Lebensversicherungsverträge abgeschlossen.

Der Ehemann der Klägerin starb im Streitjahr 1994. Der GmbH wurden die Rückdeckungsversicherungen in Höhe von 1 061 273 DM ausbezahlt. Die Klägerin hielt seit dem Tod ihres Mannes 65 % der GmbH-Anteile und ihre Tochter, die Geschäftsführerin der GmbH war, 35 % der GmbH-Anteile.

Die wirtschaftliche Situation der GmbH stellte sich in den Jahren 1989 bis 1994 wie folgt dar:

 JahrUmsatzJahresfehlbetrag Überschuldung lt. Bilanz
 DM DM DM
19894 400 989137 915 54 569
19905 985 821+ 4 482112 199
19914 465 252108 500220 699
19925 563 635 5 551226 250
19932 287 934239 013465 264
19941 882 011 67 947533 210

In der Gesellschafterversammlung vom 6. Dezember 1994 fassten die Klägerin und ihre Tochter --nach ihren Angaben im Hinblick auf den wirtschaftlichen Niedergang der GmbH, verursacht vor allem durch die Stahlkrise und den plötzlichen Tod des bisherigen Geschäftsführers-- folgenden Beschluss:

"In der Pensionszusage vom Dezember 1990 wurde der Frau A (Klägerin) eine Witwenrente von 5.400 DM zugesagt. Nach dem versicherungsmathematischen Gutachten hat diese Rentenverpflichtung einen Wert zum 31.12.1994 von 829.499 DM.

Es wird vereinbart, dass diese Rentenverpflichtung durch die Zahlung einer einmaligen Abfindung i.H.v. 829.499 DM abgegolten wird, wobei die Lohnsteuer dafür einzubehalten und an das Finanzamt abzuführen und der verbleibende Betrag an Frau A auszuzahlen ist. Diese Auszahlung hat bis Ende Dezember 1994 zu erfolgen.

Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass mit der Auszahlung und Abführung der Lohnsteuer alle Ansprüche aus dieser Pensionszusage damit erloschen sind..."

Die Klägerin erklärte für 1994 im Rahmen ihrer Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit --in Übereinstimmung mit den Angaben auf ihrer Lohnsteuerkarte-- die Abfindung für ihre Witwenpension als tarifbegünstigte Entschädigung. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) veranlagte erklärungsgemäß. Nach Bestandskraft des Bescheides bat er um Vorlage der der Abfindung zugrunde liegenden Vereinbarungen und erließ anschließend einen Änderungsbescheid nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977), in dem er die Abfindung nicht mehr tarifbegünstigt besteuerte. Die Sorge der Klägerin, die GmbH könne aufgrund ihres seinerzeit zu befürchtenden Konkurses die Witwenpension in absehbarer Zeit nicht mehr zahlen, rechtfertige keine Tarifbegünstigung. Die Kapitalisierung dürfte allein im persönlichen Interesse der Klägerin geschehen sein, da sie als beherrschende Gesellschafterin die Möglichkeit gehabt habe, einen entsprechenden Gesellschafterbeschluss herbeizuführen. Ein durch die GmbH ausgeübter Druck sei nicht erkennbar.

Das Finanzgericht (FG) lehnte eine tarifbegünstigte Besteuerung der Abfindung nach § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 24 Nr. 1 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes (EStG) ab, gab dem FA aber auf, die Steuer nach § 34 Abs. 3 EStG zu berechnen (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2004, 812).

Die Klägerin rügt Verletzung des § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 und des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) gebiete § 88 AO 1977, dass die Finanzbehörde allen offenkundigen Zweifelsfragen nachgehe. Derartige Zweifel hätten sich dem FA bei Geltendmachung der besonders hohen Abfindung aufdrängen müssen. Die Klägerin habe --entgegen der Meinung des FG-- auch nicht auf das Fortbestehen dreier Lebensversicherungsverträge hinweisen müssen, denn diese stünden in keinem Zusammenhang mit dem Verzicht auf die Witwenpension und der Abfindung, sondern ausschließlich mit der von der Klägerin persönlich als Prokuristin erdienten Versorgungszusage. Das FG hätte die von ihm festgestellten wirtschaftlichen Daten, die den rasanten Niedergang der GmbH belegten und die die Klägerin zum Verzicht auf ihre Witwenrente veranlasst hätten, berücksichtigen müssen. Ohne den Verzicht auf die Witwenrente hätte die Überschuldung zum 31. Dezember 1994 über eine Million DM betragen, da die Auflösung der Pensionsrückstellung den Gewinn der GmbH um 495 273 DM erhöht habe. Die Klägerin habe ihre nach Auszahlung der Rückdeckungsversicherung an die GmbH nicht mehr besicherte Witwenpension als in hohem Maße gefährdet angesehen und sich aufgrund der wirtschaftlichen Zwangslage die Versorgungsansprüche kapitalisiert auszahlen lassen. Es entspreche ständiger Rechtsprechung des BFH, dass eine Mitwirkung des Steuerpflichtigen bei dem zum Einnahmeausfall führenden Ereignis unschädlich sei, wenn er bei Aufgabe seiner Rechte unter erheblichem wirtschaftlichen Druck gestanden habe.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG sowie den Einkommensteueränderungsbescheid für 1994 vom 19. Juni 1997 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 3. Februar 1998 aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen. Die Klägerin hätte in der Einkommensteuererklärung nähere Angaben zu dem Verzicht auf die Versorgungsansprüche machen müssen. Eine Zwangslage habe seinerzeit nicht vorgelegen, denn die Klägerin sei geschäftlich nicht unerfahren gewesen und die GmbH sei nach dem Tode des Geschäftsführers nicht aufgelöst worden.

II. Die Revision der Klägerin ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Im Ergebnis ist die Entscheidung des FG revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

1. Das FG ist zwar zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Witwenpension durch die Lebensversicherungen gesichert gewesen sei. Gleichwohl ist die Abfindung keine nach § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG tarifbegünstigt zu versteuernde Entschädigung.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH setzt eine Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG u.a. voraus, dass der Ausfall der Einnahmen entweder von dritter Seite veranlasst wurde oder, wenn er vom Steuerpflichtigen selbst oder mit dessen Zustimmung herbeigeführt worden ist, dieser unter rechtlichem, wirtschaftlichem oder tatsächlichem Druck stand; der Steuerpflichtige darf das schadensstiftende Ereignis nicht aus eigenem Antrieb herbeigeführt haben. Diesem Erfordernis liegt die Überlegung zugrunde, dass die Steuerermäßigung nach § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 EStG nur in den Fällen gerechtfertigt ist, in denen sich der Steuerpflichtige in einer Zwangssituation befindet und sich dem zusammengeballten Zufluss der Einnahmen nicht entziehen kann (so seit BFH-Urteil vom 20. Juli 1978 IV R 43/74, BFHE 125, 271, BStBl II 1979, 9; vgl. z.B. BFH-Urteil vom 4. September 2002 XI R 53/01, BFHE 200, 275, BStBl II 2003, 177, m.w.N.).

Die Frage, ob bei einem Verzicht auf künftige Ansprüche eine rechtliche, wirtschaftliche oder tatsächliche Zwangslage bestand, bestimmt sich nach sämtlichen Umständen des Einzelfalles. Dabei können auch wirtschaftliche Umstände allein eine Zwangslage begründen (BFH-Beschluss vom 24. November 2004 XI B 89/04, BFH/NV 2005, 546), sofern diese nicht vom Steuerpflichtigen in seiner Sphäre freiwillig herbeigeführt wurde (vgl. BFH in BFHE 200, 275, BStBl II 2003, 177; BFH-Urteil vom 14. Januar 2004 X R 37/02, BFHE 205, 96, BStBl II 2004, 493, unter II.2.). Die ernstliche Gefährdung von Versorgungsansprüchen kann eine wirtschaftliche oder tatsächliche Zwangslage begründen (vgl. z.B. BFH-Urteile in BFHE 205, 96, BStBl II 2004, 493, unter II.2.; vom 21. April 1993 XI R 62/92, BFH/NV 1993, 721).

b) Die --von der Klägerin im Streitfall geltend gemachte tatsächliche bzw. wirtschaftliche-- Zwangslage durfte das FG nicht unter Hinweis auf die zu ihren Gunsten abgeschlossenen und fortbestehenden Lebensversicherungsverträge verneinen. Diese Verträge sichern die der Klägerin --als Prokuristin-- zugesagte Altersrente. Sie stehen in keinem sachlichen Zusammenhang mit der von der GmbH ihrem Ehemann zugesagten Witwenrente. Die Frage, ob sich der Steuerpflichtige bei Verzicht auf seine Ansprüche in einer Zwangslage befand, ist im Rahmen des jeweiligen Rechtsverhältnisses zu prüfen, das Grundlage für die "entgangenen oder entgehenden Einnahmen" i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG ist (BFH-Beschluss vom 24. November 2004 XI B 89/04). Ob der Steuerpflichtige noch anderweitige Einkünfte erzielt, ist in diesem Zusammenhang unerheblich und wurde von der Rechtsprechung auch nie geprüft.

c) Im Streitfall liegen keine Anhaltspunkte vor, wonach der Verzicht der Klägerin auf die Witwenpension durch eine ernst zu nehmende Gefährdung ihrer Ansprüche auf Witwenrente veranlasst gewesen sein könnte.

aa) Die GmbH befand sich im Zeitpunkt des Verzichts auf die Witwenrente nicht in Liquidation.

Der erkennende Senat hat bei Liquidation der Arbeitgeber-GmbH eine wirtschaftliche Zwangslage bejaht. Ist der verzichtende Arbeitnehmer zugleich Gesellschafter der Arbeitgeber-GmbH, kann allerdings eine Entschädigung nur vorliegen, wenn auch ein gesellschaftsfremder Unternehmer im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation der Gesellschaft die Liquidation beschlossen hätte (vgl. BFH in BFHE 200, 275, BStBl II 2003, 177; bestätigt mit Urteil vom 15. Oktober 2003 XI R 11/02, BFH/NV 2004, 624). Im Streitfall hat sich weder die GmbH im Zeitpunkt des Verzichts auf die Witwenpension in Liquidation befunden, noch sind Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass ein gesellschaftsfremder Dritter die Liquidation beschlossen hätte.

bb) Die Feststellung des FG, die GmbH sei bilanziell überschuldet gewesen, reicht auch nicht für die Annahme aus, die Klägerin habe unter dem Eindruck des bevorstehenden Konkurses auf ihre Witwenpension verzichtet. Eine bilanzielle Überschuldung führt allein noch nicht zur Konkurseröffnung und damit zur Liquidation der GmbH (vgl. z.B. Roth/Altmeppen, GmbH-Gesetz, 4. Aufl., Vorbemerkung § 64 Rdnr. 11 ff.; § 60 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 63 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung in der im Streitjahr geltenden Fassung --GmbHG--). Die Klägerin hat auch nicht vorgetragen, die GmbH sei im insolvenzrechtlichen Sinn überschuldet gewesen. Die Klägerin war aufgrund der Unterbilanz auch keinem Erstattungsanspruch nach § 31 i.V.m. § 30 GmbHG ausgesetzt, da sie die Witwenpension nicht aufgrund des Gesellschaftsverhältnisses, sondern aufgrund des Anstellungsverhältnisses ihres verstorbenen Ehemannes erhielt (vgl. z.B. Lutter/Hommelhoff, GmbH-Gesetz, 16. Aufl., § 30 Rz. 27).

2. Der Änderung des bestandskräftigen Erstbescheides nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 steht eine Verletzung der Ermittlungspflicht des FA nicht entgegen.

Der erkennende Senat hat mit Urteil vom 7. Juli 2004 XI R 10/03 (BFHE 206, 303, BStBl II 2004, 911) bestätigt, dass das FA eindeutigen Steuererklärungen nicht mit Misstrauen begegnen muss und regelmäßig von deren Richtigkeit und Vollständigkeit ausgehen kann und dies selbst dann gilt, wenn ein Gesellschafter-Geschäftsführer unter Vorlage einer entsprechend ausgefüllten Lohnsteuerkarte eine tarifbegünstigte Entschädigung (§ 24 Nr. 1 Buchst. a EStG) erklärt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf das genannte Urteil hingewiesen.

Die Angaben der Klägerin in ihrer Einkommensteuererklärung, die sich mit der beigefügten Lohnsteuerkarte deckten, gaben keinen Anlass zu Rückfragen. Sie waren klar und eindeutig.

Ende der Entscheidung

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