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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 17.12.2003
Aktenzeichen: XI R 22/02
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO, EStG


Vorschriften:

AO 1977 § 176 Abs. 1
AO 1977 § 176 Abs. 1 Nr. 3
FGO § 73 Abs. 1
FGO § 118 Abs. 2
FGO § 121
FGO § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1
EStG § 15 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind miteinander verheiratet und wurden in den Streitjahren 1993 und 1994 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie erzielten als ...-Arbeiter bzw. als Verkäuferin Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.

Im Jahr 1991 erwarben die Kläger zusammen mit der Mutter der Klägerin das unbebaute Grundstück A, und bebauten es mit zwei Doppelhaushälften; die Kläger bezogen die eine, die Mutter der Klägerin die andere Hälfte. Nach Teilungserklärung veräußerten sie die beiden Grundstückshälften durch Vertrag vom 29. Dezember 1995. Die Kläger nutzten das Haus noch bis zum 26. Oktober 1996.

In den Streitjahren 1993 und 1994 erwarben und veräußerten die Kläger nach Bebauung jeweils drei Immobilien. Im Einzelnen handelte es sich um folgende Geschäfte:

1. Kläger

 ObjektAnschaffunga) Bebauung b) BaubeginnVeräußerung am a) Vertrag b) ÜbergangDMSelbstnutzung
B-Straße 1 B-Straße 2 2 DHH23.3.93; unbebauta) ja b) nach Vertragsabschlussa) 4.6. u. 30.4.93 b) 28.2.94267 500; 270 000nein
C-Straße 1 1 DHH25.1.94; unbebauta) ja b) nach Vertragsabschlussa) 7.2.94 b) 31.10.94287 000nein

2. Klägerin

 ObjektAnschaffunga) Bebauung b) BaubeginnVeräußerung am a) Vertrag b) ÜbergangDMSelbstnutzung
B-Straße 5; nach Teilung 3 Wohneinheiten15.2.94; unbebauta) ja b) 2 Einheiten nach Vertragsabschlussa) 25.7., 25.7. u. 22.12.94 b) 22.12., 22.12. u. 27.12.94208 400; 199 700; 225 800nein

Durch Gesellschaftsvertrag vom 29. November 1996 errichteten die Kläger die "X-Bau-GmbH". Gegenstand des Unternehmens war die Ausführung von Bauleistungen als Bauträger, die Erstellung von Gebäuden und der An- und Verkauf von Grundstücken.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) war der Auffassung, dass die Kläger gewerblich gehandelt hätten. Als Beginn des gewerblichen Grundstückshandels sah er den Erwerb des Grundstücks A an (14. März 1991). Mangels vollständiger Gewinnermittlungen schätzte das FA die gewerblichen Gewinne der Kläger:

 VeranlagungszeitraumKläger Klägerin
1993100 000 DM 
1994270 000 DM320 000 DM

Dementsprechend änderte es die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Festsetzungen der Einkommensteuer 1993 und 1994 durch Bescheide vom 15. September 1997 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. Oktober 1998. Der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) statt; die Entscheidung ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 1598 veröffentlicht. Die Grundstücksgeschäfte seien als private Vermögensverwaltung zu beurteilen. Die sog. Drei-Objekt-Grenze indiziere die private Vermögensverwaltung. Selbstgenutzte Objekte seien nicht mitzuzählen. Besondere Umstände, die trotz des Unterschreitens der Drei-Objekt-Grenze zur Gewerblichkeit führten, seien nicht erkennbar. Die spätere Gründung der X-Bau-GmbH sei ohne Bedeutung.

Mit der Revision macht das FA geltend:

1. Das im März 1993 erworbene Grundstück sei vor Beginn der Bebauung mit jeweils einem Doppelhaus als bebautes Grundstück veräußert worden.

2. Das im Januar 1994 erworbene Grundstück sei im Februar 1994 ebenfalls vor Bebauung mit einer Doppelhaushälfte als bebautes Grundstück veräußert worden.

3. Die Klägerin und ihr Bruder hätten ein unbebautes Grundstück erworben, das mit 6 Eigentumswohnungen bebaut worden sei. Die Wohnungen Nr. 1 und 3 seien schon zu Baubeginn, die Wohnung Nr. 5 kurz vor Fertigstellung im Dezember 1994 veräußert worden.

4. Besondere Umstände lägen hier vor. Mit den Bauarbeiten sei jeweils erst nach bzw. bei Abschluss der Veräußerungsverträge begonnen worden. Die Verträge enthielten detaillierte Beschreibungen der zu erstellenden Objekte. Es hätten Sonderwünsche in Auftrag gegeben werden können. Der Kaufpreis sei in Teilbeträgen nach Baufortschritt fällig geworden. Die Aussage der Kläger, sie hätten sich bei Erwerb der Grundstücke noch keine Gedanken gemacht, diese zu vermieten oder zu veräußern, belege, dass sie zumindest von Anfang an eine bedingte Veräußerungsabsicht gehabt hätten.

5. Der Hinweis auf § 176 Abs. 1 Nr. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) gehe fehl. Die Entscheidung des Großen Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 10. Dezember 2001 GrS 1/98 (BFHE 197, 240, BStBl II 2002, 291) sei keine Rechtsprechungsänderung, sondern nur eine Konkretisierung einer gefestigten Rechtsprechung. Wenn der Steuerpflichtige bereits vor der Errichtung einen Veräußerungsvertrag abschließe, scheide eine "Fruchtziehung aus zu erhaltenden Substanzwerten" aus. Das für die steuerliche Beurteilung prägende Gesamtbild werde zudem durch die Gründung einer auf dem Baumarkt tätigen Kapitalgesellschaft vervollständigt.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil für die Veranlagungszeiträume 1993 und 1994 aufzuheben und die Einkommensteuer für den Veranlagungszeitraum 1993 auf 31 091 DM und für den Veranlagungszeitraum 1994 auf 258 598 DM festzusetzen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

1. Die Kläger hätten sich mehrfach beim FA erkundigt, wo die Grenze zum gewerblichen Grundstückshandel verlaufe. Das FA habe ihnen die Auskunft gegeben, dass sie nicht zum gewerblichen Grundstückshändler würden, soweit jeder maximal drei Grundstücke verkaufe.

2. Bei Erstellung der Doppelhaushälften habe der Kläger die Statik und die Bauzeichnungen genutzt, die bereits für seine eigene Doppelhaushälfte verwandt worden seien.

3. Beim Erwerb der Grundstücke B-Straße 1, 2, 5 C-Straße 1 hätten sich die Kläger noch keine Gedanken gemacht, ob sie die zu errichtenden Gebäude vermieten oder verkaufen würden.

4. Bei Abschluss der Veräußerungsverträge sei bereits mit dem Bau begonnen gewesen. Die Käufer der Eigentumswohnungen und Doppelhaushälften hätten die Objekte nur so erwerben können, wie sie ihnen angeboten worden seien. Die Käufer hätten keinen Einfluss auf die Bauausführung genommen.

5. Nach Auffassung des Großen Senats könne in extremen Ausnahmefällen zwar auch bei einem Verkauf von weniger als vier Objekten ein gewerblicher Grundstückshandel vorliegen. Keiner der vom BFH benannten Fälle (Veräußerung vor Baubeginn; Bebauung auf Rechnung oder nach den Wünschen des Erwerbers; Erbringung der Bauleistungen durch eigenes Bauunternehmen) sei jedoch gegeben.

6. Sollte der Senat die Auffassung vertreten, dass hier ein Ausnahmefall im Sinne des Beschlusses des Großen Senats vorliege, stünde § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977 einer Änderung der Bescheide entgegen.

7. Nach dem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 6. Januar 2003 IV A 6 -S 2240- 15/03 (BStBl I 2003, 171) seien die Grundsätze des Beschlusses des Großen Senats erst auf Veräußerungen anzuwenden, die nach dem 31. Mai 2002 stattgefunden hätten. Das Schreiben sei für die Verwaltung bindend; die Nichtanwendung verstoße gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--).

Wegen Einkommensteuer 1996 hat das FA die Revision zurückgenommen; das Verfahren wird insoweit gemäß §§ 73 Abs. 1, 121 der Finanzgerichtsordnung (FGO) abgetrennt.

II. Die Revision des FA führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage.

1. Das FG hat die Veräußerung der jeweils drei Objekte zu Unrecht als private Vermögensverwaltung beurteilt; entgegen seiner Auffassung sind die Voraussetzungen des § 15 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erfüllt; die Kläger betrieben in den Streitjahren einen gewerblichen Grundstückshandel.

a) Bei der Abgrenzung zwischen Gewerbebetrieb einerseits und der nicht steuerbaren Sphäre sowie den anderen Einkunftsarten (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1, 3 bis 7 EStG) andererseits ist auf das Gesamtbild der Verhältnisse und auf die Verkehrsanschauung abzustellen (BFH-Beschluss in BFHE 197, 240, BStBl II 2002, 291, unter C. II.; BFH-Urteil vom 13. August 2002 VIII R 14/99, BFHE 199, 551, BStBl II 2002, 811). Die Grenze von der privaten Vermögensverwaltung zum Gewerbebetrieb wird überschritten, wenn nach dem Gesamtbild der Betätigung und unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung die Ausnutzung substantieller Vermögenswerte durch Umschichtung gegenüber der Nutzung von Grundbesitz im Sinne einer Fruchtziehung aus zu erhaltenden Substanzwerten (z.B. durch Selbstnutzung oder Vermietung) entscheidend in den Vordergrund tritt. Zur Konkretisierung dieser Unterscheidung hat der BFH die sog. Drei-Objekt-Grenze eingeführt. Sie besagt, dass kein gewerblicher Grundstückshandel vorliegt, sofern weniger als vier Objekte veräußert werden. Je geringer der Umfang von Anschaffungen und Veräußerungen sei, desto weniger sei anzunehmen, dass der Zweck der Vermögensvermehrung durch Umschichtung (Ausnutzung substantieller Vermögenswerte) im Vordergrund stehe. Eine zahlenmäßige Begrenzung auf drei Wohneinheiten trage der gebotenen Vereinfachung Rechnung. Werden hingegen innerhalb eines engen zeitlichen Zusammenhangs --in der Regel fünf Jahre-- zwischen Anschaffung bzw. Errichtung und Verkauf mindestens vier Objekte veräußert, könne von einem gewerblichen Grundstückshandel ausgegangen werden, weil die äußeren Umstände den Schluss zuließen, dass es dem Steuerpflichtigen auf die Ausnutzung substantieller Vermögenswerte durch Umschichtung ankomme (BFH-Urteil vom 13. August 2002 VIII R 53/97, BFH/NV 2002, 1586).

b) Der Große Senat des BFH hat in seinem Beschluss in BFHE 197, 240, BStBl II 2002, 291 allerdings betont, dass der Drei-Objekt-Grenze nur eine indizielle Bedeutung zukomme und auch bei einer Veräußerung von weniger als vier Objekten besondere Umstände auf eine gewerbliche Betätigung schließen lassen könnten, beispielsweise, wenn das im zeitlichen Zusammenhang mit der Bebauung und Veräußerung (ggf. auch durch Schenkung) erworbene Grundstück schon vor seiner Bebauung verkauft worden sei oder wenn ein solches Grundstück von vornherein auf Rechnung oder nach Wünschen des Erwerbers bebaut werde (unter C. III. 5.).

c) Zwar haben die Kläger die Drei-Objekt-Grenze nicht überschritten, weil sie nur jeweils drei der von ihnen hergestellten Objekte veräußert haben; die Veräußerung der Doppelhaushälfte A im Jahr 1995 ist wegen der auf Dauer angelegten Eigennutzung nicht in die Gesamtbetrachtung einzubeziehen. Aber es liegt einer der vom Großen Senat des BFH anerkannten Ausnahmefälle vor, dass auch bei einer Veräußerung von weniger als vier Objekten auf eine gewerbliche Tätigkeit zu schließen ist, wenn das oder die Grundstücke bereits vor ihrer Bebauung veräußert werden (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 197, 240, BStBl II 2002, 291, unter C. III. 5.). Die Möglichkeit, dass diese Objekte für Zwecke der eigenen Vermögensverwaltung hergestellt worden sind, scheidet aus. Dies gilt auch dann, wenn der Steuerpflichtige bereits während der Bauzeit Verkaufsbemühungen unternommen hat (BFH-Urteil vom 18. September 2002 X R 183/96, BFHE 200, 293, BStBl II 2003, 370, unter II. 3. a).

Im Streitfall haben --nach den den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG-- der Kläger bei drei und die Klägerin bei zwei Objekten erst nach Vertragsabschluss mit dem Bau begonnen. Das dritte Objekt der Klägerin wurde kurz vor Fertigstellung im Dezember 1994 veräußert. In jedem Fall waren die Objekte bei Vertragsabschluss noch nicht fertiggestellt.

Diese Sachlage, auf Grund der nach dem Gesamtbild der Betätigung und unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung die Ausnutzung substanzieller Vermögenswerte durch Umschichtung gegenüber der Nutzung von Grundbesitz im Sinne einer Fruchtziehung aus zu erhaltenden Substanzwerten entscheidend in den Vordergrund tritt, hat das FG bei seiner Entscheidung nicht ausreichend berücksichtigt. Es ist zwar davon ausgegangen, dass besondere Umstände auch bei einer Veräußerung von weniger als vier Objekten auf eine gewerbliche Betätigung schließen lassen können. Es war aber der Ansicht, dass diese Umstände nach allgemein geltenden Beweisregeln vom FA darzulegen und zu beweisen seien und dass dieser "(Gegen-)Beweis" zur Überzeugung des Gerichts nicht geführt sei. Dieser Beurteilung ist nicht zu folgen. Das FA hat keinen "Gegenbeweis" zu führen; maßgebend ist die Gesamtbetrachtung anhand der Verkehrsanschauung.

2. § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977 ist nicht zugunsten der Kläger anwendbar. § 176 Abs. 1 AO 1977 setzt voraus, dass die Änderung des Steuerbescheides mit einer anderweitigen rechtlichen Subsumtion einhergeht (Kruse/Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, Stand Juli 2001, § 176 AO 1977 Tz. 2). Die angefochtenen Bescheide aus dem Jahr 1997 beruhen nicht auf einer --vermeintlichen-- Änderung der Rechtsprechung des BFH im Jahr 2001.

3. Ebenso können die Kläger nicht mit Erfolg geltend machen, dass ihnen das FA eine bestimmte Sachbehandlung zugesagt habe. Eine Zusage in diesem Sinn ist nur dann gegeben, wenn sich das FA in einem konkreten Fall nachdrücklich und bewusst auf eine bestimmte Sachbehandlung festlegen will (vgl. Kruse/Drüen in Tipke/Kruse, a.a.O., Stand Oktober 2001, § 4 AO 1977 Tz. 138 ff.). Hierfür bestehen selbst nach dem Vortrag der Kläger keine Anhaltspunkte.

4. Die Kläger können sich in diesem Verfahren schließlich nicht mit Erfolg auf das angeführte BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 171 berufen. Auf Billigkeitsgründen beruhende Übergangsregelungen der Finanzverwaltung über die Anwendung von BFH-Rechtsprechung können nicht im Anfechtungsverfahren gegen Steuerbescheide berücksichtigt werden (vgl. BFH-Beschlüsse vom 30. Januar 1991 IX B 208/89, BFH/NV 1992, 464; vom 26. August 2002 IX R 75/01, BFH/NV 2003, 15; BFH-Urteile vom 31. Oktober 1990 I R 3/86, BFHE 163, 478, BStBl II 1991, 610; vom 26. April 1995 XI R 81/93, BFHE 178, 4, BStBl II 1995, 754).

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